Читать книгу nur Tod und Verderben - N. H. Warmbold, Nicole Heuer-Warmbold - Страница 8

Kapitel 5 – Sandar

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Leise stand Sandar auf und zog sich den Morgenmantel über, breitete noch eine zweite Decke über Mara. Schwer, sich von ihrem Anblick loszureißen, schwer, sie überhaupt zu verlassen, und sei es nur für kurze Zeit.

Im Flur ließ er sich unterdrückt stöhnend, nicht vor Lust, ganz sicher nicht vor Lust, auf eine Bank fallen und stützte den Kopf in die Hände. Was hatte er nur getan? Sie war seine Frau, die Frau seines besten Freundes, und er … Wie hatte er das nur tun können?! Er hatte sie gebeten, zu ihm zu kommen, weil es ihn nach ihrer Gegenwart verlangte, weil er darauf gehofft und spekuliert hatte, dass genau das passieren würde. Er war ein Heuchler, ein Lügner, verdammt, er … Und am Vorabend ihres Aufbruchs hatte er noch mit Lucinda geschlafen, einen Moment sogar geglaubt, alles …

Ächzend stemmte er sich hoch, er sollte sich zusammenreißen, und begab sich humpelnd hinunter in die Küche, grüßte Emmie. „Guten Morgen, meine Beste. Immer fleißig bei der Arbeit?“

Emmie blickte von ihrer Handarbeit auf und erhob sich rasch, verbarg ihr freudiges Lächeln. „Oh, guten Morgen, oder besser, guten Tag, Hauptmann Sandar. Es geht Euch … Ihr möchtet Euer Frühstück?“

„Bloß eine Tasse Tee, wenn Ihr die Güte hättet. Essen werde ich dann mit der Dame I’Gènaija. Sie schläft noch.“

Trotz seiner Worte stellte Emmie einen Korb mit frischem Brot, Gebäck, Butter, Käse, eine Platte aufgeschnittenes Fleisch auf ein großes Tablett, dazu einen Krug Milch, sauer eingelegtes Gemüse sowie ein Schälchen eingemachtes Obst; Emmie kannte ihn und er kannte und schätzte Emmies fürsorgliche Art. „Oben oder im Gartenzimmer?“

„Im Gartenzimmer. Aber ich nehme das Tablett, und keine Widerrede.“

„Ihr seid doch verletzt, Hauptmann, Ihr müsst Euch …“

„Schonen? Es geht mir deutlich besser, meine liebe, gute Emmie.“ Schnell drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und nahm der Verdutzten das Tablett aus den Händen, stellte es wieder auf den Küchentisch. „Ihr wolltet mir Tee machen.“

„Der ist längst …“ Kopfschüttelnd sah Emmie zu, wie er sich an den Tisch setzte. „Hier?“

„Störe ich Euch?“

„Nein, natürlich nicht. Ist nur …“ Sie schaute ihn aufmerksam an. „Nein, ich freue mich, wenn Ihr hier seid, Hauptmann Sandar, Ihr … Euer Tee.“

Dankend nahm er den schlichten Becher entgegen, rieb sich abwesend den linken Oberarm, es juckte unter dem Verband. Er hätte Glück gehabt, hatte Mara gemeint, das Schultergelenk sei nicht verletzt. „Was wolltet Ihr gerade sagen?“

„Ich …“ Emmie wurde rot und wandte den Kopf. „Ihr mögt sie … sehr?“

„Vermutlich nicht besonders klug von mir, sie ist verheiratet. Mit Davian.“

„Dazu kann ich nichts sagen, Hauptmann Sandar, Ihr müsst schon selber wissen, was Ihr tut.“

„Alt genug bin ich, hm? Es ist nur … Ich bin mir eben nicht sicher, was ich tue, ob ich nicht einen großen Fehler begehe. Aber sie … ich hab‘ den Eindruck, Mara braucht momentan jemanden, dem sie … an den sie sich anlehnen kann. Sie fühlt sich wohl ziemlich einsam, so als brauche sie … jemanden. Einen guten Freund.“

„Und Ihr gleichfalls?“

„Ja. Ja, sicher. Ich gleichfalls. Emmie, ich bilde mir nicht ein, dass sie … Das wäre verrückt, völlig …“

„Aber Ihr denkt daran?“ Die alte Haushälterin strich zaghaft über sein Handgelenk. „Verzeiht, wenn ich …“

