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Kapitel 4

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Es ist immer dasselbe: Wenn man Single ist, wünscht man sich nichts sehnlicher, als endlich den Mann der Träume zu finden. Der Mann, der das Leben perfekt und uns selbst wunschlos glücklich macht – zumindest sind das unsere naiven Illusionen. Wenn er dann endlich am Haken hängt, der Traummann, sonnt man sich höchstens ein paar Tage, vielleicht auch einige Wochen im Liebesglück – aber früher oder später kommen sie doch wieder ans Tageslicht, die kleinen und großen Probleme des Lebens. Sorgen im Job, Angst um die Beziehung, Stress mit der Familie – irgendwas ist immer.

Bei Jan und mir jedoch warte ich bereits seit drei Monaten vergebens darauf, dass irgendein Problem am Horizont auftaucht. So sehr ich mich auch anstrenge, jede potenzielle Schwierigkeit verblasst, sobald ich die Wohnungstür hinter mir schließe und ihn in der Küche stehen sehe, während er gerade Karotten für einen Gemüseauflauf schnippelt, mit dem er mich überraschen will.

Und überhaupt ist Jan alles andere als ein Durchschnittskerl. Er lässt sich nicht bekochen – und wenn, dann nur, wenn er mich dafür am nächsten Tag bekochen darf. Er liest es mir von den Augen ab, wenn mich etwas bedrückt – und er ist der beste Liebhaber, den sich eine Frau wünschen kann. Wäre ich eine meiner Freundinnen und müsste mir ständig anhören, wie perfekt er ist, wäre ich sicher genervt und würde nicht mal die Hälfte davon für wahr halten. Aber es ist wahr, jedes einzelne Detail.

Die einzige negative Schlagzeile in der Daily Jan ist und bleibt Katja. Und mal ehrlich: Wirklich vorwerfen kann man es ihm nicht. Schließlich hat er sich diese Situation ebenso wenig ausgesucht wie ich. Und die Tatsache, dass er seinen über alles geliebten Neo nicht aufgeben würde, lässt ihn in meiner ganz persönlichen Traummann-Skala nur noch weiter nach oben steigen.

Meine Mutter scheint das ähnlich zu sehen, nicht nur in Sachen Jan, sondern auch, was den Hund betrifft. Nicht nur, dass sie vom ersten Moment an von Neo entzückt war, sie scheint in ihm so etwas wie ein haariges Enkelkind zu sehen. Deshalb ist es auch selbstverständlich für sie, dass er unter dem riesigen runden Kirschbaumtisch im Esszimmer liegen und sich mit einem Kauknochen vergnügen darf, den sie extra für ihn besorgt hat.

„Nun sag mal, Jan“, sie schiebt einen Teller mit Apfelkuchen zu ihm herüber, „wie läuft es auf der Arbeit?“

„Alles wie immer, Martha. Die Leute kommen und gehen, beschweren und freuen sich. Von allem etwas, wie immer im Leben.“

„Aber es macht dir doch Spaß, oder?“

„Sicher, sonst wäre ich nicht schon über sechs Jahre dort.“

„Wie schön. Das freut mich.“

Manchmal glaube ich, dass meine Mutter noch mehr in Jan verliebt ist als ich.

„Anna hat erzählt, ihr wart gemeinsam mit deinen Kollegen essen?“

Jan nickt höflich. „Mein Chef hatte spontan entschieden, dass auch die Partner mitkommen dürfen. Eine tolle Möglichkeit, Anna mit den Menschen bekanntzumachen, die ich Tag für Tag um mich habe.“

Nun bekomme auch ich mein Stück Kuchen, den Blick wendet sie jedoch nicht von Jan ab.

„Allerliebst“, jubelt sie, als hätte sie soeben erfahren, dass sie Großmutter wird.

Für eine Weile betrachte ich sie mit stillem Interesse. Sie hat ein wenig zugenommen, ihr weinrotes Shirt spannt leicht über dem Bauch. Ihr kaffeebraunes Haar sitzt jedoch wie immer perfekt und umspielt ihr schmales Kinn.

Neun Jahre ist es her, dass wir Papa an den Krebs verloren. Mittlerweile ist Mama 53, noch immer alleinstehend und der festen Überzeugung, dass sie keinen anderen Mann mehr in ihrem Leben braucht. Ob das der Grund ist, warum sie co-verliebt in Jan ist?

