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Die Mätresse des Königs
ОглавлениеNach dem Abendessen und der musikalischen Unterhaltung begleitete Balthasar seine Verlobte zu ihrer Schlafkammer.
„Ich werde Euch eine Kammerfrau schicken. Sie wird Euch beim Umziehen helfen.“
Sie sagte nichts.
Er öffnete ihr die Tür und führte sie an der Hand hinein. Neugierig ließ er seinen Blick über die Kammer wandern. Obwohl er gern mit ihr ein paar Worte gewechselt hätte, traute er sich nicht. Der Mord an ihrem Vater hinderte ihn daran. Deshalb versuchte er auf eine andere Weise in ihr Herz zu sehen. Die Einrichtung der Kammer wirkte sehr weiblich, aber die Puppen verliehen ihr einen kindlichen Hauch. Balthasar warf einen kurzen Blick auf seine Verlobte. Ihr konnte man ansehen, dass sie nicht glücklich war. Und den Grund dafür wusste er. Doch es war die Entscheidung des Königs und nicht seine. Wenn es nach ihm ginge, so wäre sie bereits tot.
Balthasar ging auf sie zu, legte die Hand unter das Kinn und hob das Gesicht an, bis sich ihre Blicke trafen. Stephania sah in seine dunkelbraunen Augen. Er hatte dunkle, kräftige Augenbrauen. Sein kräftiges Kinn war mit Bartstoppeln übersät.
Balthasar las Angst in ihren Augen. Dann beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie zum Abschied auf die Stirn.
„Gute Nacht, Gräfin.“ Er blieb bei der förmlichen Anrede. Damit wollte er ihr zeigen, dass er ihr Zeit gab, sich an ihn zu gewöhnen.
Nachdem er wieder gegangen war spürte Stephania, dass ihre Hände noch immer vor innerer Aufregung zitterten. Was habe ich nur getan?, bereute sie vor den König getreten zu sein. Ich habe mir selbst eine Schlinge um den Hals gelegt. Eine Träne drohte über ihr Gesicht zu gleiten.
***
Am nächsten Morgen ging Gräfin Stephania im schwarzen Trauerkleid über den Flur zur Speisehalle. Die Fenster des Flurs mit dem Blick in den Hof standen alle offen. Eine leichte, frische Windbrise wehte hinein.
Plötzlich packte sie jemand am Arm, hielt ihr den Mund zu und schob sie in eine kleine Kammer. Stephania wehrte sich, doch ihr Entführer war stärker als sie.
„Pschhhhht …“, flüsterte er im Halbdunkeln. „Wehe, Ihr schreit.“ Langsam nahm er die Hand von ihrem Mund.
„Was fällt Ihnen ein?!“, schimpfte sie.
„Das muss ich Euch fragen.“ Lucas war wütend. „Ihr habt mir versprochen, mir zu vertrauen. Warum seid Ihr dann weggelaufen? Ich habe für uns Proviant besorgt und als ich wieder zurückkehrte, wart Ihr verschwunden. Mmh?“
Die Abstellkammer war nicht besonders groß, sodass sie sich nah gegenüber standen.
„Ihr habt gegen die Männer meines Vaters gekämpft und die Burg eingekommen, und dann soll ich Euch glauben, dass Ihr mir helfen wollt?“ Sie sah ihn misstrauisch an. „Sagt mir, hättet Ihr das an meiner Stelle getan?“
Er schüttelte langsam den Kopf, als ob er noch immer darüber nachdachte.
„Wohin hättet Ihr mich gebracht? Zu Euch nach Hause? Mich dort zu Eurer Gefangenen gemacht?“
Lucas schwieg.
„Sicher nicht zu meiner Verwandtschaft, die versucht hätte, an Euch Rache zu nehmen.“
Lucas behielt seine Antwort für sich.
Ihre Augen verengten sich.
