Читать книгу Youtasia - Nicola Strekow - Страница 5
~ Kapitel 2 Am Rande der Menschheit ~
ОглавлениеNach Jahrzehnten des Krieges und unzähliger Naturkatastrophen liegt die Welt in Trümmern. Die Menschheit ist nahezu ausgerottet. Es gibt kaum noch freie Lebewesen. Das Böse hat die Oberhand gewonnen. Fast die ganze Welt ist verseucht, überall brennt sich der Gestank von Schwefel und Ammoniak in die Nase, Vulkane sind wieder aktiv und einige Kontinente sind radioaktiv verseucht. Dämonen, wie sie genannt werden, patrouillieren in den Landstrichen, die noch bewohnbar sind und das ist nur ein kleiner Teil der Erde: Youtasia.
Das Land liegt in dem Teil der Erde, den sie einst „Afrika“ nannten. Vor der Katastrophe war „Kap der Guten Hoffnung“ die Bezeichnung eines Teils dieses großen Landstrichs. Das klingt nun voller Ironie. Hier leben noch Menschen in weit verstreuten Clans. Die furchtbaren Ereignisse der letzten Jahrzehnte haben fast alle Städte und fruchtbaren Ländereien auf der Erde vernichtet. Die Welt, wie sie einmal war, gibt es nicht mehr. Fast ausschließlich Elend und Leid zeichnen den Alltag der Überlebenden in Youtasia. Es bleibt ihnen nur Eines, was beständig ist, nur Eines, an dem sie sich festhalten können, für das es sich lohnt, zu überleben; sich jeden Tag aufs Neue aufzuraffen und für einen neuen Morgen zu kämpfen: Ihr Glaube. Ihr Glaube daran, dass höhere Wesen ihren Kampf gegen das Böse schlagen werden. Der Glaube daran, dass sie eines Tages befreit werden würden.
Die Menschheit fand nach dem Aufstieg der Hölle zu alten Lehren zurück. Mystik, Magie und Spiritismus wurden seitdem wieder in großem Maße von den Menschen praktiziert. Wie einst Hexen und Druiden lernten die Menschen wieder die Geisterwelt zu beschwören oder mittels Zauber und Kräutern Schmerzen zu lindern. Die Kräuterkunde lebte wieder auf. Die Menschen praktizierten diese Art von Magie in der Hoffnung, etwas Neues, etwas Gutes zu erschaffen, etwas, das sie alle retten würde. So beschworen sie auch die Seelen der Verstorbenen, um zu wissen, dass sie nicht allein sind. Für die Menschen bedeutete dies Halt in einer grausamen Realität, immer auf der Suche nach einem Wunder. Die Jahrzehnte zogen ins Land und die Menschen lebten teilweise mit den zurückbeschworenen Seelen der Verstorbenen zusammen, doch die erhofften Wunder blieben aus. Stattdessen bildete sich eine Gesellschaft, die neues Unheil über sie brachte: Die Kluft zwischen arm und reich wurde immer größer. Die Reichen lebten auch nur noch in der einzigen Stadt Youtasias namens Youtana, eine vor Jahrzehnten hastig errichtete Stadt in der Gegend, wo eine große Stadt namens Johannesburg stand. In Youtana konnten die Wohlhabenden hinter den Stadtmauern ihren Reichtum vor den Armen und den Dämonen beschützen und mehren. Die Gesellschaft entwickelte schließlich eine neue Art von Sklaverei, die nicht nur arme Menschen versklavte, sondern auch die geplagten Seelen, die für die Reichen in der Stadt arbeiten mussten. Dafür wurden sie von einer Armee beschützt.
Das Gebiet im Norden von Youtasia, an der Grenze zur unbewohnbaren Welt, ist das Traurigste der ganzen bewohnbaren Region. Die Landschaft ist quasi tot, Wüste, kaum mehr als Sand und Stein. Vereinzelt gibt es ein wenig verdorrte Vegetation und einen Wald, der alles Andere als grün ist. Das Wasser in den Flüssen der Umgebung ist verseucht und gefährlich. In genau dieser Gegend leben die Granker.
