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IV. Donnerstag, 2. Dezember: Blink-182 - Won't Be Home For Christmas

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Endlich Feierabend. Manchmal frage ich mich, warum ich diesen ganzen Stress auf mich nehme. Es muss doch noch etwas besseres geben, als jeden Tag irgendwo hinzugehen und die ganze Zeit Dinge zu machen, die einem andere aufgetragen haben. Irgendwie selbständig machen, sein eigener Chef sein, nie mehr Befehle hinnehmen, die total sinnlos sind – das wär's doch.

Ich schüttle mich einmal kräftig. Immer, wenn mir solche Gedanken kommen, ist irgendetwas los. Denn eigentlich mag ich meinen Job. Klar, die Chefin ist ein Drache und die alten Leute können einen mit ihren Sonderwünschen manchmal in den Wahnsinn treiben, aber dafür sind wir doch da. Um ihnen in ihren letzten Jahren noch ein paar Extrawünsche zu erfüllen, oder?

Ich trete durch die schicke Eingangstür des Pflegeheims ins Freie und merke, wo das Problem liegt - es regnet. Wie Bindfäden strömt das Wasser vom Himmel herab. Eine kühle Brise treibt mir die Tropfen ins Gesicht. Schnell ziehe ich die Kapuze meiner Regenjacke über, aber die feinen Tröpfchen kann auch sie nur kurz abhalten. Schon bald dringen sie mir bis ins Mark. Mistwetter! Kalt und nass ist viel schlimmer als ganz kalt und Schnee. Denn das erwartet man ja im Dezember, aber meistens kriegen wir doch nur diesen Mist.

Wütend stapfe ich in dem Bemühen, dieser nasse Kälte so schnell wie möglich zu entkommen, mit weiten Schritten durch die Straßen. Bloß schnell nach Hause! Den Blick starr auf den Boden geheftet, setze ich mechanisch einen Fuß vor den anderen. Die Kapuze hängt mir so tief im Gesicht, dass ich ohnehin rechts und links nichts erkennen könnte. Meine Füße finden den Weg von ganz allein. Hin und wieder taucht in meinem Blickfeld ein Paar fester Schuhe auf. Denn weiche ich anstandslos und ohne aufzuschauen nach rechts aus. Ein bisschen erinnert mich das Ganze an diese Ponys, die ich mal in einem Film über Island gesehen habe. Bei Regen stehen sie ganz still da und lassen den Kopf hängen, quasi als ihre eigene Regenrinne.

Trotz meiner Bemühungen, dem Regen so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, komme ich völlig durchnässt zu Hause an. Ich hänge Jacke und Pullover in die Dusche, pelle mich aus den klitschnassen Jeans und schlurfe in Unterwäsche ins Wohnzimmer. In der Tür bleibe ich wie angewurzelt stehen. Rocco ist da. Er sitzt am Wohnzimmertisch, der sich unter einem größeren Haufen von Büchern und Blättern versteckt. Und neben ihm sitzt ein mir unbekanntes Mädchen. Sie schauen zu mir auf und ganz langsam hebt sich ein Schleier aus dem Blick der beiden Teenager, so als wären sie gerade aus einer tiefen Trance erwacht. Das Gesicht des Mädchens läuft knallrot an, während Rocco fast die Augäpfel aus dem Schädel quellen. „Klaus!?“, schreit er mit hysterischer Stimme.

Ich mache schnell ein paar Schritte rückwärts und ziehe mich in den Flur zurück. Zu meiner Rechten befindet sich die Küchentür, daneben geht es ins Bad. Wenn ich keine nassen Sachen überstreifen will, muss ich aber ins Schlafzimmer. Und dazu muss ich an der immer noch geöffneten Wohnzimmertür vorbei. Ich gehe im Kopf kurz meine Optionen durch. Ich könnte einfach ganz entspannt durch den Flur schlurfen, schließlich ist das meine Wohnung. Mit einem Handtuch um den Bauch sähe ich vielleicht albern aus, würde aber die Gefühlswelt der Pubertierenden in meinem Wohnzimmer nicht durcheinanderbringen. Oder ich könnte einen kleinen Spurt hinlegen und so schnell durch den Flur hechten, dass die beiden gar nichts von mir mitbekommen.

