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V. Freitag, 3. Dezember: The Ramones - Merry Christmas (I Don't Want To Fight Tonight)

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„Morgen, Herr Ackermann.“, rufe ich gut gelaunt. Mein Lieblingskunde steht im Eingangsbereich des Pflegeheims und begutachtet kritisch den Weihnachtsbaum. „Na, noch was gefunden, das nicht so gut ist?“

Herr Ackermann ruckelt sanft mit dem Kopf. Es ist nicht ganz klar, ob es sich um ein Nicken oder ein Kopfschütteln handelt. „Nee, ist schon ganz in Ordnung.“, lässt er sich zu einem Kommentar herab, den nur jemand, der ihn gut kennt, als ein ordentliches Kompliment interpretieren kann. Aber ich kenne ihn gut und deshalb strahle ich ihn bis über beide Ohren an.

„Ist ja auch ein schöner Baum, den sie uns da hingestellt haben.“, meine ich in dem bescheidenen Versuch, nicht das ganze Lob für mich allein zu verbuchen.

„Na, so ein bisschen krumm ist er schon gewachsen.“, stellt Herr Ackermann mit kritischem Blick fest. „Früher hätte man sowas nicht als Weihnachtsbaum durchgehen lassen. Da kamen nur die ganz geraden Stämme auf dem Markt.“

„Aha. Wie hat man die denn alle so gerade wachsen lassen?“, heuchle ich Interesse.

Herr Ackermann blickt mich von unten her mit strengem Blick an. „Keine Ahnung, Jungchen. Vielleicht waren die Forstleute damals einfach mehr auf Zack. Haben nicht den ganzen Tag auf ihren Smartphones rumgetippt, sondern sich auch mal um ihre Arbeit gekümmert?!“

Ich habe keinen blassen Schimmer, wie Forstleute heute arbeiten. Und erst recht nicht, wie sie früher gearbeitet haben. Deshalb gehe ich der Diskussion, in der ich ohnehin nur verlieren kann, von vorn herein aus dem Weg und greife das Baumthema ganz allgemein noch einmal auf: „Und wie waren ihre Weihnachtsbäume zu Hause so?“

Herr Ackermanns Augen bekommen einen verklärten Glanz. Sachte wippt er vor und zurück und driftet in eine andere Welt ab. Auweia, jetzt habe ich ihn wieder so weit, dass er vollkommen in der Zeit entrückt ist. Schnell schaue ich mich nach einer Sitzgelegenheit um, denn das kann jetzt dauern. Noch bevor Herr Ackermann loslegen kann, bugsiere ich ihn vorsichtig zu einer Bank neben der Eingangstür und lasse mich dort mit ihm nieder.

„Klaus, wo kommst du denn jetzt erst her?“, begrüßt mich Serkan aufgeregt, als ich nach über einer Stunde endlich oben in der Abteilung ankomme.

„'Tschuldigung. Musste mich noch um Herrn Ackermann kümmern.“

Serkan schaut mich zweifelnd an. Ich hebe beschwichtigend die Hände. „Ich habe ihn unten am Weihnachtsbaum getroffen und plötzlich ist alles aus ihm rausgeplatzt. Wie er sich als Kind immer die Nase an den Schaufensterscheiben plattgedrückt hat und dann an Heiligabend immer enttäuscht war, wenn es doch nur einen Apfel und eine Orange gab, wie toll es in der Stadt und zu Hause immer geduftet hat, wie viel Zeit sich seine Mutter und seine Oma immer für die vielen leckeren Backsachen genommen haben und wie schrecklich es doch heutzutage ist, wo alle nur noch ihre Lebkuchen aus der Tüte kaufen. Er meint, wir kennen Weihnachten gar nicht mehr richtig.“

„Und Recht hat er!“, erwidert Serkan im Brustton der Überzeugung. „Euer Weihnachten ist doch das reinste Chaos. Ihr erzählt immer von friedlicher Zeit und Innehalten, aber dann stresst ihr durch die vier Wochen des Advent und wundert euch dann Ende Dezember, wo die fröhliche Weihnachtszeit geblieben ist. Und worum es bei Weihnachten eigentlich geht, weiß doch sowieso niemand mehr.“

