Читать книгу Verwobene Ornamente - Natascha Skierka - Страница 10
Die Reise durch das Selbst
ОглавлениеDer Gesang der Erde vibrierte durch meinen Körper, als ich die Augen schloss. Fordernd pfiff der Wind in meinen Ohren und zerrte an meinen Kleidern. Dennoch, ich blieb, wo ich war, und tauchte immer tiefer in die Gefilden der Seele hinein. Ich wollte wissen, wer ich war, musste es wissen, um das Puzzle zu beenden. Ja, ich wusste, woher ich kam, wie man mich rief und auch das man mich ein wenig für verrückt hielt, aber da war mehr. Mehr als man uns gestattete zu sehen, mehr als die Welt vermutete. Mein Atem wurde langsamer und tiefer immer tiefer wanderte ich von der bewussten in die Unbewusste. Es war dunkel und es tropfte von irgendwoher. Oh verdammt, dachte ich, mein Unterbewusstsein hat ein Leck.
„Wo ist ein Lichtschalter, wenn man ihn braucht,“ murrte ich und entdeckte etwas rotes in der Dunkelheit glühen.
Vorsichtig näherte ich mich, und als ich das wabenförmige, kleine Sichtfenster eines Lichtschalters sah, fühlte ich mich gelinde ausgedrückt, von mir selbst hinters Licht geführt. Da ich aber selbiges brauchte, drückte ich darauf und die Sonne ging auf.
Na ja, eigentlich sah sie eher aus wie der Mond mit seinen Kratern und glühte wie eine von innen beleuchtete Orange, die sich vorstellte ein Kürbis zu sein, der an Halloween die Toten von der Welt der Lebenden fernhalten sollte. Sollte, dachte ich, während mir ein Schauer über den Rücken lief, den eben in dieser Nacht, als der Wechsel vom Tag zur Nacht vollzogen war, hatte mich doch tatsächlich ein Geist mit seiner Anwesenheit beehrt.
Er oder sie hatte sich doch tatsächlich auf mein Bett gesetzt und meine Nachtlampe ein und wieder ausgeschaltet. Zuerst hatte ich meine Katze Persephone verdächtig, aber diese lag friedlich schlafend auf meinen Rücken und dachte nicht daran in die Unterwelt zu ihrem Ehemann hinab zu steigen. Die Lampe vollführte unterdessen ihren eigenen kleinen Tanz und ich war mehr als nur verärgert über diesen äußerst penetranten Geist.
„Ich weiß, dass du da bist,“ kam es schließlich aus meinem Mund und die Lampe hüpfte aufgeregt auf meinen Nachttisch auf und ab, bevor sie sanft landete und ich spürte, wie der Geist verschwand. Warum ich ausgerechnet jetzt daran dachte, war mir ein Rätsel, eines das jedoch später gelöst werden musste, wenn überhaupt.
Neugierig ließ ich meinen Blick durch mein Unterbewusstsein wandern und war ein wenig enttäuscht, dass es sich um ein ganz normales Zimmer handelte. An der Wand hing ein Bild von Dali und es überraschte mich nicht die verschwommenen Uhren von "Die Beständigkeit der Erinnerung" zu sehen, hing doch eine Replik davon genau über meinem Bett, in einem silbernen Rahmen, der mit vielen kleinen Sternen verziert war. Desweiteren befand sich ein Tisch und ein Stuhl als auch ein Lazarettbett im Raum.
„Ziemlich karg“, dachte ich und ging auf die einzige Tür zu. Sie öffnete sich leicht aber so quietschend, dass sich sämtliche Härchen an meinen Körper aufrichteten und ein Gong ertönte. Erschrocken zuckte ich zusammen, während ein Band leise anfing zu rauschen.
„Sie verlassen nun ihr Bewusstsein, Stella Jordan. Viel Vergnügen im Park der unbegrenzten Möglichkeiten und bei der Suche nach der inneren Mitte.“
„Wie nett“, meinte ich und rollte mit den Augen. „Noch nicht mal bei der Suche nach sich selbst hat man Ruhe vor lästigen Ansagen.“ Ich öffnete die Türe komplett und blinzelte erstaunt. Befand sich doch ein ganzer Jahrmarkt in mir.