Die Granker wohnen vorwiegend Höhlen, denn dort sind sie vor den Dämonen am sichersten. Aber sie wissen, wenn sie sich zeigen - besonders nachts - besteht die Gefahr, von Dämonen entdeckt und getötet zu werden. Die Granker sind sehr arme Wesen, verwahrloste, verkümmerte Menschen, teilweise missgebildet oder mutiert und kaum in der Lage, mehr zu sein, als ein lebendes Individuum. Sie ernähren sich von Kräutern, Algen, den Überresten verstorbener Lebewesen, manchmal sogar von Überresten eigener Artgenossen. In diesem ärmsten und wüstesten aller Gebiete treffen wir Branko.
„Ich geh da jetzt raus und schlitze ihnen die Kehlen auf!“
Aufgebracht tigert Branko in der Höhle auf und ab. Diese steinernen Mauern erdrücken ihn, die Dunkelheit raubt ihm den letzten Nerv. Die abgestandene Luft in der Höhle kann er kaum mehr ertragen.
In seiner unruhigen Bewegung wird er plötzlich von John - dem Oberhaupt des Clans - am Arm gepackt. Er dreht ihn rüde zu sich herum. Trotz seines fortgeschrittenen Alters und seiner abgemagerten Gestalt hat er einen erstaunlich festen Griff.
„Beruhig‘ dich, Branko!“, beschwichtigt John den jungen Mann. „Du weißt doch gar nicht, wie man die umbringt. Niemand weiß das!“
Wütend reißt Branko sich aus dem Griff los, geht einige Schritte, bleibt erneut stehen und fährt sich mit der Hand durch das zerzauste braunschwarze Haar.
„Und? Was erwartest du nun von mir? Mir reicht es hier unten, ich fühle mich, als ob mein Körper erstickt. Kein Licht, keine frische Luft und nichts als diese verfaulten ekelhaften Algen an den Wänden! Wir haben seit Tagen weder richtig gegessen noch getrunken!“
Branko kneift die Augen zusammen und blinzelt sehnsüchtig zum schwachen Schein des Höhleneingangs hinauf. Seine dichten Augenbrauen bilden fast eine durchgezogene Linie.
„Ich muss mal wieder raus“, beschließt er. „Auch, wenn das gefährlich ist. Wir haben alle kaum noch die Kraft zu atmen! Wir werden hier alle sterben, wenn wir nichts zu Essen finden! Sieh dich doch selbst mal an! Du bist auch nur noch Haut und Knochen. Du kannst dich kaum mehr auf den Beinen halten, wie die meisten von uns! Ich geh jetzt da raus!“
Entschlossen läuft Branko die in Stein gehauenen Stufen zum Höhleneingang hinauf, bevor John ihn aufhalten kann. Sein Körper hat eigentlich kaum noch die Kraft, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Immer wieder rutscht er von den scharfen, glatten Kanten der Steinstufen ab. Nur mühselig und schnaufend gelingt es ihm, diese Hürde zu meistern. Oben angekommen lehnt er sich erschöpft an die Höhlenwand, schließt die Augen und atmet tief durch, während sich etwas Blut aus den Wunden seiner aufgeschnittenen Füße in kleinen Rinnsalen seinen Weg durch den Sand bahnt. Diese Luft! Es riecht nach Sand, Schwefel und verdorrten Pflanzen. Aber wenigstens keine trockene, staubige Höhlenluft mehr. Die Sonne scheint unerbittlich heiß, wie immer in dieser Gegend. Kein Vergleich zu der Kühle der schützenden Höhle.