„Ich schon.“, protestiere ich. Im nächsten Augenblick frage ich mich schon, warum ich mich eigentlich immer rechtfertigen muss, wenn es um unsere Kultur geht. Bei Serkan ist immer alles klar. Seine Feste sind toll und wichtig und wir müssen alle Rücksicht nehmen, aber ich als Christ bin ständig in der Defensive. Dabei ging es doch eigentlich gerade um Herrn Ackermann, oder? „Für die alten Leute ist es echt nicht einfach. Sie erinnern sich an die Vorstellung von Weihnachten und machen sich daraus eine romantische Fantasie. Aus der wird dann die Erwartung, dass alles wirklich so wird, wie sie es erwarten und am Ende springt vielleicht ein Anruf von den Enkeln raus - wenn sie Glück haben.“

Serkan nickt bekümmert. „Genau das meine ich. Alle reden groß rum, aber es hat eigentlich keiner Zeit, die Adventszeit zu genießen. Und unsere Alten hier sind fix und fertig. Und dabei ist es sowieso schon so dunkel und düster zu dieser Jahreszeit.“

„Dann sollten wir beide umso mehr Weihnachtsstimmung verbreiten, oder?“, gehe ich optimistisch an die Sache ran.

Serkan grinst mich an. „Hohoho. Wir können das Essen ja aus einem Sack zaubern.“

„Spinner!“ Ich grinse zurück. „Aber mal ehrlich. Lass es uns versuchen. Und die Alten haben bestimmt tolle Ideen für eine fetzige Weihnachtsfeier. Bloß nicht wieder das lahme Kaffeetrinken mit ,Oh Tannenbaum' wie im letzten Jahr. Da war sogar mir fast nach Sterben zumute.“

In Serkans Augen blitzt der Schalk auf. „Da hast du Recht, Mann. Wir lassen uns was einfallen. Schließlich ist nur einmal im Jahr Weihnachten.“

Als ich nach Hause komme, werde ich von lautem Poltern aus dem Wohnzimmer begrüßt. Rocco steht vor dem Fernseher und ballert irgendwelche Leute auf der Playstation ab. Ich drehe ab Richtung Küche und nehme mir die Milchtüte aus dem Kühlschrank und eine Banane aus dem Obstkorb. Mit dem Fuß öffne ich den Mülleimerdeckel, um die Bananenschale verschwinden zu lassen. Dabei sehe ich, dass der Müll schon wieder recht voll im Eimer liegt. Genervt verdrehe ich die Augen und begebe mich mit meinem Proviant zurück ins Wohnzimmer.

„Rocco!“ Keine Reaktion. Er schießt immer noch wie wild in der imaginären Gegend herum. „ROCCO!“ Ich schreie etwas lauter. Immer noch nichts. Der Junge ist so in dieses hirnlose Spiel vertieft, dass er vermutlich noch nicht einmal merken würde, wenn jemand um ihn herum das Haus abreißen würde.

Kurzentschlossen schiebe ich mich zwischen ihn und den Bildschirm. Ein pfeifendes Geräusch gefolgt von einem lauten Bums ertönt, dann erklingt eine tragische Melodie.

„Scheiße, verdammt! Was soll das denn?“ Entgeistert starrt Rocco mich an. „Wegen dir bin ich jetzt tot.“

Ich betrachte ihn ausgiebig. Dann entgegne ich, ohne mit der Wimper zu zucken: „Für mich siehst du noch ziemlich lebendig aus.“

„Och, Mann. Du weißt genau, was ich meine.", poltert er herum. „Ich war schon so weit und jetzt ist alles im Arsch.“

„Ich bin sicher, du hast noch einen Spielstand gespeichert, bei dem du gleich weitermachen kannst, wenn du endlich den verdammten Müll rausgebracht hast.“

„Müll?“ Ich schaue in das entgeisterte Gesicht eines 14-jährigen, der mit meiner schlichten Information offenbar wirklich überhaupt nichts anfangen kann.

„Ja, Müll. Wir hatten eine Abmachung. Schon vergessen?“

Rocco denkt angestrengt nach. Dann erkenne ich einen Schimmer des Erkennens in seinem Blick. „Achso. Aber ich dachte, das war nur Spaß.“

„Was jetzt? Das du ins Kino darfst?“, kontere ich.

