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Wolodja

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Tatjana zog ihre Strickjacke über und dann gingen wir in den Keller. Vielleicht war es eher Souterrain, denn es kam noch etwas Tageslicht in die Räume. Wir arbeiteten uns durchs Labyrinth. Ganz hinten hörte man leise Klaviermusik. Das war also die Schatzkammer. Wolodja saß im Trainingsanzug in einem Sessel und las in einer Illustrierten. Ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt, irgendwie geheimnisvoller. Als er uns hörte, sprang er aus dem Sessel und schloss Tatjana in seine Arme. Auch Wolodja sah blass aus, wahrscheinlich saß er den ganzen Tag in dem Kabuff hier unten. Mit dem Aufzug konnte er auch unmöglich auf die Straße, denn der Sportanzug sah aus, als ob er dreißig Jahre alt war, verschlissen und ausgebeult, auf jeden Fall ein altes sowjetisches Modell. Dazu trug er karierte Filzpantoffeln. Dass es so etwas noch gab … Er war ein typischer Rentner um die siebzig, eine gut konservierte Sowjetausgabe.

„Tanja – da ist ja meine Sonne. Na endlich. Fast zwei Wochen hast du dich nicht blicken lassen und den guten alten Wolodja allein hier sitzen lassen. Muss erst hoher Besuch aus Deutschland kommen, damit du dich an mich alten Zausel erinnerst?“

Tatjana schaute etwas betreten zur Seite. Da musste ich ihr wohl aus der Patsche helfen. „Ich bin doch kein hoher Besuch. Tatjana hat in höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt. Ich bin Anna. Seit gestern wohne ich bei Ihnen schräg gegenüber.“

Tatjana stellte einen Teller mit drei Pasteten auf den Tisch.

„Jaja, schon gut, meine Tanja weiß ja, dass ich ihr ohnehin nichts übel nehmen kann.“ Dann trottete er los und sagte halblaut vor sich hin: „Und ihr braucht also Möbel. Na dann wollen wir mal sehen, was der gute alte Wolodja noch so auf Lager hat.“

Er schloss einen Raum auf und wir standen inmitten von Regalen, Tischen und Schränken. Hier hätte man eine Sozialgeschichte des sowjetischen Wohnens abfassen können. Wolodja meinte, dass wir uns ruhig Zeit lassen sollen. Auch wegen des Hochschleppens sollten wir uns keine Gedanken machen, er könne ein paar Studenten dafür in die Pflicht nehmen. Dann schlurfte er wieder zu seinem Sessel. Ich hatte ohnehin nur das eine Zimmer. Zu viele Dinge konnte ich nicht mitnehmen. Die Wahl war deshalb schnell getroffen. Ich entdeckte einen akzeptablen Couchtisch, eine kleine Kommode, ein Bücherregal, einen Nachttisch und einen schmalen Kleiderschrank. Alles stammte aus den 1970ern, hässliche Furniermöbel, die ich mir zu Hause nie hinstellen würde. Ich hatte vor, sie anzustreichen. Irgendein warmer Farbton. Das würde passen. Dann riefen wir Wolodja und ich zeigte ihm meine Ausbeute.

„Wenn ich diese Dinge hier haben dürfte … Ich will nicht ausverschämt sein, aber wenn Sie vielleicht noch einen Teppich hätten, wäre das großartig. Der PVC-Belag in meinem Zimmer hat schon bessere Zeiten gesehen.“

Wolodja nickte und setzte seine Tour fort. „Kommen Sie mit, junge Dame. Hier hinten finden Sie alles aus Stoff. Ich habe hier einen kleinen Raum, der komplett trocken ist. So schimmelt nichts. Kommen Sie, schauen Sie mal: Gardinen, Decken, Kissen und auch Teppiche.

Und dort hinten“, er zeigte auf einen Nachbarraum, „finden Sie allen restlichen Kleinkram: Dinge für die Küche, Töpfe, Geschirr, Kleiderhaken, Spiegel, alles, was man braucht und nie hat.“ Wolodja lachte selbst über seine Sammelwut.

„Ja, es ist kaum zu glauben, was sich über die Jahre ansammelt, dabei holen sich die Studenten schon mal ab und an was bei mir. Aber schauen Sie – das alles hätten die Leute weggeschmissen. Das ist also die neue Zeit. Die Leute wissen einfach nichts mehr zu schätzen. Ihre Eltern haben ein ganzes Leben für solch eine Schrankwand gespart, aber auf einmal kann alles weg, weil es nicht mehr modern ist.“

Wenn ich ehrlich war, fand ich dieses Sammelsurium abgestoßener Möbel auch nicht sonderlich attraktiv. Aber auch ich tat mich schwer, Dinge, die noch funktionierten, wegzuschmeißen. Ich fand es rührend, dass sich jemand darum kümmerte und denen half, die nichts hatten. Immerhin war es besser als nichts. Für mich war es ideal. Was sollte ich mir für die kurze Zeit Möbel anschaffen?

