Читать книгу Teilzeitküsse - Nancy Salchow - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеWenn man sich zwischen einer blauen Bluse und einem schwarzen Top entscheiden muss und letztendlich ein rotes, enganliegendes Shirt wählt, kann es nur bedeuten, dass das Shirt so umwerfend ist, dass man keine andere Wahl hatte – erst recht nicht, wenn es perfekt zu dem schwarzen Bleistiftrock und den roten Pumps passt.
Diese Feststellung überkommt mich, als ich meine hinreißende Silhouette vor dem Schlafzimmerspiegel betrachte. So selten es vorkommt, dass ich zufrieden mit meinem Spiegelbild bin, so entzückt bin ich an diesem Abend von dem Ergebnis meines einstündigen Styling-Marathons.
Meine Smokey Eyes sorgen für eine dramatisch-weibliche Ausstrahlung, meine roten Locken fallen wie gemalt auf den weichen Stoff des Shirts und mein neuer BH zaubert ein Dekolleté, das genau die richtige Mischung aus Sexappeal und Seriosität darstellt.
Zufrieden senke ich meinen Blick auf Neo, der neben meinen Füßen auf dem Kunstfell vor dem Bett liegt.
„Was ist, Neo? Hast du Lust auf einen kleinen Snack?“
Neo hebt den Kopf und spitzt die Ohren, als hätte er jedes Wort ganz genau verstanden.
„Braver Kerl.“ Ich bücke mich und nehme sein Gesicht in meine Hände. „Was darf es denn sein? Kaustange oder Leckerli?“
Neo steht auf und folgt mir schwanzwedelnd zur Speisekammer neben der Küche, als das Klingeln an der Tür unseren Plan durchkreuzt.
„Tut mir leid, Süßer, nur aufgeschoben, nicht aufgehoben, okay?“
Als ich zur Tür eile, fange ich erneut meine Umrisse im Spiegel der Flurgarderobe ein. Jan und ich werden das Traumpaar dieses Abends sein, und zwar nicht nur optisch.
Doch meine Euphorie bekommt Risse, als ich eine Stunde früher als erwartet in das Gesicht einer makellos schönen Blondine starre.
„Katja!“ Ich knipse mein Alles-ist-gut-Lächeln an.
„Anna, hi.“
Ich hasse es, wenn sie „Hi“ sagt. Sie sagt immer „Hi“, fast so, als kosteten sie die zwei Silben von „Hallo“ zu viel Atem.
„Ich dachte, du kommst erst gegen halb sieben“, sage ich.
„Ja, sorry.“ Sie betritt den Flur und streichelt Neo, der ihr Auftauchen überglücklich zur Kenntnis nimmt. „Hey, Großer. Warst du schön brav?“
Ich stehe noch immer in der offenen Tür. Irgendetwas hält mich davon ab, sie zu schließen, solange diese Frau in der Wohnung ist.
Katja zieht Neos Leine von der Garderobe, was ihn dazu bringt, sich wie wild im Kreis zu drehen und jaulend auf und ab zu springen.
„Ich habe nachher noch einen Termin.“ Sie klemmt die Leine an sein Halsband. „Deshalb bin ich schon ein bisschen früher hier.“
Kein Problem. So ein Stündchen ist ja nicht der Rede wert.
„Wer ist mein Bester?“ Sie fährt mit den Händen durch sein Nackenfell. „Du bist mein Bester!“
Mit Neo an der Leine bleibt sie schließlich in der offenen Tür stehen und gibt den Blick auf ihren perfekten Jeansknackarsch frei.
„Ist Jan noch gar nicht da?“ Sie streicht sich eine Strähne aus dem perfekt geschminkten Gesicht.
