Читать книгу Das Insolvenzgeld als Mittel zur Fortführung und Sanierung von Unternehmen - Nick Marquardt - Страница 7
II. Der „kleinste gemeinsame Nenner“
ОглавлениеMan fängt also bei einem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ an, nämlich einer Situation, mit der jeder Leser etwas Konkretes verbindet. Denn erfahrungsgemäß hatte jeder (bzw. Freunde und Bekannte) schon mal Berührung mit dem Insolvenzgeld, zumindest aber mit vergleichbaren Sozialleistungen (sei es Arbeitslosengeld I oder II, BAföG o.ä.). Die meisten Menschen arbeiten als Angestellte. Manche können sogar ihr ganzes Leben bei einem Unternehmen verbringen. Das ist erfreulich. Doch nicht immer funktioniert das Arbeitsleben so reibungslos. Arbeitgeber sind genau wie Arbeitnehmer fehlbar. Man kann betriebswirtschaftlich „alles richtig“ machen, aber sein Unternehmen dennoch erfolgreich an die Wand fahren. Die jüngsten Ereignisse um die Corona-Pandemie bestätigen diese Analyse eindrucksvoll. Wer zu Beginn der Krise gedacht hätte, dass es ganze Branchen vernichten wird, der wäre nur müde belächelt worden. Die Realität interessiert sich nicht für die Erfolge vergangener Tage. Insolvenzverfahren sind in einer sozialen Marktwirtschaft unvermeidbar. Das mag banal klingen, ist aber in Wahrheit eher ein Aufruf zu ökonomischer und intellektueller Bescheidenheit.
Den Arbeitnehmern drohen in der Krise meist Arbeitslosigkeit und sozialer Abstieg. An diesem Punkt in der Erwerbsbiografie angekommen, werden die Arbeitnehmer zwangsläufig das erste Mal mit dem Insolvenzgeld konfrontiert. Ohne allzu viel vorweg nehmen zu wollen, handelt es sich (noch völlig unjuristisch beschrieben) um eine von anderen Unternehmen vorfinanzierte Geldleistung des Staates an Arbeitnehmer insolventer Unternehmen, die dem Arbeitslosengeld ähnelt. Darunter kann man sich auch ohne juristische Spezialkenntnisse etwas vorstellen. Das Insolvenzgeld hat aber noch wesentlich mehr Funktionen und Effekte. Es ist für die Mehrheit der Insolvenzverwalter die „Mutter“ der erfolgreichen Sanierung. Geschäftsfortführung, Insolvenzplan, „übertragende Sanierung“, alle Sanierungsinstrumente des modernen Insolvenzrechts sind letztlich ohne Insolvenzgeld und Vorfinanzierung undenkbar. Die Einführung des Insolvenzgelds durch den Gesetzgeber hat seinerzeit die „Rettung“ eines Unternehmens gleichwertig neben dessen Zerschlagung und Verwertung treten lassen.5 Doch wie nutzt man das Insolvenzgeld zur Sanierung? Welche Probleme können dabei auftauchen? Wie „sanierungsfreundlich“ ist das Insolvenzgeld? Werden die Arbeitnehmer ausreichend durch das Insolvenzgeld geschützt? Diesen und weiteren Fragen will ich nachgehen, nachdem ich eine weitere Kernfrage beantwortet habe: Braucht es überhaupt eine Auseinandersetzung mit dem Insolvenzgeld?
5 Dazu schon Grub, ZIP 1993, 393, (397).