Ich entscheide mich für die sportliche Variante und flitze in einem Affenzahn Richtung Schlafzimmer. „KLAUS!“ Roccos Stimme ist einen Zahn schärfer. Mist, da war ich wohl doch nicht schnell genug. Ich muss dringend was für meine Fitness tun. Na, jedenfalls bin ich jetzt vor dem Kleiderschrank gelandet und kann mich adäquat ankleiden. Ich schlüpfe in einen bequemen Pulli und meine Lieblingsschlabberhose. Nach genauerem Nachdenken ziehe ich die Hose wieder aus und nehme doch eine Jeans. Wer weiß, wen Rocco da mitgebracht hat. Am Ende gibt es nur wieder eigenartige Gerüchte in der Nachbarschaft. Nach der Unterwäscheshow muss ich vorsichtig sein.

Ich schlendere mit einem offenherzigen Lächeln im Gesicht zurück ins Wohnzimmer. Das Mädchen kichert verlegen, Rocco schaut kurz auf, mustert mein Outfit und gibt mir mit einem kaum erkennbaren Nicken seine Zustimmung zu meinem Auftreten. Ich warte, aber es kommt kein weiterer Kommentar von ihm. Stattdessen starrt er wieder auf seine Zettel. Das Mädchen an seiner Seite ist in eines der Bücher vertieft.

Ich warte noch ein Weilchen, dann räuspere ich mich. Rocco schaut zu mir hoch. Ich versuche, mit meinen Augen unauffällig auf das Mädchen zu deuten.

„Achso.“, sagt Rocco. „Das ist Dakota. Wir machen zusammen Mathe.“

So. Dakota also. Ist das ihr Name, oder ihre Stammeszugehörigkeit? Und kann sie überhaupt Mathe? Und was ist eigentlich aus dieser Tine geworden, in die ich immerhin fünfzehn Euro investiert habe? Hat Rocco überhaupt den Müll rausgebracht? Es sieht eher nicht so aus, als ob ich die Antworten auf diese Fragen jetzt aus meinem Neffen herausbekommen werde. Ich beuge mich vor und strecke dem Indianermädchen meine Hand entgegen. „Hallo. Ich bin Klaus.“

„Hallo.“, sagt sie mit leiser Stimme und schaut schon wieder in ihr Buch. Meine Hand scheint sie nicht bemerkt zu haben, deshalb lasse ich sie langsam zurück in meine Hosentasche wandern.

„Und ihr macht Mathe, ja? Kann ich helfen?“, frage ich ganz unbedarft. Ich weiß, dass ich keine Ahnung von der Mathematik habe, die 14-jährige heutzutage in der Schule lernen müssen, aber ich fühle mich immer gut, wenn ich jemandem mal meine Hilfe anbieten kann.

Die eiskalte, an Verachtung grenzende Miene, mit der Rocco mich mustert, signalisiert mir, dass es ihm nicht genauso geht. „Nichts für ungut, Klaus, aber nerv bitte nicht. Wir müssen echt megaviel lernen. Alles voll die krasse Scheiße. Und übermorgen ist die Arbeit. Danach sind alle Tage mit Tests und Arbeiten zugerotzt bis Weihnachten. Voll übel.“

Wow. So viele Worte hat Rocco mir gegenüber das letzte Mal herausgebracht, als er mich davon überzeugen wollte, dass wir neben der Playstation auch noch eine Wii brauchen. Ich bin so baff, dass ich ganz vergesse, ihn wegen seines mangelhaften Ausdrucks zu rügen. Und auch die Sache mit dem Müll scheint mir gerade nicht so angebracht. Mit einem lahmen „Na dann, viel Erfolg!“, trete ich den Rückzug an und verschwinde in die Küche.

Das Telefon klingelt. Ich spurte in den Flur. Aus dem Wohnzimmer dringt leises Gekicher zu mir heraus. Ich frage mich kurz, ob die beiden immer noch Mathe machen oder schon mit anderen Dingen beschäftigt sind. Den Impuls, mal eben im Wohnzimmer nach dem Rechten zu sehen, kann ich gerade noch unterdrücken. Stattdessen hebe ich ab.

„Ja, Dubenschlag hier.“, melde ich mich.

„Du, Klausi, ich bin's. Yvette. Du, ich hab voll den Stress hier. Wir müssen noch so viel fertig machen, bevor Weihnachten ist. Wir kriegen auch noch einen neuen Verwaltungschef hier im Rathaus. Da muss so viel vorbereitet werden. Ich komm heute erst später.“

„Och, das ist aber doof.“, maule ich pflichtbewusst. Eigentlich ist es bei Yvette im Rathaus immer das Selbe im Dezember, aber ich glaube, sie wäre echt enttäuscht, wenn ich so tun würde, als würde ich da drüber stehen. „Ich hab gerade Kaffee aufgesetzt.“, lüge ich.