Nichts schien zu fehlen und doch war etwas anders hier. Erst auf den zweiten Blick, sah ich, dass die Besucher mitten in der Bewegung erstarrt, dastanden, als hätte Madame Tussaud hier ihre ausrangierten Figuren gelagert. Mich nähernd sah ich, dasss einige von ihnen atmeten und mich mit ihren Blicken verfolgten. Erst jetzt konnte ich sehen, dass sie aus den verschiedensten Epochen der Zeitgeschichte stammten. Die erste Frau hatte zimtfarbene Haut und trug eine einfache Schale in der Hand. Sie war leer, als ich mich darüber beugte, aber ihre Muster sprühten nur so vor den verschiedensten Farben, welche sich zu einem ein wenig durcheinandergeratenen Regenbogen vereinte. Vorsichtig berührte ich die Schale und sie zerfiel zu Staub. Bedauernd hockte ich mich hin, fuhr mit dem Finger durch den Sand klaubte ein wenig davon auf und ließ ihn schließlich auf meine Hand rieseln.
Ein weißer Stein materialisierte sich inmitten des Sandes und fiel auf meine Handfläche und der Stein der tausend Lichter zu reflektieren schien, verschmolz mit ihr.
„Die Regenbogenschlange sei mit dir“, sagte eine Stimme ganz dicht neben mir und ich sah auf. Die Frau fixierte mich und ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter, während ich aufsprang und dabei die nächste Figur, die plötzlich und ohne Vorwarnung neben mir stand anrempelte. Ohne mich darum zu kümmern, ob sie zu Boden fiel oder stehen blieb, lief ich durch den Jahrmarkt und hielt erst an, als ich sein Ende erreicht hatte. Dort wartete bereits ein Fahrrad auf mich.
„Ich bringe dich hin, wo du willst“, sprach es mich an, kaum das ich mich darauf gesetzt hatte und fuhr mit mir los, noch bevor ich mich vom Schock erholen konnte, das mein Fahrrad ein Eigenleben und vor allen Dingen, eine Stimme hatte.
Der Jahrmarkt verschwand hinter mir, und als ich mich wieder umdrehte, fuhr das Rad mich geradewegs durch einen etwas größeren Bach. Es verfing sich in irgendetwas, dass ich nicht sehen konnte, und ich plumpste ins Wasser.
„Tut mir Leid“, meinte es und radelte ohne mich wieder zurück.
„Hey“, rief ich ihm hinterher, aber es blieb nicht stehen. Tief Luft holend blies ich mir eine tropfende Strähne meines rabenschwarzen Haars aus dem Gesicht und als sie wieder auf meinem Gesicht landete strich ich sie mit der Hand beiseite und schluckte. Sie war übersät mit kleinen Perlen. Perlen, die mich ansahen und lachten wie ein rauschender Wasserfall.
„Der Stern des Meeres grüßt den Stern des Himmels“, sagten die Perlen und der Großteil fiel wieder ins Kies übersäte Wasser. Einzig die die sich auf meinen Knöcheln befanden verschmolzen ebenfalls mit ihr. Was ging hier vor sich, fragte ich mich und blickte in den Himmel, wo noch immer die orange Mondsonne schien. Blinzelnd wandte ich mich wieder ab, und entdeckte eine Schildkröte am Ufer. Sie trank und schien sich offensichtlich nicht daran zu stören, dass ich hier pitschnass stand, mit einer Edelstein verzierten Hand.
„Es ist genug Wasser für uns beide hier“, sagte sie plötzlich, als sie mich bemerkte.
„In der Tat“, nickte ich und hörte mich auf über den Humor meines Unterbewusstseins zu wundern.
„Komm näher, Stella“, bat sie, obwohl es keine Bitte war.
„Wer bist du?“, fragte ich und setzte mich neben sie ans Ufer.
„Ich bin der Hüter des Tores“, erwiderte sie und ich habe ein Geschenk für dich.“
"Ein Geschenk?“ Die Schildkröte schien zu nicken, während sich die Winkel ihres Mundes zu einem weisen Lächeln verzogen.
„Gib mir deine Hand“, sagte sie und meine Hand gehorchte ohne mein Zutun. „Näher", befahl sie und ich beobachtete, wie meine Hand sich unter ihr Gesicht schob. Mit einer Heftigkeit, mit der ich nicht gerechnet hatte, biss sie plötzlich zu.
Aber noch, bevor ich den Schmerz wirklich realisieren konnte oder dass tatsächlich ein kleines Stück aus meiner Hand fehlte, wuchs ein matter bläulich-grüner Türkis in der Stelle, die fehlte. Die Maserung war so dicht ineinander verwoben, dass man kein Muster erkennen konnte.