Als er die Augen wieder öffnet, braucht er einige Sekunden, um sich an die ungewohnte Helligkeit zu gewöhnen. Geblendet und angestrengt blinzelt Branko in den Himmel und versucht, seine Glieder wieder unter Kontrolle zu bringen. Er streckt sich und schüttelt seine Arme und Beine, dann lehnt er sich an die Felswand. Als sich seine Augen, Lungen und Knochen nach und nach an die Umstände gewöhnt haben, stößt er sich entschlossen von der steinigen Felswand ab und taumelt los. Er weiß nicht, wohin er laufen soll, doch er muss einfach weg von diesem jämmerlichen Unterschlupf. Nach einigen hundert Metern steht er auf einem Hügel und lässt seinen Blick über die traurige Landschaft wandern, die sich hinter den vielen Felsen vor seinen Augen entlarvt. Er sieht fast nur Sand und Fels. Ein paar verdorrte Pflänzchen und vertrocknetes Buschwerk sehen aus wie kleine Sprenkel in der Landschaft. Er sieht die Trümmer. Trümmer zerstörter Häuser, die unter dem vom Wind verwehten Sand langsam begraben werden; Trümmer verlorener Schlachten und zugeschüttete Brunnen. Wenn er Glück hat, verirren sich Wüstenfüchse oder Ratten in die Gegend, die ebenfalls auf der Suche nach Nahrung sind. Die könnte man wenigstens erschlagen und essen. Etwas Proteine würden ihm guttun.
Mühsam zieht Branko seine Runden in der Gegend und konzentriert sich dabei auf seine Umgebung. Er muss nicht nur endlich etwas Essbares auftreiben, sondern sich auch vor den patrouillierenden Dämonen in Acht nehmen. Zu oft schon hatte ein Granker einen unbedachten Schritt zu viel getan und war einem der ekligen Wesen in die Arme gerannt. Was mit ihnen geschah, wusste hier Niemand. Sie kehrten einfach nie wieder zurück.
Seit sechs Tagen habe ich nichts gegessen und kaum was getrunken. Ich kann kaum mehr als taumeln, kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Die Sonne ist so heiß! Ich kann meinen Augen nicht mehr trauen … Doch ich muss achtsam bleiben!, denkt Branko.
Während er mit seinem Bewusstsein und seinem Schicksal ringt, mischt sich eine weitere Stimme in seine Gedanken. Zunächst versteht er die zischenden Laute nicht, glaubt aber, es handele sich um ein lästiges Fiepen in seinen Ohren aufgrund seiner Aufregung. Doch die Stimme wird langsam immer lauter und klarer. Plötzlich versteht er die Worte, die sie flüstert:
„Branko … Branko!“
Er bleibt erschrocken stehen. Hatte ihn etwa jemand gerufen? Er schließt die Augen, schüttelt den Kopf. Wer wäre denn außer ihm verrückt genug den Unterschlupf zu verlassen?
Die Hitze steigt mir wohl allmählich zu Kopf, denkt er.
Gerade, als er weitergehen will, hört er erneut jemanden seinen Namen rufen. Es scheint eine weibliche Stimme zu sein.
„Was? Wo …?“, kommt es schneller aus seinem Mund als ihm lieb ist.
Panisch reißt Branko den Kopf nach rechts, schaut sich um, doch nirgendwo ist jemand zu sehen. Er dreht sich einmal um die eigene Achse - nichts.
„Komm zu mir …“, zischt die weibliche Stimme leise.
Die Stimme ist nun ganz deutlich zu hören. Branko spürt, wie ihm das Mark in den Knochen gefriert. Diese unbestreitbare Vertrautheit in der Stimme - sie kommt ihm unglaublich bekannt vor …
„Wer … wer ist da? Und … und wo bist du?“, fragt er in den Wind.
Branko bemüht sich, seine Stimme fest klingen zu lassen, denn er weiß, wer Angst zeigt, der hat in dieser Welt schon verloren. Dennoch kann er nicht verhindern, dass seine Hände zittern. Er ballt sie zu Fäusten zusammen. Seine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Tapfer hält er die Stellung, lauscht der weiblichen Stimme in seinem Kopf, die ihm so seltsam vertraut vorkommt. Das plötzliche Knacken eines Astes lässt ihm das Herz in die Hose sinken, erschrocken dreht er sich um. Eine zierliche Gestalt springt plötzlich aus dem Gestrüpp.
