Читать книгу Dem Feind versprochen - Natalie Bechthold - Страница 7

Gefangen

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„Halt!“, forderte sie plötzlich jemand auf, stehen zu bleiben. „Wo willst du hin? Hast du etwa keine Arbeit?!“, schimpfte eine Frau verärgert. Erschrocken als auch erleichtert drehte sich die junge Gräfin um und sah in das vertraute Gesicht der Köchin.

„Waltraud.“ Sie lächelte.

„Gräfin Stephania?“ Die ältere Frau sah ihre Herrin überrascht an. „Was macht Ihr hier und .... wie seht Ihr aus?“ Der Saum ihres Reisekleides war stark verschmutzt. Die Frisur zerstört. Waltraud kam auf sie zu und schob sie in die nächste Kammer, bevor jemand die Gräfin hier entdeckte. Sie schloss hinter sich leise die Tür und fragte besorgt: „Hat Euch jemand angefasst? Ein Mann?“

„Nein, wie kommst du darauf?“

„So wie Ihr ausseht, lässt sich nichts anderes vermuten. Wir haben Euch eigentlich erst in einem Monat erwartet.“

„Ich weiß, aber ich hatte so ein starkes Heimweh, dass Tante Auguste mich nach Hause gehen ließ. Sie bekam ganz spontan Besuch von ihrer Nichte und brauchte mich deshalb als Gesellschafterin nicht mehr.“

„Ausgerechnet jetzt, wo es hier auf der Burg für Euch lebensgefährlich ist.“

„Was ist passiert? Wieso liegen so viele Tote im Burghof?“

„Die Burg wurde gestern überfallen. Ein Mann namens Balthasar Wolfhard hat sie mit seinen Männern eingenommen.“

Kleine Sorgenfalten zogen sich über ihre Stirn.

„Ich habe noch nie etwas von ihm gehört. Wer ist er?“

„Ein Ritter.“

„Und wo ist mein Vater? Was hat er mit ihm gemacht?“

„Ihr Vater starb einen ehrenvollen Tod.“

Gräfin Stephania presste sich eine Hand auf den Mund, um nicht aufzuschreien.

Tränen kullerten ihr über die Wangen. Auch die Augen der Köchin glitzerten.

„Hören Sie, Gräfin, ich weiß nicht, wie Sie in die Burg gekommen sind, aber es darf Sie hier keiner sehen. Auch keiner von den unseren, der Sie an Ritter Wolfhard verraten könnte.“

Die Gräfin nickte stumm. Waltraud drehte sich um und suchte in einem Regal ein sauberes Dienstbotenkleid, das ihrer Herrin passen könnte.

„Ich glaube, dieses hat ihre Größe“, sagte sie und hielt das graue Kleid aus grober Wolle vor ihrer Herrin.

„Ziehen Sie dieses an. Ich werde das Ihre verbrennen.“

Gräfin Stephania tat, wie ihr geraten wurde. Während sie ihr schmutziges Kleid auszog, suchte die Köchin für ihre Herrin eine Haube und wurde bald fündig.

„Damit kein Fremder einen Verdacht schöpfen kann, dass Sie das Burgfräulein sind“, sagte sie, als sie sie ihr auf den Kopf setzte.

„Danke.“

Dann sahen sich beide Frauen für einen Augenblick an.

„Am besten ist, wenn Sie warten, bis es dunkel geworden ist und dann schleichen Sie sich aus der Burg.“ Waltraud wusste nichts von einem Geheimgang, aber sie ahnte, dass es einen geben musste, dass ihre Herrin in das Innere der Burg gelangen konnte. Denn die Burg wurde von den fremden Rittern gut bewacht.

Die Gräfin ergriff ihre Hand und fragte: „Willst du nicht mit mir kommen?“

Doch zu ihrer Überraschung schüttelte Waltraud den Kopf.

„Ich habe hier fast mein ganzes Leben verbracht. Burg Rosenstein ist mein Zuhause. Wenn ich aber die Burg verlasse, dann weiß ich nicht, zu wem ich gehen soll. Vielleicht wird der neue Herr uns nicht schlechter behandeln, als Sie und Ihr Vater es getan haben. Wer weiß.“

Waltraud zuckte ahnungslos mit den Schultern.

