Читать книгу Teilzeitküsse - Nancy Salchow - Страница 10
Kapitel 7
ОглавлениеDie Sonne schleicht sich durch die deckenhohen Wohnzimmerfenster, als wollte sie sagen, dass es keinen Grund für schlechte Laune gibt.
Doch ich höre weder der Sonne zu noch meinem Verstand. Dafür schreit das Herz in mir zu laut nach Aufmerksamkeit.
Jan ist damit beschäftigt, Neo in der Küche zu füttern. Ich höre ihm zu, während er mit ihm redet, wie er es oft tut.
Was machst du nur für Sachen, Großer?
Eigentlich sollte ich das Abendessen heute mal für dich ausfallen lassen.
Stell dir nur vor, wir hätten dich nicht wiedergefunden!
Ich sitze auf dem Sofa und zappe mich durch das Vorabendprogramm, doch in Wahrheit nehme ich nichts auf dem Bildschirm wirklich wahr. Viel zu verwirrend sind die Gedanken, die mir noch immer im Kopf umherspuken.
„Hast du Hunger?“, fragt Jan, als er aus der Küche zurückkommt. „Wir können uns eine Pizza bestellen.“
„Ich hatte frisches Gemüse gekauft“, antworte ich. „Eigentlich wollte ich uns eine leckere Suppe machen. Aber …“
Ich schlucke den Satz herunter. Der Appetit ist mir gründlich vergangen.
„Alles okay?“ Jan setzt sich neben mich aufs Sofa. „Machst du dir immer noch Vorwürfe?“
„Sicher. Aber …“ Ich stocke.
„Ich habe dir doch gesagt, dass alles in Ordnung ist“, sagt er. „Ich hätte dir vorher einfach alles noch mal genauer zeigen müssen. Das nächste Mal sind wir schlauer.“ Er lächelt. „Das Wichtigste ist doch, dass Neo wieder da ist.“
Ich atme ein und wieder aus. Ein und wieder aus.
Doch je mehr Mühe ich mir gebe, die Worte nicht auszusprechen, sie kämpfen sich immer wieder in meinen Kopf zurück.
„Mal ehrlich, Jan, warum hast du Katja angerufen?“
Sein Lächeln schwindet, noch bevor ich die Frage ausgesprochen habe.
„Ach Anna.“
„Ach Anna ist keine Antwort.“
„Müssen wir das wirklich schon wieder durchkauen? Ich habe es dir doch vorhin schon erklärt.“
„Was heißt hier, schon wieder durchkauen? Wir haben doch seit vorhin kaum miteinander gesprochen.“
„Dann also nochmal.“ Seufzend greift er nach meiner Hand. „Ich habe Katja angerufen, weil Neo ihre Stimme so gut wie meine kennt. Ich dachte, dass unsere Chancen so besser sind. Und das waren sie ja auch, wie man gesehen hat.“
„Du glaubst echt, dass er gekommen ist, weil er Katja gehört hat? Das ist doch Blödsinn. Du bist sein Herrchen, er betet dich an – jeder weiß das.“
Ich kann ihm ansehen, wie sehr ihn das Thema nervt. Doch der Punkt, an dem ich darauf Rücksicht nehme, scheint nach drei Monaten Beziehung zum ersten Mal überschritten.
„Tut mir leid, dass ich in dem Moment keine Rücksicht darauf genommen habe, wie du darüber denken konntest. Neo war weg und ich musste schnell handeln, das müsstest doch gerade du verstehen. Katja war da mein erster Gedanke. Immerhin ist es auch ihr Hund.“
„Du hast nicht in dem Moment Rücksicht auf mich genommen? Jan, du hast noch nie Rücksicht darauf genommen, was ich dabei empfinden könnte, ständig deine Ex in der Nähe zu haben.“
„Ständig?“ Er scheint ehrlich überrascht. „Katja ist doch nicht ständig in der Nähe. Außerdem hast du gesagt, dass es dir nichts ausmacht, wenn sie wegen Neo kommt.“
Ich springe vom Sofa auf. „Komm schon, Jan. So naiv kannst du doch wirklich nicht sein. Sicher kann ich es dir nicht vorwerfen, dass Neo euch gemeinsam gehört, aber welche Frau wäre denn nicht genervt davon, jeden zweiten Tag die Ex ihres Freundes vor der Tür stehen zu haben?“
Ich bereue meine Worte noch bevor ich sie ausgesprochen habe. Trotzdem müssen sie raus. Viel zu lange habe ich sie heruntergeschluckt.
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ Nun springt auch er auf. „Ihr verbieten, Neo zu sehen?“
„Natürlich nicht, aber … ein Anfang wäre es, wenn ich ab und zu das Gefühl hätte, dass sie dir nicht mehr wichtig ist. Zumindest nicht wichtiger als ich.“
„Ich glaube das nicht, Anna. Ich glaube es wirklich nicht. Ich habe gedacht, du bist anders. Ich habe gedacht, dass du über den Dingen stehst und dich nicht von anderen Leuten aus dem Konzept bringen lässt. Und jetzt?“ Sein Lachen hat etwas Bitteres. „Jetzt stellt sich heraus, dass das alles nur Show war.“
„Wirfst du mir wirklich vor, dass ich von der Situation genervt bin?“
Du fängst jetzt nicht an zu heulen, Anna. Du fängst NICHT an zu heulen!