„Tut mir leid, Klausi. Mach dir einen schönen Nachmittag.“

„Hm.“, brumme ich.

„Mach doch mal was Schönes mit Rocco!“, schlägt Yvette vor.

Ich lausche kurz Richtung Wohnzimmer, kann aber keine verdächtigen Geräusche hören.

„Ach, der lernt Mathe.", setze ich sie über den Stand der Dinge in Kenntnis. Urplötzlich überkommt mich eine wehleidige Stimmung. Ehe ich mich's versehe, nörgle ich ins Telefon: „Muss das eigentlich sein?"

Ich höre förmlich, wie Yvette völlig überrascht das Telefon anstarrt. „Was jetzt?"

Da die Katze einmal aus dem Sack ist, kann ich getrost auch gleich alles rauslassen: „Dass du ständig so spät nach Hause kommst. Wenn ich schon mal keine Spät- oder Nachtschicht habe, musst du garantiert bis in die Puppen arbeiten. Es ist doch immer das Gleiche.", maule ich.

„Ach Klausi, so ist das eben, wenn beide einen Job haben.", versucht sie mich zu beruhigen.

Ich bin aber alles andere als ruhig. „Ich dachte, wir könnten mal einen gemeinsamen ruhigen Abend zu Hause haben.", jammere ich ihr das Ohr voll.

„Um was genau zu machen?", kommt ihre Antwort, für meinen Geschmack etwas zu schnippisch. Was sollte das denn jetzt?

Yvette scheint es unangenehm zu sein, dass sie offenbar an etwas gerührt hat, was sie schon länger bewegt, von dem sie mich aber noch nie in Kenntnis gesetzt hat.

„Ach, Klausi.", murmelt sie in versöhnlichem Tonfall. „Ich beeil mich. Versprochen."

Ich warte noch ein paar Sekunden ab, aber es kommt nichts mehr. Etwas zeitverzögert nehme ich das Hintergrundknacken wahr, dass mich darüber informiert, dass Yvette aufgelegt hat.

Missmutig stapfe ich kurze Zeit später die Treppe hinunter, in der Hand einen grünen Müllbeutel und die Tüte mit dem Papiermüll. Rocco hat den Müll natürlich nicht rausgebracht und ich kann ihn ja schlecht vor dieser Dakota zur Rede stellen, warum ich ihm fünfzehn Euro für einen Kinoabend mit Tine gegeben habe, wenn er sich jetzt nicht an unsere Abmachungen hält. Deshalb musste ich das pädagogische Gespräch auf morgen verschieben und die Müllentsorgung selbst in die Hand nehmen. Unterwegs frage ich mich, wie drei Menschen so viel Müll produzieren können, dass ich fast jeden Tag mit einer fetten Tüte voll Entsorgungsmaterial die Treppe hinunterstiefeln muss.

Auf dem Rückweg vom Müllcontainer versperrt mir ein eleganter beigefarbener Mantel, der von einem noch eleganteren braunen Hut gekrönt wird, den Weg. „Hallo, Frau Lüders.“, rufe ich fröhlich. „Lange nicht gesehen. Gut sehen sie heute aus.“ Frau Lüders ist die Grand Dame unseres Hauses. Sie hat schon hier gewohnt, als wir damals eingezogen sind und strahlt eine Ruhe und Eleganz aus, die jeden Vorsatz, mit ihr Streit anzufangen, im Keim ersticken. Ich glaube, sie ist die einzige Hausbewohnerin, die niemals mit irgendjemandem aneinandergeraten ist.

Langsam dreht sie sich zu mir um und wackelt mit ihrem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum. „Nana, Herr Dubenschlag. Schämen Sie sich, einer alten Frau solche Komplimente zu machen! Sie sind schließlich ein verheirateter Mann.“ Bei diesen Worten umspielt ein Zucken ihre Mundwinkel und in ihren Augen blitzt der Schalk auf.

Wie immer lasse ich mich auf das Spielchen ein. „Ach was. Wer ist denn hier alt. Sie sind doch in den besten Jahren.“

„Gewiss, gewiss.“, kichert sie. „Noch bin ich schließlich keine 85, oder?“

Mein Blick fällt auf die beiden gut gefüllten Stoffbeutel, die neben ihr stehen. „Kommen Sie. Ich helfe ihnen mit den Einkäufen nach oben.“, biete ich ihr an.