„Seht Ihr, deshalb habe ich es getan. Meine einzige Chance, um mein Leben zu retten, war der König.“
„Seid Ihr mit seiner Entscheidung jetzt zufrieden?“
Stephania zögerte mit der Antwort.
„Ich weiß es noch nicht.“ Sie hasste es zu lügen und drehte deshalb das Gesicht von ihm weg.
„Wenn Ihr es wisst, werdet Ihr es mir dann sagen?“
Sie drehte das Gesicht zu ihm und fragte: „Warum wollt Ihr das wissen?“
Er sah sie für eine gefühlte Ewigkeit an und antwortete: „Weil ich mich in Euch verliebt habe.“
Im Halbdunkeln konnte sie noch erkennen, wie er verlegen wurde. Lucas empfand es als unangenehm, seine Gefühle einer Frau zu gestehen. Trotzdem unterbrach er den Blickkontakt nicht mit ihr.
„Ich wüsste nicht, wie das meine Heirat mit dem Burgherrn verhindern würde.“
Sicher würde es das nicht, dachte er.
„Ihr habt recht“, sagte er.
Wütend wandte sie sich von ihm ab und öffnete die Tür.
„Aber ich wünschte, ich könnte etwas gegen Eure Heirat tun“, hörte sie ihn ein letztes Mal sagen.
Sie drehte sich nach ihm um. Licht aus dem Flur fiel auf sein Gesicht. Sein Ton verriet, wie ernst es ihm war. Seine Worte brachten sie durcheinander. Schnell verließ sie die Abstellkammer. Er blieb noch einige Minuten darin, damit sie niemand zusammen sehen konnte und auf falsche Gedanken kam. Schließlich war sie jetzt die Verlobte seines Vetters war.
***
Gräfin Stephania ging in die Speisehalle. Dort saßen einige Ritter und frühstückten mit dem Gefolge seiner Majestät. Stephania ging an den Gästen vorbei zur Kopfseite der Tafel und begrüßte den König mit einem Knicks. Zu seiner Rechten saß ihr zukünftiger Gatte und zu seiner Linken die schöne Frau mit dem seltenen Haar.
„Guten Morgen, Gräfin von Rosenstein“, sagte der König gutgelaunt.
Die schöne Frau an seiner Seite lächelte sie freundlich an. Gräfin Stephania erwiderte zögerlich ihr Lächeln.
An seiner guten Laune konnte sie erkennen, dass er in der Nacht gut geschlafen hat. Deshalb sah sie es für nicht notwendig, ihn danach zu fragen, was normalerweise ihre Pflicht wäre.
„Setzt Euch neben mich.“ Der Burgherr stand auf und zog den freien Stuhl heraus. Stephania ging zu ihm. Erst beim näheren Hinsehen fiel Balthasar auf, dass sie leichte, dunkle Schatten unter den Augen hatte.
„Danke“, sagte sie tonlos und setzte sich.
Er schnippte mit den Fingern und ein Diener kam sofort herbei. Er schenkte ihr warmen Früchtetee ein, so wie sie es jeden Morgen gern hatte, und entfernte sich wieder. Stephania bediente sich selbst. Es gab frisch gebackenes Brot, dazu Butter, Wurst und Käse. Wer einen süßen Aufstrich wollte, der konnte zur Marmelade greifen, die ebenfalls auf dem Tisch stand.
„Herr Graf, was haben Sie heute geplant?“, fragte der König interessiert, als er die zweite Scheibe Brot nahm.
Der Burgherr kaute zu Ende und antwortete seinem Gast, ohne dass Stephania ihm dabei zuhörte. Sie aß schweigend ihr Frühstück und ließ hin und wieder in Gedanken versunken ihren Blick durch die Halle wandern. Ritter scherzten mit Edelfrauen, Edelherren vertieften sich mit anderen in Gespräche oder buhlten um die Aufmerksamkeit ihrer Begleiterinnen, welche die Ritter um ihre Stärke bewunderten. Sie sind alle so glücklich und zufrieden. Ich wünschte mir, ich wäre eine von ihnen, beneidete Stephania die Edelfrauen in kostbaren Kleidern.