„Ich werfe dir gar nichts vor. Ich erinnere dich nur daran, dass es nicht meine Schuld war, dass Neo weggelaufen ist. Was sollte ich sonst tun? Katja war nun mal die Erste, die mir eingefallen ist.“
„Jetzt sagst du also endlich, was du wirklich denkst. Es war meine Schuld. Also, ist es auch meine Schuld, dass ihr euch so herrlich einig darüber wart, dass ich selbst zum Spazierengehen zu blöd bin?“
„Ach, komm schon, Anna, nun mach dich doch nicht lächerlich. Katja hat uns geholfen, jetzt ist sie wieder weg. Welche Rolle spielt das jetzt noch?“
„Es würde keine Rolle spielen, wenn sie nicht übermorgen wieder in der Tür stehen würde. Und zwei Tage später. Und dann wieder zwei Tage später. Immer und immer wieder.“
Für einen Moment bleibt Jan regungslos stehen und starrt mich schweigend an, als müsste er sich die nächsten Worte ganz genau überlegen.
„Und so denkst du schon die ganze Zeit?“, fragt er leise. „Von Anfang an?“
„Nein, ich …“, ich kämpfe gegen die Tränen, „ich habe versucht, mir die Lage schönzureden. Aber ich bin nun mal nicht aus Stein. Auch ich habe Gefühle, Jan. Auch ich brauche Sicherheit. Die Sicherheit, dass der Mann, den ich liebe, mich ebenfalls aufrichtig liebt und alle Frauen aus seinem alten Leben keine Rolle mehr für ihn spielen.“
„Ist es das, was du denkst? Dass Katja noch immer eine Rolle für mich spielt? Es ist aus zwischen uns, das weißt du doch genau.“
„Ach ja? Und weiß sie das auch?“
„Tut mir leid.“ Er wendet sich von mir ab. „Aber das wird mir jetzt echt zu blöd.“
Er verschwindet ins Schlafzimmer. Wütend laufe ich ihm nach und schaue ihm dabei zu, wie er seine Jogginghose aus dem Schrank zieht.
„Was hast du vor?“, frage ich.
„Wonach sieht es denn aus? Ich gehe laufen.“
„Heißt das, du verschwindest jetzt? Einfach so, obwohl wir noch mitten im Gespräch sind?“
„Wir sind nicht im Gespräch. Wir sind mitten in einer lächerlichen Show, weil du einfach nicht begreifen willst, dass ich eine Vergangenheit habe, die ich nun mal nicht auslöschen kann. Und wenn du nicht bereit bist, mir zu vertrauen …“
„Verstehst du denn nicht, worum es geht?“ Nun übermannen mich die Tränen doch noch. „Ich will doch einfach nur, dass du weißt, wie ich mich gefühlt habe, als sie plötzlich auf dem Feld aufgetaucht ist. Es war so eine …“, ich schlucke, „so eine Demütigung. Als wolltet ihr euch gemeinsam darüber lustig machen, dass ich zu dämlich bin.“
„Du weißt, dass das lächerlich ist, Anna.“
„Vielleicht ist es lächerlich, aber ich habe mich nun mal so gefühlt. Und es muss doch möglich sein, dass ich dir das sagen kann, ohne dass du gleich an die Decke gehst.“
„Ich gehe an die Decke?“ Da ist es wieder, das bittere Lachen. „Da verwechselst du mich wohl mit dir.“
Mehr sagt er nicht. Wild entschlossen verschwindet er aus dem Schlafzimmer.
Ich folge ihm auf den Flur, wo er nach seinen Schlüsseln greift, die auf der Kommode liegen.
„Du willst jetzt wirklich gehen?“, frage ich ihn erneut.
„Wir können später reden. Wenn unsere Gefühle etwas abgekühlt sind. Okay?“
Dann verschwindet er.
Ich schaue auf die Tür, die er eben noch durchquert hat und versuche, seine Worte zu verinnerlichen.
Es könnte nicht offensichtlicher sein: Er ist nicht bereit, auch nur eine Sekunde über meine Gefühle nachzudenken. Bilde ich es mir nur ein oder ist diese Frau selbst heute noch sein wunder Punkt? Lief es zwischen uns bisher nur deswegen so gut, weil ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht habe? Kommt es ihm vielleicht sogar gelegen, dass Katja nach wie vor ein Teil seines Lebens ist?
Meine Gedanken stürmen wie Pfeile auf mich ein.
Ich muss weg hier. Wenn ich nur ein letztes bisschen Stolz habe, muss ich auf der Stelle weg. Raus aus dieser Wohnung.