Wie üblich lässt sie sich nicht lange bitten. „In Ordnung. Aber dann müssen Sie auch noch auf eine Tasse Kaffee bleiben. Darauf muss ich bestehen.“, sagt sie in ernstem Tonfall.

Wie jedes Mal antworte ich „Zu Diensten, Madame.“ Dann schnappe ich mir die Tragetaschen und stapfe die Treppe nach oben. Seit Jahren führen wir ungefähr einmal die Woche diesen Dialog. Er ist so eingespielt wie der Shakespeare bei einer erfahrenen Theatertruppe, aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen nehmen wir uns immer die Zeit dafür und lassen nie eine Zeile aus.

An Frau Lüders' Wohnungstür werden wir durch lautes Gebell begrüßt.

„Ist ja gut, Fritzi. Es ist doch nur der Herr Dubenschlag von unten.“, redet Frau Lüders von irgendwo hinter meinem Rücken beruhigend auf ihren kleinen Yorkshire-Terrier ein.

Als Fritzi die Stimme seines Frauchens vernimmt, wird der Hund schlagartig ruhig und wedelt mit der Rute. Ich dränge mich an dem Terrier vorbei und stelle die Taschen in der Küche ab.

„Na, nehmen Sie schon Platz.“, fordert mich Frau Lüders auf. „Ich setze nur schnell den Kaffee auf und gebe Fritzi etwas zu essen.“

Ich setze mich in der Küche auf einen der alten Holzstühle, deren Sitzfläche aus Weidengeflecht besteht, und mustere wie jedes Mal mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis die braun-grünen Kacheln, die die Wand über dem Herd und der Arbeitsplatte verschönern. Frau Lüders räumt unterdessen die Einkäufe in ihre uralte, wackelige Einbauküche. Die war bestimmt in den 60er Jahren topmodern. Ich bin mir sicher, dass ich bei eingehender Suche irgendwo noch ein Schild mit dem Seriennamen „Sylvia“ oder „Gudrun“ finden würde.

Frau Lüders schüttet inzwischen ein Häufchen Trockenfutter aus einer überdimensionierten Tüte mit dem Konterfei eines knuffigen weißen Hündchens in eine Schüssel. „Was ich sie schon immer mal fragen wollte – ist Fritzi eigentlich ein Weibchen oder ein Männchen.“

„Das ist eine gute Frage.“, antwortet Frau Lüders, während sie die Packung Hundefutter zurück in den Schrank stellt. „Am Anfang hat man mir gesagt, es sei ein Weibchen. Aber nach ein paar Wochen hat der Tierarzt gesagt, dass es doch ein Männchen ist. Da hatte ich den Namen schon ausgesucht. Zum Glück war es nicht Biene oder Lilly.“ Glucksend kichert sie vor sich hin und ich stimme ein: „Da hat Fritzi ja nochmal Glück gehabt.“

„Hallöchen. Hier bin ich schon.“, hallt es durch die Wohnung, kurz nachdem ich vom Kaffeetrinken mit Frau Lüders zurückgekommen bin. Es ist wie immer doch etwas länger geworden, aber hier unten hat mich ja ohnehin niemand vermisst.

Ich höre Schritte durch den Flur tappen. Ein empörtes „Yvette!“ signalisiert mir, dass Yvette Rocco und Dakota entdeckt hat und bei unserem Neffen auf wenig Gegenliebe gestoßen ist. Innerlich bin ich froh, dass es ihr nicht besser ergeht als mir, auch wenn ich das niemals zugeben würde.

„Klausi?“

„Ja, hier. Im Schlafzimmer.“ Ich schaue noch schnell meinem Cornerback zu, wie er eine sichere Interception vermasselt, dann speichere ich NFL Madden. Noch während der Vorgang läuft, taucht meine Frau in der Tür auf. „Wer ist das denn?“, fragt sie und deutet mit einer leichten Kopfbewegung Richtung Wohnzimmer.

„Dakota.“, sage ich betont unaufgeregt. Ich genieße es, wenn ich mehr weiß als Yvette. Kommt ja selten genug vor.