„Möchtet Ihr nicht auch mitkommen und uns dabei zusehen?“, wurde sie plötzlich gefragt.
Stephania drehte das Gesicht zu ihrem Verlobten und fragte: „Wie bitte?“
„Unsere Majestät, die Ritter und ich werden auf dem Übungsplatz gegeneinander antreten. Möchtet Ihr uns dabei zusehen?“
Die Frau mit dem feuerroten Haar beugte sich vor und fing den Blick der Gräfin auf. Sie schüttelte den Kopf als Antwort. Gräfin Stephania verstand nicht, weshalb sie ihm mit einem Nein antworten sollte, doch sie wollte ihren Rat befolgen.
„Es tut mir leid, aber …“, begann sie und suchte schnell nach einer Ausrede, um den Übungen fernbleiben zu können. „Ich muss mit dem Brautkleid beginnen, damit es rechtzeitig fertig wird.“
Ein Lächeln huschte über die Lippen des Burgherrn. Das hatte sie nicht erwartet.
„Natürlich, dafür habe ich volles Verständnis.“ Plötzlich spürte sie seine Hand auf der ihren. Sie fühlte seine Wärme. Stephania hob den Blick, bis sich ihre Augen trafen. Seine dunklen Augen schienen vor innerer Wärme zu strahlen. Stephania senkte den Blick. Sie konnte ihm nicht länger in die Augen sehen und entzog ihm gleichzeitig die Hand. Balthasars Miene verhärtete sich. Die Wärme in seinen Augen kühlte schnell ab. Er konnte ihre Gedanken nicht lesen, aber hegte eine Vermutung, weshalb sie so zurückweisend reagiert hatte. Balthasar wand sich an den König. Er fand schnell ein Thema, welches sie beide interessierte.
***
Nachdem der Burgherr mit dem König zum Übungsplatz aufbrach, folgten ihnen auch die Gäste neugierig. Die Frau mit den feuerroten Haaren setzte sich zu der Gräfin.
„Ich bin so froh, dass ich für eine kurze Zeit dem König entkommen bin. Dafür möchte ich Ihnen danken. Ihr müsst wissen, er kann oft sehr schwierig sein.“
Stephania sah die fremde Frau an. Sie wusste nicht, was sie damit meinte.
„Ich bin Elene, die Mätresse des Königs.“ Sie schenkte der Gräfin ein freundliches Lächeln.
„Stephania, die Verlobte des Burgherrn“, antwortete sie und versuchte ebenfalls zu lächeln, doch es gelang ihr nicht auf dieselbe Weise. Frei und unbeschwert. Ein innerer Druck lag auf ihr. Das Gefühl der Schuld, vor den König getreten zu sein, und der Verlust ihres Vaters lasteten schwer auf ihrem Herzen. Elene merkte das und fragte gutgemeint: „Wollen wir vielleicht woanders hingehen, wo wir ungestört sein können?“
Eine Küchengehilfin deckte gerade ihren Tisch ab.
Stephania nickte wortlos. Dann standen beide auf und Elene folgte der Gräfin.
***
Stephania setzte sich auf einen weich gepolsterten Stuhl in der Nähstube und Elene sah neugierig aus dem Fenster auf den Übungsplatz. Zwei Ritter kämpften mit Holzschwertern gegeneinander, während die Zuschauer neugierig von der Tribüne aus ihren Kampf verfolgten. Die Gräfin konnte ihre Tränen nicht mehr zurück halten und schluchzte leise. Elene drehte sich zu ihr herum, kam auf sie zu und umarmte sie tröstend von hinten. Sie konnte die junge Gräfin verstehen und ihren Schmerz nachempfinden.