„Es war nur ein Abendessen“, ich stochere in meinem Kuchen, „kein Grund, gleich auszuflippen, Mama.“

„Ich flippe nicht aus.“ Sie hebt die Augenbrauen. „Ich freue mich nur, dass du nun auch Teil dieses Bereiches in Jans Leben bist.“

„Anna ist ein Teil aller Bereiche“, antwortet Jan diplomatisch, während er seine Hand auf meine legt.

„Das ist schön zu hören“, antwortet sie mit dem Grinsen eines Honigkuchenpferdes.

Seltsam. Jedes Mal, wenn wir bei meiner Mutter eingeladen sind, komme ich mir vor wie auf einem Basar, dessen Ziel es ist, mich an den Mann zu bringen. Scheinbar hat meine Mutter noch immer nicht begriffen, dass Jan und ich bereits zusammen sind und nicht erst miteinander verkuppelt werden müssen.

„Und? Wann folgt der nächste Schritt?“ Sie gießt Jan etwas Kaffee nach.

„Mama!“, fauche ich entsetzt.

„Der nächste Schritt?“, fragt er.

Süß, dass er nicht ahnt, worauf sie hinauswill. Umso schlimmer, dass sie es ihm gleich sagen wird.

„Na ja, wie auch immer der nächste Schritt aussehen mag“, antwortet sie. „Zusammenziehen, Hochzeit, Kinder.“

Wenn man meiner Mutter zuhört, könnte man meinen, ich wäre Mitte vierzig und nicht siebenundzwanzig. Sie hat meine biologische Uhr schon ticken gehört, als ich das erste Mal verliebt war – und das hat sich bis heute nicht geändert.

Ich schaue nervös zu meiner Mutter, deren schmaler Hals mich förmlich dazu einlädt, meine Hände schreiend darum zu legen – und ich schaue zu Jan, der sich selbst von solchen Fragen nicht aus der Ruhe bringen lässt.

„Ach, weißt du, Martha.“ Seine Hand liegt noch immer auf meiner. „Anna ist so oft bei mir, dass wir praktisch schon zusammenwohnen – und was den Rest betrifft: Ein paar Geheimnisse musst du uns schon noch eingestehen. Wie sollen wir dich denn sonst jemals überraschen?“

Mama wirft hysterisch kichernd die Hände vor den Mund.

Typisch, Jan. Wenn es jemand schafft, sie wenigstens für einen Moment zu besänftigen, dann er.

„Du weißt aber schon, dass wir erst drei Monate zusammen sind“, sage ich zu ihr, „und nicht drei Jahre?“

Mama zuckt mit den Schultern, als würde für ihr Leben eine andere Zeitrechnung gelten. „Welche Rolle spielt das, wenn man weiß, dass man die perfekte andere Hälfte gefunden hat? Dein Vater hat mir bereits nach einem Monat einen Antrag gemacht. Wir wussten es einfach.“

Danke, Mama. Danke, dass du Jan in meinem Beisein die Pistole auf die Brust setzt.

Ich schlucke meine Vorwürfe herunter. Das Einzige, das schlimmer ist, als derart bloßgestellt zu werden, ist, darauf anzuspringen.

„Sollte es in unserem Leben jemals etwas derart Wichtiges zu verkünden geben“, antworte ich schließlich mit erzwungener Beherrschung, „wirst du die Erste sein, die es erfährt.“

Jan legt seine Hand mit sanftem Lächeln an meine Schulter. Instinktiv werde ich ruhiger.

Wahrscheinlich sind Mütter einfach so. Und meine Mutter ganz besonders.

*

„Deine Mutter ist einmalig.“

Diese Feststellung in Kombination mit Jans Arm an meinem Rücken und den entspannten Schritten durch den Park, den wir auf unserem Heimweg durchqueren, hat etwas Surreales. Ja, sie ist einmalig, aber irgendwie passt Jans Grinsen nicht zu der Einmaligkeit, die ich im Sinn habe, wenn ich an sie denke.

„Es tut mir leid, dass sie dich so überfallen hat. Ehrlich, ich hätte das kommen sehen müssen, immerhin kenne ich sie nicht erst seit gestern. Aber selbst wenn – die einzige Möglichkeit, solchen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, wäre, gar nicht mehr bei ihr aufzutauchen.“ Ich senke verlegen den Blick. „Sie ist einfach unverbesserlich.“

Neben einer Parkbank bleibt er stehen und nimmt meine Hände, während sich Neo neben uns setzt und uns schwanzwedelnd beobachtet.