„Dakota.“, wiederholt sie. Es klingt halb nach einer Frage, halb nach einem geringschätzigen Einordnungsversuch. Yvettes Gesichtsausdruck und dem Klang ihrer Stimme nach kann ich schlussfolgern, dass Dakota einen langen Weg vor sich haben wird, wenn sie ernsthaft versuchen sollte, sich in Yvettes Hackordnung der weiblichen Besucherinnen hochzuarbeiten, um sich irgendwann ein regelmäßiges Besuchsrecht zu erarbeiten. Wovon ich erstmal nicht ausgehe. Aber man kann ja nie wissen. Yvette jedenfalls scheint der Name und der erste Eindruck zu reichen, um sie auf der untersten Stufe ihrer sozialen Hierarchieleiter zu platzieren. Oder sollte das sogar die berühmte Eifersucht weiblicher Familienangehöriger sein, die da aufblitzt?

„Was gibt's zum Essen?“ Gekonnt reißt mich Yvette aus meinen Überlegungen. Ob sie immer spürt, wenn ich mir Gedanken mache, die für sie unangenehm sein könnten? Oder ist das purer Zufall, dass sie mich immer genau dann mit alltäglichen Kleinigkeiten überfällt?

Etwas konsterniert schaue ich auf die kleine Uhranzeige auf meinem Desktop. 18:47 Uhr. Verdammt. Ich habe total die Zeit vergessen. „Brot und Käse?“, frage ich zurück.

Sie brummt kurz, was ich als nicht ganz zufriedene Zustimmung interpretiere und fragt dann: „Was machst du da eigentlich?“

Zum Glück ist das Spiel fertig mit Speichern und auch schon geschlossen. Unschuldig schaue ich kurz auf den Laptop. Dann zucke ich die Schultern. „Entspannen.“, sage ich wahrheitsgetreu.

„Guckst du dir auch keinen Schweinkram an, während ich weg bin?“

Auweia. Für einen Augenblick klang Yvettes Stimme so, als würde sie sich wünschen, dass ich Schweinkram angucke. Aber erstens habe ich das schon lange nicht mehr gemacht, und selbst wenn, würde ich es zweitens in dieser Lage wohl kaum zugeben, oder? Deshalb antworte ich ganz ehrlich mit sonorer Stimme: „Nein. Wieso auch? Ich hab doch dich, da brauch ich solchen Blödsinn nicht.“

Yvette wirft mir einen skeptischen Blick zu und ich schäle mich aus dem Bett. Höchste Zeit, das Essen zu machen.

Auf dem Weg zur Küche lege ich vor dem Wohnzimmer einen Zwischenstopp ein und schiebe meinen Kopf durch die Tür. „Warten deine Eltern nicht langsam auf dich, Dakota?“

Ich ernte ein Kopfschütteln von Rocco und einen vollkommen verständnislosen Blick von Dakota. „Nö, die sind nicht da.“, sagt sie nur, als würde das alles erklären.

Ich ziehe mich zurück und trotte in die Küche. In meinem Rücken höre ich Yvettes Stimme. „Guter Versuch, Großer. Und jetzt?“

Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Jetzt machen wir erst mal Abendessen und dann schauen wir weiter, ok?“

„Gut. Dann lass uns mal loslegen.“

Während Yvette das Gemüse vorbereitet, mühe ich mich mit unserem stumpfen Brotmesser ab. Wir haben es vor 20 Jahren zu unserer Hochzeit bekommen und seitdem hat es noch jedes Brot geschnitten, was mir zwischen die Finger gekommen ist. Ich kann mich nicht davon trennen. Jedes Mal, wenn ich Brot damit schneide, nehme ich mir ganz fest vor, es schleifen zu lassen. Und jedes Mal, wenn ich am einzigen Laden in unserer Stadt, bei dem man das machen lassen kann, vorbeikomme, ärgere ich mich, dass ich wieder vergessen habe, das Messer mitzunehmen. Tief in Gedanken versunken bekomme ich gar nicht mit, dass Yvette etwas von mir will.

„Klausi? Sag mal, träumst du beim Brotschneiden?“

„Was?“, schrecke ich hoch.

„Ich soll dich von deinen Eltern grüßen.“, sagt Yvette mit einer Stimme, als wäre es das Normalste der Welt, dass sie mich von meinen Eltern grüßt.

„Von meinen Eltern?“ Die Informationen brauchen noch etwas lange, um von den Ohren in meine Schaltzentrale vorzudringen.