„Weine ruhig“, sagte sie leise an ihrem Ohr und streichelte ihr sanft über den Rücken.
***
Stephania stach mit der Nadel durch den weißen Stoff und zog den Faden fest an. Elene saß ihr gegenüber und nähte am anderen Ende des Stoffes. Während sie nähte, erzählte sie ihrer neuen Freundin eine Geschichte aus ihrer Kindheit. Um auf ihre Trauer Rücksicht zu nehmen, entschied sie sich für eine unterhaltsame Geschichte aus dem Dorf, aus dem sie kam. Sie war weder lustig, noch traurig. Auf ihre eigene Art interessant. Diese sollte die junge Gräfin für eine kurze Zeit von ihrem Schmerz ablenken.
Nachdem Elene sie zu Ende erzählt hatte fragte Stephania verwundert die junge Frau: „Woher kennst du eine Geschichte dieser Art? Es ist sehr ungewöhnlich für eine Adelige, die nichts von einem ländlichen Leben weiß.“
Edelfrauen wie sie wussten von den letzten Intrigen oder den neuesten Klatsch auf dem Hofe des Königs.
„Weil ich in einem Dorf namens Heflingen geboren bin und einige Jahre meiner Kindheit dort verbracht habe.“ Elene lächelte.
„Wirklich? Das ist aber … sehr ungewöhnlich.“ Das letzte sprach Stephania vorsichtig aus, um sie nicht zu verletzten und bereute es in der nächsten Sekunde. Um ihren Fehler wieder gut zu machen stellte sie schnell die nächste Frage: „Hat dein Vater ein Gut auf dem Land?“ Sie sah auf ihre Näharbeit und stach mit der Nadel durch den Stoff.
„Nein“, schüttelte Elene den Kopf. Ihre feuerroten Korkenzieherlocken und die Perlenohrringe darunter erzitterten.
„Mein Vater war ein ganz gewöhnlicher Musiklehrer. Er kann auf fünf Instrumenten spielen. Er unterrichtete Kinder reicher Eltern in unserem Dorf. Später, als unsere Familie so groß wurde, dass sein Lohn nicht mehr reichte, um uns alle zu ernähren, fand er eine neue Anstellung im Musiktheater. Wir zogen in die Stadt. Tagsüber probte mein Vater mit dem Orchester und abends fanden die Vorstellungen statt. Mein Vater liebte seine Arbeit im Musiktheater. Nach halbem Jahr fing er an eigene Musikstücke zu schreiben, wenn er dafür Zeit fand. Eigentlich hatte er dafür keine Zeit, da er zu Hause noch eine Familie hatte. Wir Kinder waren noch klein. Und meine Mutter brauchte deshalb viel Hilfe.“
Elene machte einen Knoten und riss den restlichen Faden ab. Nahm eine andere Seite des Stoffes und begann zu nähen. Es soll ein schneeweißes Brautkleid werden, wenn es fertig war.
„In Heflingen kam jeden Morgen eine Tante meiner Mutter zu uns nach Hause. Sie war schon alt, aber kinderlos. Sie passte auf uns Kinder auf, während meine Mutter der Hausarbeit nachging. Und während die Jüngsten mit der Tante ihren Mittagsschlaf hielten, halfen wir Ältesten meiner Mutter im Garten. Und am Abend, wenn unser Vater vom Unterricht wieder nach Hause kam, ging die Tante wieder nach Hause. Sie wollte niemals für ihre Hilfe bezahlt werden. Aber in Dorstatt kannte meine Mutter niemanden, der ihr hätte helfen können. Und mein Vater verdiente nicht genug Geld, um eine Kinderfrau zu bezahlen.“
Stephania sah von ihrer Näharbeit auf. Mitleid spiegelte sich in ihrem Gesicht.