„Ganz ehrlich, Anna. Es gibt Schlimmeres als die Vorstellung, eines Tages mit einem halben Dutzend Kindern und der schönsten Rothaarigen der Welt unter einem Dach zu leben.“

Mein Herz macht einen doppelten Salto. „Das hast du … ähm … schön gesagt.“

„Solange deine Mutter nicht täglich bei mir anruft und nach einem Hochzeitstermin fragt, ist also alles im grünen Bereich.“

Er beugt sich für einen Kuss herunter. Ein Kuss von der Sorte, die einen gedanklich direkt in das nächste Brautmodengeschäft katapultiert.

Gerade als ich mich frage, ob wir uns schon in einer Viertelstunde nackt in seinen Laken suhlen werden, ertönt das Handy in seiner Jackentasche.

Nur widerstrebend löst er sich von mir und schaut aufs Display.

„Katja“, murmelt er, als er ihr Foto aufblinken sieht.

Für einen Moment frage ich mich, ob das Foto auch schon vor einem Jahr für ihre Kontaktdaten auf seinem Handy hinterlegt war. Nur dass sie damals noch aus anderen Gründen angerufen hat. Schatz, bringst du noch Brot mit?

Ich schüttele die Gedanken mit einem leichten Kopfschütteln ab.

Reiß dich zusammen, Anna. Du bist jetzt die Frau an seiner Seite. Nicht sie.

„Hallo Katja …

Bin gerade unterwegs …

Ja …

Wirklich?

Das ist ja blöd …

Nein, das ist kein Problem …

Ja …

Wir kriegen das schon irgendwie hin, mach dir keine Gedanken …

Ja, dann bis Freitag …

Tschüß!“

Jan schiebt das Handy zurück in seine Jacke und lässt sich auf die Bank fallen. Neo legt seinen Kopf auf seinen Schoß, während Jan ihn gedankenverloren streichelt.

„Alles okay?“

„Ja, schon. Katja hat nur gerade gesagt, dass sie morgen keine Zeit hat, auf Neo aufzupassen. Eine kurzfristige Dienstreise. Und ausgerechnet für morgen hatte ich meinem Chef versprochen, eine Doppelschicht zu schieben. Du weißt schon, der hohe Krankenstand.“ Er überlegt. „Ich werde ihm sagen, dass sich kurzfristig etwas anderes ergeben hat.“

Ich setze mich neben ihn. „Das verstehe ich nicht. Wieso ist es so wichtig, dass ausgerechnet Katja mit Neo spazieren geht?“

„Na ja, es ist nicht wichtig, dass sie es macht, aber sie hatte es angeboten und da habe ich dankend angenommen. Warum sollte ich nicht auch mal einen Vorteil aus dieser Teilzeithund-Vereinbarung haben?“

„Ich meinte ja nur, ich bin doch auch noch da. Lass mich doch mit ihm gehen.“

„Echt? Aber du bist noch nie mit ihm allein unterwegs gewesen.“

„Traust du mir das etwa nicht zu?“

„Doch … sicher … aber wir treffen uns doch sonst immer erst bei mir, wenn ich auch zu Hause bin und da dachte ich“, er gerät ins Stammeln, „keine Ahnung, vermutlich wollte ich dich einfach nur nicht überfallen.“

Dass er zuerst Katja gefragt hat, verletzt mich mehr, als ich angenommen hätte. Ich versuche, mir meine Kränkung nicht anmerken zu lassen.

„Ich kann gegen vier bei ihm sein, dann kann ich mit ihm in den Park gehen oder in den Wald. Ich würde mich freuen. Wirklich.“

„Na, wenn das so ist“, ein dankbares Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, „dann nehme ich deinen Vorschlag natürlich gerne an.“

Sein Dankeschön hat etwas Förmliches. Allein der Gedanke an den sensationellen Kuss vor dem Handyklingeln hilft mir dabei, meine Kränkung zu verdrängen.

„Schön“, antworte ich, während mich Neo anhechelt, als hätte er ganz genau verstanden, worum es geht.

Teilzeitküsse

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