Читать книгу Der Bastard, mein Herz und ich - Nancy Salchow - Страница 5
Kapitel 2
Оглавление„Entschuldigung? Herr Teschner? Alwin Teschner?“
Als er mich sieht, erhebt er sich von seinem Stuhl und reicht mir die Hand. Am Fenstertisch des Hotelrestaurants angekommen, berühren sich unsere Hände in angemessener Höflichkeit, trotzdem entgeht mir nicht das regelrecht leuchtende Grün seiner Augen und die Grübchen, die sein hübsches Lächeln umso charmanter machen. Der Dreitagebart ist ein männlicher Kontrast zu seinem dunkelblonden Haar, das er in weichen Konturen zurückgekämmt hat.
„Frau Ritter“, antwortet er und reißt mich aus den Gedanken. „Schön, dass Sie da sind. Ich habe uns einen Tisch mit Blick aufs Meer reserviert.“
Ich schaue durch das deckenhohe Fenster zum Ostseestrand hinaus, der hinter einer flachen Mauer von sanften Wellen gestreichelt wird. Mit Schrecken stelle ich fest, dass es bereits Mitte Juli ist und ich in diesem Jahr noch kein einziges Mal schwimmen war. Zu viele Aufträge. Zu viel Arbeit.
„Ich bin ein paar Minuten zu spät“, sage ich. „Das ist sonst eigentlich gar nicht meine Art.“
„Tatsächlich? Ist mir gar nicht aufgefallen.“ Er zieht einen Stuhl für mich zurück.
„Ich hoffe, Sie warten noch nicht lang“, antworte ich.
„Aber nein.“ Ich spüre die flüchtige Berührung seiner Hand an meinem Unterarm, den kaum wahrnehmbaren Hauch von Rasierwasser in der Luft, als er auf dem Stuhl mir gegenüber Platz nimmt. „Es ist mein Hotel, ich war eh hier, weil ich noch ein paar Dinge mit den Kollegen durchsprechen musste. Und ob ich nun um halb eins esse oder eine halbe Stunde später, ist nicht wirklich relevant.“
Nicht wirklich relevant. Die Art, wie er sich ausdrückt, passt irgendwie nicht zu dem spitzbübischen Grinsen, mit dem er mir gegenüber sitzt. Das cremefarbene Hemd und die oliv schimmernde Hose machen einen seriösen Eindruck, doch nur so lang, bis man einen Blick in seine vor Energie aufblitzenden Augen schaut.
„Es bleibt also dabei?“, frage ich, während ich meine Kameratasche neben meinen Stuhl auf den Boden stelle. „Ich begleite Sie zwei Tage lang bei Ihrer Arbeit und darf fotografieren, was auch immer mir vor die Linse kommt?“
„Aber sicher, Frau Ritter. Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen“, er nimmt einen Schluck Wasser und nickt zu meinem Glas herüber. „Ich war übrigens so frei, Ihnen ein Glas Wasser zu bestellen. Ich hoffe, das war nicht übergriffig.“
„Sehr aufmerksam. Danke.“
Während ich nach dem Glas greife und einen Schluck nehme, kann ich einen unauffälligen Blick in seine Richtung nicht vermeiden.
Wie jugendlich er wirkt. Jugendlich und gleichzeitig doch so männlich und erfahren. Sind es wirklich allein seine Augen, die ihm diese kindliche Neugier geben?
Von meiner eigenen kurzen Vorbereitungsrecherche weiß ich, dass er erst dreiunddreißig ist und bereits das dritte Hotel eröffnet hat. Den Rest, so legte es mir der Chefredakteur unserer Zeitung nahe, werde ich an den zwei Tagen erfahren, in denen ich ihn begleite.
„Also, Frau Ritter“, er faltet die Hände unter seinem Kinn zusammen, „wie ist es Ihnen lieber? Möchten Sie gern selbst etwas aussuchen oder wollen Sie das Risiko wagen und die Auswahl der Speisen mir überlassen?“
Er lacht, während er das sagt und macht mich damit unerwartet nervös.