Wenn Davian nicht zurückkehrte. Er hatte daran gedacht, und mehr als einmal, kniff die Augen zusammen. „Nein, Ihr habt ja Recht, ich … Doch da wären vorher noch andere.“

Zwei, drei mindestens, er wusste es nicht. Ron? Ron, der sie auf die Ebenen begleitet und in der Schlacht wie ein Besessener gekämpft hatte. Und Domallen, natürlich Domallen, immer noch, wahrscheinlich musste er froh sein, dass der noch nicht zurück in der Stadt war. Wie viel Zeit blieb ihm denn noch, bis … Er fluchte, er verstieg sich da in wirre Phantasien, er wusste nicht einmal, was Mara darüber dachte. Hastig trank er einen Schluck Tee. „Entschuldigt.“

Verständnisvoll nickte seine Haushälterin und zog zögernd die Hand zurück. „Euch immer, Hauptmann Sandar.“ Stand auf und machte sich am Herd zu schaffen. „In der Stadt nennen sie sie eine Heldin, weil sie diese armen Leute vor den Ostländern gerettet hat, aus Dalgena. Ich war ja nicht dabei, aber meine Nichte hat davon erzählt, wie sie übergesetzt haben. Wäre sehr eindrucksvoll gewesen.“

Sie hatten nicht darüber gesprochen, ihre, seine Erlebnisse, weder über die Ebenen noch über die Schlacht. „Inwiefern denn eindrucksvoll?“

„Nun ja, der Fluss führte noch Hochwasser, und sie ganz vorne am Bug … Ehrlich gesagt kann ich es mir nicht recht vorstellen, die junge Dame in Rüstung und Schwert, kommandierend. Aber ich habe sie auch nur hier im Haus erlebt, im Winter, und da erschien sie mir sehr jung und ein bisschen schüchtern und zurückhaltend.“

„Oh doch, Mara kann kommandieren.“ Sandar lachte leise. „Ich würde mich ihr nicht in den Weg stellen wollen.“

„Aber kann sie denn tatsächlich zaubern, wie gesagt wird?“

„Ja, davon gehe ich aus.“ Er hatte sie nie zaubern gesehen, nicht bewusst, aber … Als sie mit Davian und Jula trainiert hatte, auf diesem schlammigen Platz im Heerlager, dieser endlose Moment, war das keine Magie? Die Art, wie sie mit Problemen umging, ihre absolute, verrückte Sicherheit, Dinge einfach zu wissen. Er erinnerte sich, wie Mara die Karte verschoben hatte, damit deren Lage besser mit der Welt übereinstimmte. Eine Karte, ein bemaltes Stück Haut, und sie folgerte daraus und dem Wissen um die genaue Richtung den Aufenthaltsort der Flüchtlinge!

„Und sie kann hervorragend mit dem Schwert kämpfen. Die Dame ist eine wirklich gefährliche Frau, Emmie, und sehr jung. Und manchmal ein bisschen zurückhaltend. Nicht immer.“ Er seufzte gedankenvoll, bemerkte Emmies verlegene Miene und grinste. „So meinte ich das wirklich nicht.“

Schnell, etwas zu schnell stimmte Emmie ihm zu.

„Wie viele Jahre arbeitet Ihr schon für meine Familie, in diesem Haus?“

„Etwa … oh, mehr als fünfundzwanzig Jahre sind es bestimmt.“

„Habe ich Euch jemals … Ihr habt mir nie gesagt, was Ihr dazu meint, dass mein Großvater mir das Haus vermacht hat.“

„Ihr habt mich gefragt, ob ich für Euch arbeiten will, Hauptmann Sandar. Und ich habe gerne eingewilligt.“

„Ja, ich erinnere mich.“

„Wieso … Stimmt etwas nicht, seid Ihr nicht zufrieden mit mir?“

„Nein, ganz und gar nicht, ich …“ Er wusste selbst nicht genau, warum er fragte. „Vertraut Ihr mir, Emmie?“

„Ich verstehe nicht, ich …“ Erschrocken blickte sie ihn an. „Hauptmann?“

„Vertraut Ihr mir, Emmie, vertrautet Ihr mir Euer Leben an?“

„Natürlich, Hauptmann Sandar, Ihr … Ihr seid ein Sadurnim.“

Eine gut gemeinte Antwort, doch nicht die, die er hören wollte, Sandar stand auf.