„Er ist noch zur Reinigung. Wir gehen nachher noch aus und er braucht seinen Anzug dafür.“
„Verstehe.“ Sie neigt den Kopf zur Seite und mustert mich mit aufmerksamen Blick. „Na, dann will ich mal nicht weiter stören. Du musst dich ja noch umziehen und alles.“
Ich schaue auf mein Outfit herab. „Ähm …“
„Mach’s gut, Anna“, flötet sie, bevor ich etwas sagen kann. „Ich bringe Neo morgen Nachmittag wieder.“
Ich möchte etwas antworten, doch ehe ich meine Stimme wiedergefunden habe, sehe ich sie schon über den Asphalt in Richtung Parkplatz stolzieren, als hätte man ihr soeben die Gewinnerschärpe einer Miss-Wahl umgehängt.
„Blöde Kuh“, murmele ich, während ich ihr einen Moment zu lang hinterherschaue.
*
„Frau Abner, das muss heute noch fertig werden. Ein neuer Kunde.“
Eine Spannmappe mit einem Stapel handgeschriebener Notizen landet mit Schwung auf meinem Schreibtisch direkt neben der Tastatur.
Arthur, der mir gegenüber sitzt, tauscht einen vielsagenden Blick mit mir. Die Art von Blick, wie wir sie uns immer zuwerfen, wenn Herr Köster wieder mal vergisst, dass wir Menschen sind und keine Maschinen.
„Was hat der denn für eine Laune?“ Arthur schaut Köster nach, der seine Bürotür zuwirft. „Wieder mal Zoff mit Ehefrau Nummer drei?“
„Nummer vier“, flüstere ich ihm kichernd zu. „Bist du etwa nicht auf dem Laufenden?“
„Vorhin hat er mir drei jeweils einstündige Audiodateien geschickt. Diktiert von so einem sterbenslangweiligen Sachbuchautor. Heute Abend auf meinem Tisch, hat er mir zugerufen.“
„Nimm’s gelassen, Schätzchen, wenn es einer schafft, dann wir beide.“
Arthur ist das, was man ruhigen Gewissens einen prima Kerl nennen darf. Als wir beide damals fast zeitgleich in dem Schreibbüro von Köster anfingen, hatten wir denselben Plan: Das hier ist nur zur Überbrückung, bis wir wieder in unseren richtigen Jobs arbeiten – er als Telekommunikationskaufmann, ich als Bürokauffrau.
Drei Jahre ist das her und immer wieder ertappe ich mich bei der Erkenntnis, dass ich mir keinen Kollegen wünschen könnte, mit dem das Lästern über den Job mehr Spaß machen würde.
Ob ich deshalb noch immer hier bin? Oder liegt es daran, dass Arthur schwul ist, im selben Alter wie ich und der einzige Kerl, mit dem ich auch Frauenprobleme besprechen kann, ohne Angst vor einem Po-Grabscher haben zu müssen?
Arthurs Finger rattern wie Maschinengewehre über die Tasten, bis er sich für einen kurzen Moment grinsend zurücklehnt und die Hände auf seinen fülligen Bauch legt.
„Was ist?“ Meine Finger rasen fröhlich weiter über die Tastatur, während ich ihm einen fragenden Blick über unseren Doppelschreibtisch zuwerfe.
„Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“ Er macht eine kreisende Bewegung mit seinem Zeigefinger.
„Es ist nicht zu fassen.“ Nun lehne auch ich mich zurück. „Du merkst aber auch wirklich alles.“
„Du warst beim Friseur, richtig?“
„Nein nein, das war mein eigenes Werk.“ Ich wickele stolz eine Locke um meinen Finger. „Mein neuer Lockenstab ist der Hammer, oder? Man sieht die Locken selbst zwei Tage später noch, wenn man sie fixiert und gut behandelt.“
„Entzückend. Und was war der Anlass? Ein romantisches Dinner mit Mister Sixpack?“
„Jan und ich“, antworte ich mit verklärtem Lächeln, „wir waren wirklich aus. Stell dir vor, er hat mich zum ersten Mal zu einem Abendessen mit seinen Kollegen mitgenommen. Offizieller geht es doch nun wirklich nicht, oder?“
„Klingt toll.“
Ich nicke grinsend. „Er war so süß zu mir. Na ja, eigentlich ist er das ja immer.“
„Und was ist das dann für ein Schatten auf deinem Gesicht?“
„Schatten?“ Instinktiv fasse ich unter meine Augen.
