Читать книгу Hass mich nicht - Nicole Beisel - Страница 12

Rachel

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Zwischen Liebe und Angst

„Danke, dass du mich abholst.“ Ich drücke Liz einen schnellen Kuss auf die Wange, bevor ich den Gurt ihres Beifahrersitzes zur Hand nehme.

„Kein Problem. Ich kann mir gut vorstellen, dass du heute Probleme mit dem Fahren gehabt hättest,“ gibt sie leicht amüsiert zurück.

„Das stimmt wohl. Ich meine, es deutet ja auch alles darauf hin, dass es wirklich so ist.“ Ich muss mich nicht deutlicher ausdrücken, damit Liz versteht, was ich meine.

„Und selbst wenn, das schaffen wir schon.“ Wir. Es tut gut, sie an meiner Seite zu wissen und ich bin mehr als froh, dass sie mir nicht nur heute beisteht.

„Was hast du eigentlich Tim gesagt?“ Liz konzentriert sich auf den Verkehr und zuckt mit den Schultern.

„Nichts. Nur, dass ich mir heute freigenommen habe und ich vorhabe, in die Stadt zu fahren. Hast du heute komplett frei?“ Ich nicke. „Gut. Dann würde ich sagen, wir machen uns nach dem Termin einen schönen Tag.“ Ich wünschte, ich hätte ihren Optimismus. Für Liz sieht immer alles so einfach und unbeschwert aus, kein Problem, das nicht gelöst werden könnte, immer mit der Aussicht, dass alles wieder gut wird. Wer weiß, vielleicht kann auch ich eines Tages so denken wie sie.

Nach einer viertel Stunde Fahrt, in der ich sehr schweigsam war, kommen wir an. Wir halten auf dem kleinen Parkplatz vor der Praxis, mein Herz hämmert in meiner Brust und vermutlich noch ein weiteres in meinem Unterleib. Gerade lege ich die Hand an den Hebel der Tür, als Liz mich sanft am Arm berührt.

„Keine Angst. Ich bin bei dir.“ Ich seufze, nicke und steige aus. Als hätte ich es eilig, laufe ich die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf und stehe kurz darauf an der Anmeldung.

„Foster mein Name, ich habe einen Termin.“ Die Gehilfin nimmt mein Krankenkärtchen entgegen, welches sie mir Sekunden später schon wieder in die Hand drückt und steht auf.

„Folgen Sie mir bitte ins Labor.“

„Ich warte im Wartezimmer auf dich“, raunt Liz mir noch zu. Ich folge der Arzthelferin, die sämtliche Utensilien zur Blutentnahme bereitlegt. Bevor sie mir die Nadel in die Armbeuge sticht, misst sie meinen Blutdruck und notiert die Werte in meiner Karteikarte. Nachdem sie mir einen gefühlten Eimer voll meines Lebenssaftes entnommen hat, drückt sie mir einen Plastikbecher in die Hand mit der Bitte, eine Urinprobe abzugeben. Mit zitternden Händen nehme ich das weiße Plastikgefäß entgegen, auf dem mein Name geschrieben steht. Ein seltsamer Anblick, und für einen kurzen Moment denke ich, dass mir ein Becher von Starbucks gerade viel lieber wäre.

Ich gehe also auf die Toilette und erfülle meine Aufgabe. Damit habe ich ja seit einiger Zeit kein Problem mehr, obwohl ich gar nicht so viel trinke. Liz wartet wie versprochen auf mich und blättert in einer Klatschzeitschrift, die sie jedoch sofort beiseitelegt, als sie mich hereinkommen sieht.

„Und?“ Tja, was soll ich sagen? Ich bin nervös und kann kaum glauben, aus welchem Grund ich heute hier sitze. Mit uns sitzt nur ein junges Mädchen im Raum, das in sein Handy vertieft ist. Sie scheint meinen Unmut nicht zu bemerken, was mir nur recht ist.

„Frau Foster?“ Die Gehilfin ruft mich auf. Das ging ja schnell. Normalerweise muss ich immer ewig warten, bis ich drankomme, obwohl ich rechtzeitig vor dem Termin da bin.

„Soll ich mit reinkommen?“ Liz sieht mich fragend an. Ich nicke stumm und bin dankbar für ihr Angebot. Ich habe keine Geheimnisse vor ihr und bin froh, das Ganze nicht alleine durchstehen zu müssen.

Meine Ärztin begrüßt uns beide mit einem sanften Händedruck.

„Das hier ist eine Freundin, sie begleitet mich“, erkläre ich ihr, damit sie weiß, dass es okay ist, wenn Liz mit in den Untersuchungsraum kommt. Liz bleibt am Schreibtisch der Ärztin sitzen, während ich mich nach Aufforderung der Ärztin untenrum freimache.

„Sie vermuten also eine Schwangerschaft?“, hakt die Ärztin nach.

„Ja, allerdings war das so nicht geplant. Also, der Test zuhause war positiv, aber das hat ja nichts zu bedeuten“, plappere ich nervös vor mich her. Ich nehme auf dem Untersuchungsstuhl Platz und lasse mich in die für die Ärztin vorteilhafte Position fahren.