„Mein Vater sah sich als Ernährer der Familie und derjenige, der dafür sorgte, dass wir alle ein Dach über dem Kopf hatten. Und nicht als Kindermädchen. Seine freie Zeit opferte er lieber dem Schreiben seiner Musikstücke als für uns“, fügte Elene traurig hinzu.
Stephania senkte traurig den Blick. Wie kann man nur so egoistisch sein?, fragte sie sich.
„Meine Mutter fühlte sich sehr erschöpft. Sie kam mit der Hausarbeit nicht hinterher. Das ständige Weinen der Kinder wurde ihr bald zu viel. Am schlimmsten war es für sie, wenn wir krank waren. Und sobald eines meiner Geschwister krank wurde, dann steckte er auch die anderen an. Jeder Tag war für sie ein Kampf, körperlich wie auch geistig.“
Elene sah von ihrer Näharbeit auf und fügte hinzu: „Die nächste Schwangerschaft stahl ihr den letzten Lebensmut.“
Stephanias und Elenes Blicke begegneten sich.
„Nachdem das achte Kind geboren war, verließ sie nicht mehr das Bett.“
Stephania hielt unmerklich die Luft an.
„Meine ältere Schwester und ich kümmerten uns um das Baby. Unseren kleinen Bruder. Er ist jetzt 18 Jahre alt“, lächelte Elene stolz.
„Wir beide übernahmen den Haushalt.“
„Wie alt wart ihr?“
„Meine Schwester war 9 und ich 8.“
Stephania konnte ihr Staunen nicht verbergen.
„Meine Brüder lernten von unserem Vater auf Instrumenten zu spielen, wir beide hatten dafür aber keine Zeit. Denn wenige Jahre später gebar meine Mutter noch ein weiteres Kind, das wir dann großziehen mussten.“
Elene machte eine kurze Pause.
„Wir beide waren noch Kinder, wollten selbst noch spielen, aber dafür blieb keine Zeit. Bei so vielen Kindern, und hauptsächlich nur Buben, gab es mächtig viel zu tun. Meine Schwester und ich waren schon froh, wenn wir die Nacht durchschlafen konnten und nicht wieder aufstehen mussten, weil irgendeines der Kinder wieder trinken wollte oder in die Hose gemacht hat.“
„Fühlte sich deine Mutter irgendwann wieder besser, nachdem deine Schwester und du ihre ganze Arbeit übernommen habt?“
„M-mh“, schüttelte Elene den Kopf. „Nein, sie erholte sich nicht mehr wieder. Das Leben hatte für sie keinen Sinn mehr. Die achte Schwangerschaft und Geburt schwächte sie umso mehr. Und die nächste brachte ihr den Tod.“
Tränen glitzerten in Elenes Augen. Stephania empfand Mitleid für die junge Frau und legte ihre Hand tröstend auf Elenes Knie.
„Meine Mutter war eine gute Frau, musst du wissen“, glaubte Elene ihre Mutter verteidigen zu müssen. „Sie war nur … lebensmüde. Sich um so viele Kinder kümmern ist nicht einfach, noch schwieriger ist es, wenn man die Nächte nicht durchschlafen kann. Diese Erfahrung musste ich machen. Und deshalb kann ich sie gut verstehen, warum sie nicht mehr aufstehen wollte.“ Elene nahm ein Taschentuch und tupfte sich die Tränen weg.
„Nur mein Vater wollte sie nicht verstehen. Er empfand kein Mitleid für sie. Einen Monat nach dem Tod meiner Mutter brachte er eine neue Frau ins Haus mit den Worten `Das ist eure neue Mutter´. Sie war viel jünger als meine Mutter. So alt wie mein ältester Bruder. Wir wollten sie deshalb nicht als unsere Mutter haben. Mein ältester Bruder zog wütend noch am selben Tag aus, wir alle anderen blieben aber. Meine Schwester und ich blieben solange im Haus unseres Vaters, bis eine von uns heiratete und die andere den jüngsten Bruder großgezogen hatte. Ihre eigenen Kinder konnte unsere Stiefmutter selbst großziehen.“
Stephania nickte.
