Читать книгу Hass mich nicht - Nicole Beisel - Страница 8
Jeffrey
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Viel ist es nicht, was Rachel mit zu mir bringt. Ihre Habseligkeiten packen wir in Kisten, ihre Möbel hat sie teilweise verkauft, den Rest möchte sie einem Seniorenheim spenden, wofür Rachel viel Anerkennung von mir erhält. Ich wäre wohl nicht auf eine solche Idee gekommen. Bei mir würden die Möbel längst auf der Straße stehen. Aber Rachel hat nun mal ein großes Herz, denkt immer an andere, bevor sie an sich denkt und tut gerne Gutes.
„Haben wir alles?“ Rachel schaut sich ein letztes Mal um, geht durch alle Zimmer, überprüft, ob alle Fenster verschlossen sind und nichts liegengelassen wurde.
„Ja, ich denke schon. Lass uns gehen.“ Elizabeth und Timothy haben ihr Auto ebenfalls beladen und warten unten auf uns. Bevor Rachel die Haustür ein letztes Mal schließt, nehme ich sie in die Arme und küsse sie. Sie drückt sich fest an mich. Sie lächelt und seufzt, als sei sie zufrieden, aber ich kann auch die Unsicherheit und Traurigkeit in ihren Augen erkennen. Auch ich bin gemischter Gefühle in diesem Augenblick. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Ich freue mich, mit Rachel zusammenleben zu können aber wenn ich daran denke, dass all das bald wieder vorbei sein könnte, wird mir schwer ums Herz. Obwohl wir in unserer Beziehung gerade den nächsten gemeinsamen Schritt gehen, habe ich Angst, sie zu verlieren.
„Kommt ihr?“, ertönt es im Treppenhaus. Rachel schließt die Tür und steckt den Schlüssel ein, den sie am Montag bei ihrem Vermieter abgeben wird.
„Ich dachte schon, ihr wollt gar nicht mehr nach Hause“. Timothy und seine Sprüche. Aber seine Wortwahl gefällt mir. Er spricht im Plural von Rachel und mir und benutzt den Ausdruck ‚nach Hause‘. Ich sollte glücklich sein, und ich gebe mir sogar Mühe, das auch zu sein. Das Glück zu sehen und zu spüren, denn es liegt direkt vor meiner Nase. Gemeinsam tragen wir die letzten Kartons nach oben und lassen uns erst einmal in der Küche nieder. Als Dank bestelle ich Pizza und öffne eine Flasche Wein.
„Schön hast du’s hier.“ Stimmt, Elizabeth war noch nie hier. Sie schaut sich um und sieht fast ein wenig neidisch aus, wobei Timothys Einrichtung auch nicht übel ist.
„Danke. Das wird sich ja bald ändern.“ Alle lachen, bis auf Rachel. Sie spielt die beleidigte Leberwurst und fällt erst später in unser Lachen ein.
„Du wolltest wohl sagen, dass es hier bald noch schöner sein wird.“ Es kostet mich Mühe, so unbeschwert zu wirken, aber es scheint mir trotzdem zu gelingen. Niemand ahnt etwas von meinen Ängsten. Höchstens Timothy, aber er lässt sich nichts anmerken. Beim Essen werde ich mit Rachels seltsamen Essgewohnheiten vertraut gemacht. Sie ist die Einzige, die Thunfischpizza bestellt hat. Alleine der Geruch verursacht bei mir ein Magengrummeln, weshalb ich mich verzweifelt an meine Salamipizza klammere. Rachel jedoch scheint das Essen zu genießen, jedenfalls schwärmt sie noch den halben Abend davon. Nachdem wir Timothy und Elizabeth verabschiedet haben, nehmen wir auf dem Sofa Platz, tauschen diesen aber bald gegen – jetzt ‚unser‘ – Bett ein. Obwohl Sorgen mich plagen, schlafe ich erstaunlich schnell ein, wache jedoch mitten in der Nacht wieder auf. Der Platz neben mir ist leer, und normalerweise würde ich mir nichts dabei denken, doch ich höre Geräusche irgendwo in der Wohnung. Da fällt es mir wieder ein: Rachel. Vielleicht hatte sie Durst und geistert nun in der Küche umher, doch das, was ich höre, zwingt mich zum Aufstehen. Schnell wird mir klar, dass die Geräusche aus dem Bad kommen und Rachel im Moment ganz sicher keinen Durst hat.
„Was ist denn los?“ Ich schätze, sie würde mir gerne antworten, aber sie kommt gar nicht zu Wort. Sie würgt und keucht, während ich mich zwinge, durch den Mund zu atmen. Da sie nur ihr dünnes Nachthemd trägt, warte ich noch etwas mit dem Öffnen des Fensters und hoffe, ich vergesse es nicht. Endlich holt sie Luft und ich beeile mich, ihr ein feuchtes Handtuch zu reichen.
„Die Pizza“, bringt sie mühsam hervor. Kein Wunder, so wie die gerochen hat. Kaum zu glauben, dass die ihr tatsächlich geschmeckt hat. Ich knie mich zu ihr runter und lege vorsichtig den Arm um sie.
„Kann ich dir etwas Gutes tun? Ein Glas Wasser vielleicht?“ Noch bevor sie antworten kann, beugt sie sich erneut über die Kloschüssel. Also kein Wasser. Wenig später kommt sie wieder zu Atem.
„Danke, aber das wäre im Moment wohl keine gute Idee. Das war bestimmt die Pizza“, erklärt sie noch einmal.
„Das wundert mich nicht. Hat schon so komisch gerochen. Ist dir das nicht aufgefallen?“ Langsam schüttelt sie den Kopf.
„Nein. Aber ich glaube, es geht langsam wieder.“ Rachel versucht sich aufzurappeln und ich stütze sie dabei. Sie lächelt tapfer.
„Nie wieder Thunfischpizza.“ Für einen kurzen Moment unterdrückt sie ein erneutes Würgen, hält jedoch an sich und läuft langsam wieder ins Schlafzimmer, wo sie doch einen kleinen Schluck Wasser zu sich nimmt.
„Tut mir leid“, sage ich zerknirscht. Immerhin war die Pizza meine Idee gewesen.
„Ach was, da kannst du doch nichts dafür. Ich entscheide immer noch selbst, was ich esse. Alles gut, versuch zu schlafen. Ich komme schon zurecht.“ Dass sie zurechtkommt, höre ich, denn sie beginnt leise zu schnarchen noch bevor ich auch nur ein Auge zugetan habe.