Wer weiß, dachte Gräfin Stephania und ließ die Hand der Köchin los.

„Bleiben Sie hier. Ich werde Ihnen etwas zu essen bringen, wenn sich mir eine Gelegenheit bietet. Aber sobald es dunkel wird, verlassen Sie die Burg. Hier sind Sie nicht sicher.“

Gräfin Stephania nickte einverstanden. Dann verließ die Köchin die Kammer, in der auch saubere Tischdecken, Vorhänge und Bettwäsche aufbewahrt wurden. Die Gräfin setzte sich in eine schattige Ecke, neben einem Regal, und hielt sich versteckt. Sie wartete.

***

Sie war sehr müde. So lange sie konnte, versuchte sie wach zu bleiben. Aber irgendwann gab sie den Kampf auf und schlief schließlich ein. Als die Gräfin wieder erwachte, fiel ein heller Lichtstrahl durch das winzige Fenster oben. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und blinzelte zum Fenster hinauf. Sie wusste, jetzt stand die Sonne ganz oben am Himmel. Es war Mittag. Vielleicht auch etwas später. Dann senkte sie wieder ihren Blick und saß schweigend da. Sie wartete. Hin und wieder vernahm sie Schritte im Flur, wie jemand vorbei ging. Es konnte jeder sein. Manchmal sprach jemand mit seinem Begleiter, doch an ihren Stimmen konnte sie keinen erkennen.

Gräfin Stephania zog ihre Beine an, umschloss sie mit ihren Armen und legte ihre Wange auf die Knie. Noch durfte sie nichts tun, außer warten und hoffen, dass sie hier niemand fand. Irgendwann ging die Tür auf und die Gräfin erschrak. Ihr Kopf schoss hoch. Mit dem Zeigefinger auf den Lippen kam Waltraud herein. Sie schloss die Tür hinter sich.

„Ich habe Euch etwas zu essen gebracht.“ Die dickliche Frau nahm aus der Tasche ihres Rockes ein Stück Brot, das sie noch heute Morgen gebacken hatte, und reichte ihrer Herrin. „Hier, das habe ich für Sie verstecken können.“

„Danke.“ Die junge Gräfin lächelte und biss hungrig hinein. Es war nicht mehr so frisch, wie sie es sonst gewohnt war, doch besser dies als gar nichts.

„Leider konnte ich für Sie nichts zu trinken bringen. Es wäre sonst zu auffällig. Die Fremden beobachten jeden unserer Schritte, als ob sie etwas von uns zu befürchten hätten.“

„Wissen sie, dass Graf von Rosenstein eine Tochter hat? Mich?“, fragte die Gräfin kauend, ihre guten Manieren völlig vergessend.

Die ältere Frau sah sie nachdenklich an und meinte daraufhin: „Ich kann mir das gut vorstellen, ja. Weil ich Ritter Balthasar oft mit dem Schreiberling sprechen gesehen habe. Simon von Heine ist zwar sehr klug, aber noch recht jung. Er ist leicht zum Reden zu bringen.“

„Dann weiß Ritter Balthasar, dass er etwas zu fürchten hat“, sagte die junge Gräfin. Die Köchin sah ihre junge Herrin mit einem fragenden Blick an.

Gräfin Stephania strich Krümel von ihrem Rock, sah zu der älteren Frau auf und verzog ihre Lippen zu einem Lächeln. „Mich.“

„Würdet Ihr wirklich versuchen die Burg Eures Vaters zurückzuerobern?“

„Wenn ich das könnte, ja“, antwortete sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Nachdenklich sah die Köchin auf ihre Herrin herab. Gräfin Stephania erkannte Zweifel in Waltrauds Augen.

„Ich muss nur zu der Burg meines Onkels gelangen. Mein Onkel, Graf von Bärenfels, wird mir bestimmt helfen, da bin ich mir sicher.“

„Bärenfels ...“, wiederholte die ältere Frau kopfschüttelnd. „Das ist so weit weg.“ Waltraud war zwar noch nie dort gewesen, aber hatte so einiges davon gehört.