„Nein. Aber Müll rausbringen? Ich bin doch kein kleines Kind mehr.“, gibt er trotzig genervt zurück.

„Eben. Sonst hätte ich dir auch kein Geld fürs Kino gegeben. Ich glaube, sie hieß Tine, oder?“, werfe ich einen Versuchsballon in den Raum. Vielleicht kriege ich ja häppchenweise etwas Klarheit über den Beziehungsstatus meines Neffen. „Und dafür hast du den Müll übernommen.“, versuche ich pädagogisch wertvoll auf seinen Einwand einzugehen.

„Das hätte ich auch noch machen können, wenn ich mit dem Spiel fertig gewesen wäre.“, heult er jetzt rum und zeigt anklagend auf den Fernseher.

„Wann wäre das denn gewesen? So in drei Wochen?“, frage ich aufgekratzt. Langsam geht mir diese Diskussion auf die Nerven.

Rocco drückt auf eine Taste auf dem Controller. Mit einer eleganten Bewegung schalte ich den Fernseher aus, stelle mich mit verschränkten Armen direkt vor ihn und schaue ihm fest in die Augen. Er schafft es nur einen Augenblick, mir Paroli zu bieten. Dann schwenkt sein Blick nach unten weg, er dreht sich auf dem Absatz um und stürmt aus dem Zimmer. Ich höre ihn kurz im Flur rumoren, dann kracht die Wohnungstür. Langsam gehe ich hinterher und begutachte meinen Erfolg. Roccos Jacke und Schuhe sind verschwunden. Ebenso sein Schlüssel. Der Müll ist noch da.

Ich fläze völlig entspannt auf der Couch herum, die Füße auf dem Tisch, und schmökere im Kicker. Aus der Küche höre ich die Geräusche von mehreren hart arbeitenden Maschinen, dazwischen klappert Yvette mit dem Messer oder Geschirr. Hin und wieder huscht sie ins Wohnzimmer, stellt etwas auf dem großen Esstisch ab und eilt wieder hinaus, wobei sie nicht vergisst, mir einen bösen Blick zuzuwerfen. Ich lasse mich davon aber nicht aus der Reserve locken und lese in größter Ruhe, welche Trainer für den HSV überhaupt noch in Frage kommen, so viele, wie die schon verschlissen haben. Eigentlich interessiert mich der HSV nicht die Bohne, aber ich brauche eine überzeugende Beschäftigung, wenn ich doch nicht noch aktiviert werden will.

Yvette taucht wieder auf. Diesmal baut sie sich mit in die Hüften gestemmten Armen vor mir auf. „Du könntest ruhig mal mit anpacken!“, faucht sie mich an.

Ich schaue überrascht über den Rand meiner Zeitung zu ihr auf. „Äh, wieso? Sind doch deine Freundinnen. Ich hab niemanden eingeladen.“

„Na und? Sie sind Gäste in unserem Haus.“, weist sie mich zurecht.

„Technisch gesehen, hast du natürlich Recht. Aber wenn es nach deinen Freundinnen ginge, würde ich schon längst nicht mehr hier wohnen. Und am besten wäre ich auch nicht hier, wenn sie dich besuchen.“

Yvette schnappt gekünstelt nach Luft. Ich nutze diese Pause und schiebe schmollend ein „Stimmt doch!“ hinterher.

Ihr Blick wird weicher. Mit versöhnlicher Stimme sagt sie: „Stimmt schon. Aber du bist ja auch nicht ganz unschuldig, oder? Kannst du dir nicht ein bisschen Mühe geben, nett zu ihnen zu sein?“

„Nett? Haben sie mir jemals einen Grund dafür gegeben? Seit wir uns kennen, hacken sie auf mir rum. Ständig diese abschätzigen Blicke und bescheuerten Kommentare. Und glaub bloß nicht, ich würde die ewigen Klagen von Gabi und Vera nicht hören, von wegen, du hättest etwas viel besseres verdient und so weiter.“ Unwirsch fuchtle ich mit der Hand in der Luft herum.

