Читать книгу Verwobene Ornamente - Natascha Skierka - Страница 7

Schicksalsfäden

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Umher wandernd hielt sie inne. Diese Straßen kamen ihr bekannt vor und die Häuser schienen mit ihr zu sprechen. Emma konnte nicht sagen was hier passierte, aber sie spürte das etwas sie, wie Motten das Licht, anzog. Vor allen Dingen dieses Haus ihr schräg gegenüber. Ein Fachwerkhaus von 1711, ziemlich klein und bei dem ihr der Begriff „Hexenhäuschen“ in den Sinn kam, obwohl sie zu denjenigen gehörte, die das Wort Hexe nicht unbedingt als Beleidigung auffasste, wusste sie doch das es sich bei ihnen um weise Frauen handelte, die ihr Wissen mehr und mehr vertieften, um im Einklang mit Mutter Erde und sich selbst zu sein. Seufzend senkte sie den Blick und versuchte den Ruf des Hauses zu ignorieren.

Aber es war nicht leicht, die wellenartigen Bewegungen, die durch die unsichtbare Luft zu ihr herüber schwangen, zu ignorieren. Es war beinahe unmöglich, und noch ehe sie sich versah, stand sie vor der Türe und befand sich gerade dabei den Knopf der Klingel zu betätigen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, während sie die Treppe hinunter blickte und sich fragte, wie in aller Welt sie diese überwunden hatte. Überwunden, dachte sie und schüttelte den Kopf, wieso kam ihr ausgerechnet dieses Wort in den Sinn? Aber noch, bevor sie sich weiter in diesen Gedanken vertiefen konnte, der sie wahrscheinlich nur davon hatte abhalten sollen wieder zu flüchten, wurde die Türe geöffnet. Eine blonde Frau, mit strahlenden blauen Augen, blickte in die ihren und Emma fragte sich, ob sie einander wohl aus einem ihrer früheren Leben kannten.

„Komm rein“, sagte sie ohne Umschweife und ging voran. Emma folgte ihr in das wirklich kleine Häuschen mit seinen winzigen Zimmern, die wohl eher für größere Puppen gemacht waren, denn für wirkliche Menschen. „Setz' dich“, sagte die Frau und deutete auf die Eckbank in der langen Küche, dem größten Raum des Hauses. Langsam setzte sie sich und beobachte, die noch Namenlose Frau wie sie Kaffee aufsetzte und eine Schale mit Keksen und anderen Süßkram, zusammen mit drei Tassen aus dem Schrank holte und auf dem Tisch verteilte. Emma sah sie an und die Frau lächelte, während es erneut an der Türe klingelte. Das Geräusch durchdrang sie und brachte für einen Moment ihr Herz zum stehen, bevor es im gewohnten Rhythmus weiterschlug, als wäre nichts geschehen.

Ihr Blick schweifte durch die Küche, während erneute Kälte ihren Körper durchdrang, und blieb an den gehäkelten Topflappen hängen, die direkt neben dem Eingang hingen, durch den sie vor wenigen Augenblicken selbst erst gekommen war. Sie waren in der Form eines Puppenkleides, in den weiß-blauen Farben der nordischen Göttin Frigga gehalten und die Stimme ihres Blutes, erkannte den Faden, der sie scheinbar untrennbar mit ihren Vormüttern verband. Lachen drang aus dem kleinen Flur und die immer noch Namenlose Frau kam mit einer Älteren zurück. Ihre Blicke kreuzten sich und Emma hielt inne, während ihr Körper darauf begehrte aufzustehen und von hier zu fliehen. Sie aber blieb sitzen und ließ den Blick nicht von der Älteren, während diese auf sie zu kam und sich ihr gegenüber setzte.

„Ich bin Ansu,“ lächelnd berührte sie ihre Hand und Wärme durchströmte sie in kleinen Wellen. „Es freut mich dich endlich kennenzulernen, Emma.“ Emma stockte der Atem und sie blinzelte ein wenig perplex. Woher kannte diese Frau ihren Namen und wer war sie wirklich. Hatte sie vielleicht jemand verfolgt oder gar ausspioniert? Was passierte hier wirklich? Ansu lachte, während die Jüngere ihnen Kaffee einschenkte und sich zu ihnen gesellte, einen Keks aus der Schale nehmend.

„Wir sind wie du,“ erklärte sie und Emma runzelte mit der Stirn. „Aber die Welt dort draußen ist bei Weitem noch nicht wirklich bereit dafür uns wieder völlig zu integrieren.“ Emma blickte sie verwundert an und ihre Augen wanderten zwischen den beiden Frauen hin und her.