„Ihr würdet wochenlang unterwegs sein. Allein. Räuber und Frauenschänder könnten Euch begegnen. Nein, Gräfin, das ist viel zu gefährlich.“

„Waltraud, ich bin nirgendwo sicher. Weder in der Burg, noch da draußen. Wenn ich überleben möchte, dann muss ich irgendwohin. Warum dann nicht nach Bärenfels, zu meinem Onkel?“

Die ältere Frau überlegte. Ihre Herrin hatte vollkommen recht.

„Macht was Ihr für richtig haltet, aber passt auf Euch gut auf.“

Die Gräfin gab ihr Wort.

„Ich muss wieder in die Küche, bevor mich jemand vermisst.“ Die Ältere nahm die Jüngere in die Arme und drückte sie ein letztes Mal. „Gott sei Euer Begleiter!“, wünschte sie ihr auf ihrem Weg. Dann verließ sie die Kammer. Als sie über den Flur in die Küche eilte glänzten ihre Augen. Waltraud glaubte nicht, dass ihre Herrin die Burg ihres Onkels jemals erreichen würde. Doch die Gräfin hatte keine Wahl. Sie musste gehen, wenn sie überleben wollte, egal wohin und zu welcher Verwandtschaft.

***

Das Licht aus dem Fenster veränderte sich, färbte sich langsam in ein helles Orange und nahm immer mehr ab. Die Gräfin saß nach wie vor in der Ecke und hörte, wie im Flur immer weniger Schritte zu hören waren. Sie lehnte den Kopf gegen die Wand und wartete mit geschlossenen Augen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis es draußen dunkel wurde. Alle würden schlafen gehen, bis natürlich auf die Burgwache.

Und dann war es endlich so weit. Der Mond schien silbern durch das winzige Fenster. In der Kammer war es dunkel und die Gräfin konnte fast nichts erkennen. Sie stand auf, tastete sich leise an den Regalen entlang, bis zur Tür. Legte ihr Ohr an die Tür und lauschte. Nichts. Dann öffnete sie sie einen Spalt und sah hinaus. Der Flur war mit Fackeln beleuchtet. Sie schlich leise aus der Kammer und ging den Flur zurück zur Schreibstube ihres Vaters. Mit einem schnellen Seitenblick vergewisserte sie sich, dass ihr niemand gefolgt war oder entgegen kam und drückte mit der Hand gegen die Tür. Diese ging geräuschlos auf. Sie schlich hinein. Ohne die Tür nach sich zu schließen, eilte sie zum Regal und wollte es gerade zur Seite schieben, als sie Stimmen auf dem Flur vernahm.

„Ich habe erfahren, dass der alte Graf eine Tochter hat“, erzählte jemand.

„Das ist ja interessant.“

„Sie ist zu Besuch bei ihrer Tante.“

Einen Augenblick später fragte der erste von den beiden seinen Begleiter: „Meinst du, sie wäre eine Gefahr für mich?“

Neugierig horchte die Gräfin auf.

„Nicht, wenn sie nicht den König auf ihrer Seite hat.“

Die Schritte kamen näher.

„Seltsam, die Tür zu meiner Schreibstube steht offen.“

Ritter Balthasar zog sein Schwert und rannte auf seine Kammer zu. Stürmte mit gehobenem Schwert hinein und ... Doch in der Kammer fand er niemanden vor.

„Vielleicht hast du vergessen die Tür nach dir zu schließen“, sagte sein Begleiter neben ihm und steckte sein Schwert zurück in die Scheide.

„Nein, so etwas könnte ich nie vergessen.“ Das stimmte.

Der Begleiter klopfte Ritter Balthasar lachend auf die Schulter. „Ach komm, das ist deine erste Burg und du bist auch nur ein Mensch.“

Vorsichtig ließ der Ritter seinen Blick durch die Kammer wandern. Aber er konnte nichts verändert vorfinden.

„Du magst lachen, aber ich muss vorsichtig sein. Ich bin nur einen Tag Burgherr. Wenn ich nicht aufpasse, könnte ich morgen schon tot sein.“

„Da gebe ich dir recht.“

Ritter Balthasar steckte sein Schwert in die Scheide.