„Im übertragenen Sinne, Baby. Du weißt, was ich meine.“
Ich lasse die Arme sinken. „Ach, Arthur. Manchmal kann deine Beobachtungsgabe auch nerven. Du klingst schon wie meine Schwester. Die analysiert mich auch ständig.“
„Das mag daran liegen, dass deine Stimme immer zwei Oktaven höher springt, wenn du etwas verbergen willst.“
„Verbergen? Was sollte ich verbergen wollen?“
Köster brüllt irgendetwas in sein Telefon, was uns für einen Moment verstummt aufhorchen lässt. Als sich seine Tür jedoch nicht öffnet, beugt sich Arthur ein Stück über den Tisch und spricht weiter: „Nun erzähl schon, was ist los?“
„Ach, im Grunde nichts. Jan und ich, wir sind verliebt wie am ersten Tag.“
„Aber?“
„Es gibt kein Aber.“
„Also, wenn du mich fragst, hat das Aber lange blonde Haare und einen sexy Knackarsch.“
„Schon gut, schon gut.“ Frustriert lasse ich das Kinn auf meine Handfläche fallen. „Ich gebe es ja zu. Sie nervt noch immer wie am ersten Tag.“
„Und womit genau?“
„Mit ihrer Existenz natürlich. Reicht das nicht?“
„Herrgott nochmal, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Püppchen!“
„Was soll ich sagen? Es ist dasselbe Problem.“
„Immer noch der Hund?“
Ich nicke. „Versteh mich nicht falsch, ich liebe Neo. Wirklich. Deshalb ist es ja so schlimm. Ich verstehe, dass diese Katja ihn sehen will und dass Jan ihn ebenso liebt – deshalb darf ich offiziell auch nichts sagen, wenn ich nicht der größte Unmensch aller Zeiten sein will.“
„Das soll heißen, sie taucht für die nächsten Jahre alle paar Tage bei euch auf und du musst damit leben, damit dich niemand – ähm – zickig findet?“
„So wie du das sagst, klingt es irgendwie“, ich neige meinen Kopf zur Seite, „seltsam.“
„Mensch, Anna, das kann’s doch aber jetzt nicht für immer sein, oder?“
„Ich finde es doch selber schrecklich. Glaube mir. Stell dir vor, gestern hat sie mich sogar beleidigt und war dabei so freundlich, dass es schon wehtat.“
„Beleidigt? Nicht doch!“
„Sie hat sich über mein Outfit lustig gemacht, zumindest durch die Blume. Das Schlimme daran ist aber, dass es ihr sogar gelingt, mich zu verunsichern. Egal, wie oft mir Jan seine Liebe gesteht – sie muss nur einmal mit ihrem Barbie-Gesicht und der perfekten Wallemähne vor der Tür stehen und ich habe alles vergessen. Dann sehe ich nur noch sie und ihn nackt im Bett und frage mich, ob ich ihr das Wasser reichen kann.“
„Jeder weiß doch, dass dir niemand das Wasser reichen kann, Schätzchen. Und immerhin ist er mit dir zusammen und nicht mit ihr, das wird seine Gründe haben.“
„Kann sein. Es fällt mir nur so schwer zu glauben, dass mich der Kerl, in den ich unsterblich verknallt bin, wirklich genauso liebt wie ich ihn. Das ist einfach so unwirklich … so … na ja … du weißt selbst, wie viel Pech ich mit den Kerlen hatte. Da traut man dem Frieden nicht mehr so leicht.“
„Na, komm schon, mit Jan hast du doch echt Glück. Als er dich letzte Woche hier abgeholt hat, hat sogar ein Blinder gesehen, wie scharf er dich findet.“
Meine Wangen werden heiß. „Du willst mich nur trösten.“
„Nie im Leben.“ Er hebt abwehrend die Hände. „Er steht auf dich, das habe ich sofort gesehen.“
Allein beim Gedanken an Jan muss ich lächeln. Dieses dämlich-debile Grinsen, von dem ich selbst manchmal genervt bin, das sich aber einfach nicht abschalten lässt.