„Warum?“, fragte ich die Schildkröte, aber sie war schon längst verschwunden. Meine Frage blieb vorerst unbeantwortet und ich entschloss mich dazu, dem Wasserverlauf zu folgen. Eine Weile genoss ich es einfach nur meine Beine zu bewegen und einen Schritt vor dem nächsten zu setzen, den es brachte mich meinem Ziel näher.
Was immer es auch war, dachte ich, bald würde ich erfahren, was sich mein Unterbewusstsein mit dieser Scharade ausgedacht hatte.
Oh, Stella Jordan, tadelte ich mich, wovor fürchtest du dich eigentlich, das hier ist dein inneres Gesicht.
„Nicht zertreten!“ kiekste eine Stimme aufgeregt und ich kam ins Straucheln.
„Was?“, wollte ich wissen und suchte nach dem Besitzer der Stimme. "Wo?"
„Hier unten du Dummkopf,“ lachte die Stimme, „ich bin hier.“
Meine Augen wandten sich langsam dem Boden zu und blickten auf einen grinsenden Bernstein, der aufgeregt aufsprang.
„Wir sind doch nicht am Meer,“ entfuhr es mir und der Bernstein hüpfte noch aufgeregter auf und ab, als zuvor.
„Wo warst du mit deinen Gedanken“, tadelte der Bernstein mich und ich sah vorsichtig nach hinten. Als ich nichts anderes sah als den Bach und den Weg, den ich gegangen war, drehte ich mich verärgert wieder um.
„Das ist nicht lustig“, teilte ich dem Stein mit und gestikulierte wie wild.
„Doch“, kicherte der Stein und verschmolz ebenfalls mit meiner Hand. „Und nun“, murmelte der Bernstein, „schließe die Augen und öffne sie wieder.“
„Aber das tue ich doch sowieso“, meinte ich empört.
„Tu es einfach“, meinte der Stein und ich tat es.
„Wo sind wir?“, wollte ich wissen, als ich mich mitten in einem Wald wiederfand, und blickte mich vorsichtshalber suchend auf dem Boden um, nicht das ich schon wieder beinahe etwas zertrat.
"Am Ende deiner Reise“, teilten mir zwei Füße mit. Füße, dachte ich und blickte auf. Eine silbern gekleidete Frau mit silbernen Haaren lächelte mich an. Schnell erhob ich mich und versuchte mir den Dreck der Reise abzuwischen.
„Willkommen“, strahlte sie und nickte mir zu.
„Ich bin die Zeit.“
„Die Zeit“, wiederholte ich und sie nickte.
„Das hier ist der letzte der Steine“, sagte sie und hielt mir ein Schwert mit dem Heft zu mir gewandt entgegen.
„Was ist das für ein Stein?“, fragte ich und betrachte den dunkelgrünen, leicht bläulich schimmernden Stein.
„Es ist ein Labradorit“, erwiderte sie, „der Stein der Kreativität und der Wahrheit und der persönlichste all deiner Steine.“ Ich sah sie an und sie blickte auf das Heft.
„Nimm es“, drängte sie und zögernd ergriff ich es und spürte den Tod, den es einst verursacht hatte, mit einer Heftigkeit durch meinen Körper rasen, dass ich es beinahe fallen gelassen hätte. Aber irgendwie schaffte ich es das nicht zu tun und das Pulsieren des Steins, über den sich meine Hand nun legte, vertrieb das vorangegangene Gefühl und vertrieb es, bevor auch dieser Stein mit meiner Hand verschmolz.
„Nun bist du bereit,“ nickte die Zeit zufrieden.
„Bereit?“, fragte ich. „Wofür bereit?“
„Zu sehen, warum du hier bist, Stella Jordan.“ Sie reichte mir ihre Hände und ich ergriff sie. Das Universum umschloss mich und ich sah ihr direkt in die Augen. Wirbelstürme und Blitze leuchteten in ihnen auf, während die Figuren des Jahrmarkts auf mich einstürmten. Eine Schlange kroch an mir hoch und umschloss meine Taille und ich konnte mich nicht mehr bewegen, während sie sich selbst in den Schwanz biss. Wollte sie sich selbst verschlingen, fuhr es mir durch den Kopf und mich gleich mit?
"Erkenne dich selbst", sagte die Zeit, "und du kannst dich wieder von ihr befreien."
"Und wenn ich das nicht tue", wollte ich wissen, und hatte bereits eine Vorahnung, was sie sagen würde.
"Dann wirst du für immer ihr gehören", erwiderte sie und ich spürte wie die Schlange um mich herum sich vor heiterem Gelächter, buchstäblich schüttelte und dabei immer mehr verschlang.