„Meinst du, sie könnte Anhänger haben?“, fragte der Burgherr besorgt und setzte sich hinter den Schreibtisch.

„Wen meinst du, die Gräfin?“, fragte sein Begleiter. Er ging zur Tür und schloss sie, damit sie ungestört miteinander reden konnten.

„Mh-hm.“

„Nein, nicht unter der Dienerschaft. Und die Ritter ihres Vaters und die Burgwache sind alle tot. Warum machst du dir jetzt Sorgen? Du hast ihre Burg erobert und basta. Sie gehört nun dir.“ Der Begleiter konnte Ritter Balthasar nicht verstehen.

„Wäre sie hier, hätte ich sie getötet. Aber sie ist es nicht“, erklärte er.

Als Gräfin Stephania diese Worte hörte, wurde sie kreidebleich.

Der Begleiter lehnte sich mit verschränkten Armen vor der Brust gegen den Schreibtisch und sah zum Fenster. Draußen war es bereits dunkel.

„Dann lass sie herkommen, ohne das Wissen, dass du ihre Burg eingenommen hast.“

Ritter Balthasar starrte nachdenklich auf den Rücken seines Vetters und nickte schließlich. Damit der Brief keine Zweifel aufkommen ließ, ließ er den Schreiberling zu sich rufen. Der Burgherr holte ein Pergament in der Größe eines Briefbogens aus der Schublade des Schreibtisches sowie Tinte und Feder und legte es für den Jüngling bereit. Simon von Heine kam und setzte sich an den Schreibtisch. Er begann die Worte seines Herrn niederzuschreiben.

Plötzlich wurde der Vetter auf eine geschlossene Truhe vor dem Fenster aufmerksam. Es war eine gewöhnliche Truhe, ohne irgendwelche Schnitzereien. Aber aus ihr ragte ein grauer Stoffzipfel. Dem Ritter kam der Stofffetzen sehr bekannt vor. Er warf einen kurzen Blick zu seinem Vetter, doch dieser war zu sehr auf den Brief konzentriert. Dann starrte er erneut zum Fenster, tat so, als ob er nichts bemerkt hätte und hörte im Hintergrund Balthasars diktierten Worten und das Kratzen der Feder auf dem Briefbogen.

Nachdem Simon von Heine den Brief fertig geschrieben hatte, faltete er das Pergament sorgfältig zusammen und setzte das Siegel des verstorbenen Grafen darauf. Danach entließ ihn sein Herr.

„Sie soll glauben, ihr Vater sei krank. Mit dieser Nachricht wird sie unverzüglich kommen“, erzählte Ritter Balthasar seinem Vetter, als sie wieder alleine waren. Dann ließ der Burgherr einen Boten holen und schickte ihn mit dem Brief fort. Kaum waren er und sein Vetter wieder allein, als schon das nächste Problem kam, das sofort gelöst werden musste. Ein Knecht führte seinen Herrn in den Hof, um zu zeigen, was geschehen war und Ritter Lucas blieb allein in der Schreibstube zurück.

Er ging zur Tür. Sah wie der Burgherr mit seinem Knecht im Flur um die Ecke bog und verschwand. Dann stellte er sich mit gezücktem Schwert vor die Holztruhe und klopfte mit der Schwertspitze drei Mal auf den Deckel. Die Truhe ging einen Spalt auf. Im Fackellicht erblickte Gräfin Stephania dunkles Leder. Es mussten Stiefel sein, die nur einem Mann gehören konnten. Nackte Angst ergriff sie. Doch bevor sie den Deckel wieder schließen konnte, schob er seine Schwertspitze in den Spalt. Sie spürte das Metall an ihrer Schulter. Gräfin Stephania wagte nicht zu schlucken.

„Wer auch immer du bist, komm heraus!“, befahl eine männliche Stimme.

Der Deckel öffnete sich. Eine junge Frau legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihm hinauf. Schwarzes langes Haar umgab ihr Gesicht. Seine Schwertspitze wanderte zu ihrer Kehle. Angst schimmerte in ihren Augen. „Bitte, tut mir nichts“, flehte sie ihn an.