„In Ordnung. Wir schauen und das jetzt mal genauer an.“ Sie nimmt einen langen Stab zur Hand, der mir ein wenig Angst einjagt, und zieht eine Art Kondom drüber. „Wann genau hatten Sie Ihre letzte Periode?“ Ich rechne nach.

„Vor genau sieben Wochen, am 12. Mai. Was machen Sie da?“ Mit großen Augen starre ich auf das ‚Ding‘, auf das sie ein Gel gegeben hat.

„Das ist ein Ultraschallgerät. Damit schauen wir uns jetzt an, wie es so in Ihnen aussieht.“ Na, die hat ja gute Laune. Nun gut. Vorsichtig dringt sie mit dem Stab in mich ein. Ein Blick auf den Monitor zeigt mir ein schwarz-graues Gewirr, das wohl meinen Uterus darstellen soll. Der Stab wird hin und her geschwenkt und verharrt an einer Stelle weiter rechts.

Und dann sehe ich es.

Es ist rund. Und weiß, mit viel Schwarz drumherum.

Und es pocht.

Ganz schnell, aber deutlich zu sehen.

Ungläubig schlage ich die Hände vor den Mund.

„Da haben wir’s. Der Test, den Sie durchgeführt haben, war korrekt. Darf ich vorstellen: Ihr Baby. Herzlichen Glückwunsch!“

Tränen schießen mir in die Augen. Ein Baby. Mein Baby. Ein Wesen so winzig, dass ich kaum begreifen kann, dass das schon ein Mensch ist. Ein ganz kleiner, aber ein Mensch. Ein Zeichen der Liebe, ein kleines Kunstwerk, das Jeffrey und ich erschaffen haben.

Jeffrey … Was er wohl hierzu sagen würde? Ich schaue fassungslos zu Liz, die ebenfalls Tränen in den Augen hat und mich voller Liebe anstrahlt. Sie scheint sich ehrlich zu freuen und kann wohl selbst kaum glauben, was sie da sieht. Aufmunternd nickt sie mir zu, als wolle sie sagen, dass das schon so in Ordnung wäre, was hier vor sich geht. Wird Jeff das auch so sehen? Was sage ich ihm denn bloß?

„Hier, das ist für Sie. Das erste Foto, sozusagen.“ Noch immer zitternd nehme ich das ausgedruckte Ultraschallbild entgegen und schaue mir noch einmal an, was ich gerade schon auf dem Monitor betrachtet habe: mein Kind.

„Die Ergebnisse des Urintests sind ebenfalls eindeutig, über das Blut werden wir kontrollieren, ob alles seinen gewohnten Gang geht.“

Gewohnt ist hier für mich gar nichts. Für mich ist das völlig neu, eine ganz neue und unerwartete Erfahrung.

„Sie dürfen sich wieder anziehen.“

Kurze Zeit später sitze ich auf dem Stuhl neben Liz, die aufmunternd meine Hand hält. Meine Ärztin klärt mich über den weiteren Fortgang der Schwangerschaft und die folgenden Untersuchungen auf und gibt mir Proben von Vitaminpräparaten und einen ganzen Stapel Schwangerschaftsbroschüren mit. Die muss ich erstmal vor Jeff verstecken. Nicht auszudenken, wenn er das alles entdeckt, bevor ich ihm die Neuigkeiten überbringen kann!

„Dankeschön.“

„Gerne. Alles Gute, bis in vier Wochen.“ An der Anmeldung lasse ich mir noch einen Termin für die nächste Untersuchung geben. Laut Ärztin bin ich aktuell in der 8. Woche, der errechnete Geburtstermin ist der 16. Februar. Kaum zu glauben, dass ich bis dahin schon Mutter sein könnte oder zumindest kurz davor bin, es zu werden! Ich versuche mir Jeffrey als Vater vorzustellen, aber irgendwie passt das für mich nicht zusammen: Daddy und vielbeschäftigter Anwalt.

Draußen auf dem Parkplatz nimmt Liz mich erstmal fest in den Arm.

„Herzlichen Glückwunsch, Süße! Ah, ich freu mich so für euch!“ Ich kann hören, wie ihre Stimme zittert vor Rührung.

„Für uns?“ Liz lässt von mir ab und sieht mich tadelnd an.

„Ja, für euch. Ich weiß gar nicht, weshalb du dir so einen Kopf machst. Ja, es war nicht geplant und Jeffrey hat einen guten Job. Du auch, aber hey! Es ist doch kein Problem für dich, mit einem Baby zuhause zu bleiben. Außerdem liebt ihr euch, ihr seid seit einiger Zeit ein Paar und ihr wohnt zusammen. Ich weiß aktuell nicht, ob eure Wohnung groß genug wäre, aber im schlimmsten Fall sucht ihr euch gemeinsam was Neues!“ Liz strahlt, doch leider färbt nichts davon auf mich ab. Ich folge ihrer Aufforderung, ins Auto zu steigen und den restlichen Tag bei einem Kaffee und einer kleinen Shoppingtour zu genießen und spinne weiter mein Netz aus negativen Gedanken und Ängsten.

Jeff wird mich umbringen.

Und das alles nur wegen einer Thunfischpizza.


Hass mich nicht

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