„Ha!“
„Oh, Mann, Keeth!“
Es klingt wie ein Stoßgebet von Branko. Am liebsten hätte er vor Erleichterung gelacht oder geweint oder ihn zusammengeschrien. Er will ihn fragen, was er sich dabei denkt, sich einfach so anzuschleichen. Aber Branko hat keine Kraft dazu. Noch während der Junge namens Keeth sich einige kleine Äste von seiner Kleidung wischt und aus seinem Irokesenschnitt sammelt, nähert er sich Branko auf nackten Füßen. Schuhe besitzt hier schon seit Ewigkeiten Niemand mehr. Keeth betrachtet noch argwöhnisch einen langen Schnitt auf seinem linken Oberarm, aus dem ebenfalls ein dünnes Blutrinnsal austritt. Dann scheint er zu befinden, dass es sich hierbei nicht um eine tödliche Verletzung handelt und blickt Branko mit einer Mischung aus Verwunderung und Besorgnis an.
„Mit wem zum Teufel redest du?“
„Aber, äh, das warst gar nicht-“ Noch während Branko versucht, seiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen, unterbricht ihn erneut diese Stimme …
„Branko! Ich brauche deine Hilfe!“, drängt sie ihn leise flüsternd.
Branko blickt sich erneut um, nach links und nach rechts, als es ihn wieder durchfährt. Er hat das Gefühl, dass ihn etwas hinabzieht. Ein Strom von Erinnerungen schlägt plötzlich auf ihn ein und ihm ist, als ob sein Herz herausgerissen werden würde. Mit einem Mal erkennt er diese Stimme, auch wenn es schier unmöglich erscheint. Das kann nicht real sein!
„Jaden?! Jaden bist du es?“, stammelt er und sucht ängstlich den Boden und den Himmel nach einer zu der Stimme gehörenden Gestalt ab. Doch er sieht niemanden. Er sieht nur Keeth, der ihn anschaut, als hätte ihn ein Dämon oder ein Geist befallen.
„Ey, Alter, alles okay bei dir? Ganz normal bist du ja nie, aber jetzt auch noch Halluzinationen?!“, stichelt sein Freund teils amüsiert, teils besorgt.
„Ja, ich bin es“, wispert wieder diese Stimme. „Komm’ zu unserem alten Versteck!”
Brankos offensichtliche Verwirrtheit lässt Keeth langsam nervös werden. Vorsichtig wedelt Keeth mit seiner linken Hand vor dem Gesicht des Freundes rum, der ihn gar nicht mehr wahrzunehmen scheint. Er wirkt beinahe apathisch. Langsam ernsthaft verunsichert versucht Keeth auf ihn einzureden:
„Mit wem zum Teufel redest du da? Hier ist doch niemand außer mir!“
Nach wie vor reagiert Branko nicht im Ansatz auf ihn. Er scheint völlig in einer eigenen Welt gefangen zu sein, als wenn er plötzlich ein Autist geworden sei.
Jaden ist wieder da!, durchfährt es Branko.
Seinen Freund Keeth ignoriert er völlig. Dass er die Stimme nicht zu hören scheint, kommt Branko gar nicht in den Sinn.
Ohne weiter darüber nachzudenken, rennt Branko los. Wie von Dämonen gejagt, sprintet er mit letzter Kraft in Richtung des nahegelegenen Flusses. Das reißende Wasser ist schon von weitem zu riechen, die Flüssigkeit ist gelb-braun und alles Andere als klar. Der Fluss wird über einen Wasserfall aus zehn oder 15 Meter Höhe gespeist. Branko interessiert das alles nicht, er nimmt das verschmutzte Wasser kaum wahr. Japsend sinkt er am Rand einer kleinen Bucht auf die Knie und lässt sich ins schmutzige Wasser rollen, ohne zu bedenken, dass er seit Jahren nicht mehr richtig geschwommen ist - schon gar nicht in diesem reißenden Gewässer.
