Читать книгу Die Jägerin - Blutrausch (Band 2) - Nadja Losbohm - Страница 17
14. Die rote Welle
ОглавлениеDas Treiben meiner Feinde war bereits auf dem Höhepunkt angelangt. Ich hatte viel zu tun, aber ich tat es mit unverhohlener Freude. Was mich am meisten freute, war, dass ich nicht ein einziges Mal zögerte. Keine Spur von der Unsicherheit oder Angst war mehr in mir. Ich dachte nicht einmal daran, was diese Abgebrühtheit über mich aussagte oder zu welcher Art von Mensch ich geworden war. Es kümmerte mich einfach nicht. Ohne Atempause schickte ich die Monster in die Hölle zurück, aus der sie auferstanden waren. Ich bekam kaum mit, wie die Zeit verging, während ich durch meine Stadt rannte und dem nächsten Untier auf den Fersen war. Es fand sein Ende auf einem verlassenen Grundstück, in völliger Einsamkeit. Schwer atmend stand ich über ihm und starrte voller Abscheu auf das tote Ding hinunter. Mein Atem stieg in weißen Wölkchen in die kühle Nachtluft auf und wurde von dem Wind davongeweht. Als ich so dastand und die hässliche Kreatur anblickte, stiegen in mir die Wut und all der Ärger wieder auf, die ich vor dem Pater versteckt hielt. Mein ganzer Körper fing an zu beben, weil ich versuchte, gegen die rote Welle anzukommen, die sich in mir aufbaute. Sie bestand aus Wut und Hass auf diese Monster, weil sie existierten und ich deshalb hier war und mein Kind nicht hatte behalten dürfen. Es war die Wut auf die Menschen, weil sie so verdorben waren und sie es immer schlimmer machten. Und es war die Wut auf mich selbst, weil ich so dumm gewesen war zu glauben, ich könnte etwas daran ändern. Aber ich verlor den Kampf.
Die wütende Welle schwamm über mich hinweg. Irgendeine Leitung in mir brannte durch. Ich hob mein Schwert und stieß in das am Boden liegende Monster. Noch mal und noch mal. Ich schlitzte es von Kopf bis Fuß auf und zerstückelte seine Gliedmaßen. Bis ich vor Erschöpfung zurücktaumelte und zusammensackte. Außer Atem hockte ich dort und starrte auf das Massaker, das ich angerichtet hatte. Tränen der Verzweiflung stiegen in mir auf, als ich erkannte, wozu mich meine Gefühle getrieben hatten. Ich brauchte einige Zeit, bis ich mich in der Lage sah, zurück zur Kirche zu gehen. Ein Aufräumteam war nicht notwendig. Es war nichts mehr übrig, das sie hätten forttragen können. Die Arbeit hatte ich bereits erledigt.
Dreißig Minuten später trat ich durch das Portal. Sofort entdeckte ich den Pater, wie er, auf einer Holzbank sitzend, auf meine Rückkehr wartete. Als er mich hörte, wandte er sich zu mir um. Sobald er mich sah, wurden seine Augen größer. Er sprang auf, kam mir aber nicht näher. Fürchtete er sich vor mir? Ich könnte es ihm nicht verdenken, dachte ich. Ich wusste zwar nicht, wie ich aussah, aber mein Anblick musste grauenvoll sein. Zumindest fühlte ich mich so.
„Was ist passiert?”, fragte mich Pater Michael ruhig.
„Ein Kampf”, antwortete ich mit monotoner Stimme.
„Bist du verletzt?”, wollte er wissen.
„Nein.”
„War es ein Vampir?”
„Nein.”
„Was war es dann?” Meine knappen Antworten reizten ihn. Er klang immer ungeduldiger.
„Ein Pockenmonster.”
„War es ein schwerer Kampf?”, hakte er nach.
„Eigentlich nicht”, gab ich zurück.
Seine Fragerei fand ein jähes Ende, und er starrte mich an. Ich sah, wie er überlegte. Abwechselnd betrachtete er mein Gesicht und meine Kleidung. Nach einer Weile fiel bei ihm der Groschen. „Was hast du getan, Ada?” Das Entsetzen in seiner Stimme war unüberhörbar. Er hatte begriffen, dass ich das Monster nicht einfach nur beseitigt, sondern regelrecht gewütet hatte wie ein Berserker.