„Ich heiratete vor meiner Schwester“, lächelte Elene ein wenig stolz.
„Wirklich? Wer war er?“ Stephania erwiderte ihr Lächeln. Neugier funkelte in ihren Augen.
„Er war ein Hofdichter.“
„Was heißt `war´?
Elene wurde ernst. Sie senkte ihr Gesicht mit dem Blick auf die Näharbeit und antwortete: „Er ist im Frühling gestorben.“ Durchdringende Trauer schwang in ihrer Stimme mit.
„Das tut mir leid.“
Doch Elene schüttelte den Kopf. Das musste ihr nicht leid tun.
„Darf ich fragen, woran er gestorben ist?“
Sie schüttelte wieder den Kopf und wischte schnell ihre Tränen weg. Stephania senkte ihren Blick und nähte still weiter.
„Ein anderes Mal.“
„Das musst du nicht“, wollte Stephania nicht aufdringlich sein.
„Damit wollte ich dir sagen, ich kann deinen Schmerz und deine Trauer gut verstehen, habe ja selbst zwei Menschen verloren, die ich sehr geliebt habe. Aber das Leben geht auch ohne sie weiter. Du musst lernen mit deinem Schmerz umzugehen und dein Leben so zu akzeptieren, wie es ist.“
Stephania seufzte leise. Dann legte sie das Nähzeug weg, stand auf und ging zum Fenster. Ritter Balthasar schlug kraftvoll sein Schwert gegen das seines Gegners und brachte ihn zu Fall. Er stieß mit dem Fuß das Schwert seines Gegners aus der Hand und richtete seine eigene Waffe auf seine Brust. Der Sieger stand nun fest. Und dann, als ob er ihren Blick gespürt hätte, sah Balthasar zu ihr hinauf. Ihr Gesicht war ernst, verschlossen. Er machte eine Kopfverbeugung und schenkte ihr ein vorsichtiges Lächeln. Doch sie erwiderte seinen Gruß nicht. Stattdessen entfernte sie sich dem Fenster. Er war darüber enttäuscht, aber ließ es sich nicht anmerken.
„Das ist sehr leicht gesagt, wenn man den Mörder seines eigenen Vaters heiraten muss“, sagte Stephania zu Elene, als sie sich wieder hinsetzte.
Aber es geht. Dasselbe habe ich auch durchmachen müssen. Doch davon wollte Elene ihr noch nicht erzählen.
„Vielleicht hilft es dir, wenn du dich von deinem Vater verabschiedest.“
„Ich glaube nicht, dass ihn jemand im Burgfriedhof begraben hat.“ Stephania sah nachdenklich von ihrer Näharbeit auf.
„Lass uns doch jemanden danach fragen.“ Elene legte ihre Hand auf Stephanias Knie und sah sie ermutigend an. Stephania erwiderte ihren Blick. Dann nickte sie einverstanden.
„Na gut.“ Wer weiß, vielleicht hat doch noch jemand ein Herz am rechten Fleck und hat ihn dort begraben, dachte Stephania. „Ich werde auf dem Burgfriedhof nachsehen. Möchtest du mich begleiten?“
„Jetzt?“
„Mh-hm. Solange alle anderen auf dem Übungsplatz sind, würde keinem auffallen, dass wir auf dem Burgfriedhof sind.“
„Dann lass uns gehen.“ Elene lächelte. Sie war sich sicher, danach würde sich die Gräfin besser fühlen. Es konnte sehr tröstlich sein, wenn man einen geliebten Menschen im Friedhof jeden Tag besuchen konnte. Elene steckte ihre Nadel in den Stoff, damit sie sie später wieder schnell finden konnte und stand auf. Die Gräfin und die Mätresse verließen, ohne dass es jemandem auffiel, die Nähstube und gingen zum Burgfriedhof.