„In Ordnung“, flüsterte sie und ließ ihre Atemluft langsam wieder aus ihrem Körper entweichen, als wollte sie sich für etwas oder gegen jemanden wappnen. „Ich möchte, nein, ich will wissen, was hier gespielt wird und weswegen ich hier bin.“ Sie fixierte die beiden und die beiden blickten einander verschwörerisch an, während Ansu lachte.

„Wir wissen alle nicht, weswegen wir hier sind“, meinte sie und Emma rollte unwillkürlich mit den Augen. „Aber du bist jetzt hier um uns zuzuhören und um danach zu entscheiden, welchen Weg du gehen wirst.“ Noch bevor Emma etwas sagen konnte, ließ Ansu ein weißes Blatt Papier auf dem Tisch erscheinen und einen Stift in ihrer Hand. Spitzbübisch lächelte die Frau sie an und begann das Blatt in drei gleiche Teile aufzuteilen, um in jedem das Portrait einer Frau hinein zu zeichnen. Als sie dies vollbracht hatte, drehte sie ihr Kunstwerk zu Emma herum und sie zuckte zusammen. Da war sie zu sehen, als junges Mädchen, als Frau und als Alte.

„Warum zeichnest du mich so?“, verlangte sie zu wissen und Ansu seufzte.

„Weil du ebenso wie jede Frau die Aspekte dieser Form der Weiblichkeit in dir trägst", erwiderte sie und blickte sie leicht tadelnd an, als hätte sie das wissen müssen.

Natürlich wusste sie das, aber dennoch wollte sie wissen, warum.

„Blicke auf dass Papier“, wies Ansu sie an und ihr Blick schweifte zu der Namenlosen Blonden hinüber, die ihr aufmunternd zunickte. Emma folgte Ansus Bitte und eine Art Minitornado fegte plötzlich über dass Blatt hinweg und ließ die Bilder lebendig werden. Sie fragte sich nicht länger, was hier vor sich ging und erfolglos wehrte sie sich dagegen, dass ihre Seele, in dass Blatt hineingesogen wurde.

„Hallo“, begrüßte das Mädchen sie und drehte sich lachend und singend im Kreis, während es mit einem langen, schillernd bunten Regenbogenband tanzte. „Ich halte den Faden der Zukunft in meinen Händen.“

„Willkommen“, schloss die Frau sich an und berührte den breiten Gürtel, der um ihre Taille geschlungen war und ebenfalls bunt schillerte. „Ich stehe zwischen dem, was war und was sein wird.“

„Sei gegrüßt“, gackerte die Alte, während ihr Kleid wie eine knallbunte Leuchtreklame im Wind wehte und gänzlich aus Fäden bestand. „Ich sehe das, was war, und halte den Faden des Schicksals in meinen Händen.“

„Was wollt ihr von mir?“ Emma betrachtete die drei und fand es immer noch unheimlich das sie ihr so glichen, obwohl sie wusste, das es nur Äußerlichkeiten waren, die sie im Augenblick mit den Weberinnen der Zeit verband. Die Nornen betrachteten sie mit „ihren“ Augen und durchbohrten sie beinahe.

„Dich daran erinnern, wer du wirklich bist“, erwiderte die Ältere.

„Damit du es nicht wieder vergisst“, fuhr die Mittlere fort.

„Denn das ist es, was du sein wirst,“ lächelte die Jüngere und reichte ihr den Faden. Funken sprühten auf ihre Haut und prickelten wie feine Nadelstiche.

„Es liegt an dir diesem Weg zu folgen und uns dabei zu helfen wieder einen festen Platz in der Welt einzunehmen. Du weißt, man hat ihn uns beinahe geraubt und dieser ignorante Mann, hat uns verbrämt, damit wir in seine Weltanschauung hineinpassen.“ Emma runzelte mit der Stirn. „Er hätte es beinahe geschafft, etwas zu zerstören das im kollektiven Gedächtnis der gesamten Menschheit schlummert und das in immer mehr Menschen erwacht und sich seinen Weg zurück in das Leben dieser erkämpft."

„Du bist so ein Mensch“, fügte die Mittlere hinzu und die Jüngere und die Älteren nickten zustimmend. „Aber es liegt an dir, ob du den Ruf deiner Seele folgst oder ob du, ein Leben führen willst, das dem der anderen gleicht und zumeist im Stillstand verfahren ist.“

„Du spürst, dass du anders bist“, sagte die Ältere. „Du weißt, dass du immer anders sein wirst“, fügte die Jüngere hinzu.

Mit Tränen in den Augen blickte Emma auf und ein Schauer durchlief ihren Körper, während ihre Hand sich auf ihre Brust legte, unter der ihr Herz wie wild galoppierte, in dem vergeblichen Versuch es zu beruhigen, während es ihr vorkam, als würde man ihr sämtliches Blut aus dem Körper stehlen wollen.

„Ein langer Weg wartet auf dich“, informierte die Jüngere sie schonungslos.