Er hatte nicht lange warten müssen. Mara brauchte nicht viel Zeit, um sich anzukleiden – sie hatte noch gebadet, als er ihr mitteilte, sie würden im Gartenzimmer frühstücken – und sah es wohl als Zeitverschwendung an, sich zu Recht zu machen. Er deutete zu viel hinein, und nur weil Lucinda ihn immer hatte warten lassen … Verärgert schüttelte er den Kopf, jetzt verglich er die beiden sogar schon, und schaute lächelnd, zunehmend amüsiert zu, wie Mara sich über das Essen hermachte. „Brauchst du … möchtest du noch mehr sauer eingelegtes Gemüse? Oder von dem Obst?“

Wie ertappt sah Mara auf, die kleine Schale Gemüse und das Schälchen mit dem Obst waren leer. „Oh, ich glaubte, du hättest bereits … Wolltest du noch was davon haben?“

„Nein, nein, ess ruhig. Ich hoffe nur, du bekommst kein Bauchweh.“

Sie grinste. „Nee, höchstens von dem frischen Brot.“

„Weshalb du dich an das süße Gebäck gehalten hast. Zum Fleisch.“

„Schmeckte interessant. Ist noch Tee …“

„Nein, bleib.“ Mara war bereits halbwegs aufgestanden, um die Kanne zu holen, rasch legte Sandar ihr die Hand auf die Schulter. „Du bist mein Gast.“ Er holte selbst die Kanne vom kleinen Tisch und schenkte nach, konnte sie nicht ansehen.

„Sandar? Was ist denn?“

„Bleib hier, ich würde es … Ich möchte, dass du bleibst.“

„Sandar …“

„Nur für eine Weile“, begegnete er hastig ihrem Einwand. „Du hättest jede Bequemlichkeit, müsstest dich um nichts kümmern, und ich …“

„Und Mavi?“

Unbedacht zuckte er die Schultern, verzog das Gesicht ob des Schmerzes. „Der bleibt natürlich ebenfalls, ist ja genug Platz hier.“

Skeptisch blickte Mara ihn an, die Augen schmal zusammengekniffen, die Arme ablehnend vor der Brust verschränkt, Davian nicht unähnlich. „Du wärst für die Leute nur ein weiterer meiner Liebhaber, Sandar, und …“

„Ich würde es als Privileg betrachten. Scheiß auf die Leute, Liebes, das …“

Ihre Mundwinkel zuckten, dann platzte sie laut heraus, lachte. „Warum ist dir das so wichtig?“

„Weil ich nicht möchte, dass du … Weil ich momentan nicht allein sein will und ich mich besser fühlen würde, wenn du ebenfalls nicht allein wärst.“

„Ich bin nicht ...“

„In meiner Nähe, Mara.“

Sie musterte ihn eindringlich, nickte, und erwähnte seinen gestrigen Entschluss, Lucinda aufzusuchen, mit keiner Silbe. „Einverstanden. Zumindest so lange, bis Reik zurück ist.“

„Was hat denn Reik …“

„Ein weiterer meiner Liebhaber.“ Abwesend fuhr sich Mara über den Nasenrücken. „Allerdings fürchte ich, er wird zu spät kommen.“

Sandar war irritiert, mehr noch über ihren kühlen Gesichtsausdruck denn über ihre Worte. „Ich fürchte, ich verstehe nicht.“

„Nicht?“ Sie grinste frech und streckte ihren kleinen runden Bauch vor. „Der wird noch gewaltig wachsen.“

„Und du meinst, irgendwann würde selbst Reik die Lust verlieren?“

Ihr Grinsen wurde breiter. „Ha. Das hast jetzt du gesagt.“

„Hab ich. Geht es dir gut, Liebes?“

„Ja. Du fängst aber hoffentlich nicht an, mich zu umsorgen und zu beschützen?“

„Nur ein bisschen … verwöhnen. Ich habe zurzeit keine andere Aufgabe, ich bin nicht einsatzfähig, und …“

„Schlechtes Gewissen?“

Fassungslos starrte er sie an, wusste nichts zu sagen, sich nicht zu verteidigen. „Du …“

Sie musterte ihn nur wortlos. Ruhig, abwartend. In dem Moment wusste er, warum Domallen sie zu seiner persönlichen Beraterin gemacht hatte, warum Davian derart von ihr fasziniert war: sie war schnell, kalt, skrupellos. Gefährlich, ganz und gar kein nettes Mädchen.