„Warum nicht ein bisschen Risiko?“, entgegne ich. „Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, auf diese Weise gleich ein bisschen mehr über Sie zu erfahren. Das sind die Dinge, die die Welt wissen will: Ist er Vegetarier? Oder mag er es lieber männlich-rustikal mit Steak und Pilzen?“
„Warum nur habe ich das Gefühl, dass Sie sich gerade über mich lustig machen?“ Er prostet mir mit seinem Glas zu, als wäre Wein darin.
„Nein, im Ernst. Das ist meine erste Reportage über einen Hotelinhaber. Ich bin wirklich gespannt. Und wenn zu dieser Erfahrung gehört, dass ich auch beim Essen ein Risiko eingehe, dann nehme ich das gern in Kauf.“
„Eine Frau, die etwas wagt. Sehr schön.“ Er hebt die Hand, um den Kellner herbeizuwinken, wendet dabei jedoch keine Sekunde den Blick von mir ab. „Aber bevor wir essen, möchte ich gern wissen, wem ich hier mein Herz öffne. Bisher kenne ich nur Ihren Namen.“
„Na ja, ich bin jetzt achtundzwanzig und seit vier Jahren Fotojournalistin, eigentlich freiberuflich, aber tatsächlich die meiste Zeit für die Tagesbrise-Zeitung aktiv.“
„Die tägliche Brise Ostseeluft“, sinniert er fröhlich.
„Kann man so sagen, ja.“
Der Kellner unterbricht unsere Unterhaltung mit einem erwartungsvollen Lächeln.
„René, bringst du uns bitte als Vorspeise das Orangencarpaccio mit gebratenen Garnelen und als Hauptgang ...”, er hält die Hand vor seinen Mund und flüstert ihm etwas zu.
Der Kellner nickt mit einem geheimnisvollen Augenzwinkern und verschwindet wieder in der Küche.
„Sollte ich Angst haben?“, frage ich.
„Keine Sorge. Sie bekommen keine Schnecken oder andere Kriechtiere serviert.“
„Na dann …“
Ich umklammere noch immer mein Glas, als wäre es ein Rettungsanker.
Seltsam. Irgendetwas an seinem Blick elektrisiert mich auf eine Weise, die mir fremd ist. Fremd und gerade deshalb so verlockend.
Wo kommt diese Gelassenheit in seinen Augen her? Und warum bringt mich diese Mischung aus jugendlicher Abenteuerlust und Reife derart durcheinander? Bilde ich mir all diese Dinge nur ein?
„Aber wir waren noch nicht fertig“, sagt er.
„Fertig womit?“
„Na ja, ich wollte doch mehr über Sie erfahren.“
„Ach so. Ähm … sehr viel mehr gibt es eigentlich nicht über mich zu sagen.“ Ich kann mir ein freches Grinsen nicht verkneifen. „Zumindest nicht, wenn man bedenkt, dass wir uns überhaupt nicht kennen und wir nur auf beruflicher Ebene miteinander zu tun haben.“
„Oh, das ist aber eine enttäuschende Antwort. Damit nehmen Sie mir die Chance, Sie zu fragen, ob Sie verheiratet sind, Kinder haben – oder wenigstens ein Haustier.“
„Erinnern Sie sich bitte daran, Herr Teschner, ich mache eine Story über Sie, nicht umgekehrt.“
„Wie nett, dass Sie mich daran erinnern.“
„Und ja, ich habe ein Haustier“, ergänze ich mit einem Augenzwinkern. „Mein Kater heißt Oskar.“
„Verstehe.“ Da ist es wieder, sein spitzbübisches Grinsen.
Flirte ich etwa gerade mit ihm?
Bleib professionell, Sina! Immer hübsch professionell bleiben.