Der Ritter sagte nichts. Sah sie nur schweigend an. Schließlich ließ er sein Schwert sinken. Sie stand langsam auf, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, und stieg aus der Truhe. Diese Augen. Sie waren so schön. Leuchteten wie blaue Saphire. Und dieses Gesicht habe ich schon einmal gesehen, erinnerte er sich. Das hochgeborene Fräulein aus der Kutsche. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Schnell ließ er es wieder verschwinden.

Sie wollte an ihm vorbeigehen, doch er versperrte ihr mit dem Schwert den Weg.

„Wer seid Ihr?“

Sie sah von seinem Schwert zu ihm auf.

„Nur eine Dienstmagd, Euer Hochgeboren.“ Ihre Augen wichen nicht von den seinen.

Er sah sie von oben bis unten an. Er wusste, dass sie ihn angelogen hatte.

„Eine Dienstmagd würde den Augenkontakt mit einem Ritter meiden.“

„Ich bitte um Entschuldigung.“ Sie fiel in eine tiefe Verbeugung.

Er nahm ihr Kinn in seine Hand und hob ihr Gesicht an. Zwang sie, ihn anzusehen.

„Ich weiß, wir sind uns schon einmal begegnet.“

Wie hätte ich Euch jemals vergessen können? Sein Kuss hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Doch um zu überleben, musste sie lügen.

„Sie irren sich, mein Herr.“

„Lucas?“, rief plötzlich der Burgherr seinen Namen im Flur. Er kam in die Schreibstube geeilt. „Bist du noch hier? Ich dachte, wir könnten …“, brach er mitten im Satz ab, als er eine Frau in seiner Stube erblickte. „Wer ist sie? Und was macht sie hier?“

Misstrauisch sah Ritter Balthasar sie an. Die junge Frau senkte ihren Blick.

„Das ist … Saphira“, dachte sich Lucas schnell einen Namen aus, ehe sie selbst antworten konnte.

„Ein zu schöner Name für eine einfache Dienstmagd“, stellte der Burgherr fest. Er kam zu ihr näher.

„Was machst du hier, Saphira?“ Der Name gefiel ihm so sehr, dass er ihn unbedingt einmal aussprechen wollte. Der Name klang so schön, so edel und geheimnisvoll, dass er ihn nie vergessen wollte.

Doch sie schwieg.

„Hmm?“

„Ich …“, begann sie leise und brach gleich wieder ab. Sie suchte nach einer sinnvollen Erklärung. „Mir wurde aufgetragen, das schmutzige Geschirr in die Küche zu bringen“.

Ritter Balthasar drehte sich um und erblickte den Weinkrug und den Kelch auf seinem Schreibtisch.

„Dann mach dich an die Arbeit.“

Mit gesenktem Blick ging sie auf den Schreibtisch des Burgherrn zu, nahm das Geschirr und verließ die Stube. Bog nach rechts, ging den Flur wenige Meter entlang und versteckte sich im nächsten Türrahmen. Wie sie vermutet hatte, verließen auch der Burgherr und Lucas etwas später die Stube und gingen in die entgegengesetzte Richtung. Sobald sie um die Ecke bogen, schlüpfte sie aus ihrem Versteck und eilte zurück zur Schreibstube. Schnell stellte sie das Geschirr auf dem Schreibtisch ab, ging zum Regal und schob es mehrere Zentimeter zur Seite. Sie nahm eine leuchtende Fackel von der Wand und wollte gerade durch den Spalt schlüpfen, als sie plötzlich jemand am Arm packte. Drehte sie gewaltsam herum und presste sie mit dem Rücken gegen die Wand. Erschrocken sah sie dem Mann ins Gesicht. Er entriss ihr die Fackel aus der Hand und leuchtete ihr damit ins Gesicht.

„Wohin so schnell?“ Seine Augen funkelten sie böse an.

Er schielte zum Spalt.

„Bist du auf diese Weise hergekommen?“, fragte er als sie ihm immer noch nicht antwortete.

Ängstlich sah sie ihn an. Sie spürte das Messer an ihrer Kehle, das langsam abwärts wanderte, bis die Spitze direkt über ihrem Herzen stoppte. Sie drohte ihr Herz zu durchbohren, wenn sie ihm nicht antwortete.