„Aber du bist schon einen langen Weg gegangen“, nickte die Ältere und die Mittlere ergriff ihrer beider Hände.

„Bist du bereit ihn fortzuführen? Bist du bereit das, was du bist und vor allen Dingen wer du bist in die Welt hinein zu tragen. Ohne Furcht mutig voranschreitend um dein inneres Leuchten erneut zu entfachen?“

Emma blickte ihr in die Augen, einem kompletten Ebenbild ihrer eigenen, und noch bevor sie etwas erwidern konnte, wirbelte erneut Luft auf und katapultierte ihre Seele zurück in ihren wartenden Körper. Sie spürte die Tränen über ihre Wangen rollen, während sie Ansu und die Namenlose Frau ansah und stumm nickend ihre Hände ergriffen.

„Ich bin bereit“, flüsterte sie und Emma blickte die beiden Frauen entschlossen an, „ich bin bereit den Weg zu gehen, den meine Seele mir befiehlt zu gehen."

"Du hast eine gute Wahl getroffen," nickten beide und ein verschwörerisches Glitzern flackerte in den Augen der beiden Frauen auf. Emma entzog den beiden ihre Hände und warf den beiden während sie aufstand einen bedauernden Blick zu.

"Ja," stimmte sie lächelnd zu, "das habe ich, aber meine Wahl ist nicht auf euch gefallen." Erstaunt hielten die beiden inne, während irgendwo im Haus eine Uhr begann zwölf zu schlagen und Emma hob ihre linke Hand an ihr Dekolleté, wo ein strahlend silbernes Kreuz, aus unzählig feinen Fäden gesponnen, wie ein einzigartiges verwobenes Ornament, auf ihrer Haut ruhte.

"Wir haben dich dein Leben lang begleitet", protestierte die Namenlose Frau und Emma blickte sie mit einem bedauernden Schulterzucken an.

"Ich weiß", erwiderte sie, "aber da gibt es jemand Größeren und weitaus Mächtigeren als ihr, der dies auch getan hat."

"Wie kannst du uns das antun", wollte Ansu wissen und ihre Augen wurden beinahe schon schwarz, während Emma weiterhin ihr Kreuz, an dessen Rückseite im Übrigen einige geschwärzte Fische verteilt waren, deren leichte Vertiefung sie nun spüren konnte, während Ansu sie empört anblickte. "Wie kannst du nur", wiederholte sie, "dem eifersüchtigsten aller Götter den Vortritt geben."

"Oh," schüttelte Emma mit dem Kopf, "wenn er wirklich eifersüchtig wäre, hätte er uns Menschen nicht den freien Willen gegeben und würde uns die freie Wahl lassen, den Weg zu gehen, den wir gehen wollen. Ganz egal ob dieser gut oder schlecht für uns ist."

"Aber wir haben gespürt, wie du dich für uns entscheiden wolltest," versuchte die Namenlose Frau sie zu umgarnen.

"Ich war fasziniert," gab Emma zu, "aber ich denke, ihr solltet meine Entscheidung respektieren. Geht lieber zu denen, die euch wirklich in ihr Leben lassen wollen. Ich," betonte sie nun, "will es nicht." Entschlossen warf sie den beiden einen solch aussagekräftigen Blick zu, dass weitere Worte von ihnen unnötig sein würden, dass Ansu unangenehm berührt wegblickte.

Die Namenlose Frau wollte etwas sagen, doch Ansu ergriff ihre Hand und schüttelte mit dem Kopf.

"Komm", meinte sie nur, "unser Zauber hat nicht bei ihr gewirkt. Lassen wir sie gehen." Schicksalsergeben nickte die Namenlose Frau, und nachdem sie ihr einen wütenden Blick zugeworfen hatte, hob sie die Hand und um sie herum, begann das Haus sich vor ihren Augen aufzulösen.

Kurz darauf stand sie auf einer wunderschönen grünen Wiese und hörte von der nicht weit entfernten Küste, die Möwen im Wind rufen, während die salzige Luft sich prickelnd auf ihren Lippen verteilte. Noch immer hielt sie ihren Anhänger umschlossen und spürte nun, wie sanfte Energiewellen von diesem ausgingen, als wollten sie sie in einen Kokon aus unendlicher Liebe spinnen.

"Dir gehört mein Leben, Allmächtiger", flüsterte sie mit Tränen in den Augen, "nach all den vielen Umwegen, haben die Fäden meines Schicksals mich endlich zu dir zurückgeführt." Sie holte tief Luft und ihr war, als würde die Welt um sie herum, für einen Moment stillstehen, während die unendlich große Liebe sich noch enger um sie schmiegte, bevor die Welt sich schließlich wie gewohnt weiterdrehte. Unverändert und doch verändert zugleich.

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