Mit Klimperaugen und Schmollmund kommt Yvette auf mich zu und schließt mich in die Arme. „Du alter Dummbär. Es ist doch egal, was die anderen sagen. Das hat uns bisher nicht gestört und wird es auch weiter nicht. Ich liebe nur dich. Vera und Gabi kannst du nicht ändern, aber vielleicht hilft es ja, wenn du ein bisschen freundlicher zu ihnen bist.“

Ich bezweifle das stark, aber die Türglocke enthebt mich einer Antwort. Yvette springt auf und läuft in den Flur. Ich wuchte mich ebenfalls hoch und hechte ihr hinterher. „Lass mal. Ich mach schon. Kümmer dich lieber um das Essen, okay?“

Dankbar schaut sie mich an, haucht mir einen Kuss auf die Wange und verschwindet in der Küche. Ich greife mir den Hörer der Gegensprechanlage. „Champions-League-Lokal Dubenschlag. Welchen Verein unterstützen sie?“ Innerlich kichere ich in mich hinein. Wenn es etwas gibt, was Yvettes Freundinnen noch mehr hassen als mich, dann ist es Fußball.

„Klaus, mach die Tür auf!“, raunzt mich eine tiefe weibliche Stimme an. Gabi, ganz eindeutig.

„Wie heißt das Zauberwort?“, frage ich scheinheilig. Ich kann förmlich hören, wie sie genervt die Augen verdreht.

„Klaus, mach schon!“ Das war jetzt Christines Stimme. sie sind also schon zu zweit.

Ich drücke auf den Türöffner, begleite das ganze aber mit einem „Das war aber nicht besonders nett.“

Im Treppenhaus kann ich mehrere Stimmen hören. Sie sind also gleich alle vier da. Uschi und Vera kommen vorneweg geschnauft. Uschi schiebt mich mit ihrem Kampfgewicht von bestimmt 90 Kilogramm einfach zur Seite, noch bevor ich die Chance habe, sie mit einem fröhlichen Spruch zu begrüßen. Ich versuche, mich an der Flurwand so schmal wie möglich zu machen, um die anderen durchzulassen. Ob es Absicht war, dass sich Gabis Absatz schmerzhaft in meinen Fuß bohrt und Veras Ellenbogen beim Ausziehen des Mantels nur um Millimeter an meiner Nase vorbeischrammt? Gabi reicht mir mit einem herablassenden Nicken ihre Jacke und verschwindet ohne ein weiteres Wort im Wohnzimmer. Ich schaue kurz die Jacke an und dann den anderen drei hinterher, wie sie aus dem Flur verschwinden. Die Jacke lasse ich einfach auf die Schuhe fallen, dann hole ich mir aus dem Kühlschrank eine Dose Bier und werfe mich zurück auf die Couch. Den Kicker in der Hand lasse ich einen lauten Rülpser vom Stapel. Wenn sie Proll wollen, können sie Proll bekommen.

„Muss es dort rumlungern, wenn wir uns hier einen schönen Abend machen?“, sind die ersten Worte, die vom Tisch, um den sich Yvette und ihre Freundinnen gruppiert haben, deutlich vernehmbar zu mir herüber schwappen. Bisher haben sie nur getuschelt und so getan, als wäre ich gar nicht da, aber offenbar wird diese Übung langsam zu anstrengend. Grimmig schmunzle ich vor mich hin. Bis jetzt läuft es wirklich gut.

„Naja, Klaus wohnt hier. Ich kann ihn ja schlecht ins Bett schicken wie einen kleinen Bub, oder?“, nimmt Yvette mich verhalten in Schutz. Was soll sie auch machen. Ich wohne tatsächlich hier und das Wohnzimmer ist der einzige Platz, wo ich bequem sitzen kann.

„Dann schick es doch in die Kneipe. Da fühlt es sich sowieso pudelwohl.“ Gabis Stimme trieft vor zynischer Verachtung.

Ich rülpse noch einmal vernehmlich, dann wende ich mich langsam den Frauen zu. „Ihr könnt froh sein, dass es den Fernseher nicht einschaltet.“, brumme ich.

„Um was zu gucken? Dieses bekloppte Spiel, wo ein Haufen Deppen hinter einem Ball herschnaufen?“, gackert Vera.