„Ja“, sagte sie leise.

„Ein Geheimgang also. Wer weiß noch davon?“

Als sie ihm wieder nicht antwortete, packte er sie am Hals und kam mit seinem Gesicht ihrem näher, sodass sie seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren konnte.

„Sag schon oder ich werde andere Mittel gebrauchen, um eine Antwort von dir zu bekommen.“ Ritter Lucas sah die Furcht in ihren Augen.

Sie öffnete den Mund, um zu antworten, konnte aber nicht. Er ließ ihren Hals los.

„Niemand, außer mir“, sagte sie schließlich.

Er legte den Kopf schief und sah sie von der Seite an. Sie fühlte sich in seiner Nähe sehr unwohl, bedrängt. Lucas sah sie weiter stillschweigend an. Als ihr bewusst wurde, dass der Abstand zwischen ihnen viel kleiner war als erlaubt, bekam sie rosarote Wangen und wand das Gesicht verlegen von ihm ab. Sie sah zum Schreibtisch. Lucas grinste.

„Wie ist Euer Name, edle Maid?“

„Erinnert Ihr Euch nicht mehr? Ihr selbst habt mir einen Namen gegeben. Wenn ich mich recht erinnere, heiße ich Saphira“, antwortete sie ihm frech.

Mit einer Hand drehte er ihr Gesicht zu sich.

„Dann hört mir zu, Saphira. Ich weiß sehr wohl, wer Ihr seid. Auf dieser Burg gehört Ihr mir!“

„Ihr habt kein Recht …“ Ehe sie weiter sprechen konnte, packte er sie und warf sie sich über die Schulter. Sie strampelte mit den Beinen.

„Wenn du schreist, bist du tot.“ Es war eine Warnung, keine Drohung.

Ritter Lucas ignorierte die Faustschläge auf seinem Rücken und schob das Regal mit der anderen Hand zurück an seinen alten Platz.

***

Er brachte sie in seine Schlafkammer, warf sie auf sein Bett und stellte sich breitbeinig davor. Saphira lag auf dem Rücken. Sie stützte sich mit beiden Händen auf der Strohmatratze ab und sah ihn ängstlich an. Die Tür hinter ihm fiel leise ins Schloss.

„Was habt Ihr mit mir vor?“

„Das, was alle Männer mit Frauen machen.“ Obwohl er dies als Scherz gemeint hatte, blieb sein Gesicht ausdruckslos. Er öffnete seinen Gürtel und kam damit auf sie zu.

„Neiiin.“ Sie stieß sich mit den Beinen ab, schob sich nach hinten. Doch in der nächsten Sekunde saß er auf ihr, packte grob ihre Hände und fesselte sie mit seinem Gürtel. Sie wehrte sich, doch er war stärker.

„Nein, nicht!“ Saphira gab den Kampf nicht auf. Sie strampelte mit den Beinen.

„Wenn du mir weiter Ärger machst, dann wirst du mich von einer anderen Seite kennenlernen.“ Seine Stimme war hart und kalt, seinen eigenen Ohren fremd. Saphira nahm seine Drohung sofort ernst und hörte mit dem Strampeln auf.

„Ihr seid ein Schurke!“ Wut loderte in ihren Augen.

„Vorsichtig! Urteile nicht zu schnell.“ Er stützte seine Hände links und rechts von ihrem Kopf ab und sah ihr in die Augen.

„Ich habe dir das Leben gerettet. Dafür schuldest du mir noch Dank.“

„Mein Leben“, zischte sie zurück. „Ihr habt mich bei meiner Flucht gehindert.“

„Vorsicht, Saphira! Du als Frau wärst allein nicht weit gekommen. Jemand anders, der womöglich noch viel schlimmer ist als ich, wäre früher oder später auf dich gestoßen und hätte mit dir Dinge angestellt, die ich nicht beim Namen nennen möchte.“

„Was kann schlimmer sein, als das, was Ihr mit mir vorhabt?“

Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.