„Wenn ich nur an diesen Puzzle-Typen von damals denke. Oh Mann, da hast du dich echt um Welten verbessert.“
„Theo?“ Ich lache.
„Das war doch der, der die Wochenenden lieber mit einem Puzzle als mit Sex verbracht hat.“
„Erinnere mich bloß nicht daran. Das sind vier Wochen meines Lebens, die ich nie wieder zurückbekomme. Ich war nur kurz von seinem charmanten Lächeln abgelenkt, bin aber Gott sei Dank schnell wieder wach geworden.“
„Und der Verheiratete?“
„Du weißt, dass ich es nicht gewusst habe.“
„Das ist ja das Schlimme. Wer weiß, wie lang er dich noch verarscht hätte, wenn du ihn nicht mit seiner Frau getroffen hättest.“
Richard. Das bisher dunkelste Kapitel in meinem ganz persönlichen Buch der Männerliebschaften.
„Das alles muss dir doch nur allzu deutlich zeigen, was für ein Glück du mit diesem Jan hast. Jetzt müssen wir nur noch das Problem mit dieser Ex lösen.“
„Ach, Arthur. Wenn das so leicht wäre.“
„Wie ist das mit den beiden überhaupt auseinandergegangen?“
„Ist schon ewig her. Fast ein Jahr mittlerweile.“
„Und hat er Schluss gemacht oder sie?“
„Sie wollte eine offene Beziehung, was er sofort abgeblockt hat. Später hat sich dann herausgestellt, dass sie sowieso schon einen Anderen hatte.“
„Armer Jan.“
„Ihre Doofheit war mein Glück.“ Ich zwinkere ihm vielsagend zu.
„Auch wieder wahr. Hat sie sich denn mit der Trennung abgefunden?“
„Offiziell vielleicht, aber sie ist seit damals Single. Jan sagt, weil sie nicht der Typ für eine feste Bindung ist, aber manchmal frage ich mich schon, ob nicht vielleicht er der Grund dafür ist und sie nicht gerade traurig darüber ist, in Neo eine Möglichkeit zu haben, Jan nicht aus den Augen zu verlieren“, ich schlucke, „und auf eine neue Chance zu warten.“
„Aber er würde sich doch nicht darauf einlassen, oder?“
„Natürlich nicht“, antworte ich etwas zu schnell. „Ich meine … er liebt mich. Und ich glaube ihm. Also eigentlich. Wenn ich nicht gerade wieder voller Selbstzweifel bin.“
„Selbst wenn du ihm trauen kannst: Diese Tussi nervt ja sogar mich und ich kenne sie nicht mal. Es muss doch eine Möglichkeit geben, das alles anders zu regeln.“
„Glaube mir, ich wäre die Erste, die es wüsste, wenn es einen Weg gäbe.“
„Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
Der Windzug der Bürotür durchfährt unsere Unterhaltung.
„Wie weit sind Sie mit dem Kluger-Auftrag?“ Kösters Frage kommt eher in unserem Büro an als er selbst. „Ich hatte ihn eben am Telefon.“
Unsere Finger landen hektisch auf den Tasten, als hätten sie nie woanders gelegen, während Köster mit hochrotem Kopf neben unserem Schreibtisch steht.
Arthur beginnt zu stammeln. „Ich wollte erst noch das Sachbuch …“
„Kluger ist wichtiger“, fällt ihm Köster ins Wort. „Ich verlasse mich auf Sie. Sie schaffen das.“
So schnell, wie er gekommen ist, verschwindet er wieder in seinem Zimmer.
Arthur wirft ihm einen Luftkuss durch die geschlossene Tür zu. „Ja, Chef. Alles, was Sie wollen, Chef.“