„Man nennt das ganze Fußball und es ist ein wichtiges gesamteuropäisches Kulturgut.“, doziere ich herablassend. „Hätte jeder einen Ball, wäre es rhythmische Sportgymnastik und damit fast so spannend wie Ballett. Und das würde ja niemand auf lange Zeit nervlich durchstehen.“

Uschi, die sich selbst jahrelang vor Spiegel und Holzstange verbogen hat, fühlt sich, wie von mir erwartet, in ihrer Sportlerehre gekränkt. „Ballett ist ein anstrengender Sport. Ich möchte mal einen deiner Fußballer eine halbe Stunde im Ballettsaal sehen.“

„Um was zu machen?“, schneide ich ihr das Wort ab. „Die Gegner in weißen Strumpfhosen austänzeln?“

Yvette schaut nervös zwischen uns hin und her. Ich freue mich schon auf ein heftiges Wortgefecht, aber die Türglocke grätscht mir dazwischen. Die Gesichtszüge meiner Frau entspannen sich merklich, da sie endlich eine sinnvolle Verwendung für mich gefunden hat.

„Kannst du mal hingehen, Klausi?“, fragt sie mich mit einem liebevoll geschwungenen Schmollmund und einem Augenaufschlag, der mich immer wieder Dinge tun lässt, die ich gerade noch kategorisch abgelehnt hätte.

Bewusst schwerfällig hieve ich mich hoch und schlendere in den Flur. Zum zweiten Mal an diesem Abend rufe ich durch die Gegensprechanlage. Es ist Peter. Ich stutze kurz, schließlich haben wir uns erst vorgestern getroffen. Dann zucke ich innerlich mit den Schultern und lasse den Summer ertönen.

Während ich im Flur auf Peter warte, erhöht sich die Lautstärke des Gesprächs im Wohnzimmer Stück für Stück. Bald kann keine Rede mehr davon sein, dass ich heimlich lauschen würde. Selbst die beinahe taube Frau Wichert aus dem Pflegeheim könnte das meiste noch gut verstehen, vor allem das Gelächter. Zwischendurch schnappe ich auch Worte auf, die mir weniger gut gefallen. Sie scheinen sich mal wieder auf mich eingeschossen zu haben. Ich fange die Worte „Verlierer" und „Nullnummer" auf. Dann höre ich Yvettes Stimme. „Ich weiß. Manchmal wünsche ich mir auf, er hätte mehr Mumm." Zustimmendes Gemurmel. „So wie Hardin Scott," einfühlsames kollektives Seufzen unterbricht sie kurz, „oder Travis Maddox," diesmal drapiert entzücktes Raunen die Namensnennung, „oder Parker Brooks." Yvettes fast schon lüstern anmutender Ausruf wird von beinahe wollüstigem Stöhnen begleitet.

Zum Glück ist Peter endlich oben. Er schiebt sich zur Tür herein und wirft einen Blick ins Wohnzimmer. „N'Abend, die Damen.“, dröhnt er in ohrenbetäubender Lautstärke. Die Frauen nuscheln mehr oder weniger deutlich eine Antwort. Ich bin mir nicht sicher, ob alle so wohlwollend ausgefallen sind, wie ihre Gesichter andeuten, aber Peter geht auf mögliche Schmähungen nicht weiter ein. „Ich sehe schon. Alle aufgehübscht und fein zurechtgemacht. So lob ich mir das.“

Christine fällt auf seine zotige Anmache herein, bevor Gabi, die immer alles sofort durchschaut, ihr einen warnenden Blick zuwerfen kann. Geschmeichelt spielt sie an einer ihrer Locken herum. „Für euch Männer scheuen wir eben keine Mühen.“