Keeth, der Branko teils aus Sorge, teils aus Neugierde gefolgt ist, sieht, wie Branko sich ins gelbgefärbte Wasser stürzt.
Oh, mein Gott. Er will sich umbringen!, schießt es ihm durch den Kopf. Todesmutig springt Keeth hinter seinem Freund her. Er versucht, ihn aus dem Wasser zurück wieder ans Ufer zu ziehen.
„Was tust du denn da? Komm da raus!“, fleht Keeth ihn an und versucht, den Freund zu packen, doch dieser wehrt sich verbissen.
„Lass mich, verdammt! Ich muss zum Wasserfall! Lass mich los! Du musst sie doch auch gehört haben!“
Wie vom Wahn getrieben und ohne auf eine Antwort zu warten, beginnt Branko, sich mit Armen und Beinen fortzubewegen und zum Wasserfall zu schwimmen. Seine Bewegungen sind wild und unkontrolliert und kosten ihn zu viel Energie, doch kann er sich knapp über dem Wasserspiegel halten und gegen die Strömung schwimmen. Gerade, als er die Hälfte der Strecke überwunden hat, verlassen ihn seine geringen Kräfte endgültig. Es reicht nicht mehr, um voran zu kommen, es reicht nicht einmal mehr dafür, dass er sich über Wasser halten kann, die Strömung ist einfach zu stark.
Oh nein, ich schaffe es nicht mehr …, sind Brankos letzte Gedanken, bevor er merkt, wie seine Arme und Beine ihm den Dienst verweigern.
Er spürt, wie der Sog der Wasserströmung immer stärker wird und die Wellen immer heftiger auf ihn niederschlagen. Kraftlos ergibt er sich seinem Schicksal und bemerkt noch benommen, wie die Wellen ihn in die Tiefe reißen und das Wasser ihn unter sich begräbt – fort vom Wasserfall. Er verliert das Bewusstsein und sinkt nunmehr ungehindert wie ein Stein tiefer ins Wasser. Doch noch bevor Branko auf den Grund des Gewässers gelangt, zieht eine Hand ihn wieder an seinem T-Shirt herauf. Mit letzter Kraft klemmt sich Keeth seinen Freund unter den Arm und paddelt schnaufend und prustend voran. Das stinkende gelb-braune Wasser ist überall um ihn herum - zu viel davon, zu kraftvoll. Es raubt ihm die Orientierung und es brennt in seinen Augen.
„Komm schon, Mann, mach’ dich nicht so schwer …“, fleht er den bewusstlosen Branko an.
Auch in seinen Lungen brennt das Wasser, seine Augen sind mittlerweile rot und neblig getrübt von der gelblichen und morastigen Flüssigkeit.
Ich will gar nicht wissen, wie viele arme Kerle grade unter uns treiben, die Keinen hatten, der sie gerettet hat …, denkt Keeth zynisch, als es ihn plötzlich erwischt. Eine gewaltige Welle kracht tosend auf die beiden jungen Männer nieder, eine Kraft, die sie in unendliche Tiefen zu reißen droht. In Todesangst reißt Keeth reflexartig seinen freien linken Arm hoch - und ertastet etwas Festes! Seine Finger krallen sich verzweifelt an das unbekannte, anscheinend steinerne, Objekt. Sein Körper drückt sich seinem linken Arm entgegen - und mit einem Mal liegen sie beide auf einem felsigen Boden.
Wir haben's geschafft!, möchte Keeth voller Euphorie schreien. Doch stattdessen kommt nur ein Husten und Röcheln aus seiner Kehle. Gierig saugt er die Luft in seine brennenden Lungen, um im nächsten Moment das verschluckte schweflige Wasser wieder herauszuwürgen. Als er sich von seinem Hustenanfall wieder erholt hat, realisiert er erstmals, wo sie sich befinden.
Die Höhle hinter dem Wasserfall …, denkt er analysierend. Erschöpft rollt er sich auf den Rücken und mustert die Höhle.