„Ja, ich habe heute mit ihnen telefoniert.“ Auch das lässt sie so klingen, als würde sie das täglich tun. Dabei hat sie meine Eltern höchstens an Geburtstagen mal an der Strippe.

„Äh, und warum?“, frage ich irritiert.

„Wegen Weihnachten.“ Yvette lässt ihre Antwort einen Moment im Raum schweben und Form annehmen. Offensichtlich erwartet sie eine Reaktion von mir. Ich lasse mich auf das Spiel ein.

„Was ist mit Weihnachten?“, frage ich und tue so interessiert, wie es möglich ist, während man mit einem nicht mehr ganz scharfen Messer an einem Krustenbrot herumwerkelt.

„Naja.“ Ein vorsichtiger Ton liegt jetzt in ihrer Stimme. Aha, sie hat etwas ausgeheckt. „Dieses Jahr müssen wir alles ein bisschen anders machen.“ Wieder eine künstliche Pause, aber diesmal bleibe ich stumm und lasse sie den nächsten Zug machen.

„Meine Eltern fahren am zweiten Feiertag nach Paris. Darum wollen sie gern, dass wir schon am 25. Dezember zu ihnen kommen. Und weil deine Eltern ja am ersten Feiertag schon die ganze Familie da haben, habe ich sie eingeladen, am zweiten Feiertag zu uns zu kommen.“

Ich stocke mitten im Schneiden und versuche, die vielen Gedanken, die gleichzeitig mein Gehirn durchfluten, unter Kontrolle zu bringen. Seit 20 Jahren kommen wir immer am ersten Feiertag mit meiner ganzen Familie bei meinen Eltern zusammen. Das ist zwar manchmal etwas stressig, aber es gehört für mich zu Weihnachten wie Weihnachtsmann und Tannenbaum. Und das soll es dieses Jahr nicht geben? Außerdem war das letzte Mal, als meine Eltern bei uns waren, die reinste Katastrophe. Daran will ich gar nicht zurückdenken. Und dann auch noch wir bei Yvettes Eltern.

„Habe ich hier eigentlich gar nichts zu sagen?", frage ich verschnupft.

„Wie kommst du denn darauf?", fragt Yvette und stemmt streitlustig die Fäuste in die Hüften.

„Du kannst doch nicht einfach Weihnachten verändern. Da fragt man doch wenigstens mal nach." Ich rede mich richtig in Rage.

„Ach, Klausi." Ich spüre, wie verwirrt Yvette ist. So kennt sie mich sonst gar nicht. Und ich auch nicht. Normalerweise bin ich immer derjenige, der zurücksteckt, wenn wir unterschiedliche Meinungen haben. Sie kommt näher und streichelt mir über den Unterarm. „Es ist doch nur, weil wir meine Eltern sonst gar nicht sehen können.", schnurrt sie mir ins Ohr.

Mit dem Gedanken könnte ich mich durchaus anfreunden. Aber das sage ich jetzt besser nicht. Na wenigstens kommen sie nicht auch noch zu uns. Da wäre der eine Abwasch noch gar nicht kalt, bevor wir schon das nächste Essen kochen müssten. Es gelingt mir, diesen vorbeifliegenden Gedanken zu packen. Weihnachtsessen kochen. Das muss ich ja machen, weil Rocco den Müll nicht rausgebracht hat.

„Also muss ich nur einmal Weihnachtsessen kochen.“, brumme ich. Mein kurzes Aufbegehren gegen Yvettes Pläne verebbt wie ein Regentropfen in der Wüste. Jetzt geht es nur noch um Schadensbegrenzung.

„Wie bitte?“, flötet sie gut gelaunt. Verdammt, sie hat das alles genau geplant und ich bin ihr ins Netz gegangen. Wenn sie so fröhlich ist, hat alles genau nach ihren Vorstellungen geklappt.

„Ich koche nur ein Weihnachtsessen.“, schimpfe ich lahm. Ich versuche, meinen gesammelten Protest in diesen einen Satz zu legen, aber ich weiß, wann ich verloren habe.

„Ja, klar. Wenn wir zu meinen Eltern fahren, kocht meine Mutter. Wenn deine Eltern kommen, kochst du allein, das Essen an Heilig Abend machen wir gemeinsam.“, gibt sie sich konziliant. „Und nach dem Essen fährst du Dakota nach Hause." Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu nicken und die zu dick geratenen Brotscheiben im mit einem Leinentuch ausgelegten Körbchen auf den Esstisch zu stellen.

Oh Du Fröhliche

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