Peter grinst sie freudestrahlend an. „Irrtum meine Liebe. Du erliegst gerade einem der größten Mythen der zivilisierten Welt.“, belehrt sie der Großstadtphilosoph, den er so gern heraushängen lässt. „Das“, dabei deutet er halb erklärend, halb anklagend auf die Gesichter der fünf Frauen, „macht ihr doch nicht für uns. Männern ist es völlig schnuppe, was ihr euch ins Gesicht schmiert. Die meisten kriegen es noch nicht einmal mit - und wenn, dann finden sie ziemlich häufig, dass dieses künstliche Ergebnis wesentlich schlechter aussieht als die natürlichen Gegebenheiten. Zu behaupten, Ihr würdet das für uns machen, wäre etwa so, wie wenn wir erzählten, wir würden samstags für Euch Fußball gucken.“ Mit einer kleinen Kunstpause lässt er seine Worte sacken. „Das!“, wieder deutet er auf die ihm zugewandten Gesichter und seine Stimme wird eine Spur anklagender, „macht ihr nur für andere Frauen. Ein verzweifelter Wettkampf darum, wer am besten mit den teuersten und seltensten Püderchen, Pülverchen, Cremes und Pinselchen zurechtkommt und sie am kreativsten auf dem eigenen Gesicht wirbeln lassen kann. Macht euch nichts vor. Das ganze Geschminke ist von Frauen für Frauen.“

Aus dieser Perspektive habe ich es noch nie betrachtet. Nicht zum ersten Mal wundere ich mich, in welche Tiefen der menschlichen Psyche Peters Gedanken mitunter vordringen. Und im Grunde müsste ich jetzt zugeben, dass seine Erklärungen äußerst plausibel klingen. Tue ich aber natürlich nicht, schon um des häuslichen Friedens willen.

Ich schaue über Peters Schultern und kann förmlich sehen, wie Yvettes Freundinnen versuchen, ihre Gedanken zu ordnen. Bevor sie zu einer geistreichen Erwiderung ansetzen können, hebt Peter ergeben die Hände: „Nichts für ungut, aber die Wahrheit muss gesagt werden.“, bescheidet er mit einer Endgültigkeit, die keinen Raum für Widerworte lässt. Dann dreht er sich zu mir um, fasst mich am Arm und schiebt mich zur Wohnungstür. „Los, nichts wie weg hier. Das hält ja keiner aus.“, raunt er mir zu.

Ich streife mir schnell Jacke und Schuhe über. Eigentlich bin ich mir keiner Schuld bewusst und verstehe nicht richtig, warum wir jetzt plötzlich das Feld räumen müssen. Irgendwie komme ich mir wie ferngesteuert vor. Peter zwingt mich, aus meiner Wohnung zu fliehen und damit erfülle ich gleich noch Gabis innigsten Wunsch. Warum kann ich nicht einfach in meinem Sessel sitzen und den Abend in Ruhe ausklingen lassen? Ich müsste nur mal was sagen. Wie aus weiter Ferne dringen weibliche Stimmen an mein Ohr. Ich höre Dinge, wie: „Ich habe schon immer gesagt, dass dieser Peter einen schlechten Einfluss auf Klaus hat.“, „Du hättest wirklich etwas besseres verdient.“ und „Dafür hast du damals Harald König abserviert. Ich habe gehört, dass der jetzt superreich sein soll.“, lauter Dinge also, die ich gar nicht hören will. Und schon finde ich mich von Peter an die Wohnungstür geschoben. Ich rufe ein kurzes „Tschüss“ und werfe Yvette, die mit traurigen Augen im Flur steht, einen entschuldigenden Blick zu, während Peter ein schleimiges „Einen wunderschönen Abend noch, die Damen.“, vom Stapel lässt. Dann knallt die Tür hinter uns ins Schloss und wir hopsen wie zwei Schuljungen, die etwas ausgefressen haben und nun vor der Strafpredigt der Eltern flüchten, die Treppe hinunter.

Wir sind schon wieder im Shamrock gelandet. Steve grinst uns an, ohne etwas zu sagen. Nur seine Blicke scheinen sich über uns lustig zu machen - zwei Männer in der Midlife-Crisis, die nichts Besseres mit sich anzufangen wissen, als sich jeden Abend in seiner Kneipe volllaufen zu lassen und sich gegenseitig von der Schlechtigkeit der Welt vorzujammern. Und so ganz Unrecht hat er ja nicht, muss ich mir eingestehen.

„Also, ich wollte dir was erzählen.“, fängt Peter an, nachdem wir eine ganze Weile nur stumm nebeneinandergesessen und vor uns hingeglotzt haben.