„Hey, Branko!“, ruft Keeth seinem Freund entgegen, als er seiner Umgebung gewahr wird. Entsetzt bleibt sein Blick an dem wie tot neben ihm liegenden Branko hängen. Sofort setzt Keeth sich auf, um ihn abzutasten.
Branko atmet kaum noch, sein Puls ist kaum mehr spürbar. Wenn ich jetzt nichts unternehme, wird Branko sterben, denkt Keeth panisch. Er blickt um sich. Doch natürlich ist Niemand bei ihm, der ihm helfen könnte.
Das kann doch jetzt nicht alles umsonst gewesen sein! Irgendwas muss ich doch …, denkt er.
Mit einem Mal trifft ihn die Erleuchtung:
Moment! Da war doch mal was. Ich muss versuchen, das Wasser aus seinen Lungen zu drücken. Er braucht Luft!
Keeth atmet tief ein, ignoriert das Brennen in den eigenen gequälten Lungen und überwindet seinen Ekel. Er versucht, dem bewusstlosen Branko neues Leben einzuhauchen, während er ihm unbeholfen und alles Andere als zartfühlend auf die Brust einhämmert. Er hofft dabei, dass das Knacken unter seinen Handflächen etwas Gutes bedeutet. Nach einigen Momenten, aber für Keeth innerhalb einer gefühlten Ewigkeit, schreit Branko gequält auf und spuckt seinem Freund das verschluckte verdreckte Wasser ins Gesicht.
„Bah, ist das widerlich!“, ruft Keeth.
Angeekelt springt er nach hinten zurück und reibt sich mit dem Handrücken die undefinierbare Flüssigkeit aus dem Gesicht, während Branko sich hustend auf die rechte Seite rollt.
„Für mich war das auch nicht schön!“, presst Branko gequält aus seiner Kehle hervor.
Keeth schaut sich bedächtig in der Dunkelheit der Höhle um. Das endlose Rauschen des Wassers dröhnt in seinen Ohren. Die Strahlen der untergehenden Sonne brechen rot-golden durch den tosenden Wasserfall hindurch. Während Brankos Körper noch immer zittert und Wasser hervor zu würgen versucht, kehrt seine Erinnerung an die vergangenen Minuten langsam zurück.
„W-wo sind wir?“, bringt er zwischen Husten und Würgen hervor. Keeth kratzt sich nachdenklich am Kopf, wägt aber seine Antwort sorgfältig ab.
„Hinter dem Wasserfall, in einer …“ Keeth räuspert sich unsicher. Sollte er es Branko wirklich sagen? „In der Höhle … Ich weiß, du wolltest hier eigentlich nie wieder hin …“
In einer entschuldigenden Geste hebt Keeth die Arme.
„Es tut mir so leid! Ich wusste, es ist falsch, dich hierher zu bringen. Aber es gab keine andere Möglichkeit! Die Wellen, sie haben-“
„Es sieht genau aus wie damals“, unterbricht ihn Branko halb flüsternd. Es klingt, als wenn er schon wieder nicht mit dem Freund redet; als führe er ein Gespräch mit sich selbst. Langsam erhebt Branko sich von dem kalten Felsboden, tastet sich vorsichtig in der an eine Dämmerung erinnernde Dunkelheit voran.
„Als wir das letzte Mal hier waren … Als ob die Zeit nicht vergangen ist, seitdem …“
Wie in Trance nähert sich Branko einem unsichtbaren Ziel. Das tosende Geräusch des Wasserfalls wird mit jedem seiner Schritte leiser, bis nur noch das schwere Atmen der beiden jungen Männer und das Platschen herunterfallender Tropfen von den Höhlenwänden zu hören ist. Branko ist am Rand eines Abgrunds angekommen.
„Genau dort ist sie nur einen Schritt zu weit gegangen“, sagt er.
Oh nein. Es war ein Fehler ihn herzubringen. Gleich dreht er durch, durchfährt es Keeth erschrocken.