„Ich finde es wirklich toll, dass Sie sich darum kümmern, Wolodja. So jemanden bräuchte man in jedem Haus. Wie kann ich mich erkenntlich zeigen? Was wollen Sie dafür denn haben?“

Wolodja lächelte und trottete wieder zu seinem Sessel zurück. Er setzte sich und zögerte einen Moment. „Wissen Sie, ich brauche kein Geld. Auch wenn ich nicht viel habe, komme ich damit gut aus. Aber ich bin alt und viel allein. Gescheit kochen kann ich auch nicht.“

Dann stockte er. Offenbar war es ihm peinlich, etwas zu erbitten. Tatjana durchbrach die Stille.

„Nun sag schon. Genier dich nicht. Wir alle wissen, dass du ein Leckermaul bist.“

Wolodja schüttelte den Kopf und hob mahnend seine Hand.

„Nun aber halblang. Naja, wahrscheinlich hast du nicht ganz Unrecht. Also … Ich war mal in der DDR, habe dort auf der Werft gearbeitet. Und ich kann mich daran erinnern, dass es in der Kantine immer Suppe gab. Aber die war viel dicker als bei uns, so richtig nahrhaft und mit viel Fleisch drin. Die Deutschen aßen das als Hauptgericht.

Ich habe in Erinnerung, dass sie nicht Suppe dazu sagten, sondern ,In einem Topf‘. Das hat mir damals sehr gut geschmeckt. Wenn Sie das auch können, dann laden Sie mich doch einmal zu ,In einem Topf‘ ein. Geld brauche ich nicht.“

Ich musste lachen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich in Russland mit einem Eintopf würde punkten können, aber eigentlich gefiel mir der Vorschlag. Ich kochte für mein Leben gern und so könnte ich ihnen etwas von meiner Kultur zeigen, auch wenn Eintöpfe nicht unbedingt zu meinen Lieblingsgerichten gehörten und ich davon eigentlich nichts verstand.

„Das finde ich eine sehr gute Idee. Morgen ist Sonnabend, da würde ich gern die Wohnung auf Vordermann bringen – die Wände streichen und alles putzen. Danach würde ich mir die Möbel vornehmen. Wenn Sie nichts dagegen hätten, würde ich sie anmalen. Was halten Sie von Sonntag oder Montag? Sie und Tatjana bei mir, zum Eintopf? Ich muss Sie aber warnen. Es wird nach Farbe stinken und es gibt keinen Esstisch, nur den hier.“ Ich zeigte auf den Couchtisch. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht einmal, ob es ausreichend Teller und einen großen Topf gab. Ich müsste sicher noch einmal in den Raum mit den Küchen-Utensilien.

„Wenn Sie Werkzeuge brauchen oder einen Pinsel, dann kommen Sie wieder. Das habe ich auch alles hier. Sie wissen ja nicht, was die Leute alles wegschmeißen. Einmal benutzt, dann weg damit. So etwas hätte es früher nicht gegeben.“

Wolodja war Gold wert. Wir schleppten zwei Kisten mit Kleinkram nach oben. Den Rest würden mir zwei Studenten vor die Tür stellen. Tatjana erklärte mir, wo der nächste Baumarkt war und ich machte mich noch schnell auf den Weg, damit es morgen früh gleich losgehen konnte. Wer hätte gedacht, dass alles so einfach sein würde. Ich musste unbedingt Martin davon schreiben. Bornecker sollte ich auch endlich mal informieren. Er platzte sicher vor Neugier. Vielleicht hätte ich am Sonntag Muße. Bisher hatte ich mich nur kurz gemeldet, denn hier überschlug sich alles.

Der Baumarkt war ein besserer Haushaltswarenladen, dafür aber nur zwei Busstationen entfernt. „1 000 kleine Dinge“. Früher hatte ich diese Läden geliebt, weil es dort so viel Kleinkram gab. Man fand all das, was man auch in den nächsten zehn Jahren nicht gebrauchen konnte, kaufte es aber trotzdem. Ich hatte Glück, dass es überhaupt weiße Wandfarbe gab, denn eigentlich tapezierten Russen ihre Wände. Kaum einer strich einfach nur. Aber wahrscheinlich hatte sich auch das geändert. Jetzt brauchte ich nur noch Farbe für die Möbel. Auch da war die Auswahl beschränkt. Ich entschied mich für ein mattes Weinrot, denn bei Wolodja hatte ich eine hellbraune Decke fürs Sofa, einen dunkelbraunen Teppich und Vorhänge in beige mitgenommen. Das würde passen. Ich war froh über meine plötzliche Entschlossenheit. Das war sonst nicht meine Stärke.

Als ich mit meinem schweren Farbeimer endlich zu Hause ankam, war es bereits dunkel. Vor der Tür stand schon der Hausrat. Ich bugsierte den Eimer daran vorbei, machte das Licht an und plötzlich sah ich sie. Oh, nein, das hatte ich komplett vergessen. Kakerlaken. Ich erlegte die zwei aufgescheuchten Tiere, erst dann schloss ich die Tür hinter mir. Dann schaute ich an die Decke. Ich würde Wolodja nach einer Lampe fragen müssen. Dieses Neon-Monstrum war ja grauenhaft. Auch der Kühlschrank musste weg. Das Brummen ging mir schon jetzt auf den Geist.

Dattans Erbe

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