„Ist es was Deprimierendes?“, frage ich ihn, und verleihe damit meinen düsteren Gedanken einen verbalen Ausdruck.

„Naja, kommt drauf an.“

„Worauf?“, frage ich nur halb interessiert.

„Wie man's sieht. Ich hab mich verliebt.“, gesteht Peter freimütig.

Ich lasse das Bierglas, das ich gerade zum Mund führen wollte, andächtig sinken und starre ihn mit hängendem Kiefer an. Peter? Verliebt?

„Ja, jetzt guck nicht so.“, knurrt er. „Sie ist eine ganz tolle Frau. Tina. Arbeitet in einem Reisebüro. Mitte zwanzig. Tolle Augen. Klasse Figur. Intelligent.“ Er nickt versonnen vor sich hin. „Oh, ja. Intelligent.“

Ich habe meine erste Verwirrung überwunden. „Wo hast du sie kennengelernt?“

„Auf einer Party, vor zwei Wochen.“, sagt er mit verträumtem Blick. „Wir haben uns ewig lange unterhalten. Aber da hab ich mir noch nichts weiter gedacht. Gestern habe ich sie dann wiedergesehen und da hat es mich wie der Blitz getroffen.“

„Wo hast du sie denn gesehen?“, frage ich neugierig nach.

„Vor so einem Fitnessclub in der Innenstadt. Der mit den Boxsäcken im Schaufenster, du weißt schon. Vera hat sich vor Kurzem mal köstlich darüber amüsiert, wie einer dort einen Boxsack an die Birne gekriegt hat und umgekippt ist, als sie gerade vorbeigegangen ist.“

Ich kann mich dunkel an ihren Bericht erinnern, bin aber viel gespannter auf Peters Lovestory. „Ja, und dann? Was habt ihr geredet?“

„Geredet?“ Peters Blick klärt sich auf und ein betrübter Schimmer tritt in seine Augen. „Nichts.“, sagt er achselzuckend. „Da kam so ein großer Typ mit Boxhandschuhen um die Schultern heraus. Jung. Gutaussehend. Sportlich. Naja, und der hat sie in den Arm genommen und die beiden sind abgezogen.“

„Oha.“ Ich weiß nicht genau, was ich sagen soll. Es wäre jetzt einfach, darauf hinzuweisen, dass eine Frau Mitte zwanzig vielleicht doch etwas zu jung ist für Peter, aber ob ihn das irgendwie aufmuntern würde, wage ich zu bezweifeln. „Das muss hart gewesen sein.“ Mehr fällt mir nicht ein.

„Ach weißt du. Eigentlich war es ganz gut. Ich meine, sie ist Mitte zwanzig. Was kann sie mir schon bieten? Und ich ihr? Aber irgendwie war es doch ganz schön, wieder mal verliebt zu sein.“ Er kichert versonnen vor sich hin.

Ich begreife noch nicht so recht, was in Peter vor sich geht, aber eine leichte Ahnung habe ich doch. Und ich bin froh, dass ihn die Trübsal für ein paar Tage verlassen zu haben scheint. Was so ein bisschen Verliebtsein, gerade wenn es nicht erwidert wird, doch alles mit einem Menschen machen kann.

Plötzlich fallen mir die Dinge ein, die ich im Flur gehört hatte, als ich auf Peter gewartet habe. "Sag mal, kennst du einen Parker Brooks?", frage ich völlig unvermittelt.

Peter schaut mich aus großen Augen an. „Nee, wieso? Was ist mit dem?"

Ich zucke mit den Schultern. „Ach, keine Ahnung.", wiegle ich ab. Ich hebe mein Glas und proste Peter zu. „Auf die Liebe!“, rufe ich, und denke dabei mindestens genauso sehr an mein eigenes Leben, wie ich an Peter denke.

„Auf die Liebe!“ Peter nickt mir lächelnd zu und wir leeren unsere Gläser in einem Zug. Steve kommt zu uns herüber und nickt uns anerkennend zu. „Noch einen für die Liebe?“

Wir nicken und grinsen ihn schelmisch an wie zwei grüne Schulbuben. Und vielleicht sind wir das ja auch in diesem Augenblick. Warum kann das Leben nicht immer so einfach sein?

Oh Du Fröhliche

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