Beschämt blickte ich zu Boden. Mittlerweile hatte ich erkannt, dass ich nicht besser war als die Menschen, die ich vor kurzer Zeit noch als schlecht bezeichnet hatte. Auch wenn ich es in jenem Moment als eine Erleichterung empfunden hatte, das Monster zu Kleinholz zu verarbeiten. Aber ich war entschieden zu weit gegangen. Das wusste ich jetzt, und ich schämte mich dafür. Vor allem, weil das eklige Blut und etliches anderes Gedöns an mir klebten und den geweihten Boden von Pater Michaels Kirche besudelten. Je länger der Pater mich anblickte, desto mehr kam es mir vor, als könnte ich seine Enttäuschung genau spüren. Ich konnte seine bekümmerten Blicke nicht mehr ertragen, und ich wagte es auch nicht, ihm in die Augen zu sehen. Ich setzte mich in Bewegung, damit ich mich säubern konnte. Als ich an ihm vorbeiging, verfolgten mich seine Blicke. Schweigend ließ er mich gehen.
Ausgiebig duschte ich und schrubbte meine Haut so lange, bis sie feuerrot war. Und trotzdem fühlte ich mich immer noch schmutzig. Auch die frische Kleidung, die nach Pfirsich duftete, konnte daran nichts ändern. Mit spitzen Fingern packte ich meine verdreckten Arbeitsklamotten in einen Müllsack und verknotete die Enden fest. Mit einem Seufzen ließ ich ihn zu Boden plumpsen und setzte mich auf mein Bett. Das Klopfen an meine Schlafzimmertür erschreckte mich. Pater Michael wartete nicht auf meine Bitte, hereinkommen zu dürfen, sondern öffnete einfach die Tür. Allerdings blieb er in deren Rahmen stehen und beobachtete mich von dort aus. Ich konnte keine Wut oder Trauer in seinen schwarzen Augen entdecken. Dafür aber unendliche Enttäuschung. Und das war schlimmer als alles andere. Viel schlimmer als jeder ausgesprochene Tadel. Sogar schlimmer als der Schmerz einer Ohrfeige. Ich blickte zu Boden und fing an zu schluchzen. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich konnte es nicht aufhalten. Es brach aus mir heraus. Krämpfe schüttelten meinen Körper. Schlaff fiel ich zur Seite und landete auf meinem Kopfkissen. Ich vergrub mein Gesicht darin, als könnte ich mich so vor dem Pater verstecken und dessen deutlicher Enttäuschung entkommen, die für mich so schwer zu ertragen war. Er war der Letzte gewesen, dem ich hatte wehtun wollen, indem ich das beschmutzte, was er mir beigebracht hatte. Und das, was heute Nacht geschehen war, war sicherlich nicht Bestandteil seines Unterrichts gewesen. Das hatte er mich nicht gelehrt. Es war allein aus mir herausgekommen.
Daher überraschte es mich umso mehr, als ich plötzlich seine Hände auf mir spürte, die mich mit sanftem Druck dazu bringen wollten, dass ich ihn ansah. Ich schüttelte den Kopf und versuchte ihn abzuschütteln.
„Ada, bitte sieh mich an”, flüsterte er.
„Ich kann nicht”, murmelte ich in mein Kissen und schluchzte weiter vor mich hin.
„Bitte, mein Schatz”, sagte er.
Bei diesen Worten wurde ich hellhörig. So hatte er mich noch nie genannt. Vorsichtig wandte ich meinen Kopf etwas zur Seite und sah ihn mit einem Auge an. Er lächelte sanftmütig und breitete seine Arme aus. Langsam setzte ich mich auf und überlegte, ob ich mich in sie stürzen sollte. Innerlich wartete ich immer noch darauf, dass er mit mir schimpfte und mich tadelte bis zum Abwinken. Aber statt Verachtung brachte er mir Verständnis entgegen und wollte mich sogar noch trösten. Wie schafft er das nur?, fragte ich mich. Wie konnte er für jemanden wie mich so viel Verständnis aufbringen? Ich verstand es nicht, aber er vergab mir meine hasserfüllte Tat.
Mit einem verzweifelten Seufzer fiel ich in seine Arme und lehnte meine Wange an seine Brust. Die Nähe tat so gut. Seine Wärme ging auf mich über und durchflutete mich. Seine Arme, die sich fester um mich schlossen und mich festhielten, gaben mir das Gefühl von Geborgenheit. Ich hatte nicht gewusst, dass ich mich so sehr nach seiner Berührung gesehnt hatte, bis ich sie spürte. Und dass er sie mir nach allem, was gewesen war, anbot, erfüllte mich mit unendlicher Dankbarkeit.
Wir saßen lange Zeit so da. Wir sprachen kein Wort, und ich war froh darüber, dass mich Pater Michael auch nicht nach dem Warum fragte. Doch ich vermutete, dass seine uralten Menschenkenntnisse oder göttlichen Überfähigkeiten, nennen Sie es, wie Sie wollen, dabei halfen, eine Ahnung zu haben. Irgendwie waren wir im Stillen übereingekommen, dass wir die Vorfälle dieser Nacht nicht mehr erwähnen würden.