"Oh mein Gott", flüsterte ich und schloss die Augen, während ich spürte wie all die Edelsteine, die zuvor in meinen Körper gedrungen waren, erhitzten und sich mit jeder Faser meines Seins verbanden. Kaum wahrnehmbar hörte ich leise gesummte Noten, um mich herumwirbeln, die immer lauter wurden und sich anhörten, als wenn das Universum selbst singen würde, während sie durch das unsichtbare Netz tanzten, das niemals gesehen und nur gespürt werden konnte.
Tränen quollen unter meinen Augenlidern hervor, während alles von mir abfiel, das ich angenommen hatte, aber nicht zu mir gehörte und nur noch das übrig blieb, was unter der Oberfläche verborgen schlummerte. Viel zu lange geschlummert hatte, fuhr es mir durch den Kopf, während ich spürte, wie mein Körper begann zu glühen. Ob ich dabei war zu verbrennen, fragte ich mich, während ich das Brüllen eines Löwen aus weiter Ferne hörte und meine Augen aufflogen, um zu sehen, wo genau das Geräusch herkam. Ich blickte mich um, konnte aber nichts sehen, außer einem großen Plateau, das sich vor mir ausbreitete und beinahe sofort mit einer ganzen Armada von Spiegeln verdeckt, wurden, die sich um mich herum wie eine Mauer errichteten.
Mein Ebenbild sah mir entgegen und ich erschrak, als ich meine Haut musterte, die wie ein kunterbuntes Meer aus den Edelsteinen wirkte, die sich mit mir verbunden hatten, während die Schlange um mich herum sich immer enger und enger um mich schmiegte, während sie dabei war sich selbst zu verspeisen. Um mich herum hatte sich ein glimmendes Feuermeer gelegt, das über mir schwebte, mich aber jedoch nicht berührte und plötzlich lachte ich, als mir endlich bewusst wurde, wie ich mich befreien konnte. Ich blickte zur Schlange hinunter, die für einen Moment in ihrem Tun innehielt und mich verwundert musterte.
"Warum lachst du", wollte sie wissen und schien wirklich perplex zu sein, als ich sie einfach nur mit einem strahlenden Lächeln bedachte.
"Warum lachst du", wiederholte sie und ich hielt ihr meine Hand entgegen.
"Du willst mich also fressen", wollte ich nun von ihr wissen und hielt ihr meine Hand entgegen während es mich amüsierte zu sehen, wie sie ihren Kopf zischend hob und mich voller Verachtung anblickte.
"Ja", erwiderte sie, "das will ich."
"Dann solltest du es auch tun", forderte ich sie heraus, während eine meiner Augenbrauen sich in einer Art verhöhnenden Geste hob.
Im nächsten Moment, attackierte die Schlange mich mit einer Geschwindigkeit, die mich zunächst überraschte, aber nicht verwunderte, während sie versuchte ihre Zähne in meine Haut zu stoßen, es aber nicht schaffte. Wieder und wieder versuchte sie es und wieder und wieder prallten ihre Zähne von den Edelsteinen, die nun meine Haut waren ab und wurden immer brüchiger und brüchiger, bis sie schließlich vollkommen abbrachen und mir schließlich eine halb gegessene zahnlose Schlange entgegenblickte, vollkommen außer Atem und mit Angst in den Augen.
"Was ist", wollte ich wissen, "schmecke ich dir nicht mehr, jetzt wo ich keine Angst mehr vor dir habe."
Ohne mir eine Antwort zu geben, verschwand die Schlange in einer kleinen Rauchwolke und ließ mich alleine zurück.
Aufatmend blickte ich mich selbst im Spiegelkreis an und beobachtete fasziniert, wie das Feuer sich auf mich herabsenkte und die Edelsteine um mich herum verbrannte und meine eigene Haut wieder zum Vorschein kam. Noch bevor ich aber meine neu gewonnene Haut wirklich inspizieren konnte, erwachte ich wieder aus meiner tiefen Meditation und wurde vom dunklen Nachthimmel begrüßt.
Lachend drehte ich mich um mich selbst und tanzte mit dem Wind, während ich die Antwort auf das, was mir solche Furcht bereitet hatte, nun kannte. Außer Atem hielt ich wieder inne und blickte zum samtenen Sternenhimmel hinauf, einen stummen Dank an den Erschaffer allen Seins sendend, während eine Sternschnuppe im Mantel der Erde verglühte.