„Also?“ Ich wechsele das Thema mit einem Räuspern. „Wo wollen wir heute anfangen? Bleiben wir hier oder was liegt an?“
„Also zuerst einmal werde ich Sie mit unserem Mittagessen hoffentlich davon überzeugen können, dass das Restaurant des Möwenzauber-Hotels eines der besten hier in Rerik ist.“ Er lacht. „Sie können es auch als eine Art Bestechung betrachten, damit Ihre Story über mich besonders positiv ausfällt.“
„Und nach der Bestechung?“
„Na ja, danach – so war meine Idee – machen wir gleich die Fotos am Meer, die Sie in Ihrer Mail angekündigt haben. Dann haben wir das hinter uns. Ich hasse es nämlich, fotografiert zu werden.“
„Die Fotos?“
„Haben Sie es etwa vergessen?“ Seine Stirn legt sich in Falten. „Sie wollten doch ein Fotoshooting mit mir am Meer machen. Für den Bericht.“
„Oh ja.“ Ich zupfe am Kragen meiner Bluse. „Die Fotos. Natürlich. Eine gute Idee.“
Gerade als ich mich daran erinnere, mich etwas professioneller zu verhalten, stört eine Frauenstimme meine Gedanken.
„Alwin“, flötet eine langbeinige Rothaarige durch das Restaurant, während sie auf unseren Tisch zukommt. „Hier steckst du also.“
„Tanja!“ Die Verlegenheit ist ihm deutlich anzumerken. „Ich bin gerade mitten bei der Arbeit.“
„Das sehe ich.“ Sie mustert mich mit leicht abfälligem Blick.
„Lass uns telefonieren, ja?“ Er scheint bemüht, sie so schnell wie möglich abzuwimmeln.
„Telefonieren. So so.“ Sie beugt sich über unseren Tisch, sodass ich direkt in den Ausschnitt ihres viel zu engen Tops schauen kann. „Ich warte seit über einer Woche auf deinen Anruf.“
„Ich habe eben viel zu tun. Und eigentlich“, er senkt seine Stimme, „habe ich dir doch auch schon erklärt, warum das alles doch keine so gute Idee ist.“
„Keine so gute Idee?“ Sie wird lauter. „Genau darüber wollte ich ja mit dir reden.“
„Tanja, bitte!“
„Oh, mein Auftauchen ist dem großen Geschäftsmann wohl peinlich, was?“ Sie stemmt die Hände in die Hüften. „Tut mir schrecklich leid, wenn ich dich blamiere, mein Lieber.“
„Ich weiß gar nicht, warum du eine Szene machst“, antwortet er mit gesenkter Stimme. „Es ist doch nichts vorgefallen, dass dich dazu veranlassen müsste, hier in aller Öffentlichkeit aus der Rolle zu fallen.“
„Aus der Rolle zu fallen?“ Sie schaut sich mit hämischem Lachen im Restaurant um, in dem sich die peinlich berührten Köpfe der Anwesenden entweder vor Neugier heben oder vor Scham senken. „Vielleicht stehe ich ja darauf, aus der Rolle zu fallen, Alwin. Und zwar genau hier, wo es alle mitbekommen. Das hat doch was, findest du nicht?“
Nun scheint es ihm zu reichen.
Mit rosigen Wangen erhebt er sich von seinem Platz und legt seine Hand an ihren Unterarm. „Lass uns draußen darüber reden, okay?“
Sie entgegnet etwas, das ich nicht verstehen kann.
Entgeistert schaue ich den beiden dabei zu, wie sie das Restaurant durch einen Seitenausgang in Richtung Ostseeterrasse verlassen.
„Ich bin gleich wieder da“, ruft er mir auf halber Strecke zu. „Probieren Sie das Carpaccio. René wird es sicher gleich servieren. Sie werden begeistert sein.“
Die Blicke der anderen Gäste streifen mich. Ob sie mich für seine Gespielin halten? Die Neue an seiner Seite, nachdem er gerade erst die Vorgängerin abserviert hat?
Ich senke meinen Blick peinlich berührt auf meine Hände. Bleib gelassen, Sina. Bleib einfach ganz gelassen. Du tust hier nur deinen Job – und das Privatleben dieses Mannes geht dich nicht das Geringste an.