„Darüber könnt Ihr selbst entscheiden.“

Er stieg aus dem Bett. Lucas zog seine rote, ärmellose Tunika und das weiße Hemd aus. Saphira hob den Kopf und erblickte ihn halbnackt. Hitze stieg in ihre Wangen. Sein Blick begegnete ihrem. Sofort huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Verlegen wandte sie ihr Gesicht von ihm ab und sah zur Tür. Als er sich auf einen Stuhl setzte, um sich die Stiefel auszuziehen, sprang sie blitzschnell auf, stolperte über das Ende der Bettdecke, die teilweise auf dem Boden landete, und rannte zur Tür. Mit beiden Händen drückte sie die Türklinke hinunter und wollte aus der Schlafkammer flüchten. Doch Ritter Lucas war schnell bei ihr. Mit der einen Hand umfing er ihre Taille und der anderen verschloss er ihren Mund. Stieß mit dem Fuß gegen die Tür, dass sie wieder ins Schloss fiel und warf Saphira erneut auf das Bett. Diesmal war er wirklich wütend. Breitbeinig und mit den Händen auf den Hüften stand er vor ihr.

„Was fällt dir ein? Willst du, dass die Männer dich entdecken? Meinst du, sie würden dir helfen?“ Seine Augen funkelten sie böse an. Dann schüttelte er den Kopf.

„Keiner würde dir helfen. Auch nicht, wenn du sie freundlich darum bittest. Das musst du doch wissen!“ Er machte eine kurze Pause.

„Deine Burg ist eingenommen. Dein Zuhause gehört jetzt einem anderen, versteh das! Dass du hier bist, ist verrückt. Ein glatter Selbstmord!“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

Saphira blies eine schwarze Strähne aus dem Gesicht.

„Das wusste ich vorher nicht.“ Sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen glänzten. „Sonst wäre ich nicht hier.“ Eine Träne glitzerte auf ihrer Wange.

Der Ritter kam näher, ging in die Hocke und sah sie an.

„Hör zu. Ich bin bereit dir zu helfen. Aber nur wenn du mir versprichst, dass du mir keinen Ärger machst und mir vertraust.“

Seine hellblauen Augen sahen sie freundlich an. Saphira sah ihm ins Gesicht und glaubte ihm. Sie nickte. Streckte ihm ihre gefesselten Hände entgegen. „Dann macht mich los.“

Doch er schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen kann.“

„Du hast mein Wort.“

„Mh-hm“, war seine letzte Antwort. Dann stand er auf und machte ihr ein Zeichen, weiter zu rutschen.

„Wir werden doch nicht in einem Bett schlafen?“, fragte sie empört.

„Siehst du ein anderes?“ Er zeigte mit der Hand in den Raum.

„Nein, aber… Ich bin von edler Geburt.“

„Ich auch. Das macht es umso einfacher.“ Er schob sie weiter zur Wand und schlüpfte, nur mit einer Hose bekleidet, unter die warme Decke.

„Du solltest jetzt besser schlafen.“ Dann legte er seinen Arm um ihre Taille und zog sie enger an sich. Sie spürte die Wärme seines Körpers an ihrem Rücken. Spürte die unbekannte Geborgenheit in seiner halben Umarmung. Spürte seinen warmen, regelmäßigen Atem auf ihrem Nacken. Saphira musste lächeln. Obwohl es sich für eine Jungfrau nicht ziemte neben einen Mann zu schlafen, so empfand sie nichts Schlechtes dabei. Müde fielen ihr die Augen zu und sie schlief bald ein.

Ritter Lucas lag noch lange wach hinter ihr. Er atmete den süßlichen Duft ihrer Haut ein. Als er merkte, dass sie eingeschlafen war, stützte er seinen Kopf auf die Hand und strich sanft mit der anderen eine verirrte Strähne aus ihrem Gesicht. Lucas hatte schon viele Frauen in sein Bett gelockt. Doch diese vermochte er nicht anzurühren, obwohl sie ihm sehr gefiel. Ihm gefiel alles an ihr. Besonders faszinierten ihn ihre Augen. Du sollst mir gehören!, dachte er und lächelte. Aber vorerst werde ich dich von hier wegbringen.

Die Fackel an der Wand erlosch wie von Geisterhand. Lucas legte seinen linken Arm um Saphiras Taille und schlief ein.

Dem Feind versprochen

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