Sandar schluckte, ballte die Fäuste. „Verdammt, Davian ist mein bester Freund und ich bin bei der ersten sich bietenden Gelegenheit mit dir ins Bett gestiegen! Ich … Ja! Ja, ich habe ein schlechtes Gewissen, ich habe Schuldgefühle, weil ich … weil ich es immer wieder tun würde, weil ich dich zu meiner Frau will und weil es Momente gibt, in denen …“ Starr blickte er sie an und wusste nicht, wohin mit seiner Wut. „Scheiße, was machst du mit mir?!“

„Ich tue dir weh?“

„Allerdings, das tust du.“ Eindringlich betrachtete er sie, versuchte sich zu beruhigen und deutete auf ihren Bauch. „Das Kind ist von ihm?“

Sie wurde nicht wütend und erwiderte offen seinen Blick. „Das Kind ist von Davian, ja.“

„Und …“ Er würde jetzt alles fragen können und sie würde ihm antworten. Bloß fiel ihm keine sinnvolle Frage ein. „Keinerlei Zweifel? Ich meine …“

„Nein.“ Sacht legte sie die Hand auf ihren Bauch, ihr Gesichtsausdruck mit einem Mal sehr weich, sehr zärtlich. „Ich weiß den Moment, Sandar, den Augenblick, als mein Sohn gezeugt wurde.“

„Weiß er …“ Er liebte sie, liebte sie so sehr, dass es schmerzte, er in Tränen ausbrechen könnte. „Weiß Davian, dass er … dass du einen Sohn bekommst? Seinen Sohn?“

„Ja, das weiß er.“

„Liebes … Warum erzählst du mir das?“

„Du bist sein bester Freund, und ich möchte es jemandem erzählen.“

„Mir?“

Mara nickte. „Du sagtest, du würdest dich freuen, dich als mein Freund betrachten zu dürfen.“

„Ja, und das ist die Wahrheit. Ich liebe dich, Mara.“

„Ich weiß. Erzählst du mir, wie du ihn kennen gelernt hast?“

„Davian?“ Ihre Art irritierte ihn manchmal doch sehr, er gestand ihr –nicht zum ersten Mal – seine Liebe, und sie nahm das wie selbstverständlich hin. „Sicher, warum nicht. Es ist keine besonders aufregende oder ungewöhnliche Geschichte, halt … Komm mit.“

Er bot ihr seinen Arm und führte sie zu den einladenden, sehr bequemen Sesseln im Wohnraum. „Du weißt, dass er bei der Reiterei am Nordtor war, als er nach Samala Elis kam?“

Mara nickte bestätigend. „Aber nicht sehr lange, oder?“

„Rund anderthalb Jahre. Zum großen Bedauern meines Vaters, der hätte ihn gern länger behalten. Aber wenn die Garde ruft …“ Vage hob er die Hände. „Mein Vater pflegte, jetzt natürlich nicht, jeden zweiten Monat seine Hauptleute zu einem geselligen, recht formlosen Treffen zu sich zu laden. Mitunter war auch ich anwesend, ich kenne viele der Männer, außerdem waren das recht launige Abende. Also, an eben einem solchen Abend, ich war gerade erst angekommen, nimmt mein Vater mich zur Seite und raunt mir zu, ich müsse unbedingt jemanden kennen lernen. Der Kerl sei tatsächlich außergewöhnlich, in jeder Hinsicht, so seine Worte. Ungewöhnliche Worte für meinen Vater, der ein eher nüchterner, sachlicher Mann ist. Du kannst dir vorstellen, dass ich, nun, neugierig war. Auf diesen außergewöhnlichen Kerl.“

Sandar schüttelte den Kopf ob der Erinnerung an jenen Abend und wurde rot, als er bemerkte, wie aufmerksam Mara ihn beobachtete. „Mein erster Eindruck von diesem jungen Soldaten, und er war jung, damals noch keine zwanzig, noch nicht Hauptmann: Er war überheblich, hielt immer ein bisschen Abstand, als stünde er … über den Dingen. Er beteiligte sich nicht an den scherzhaften Bemerkungen und Witzeleien, obwohl ich nicht den Eindruck hatte, er wäre verstockt oder gar schüchtern. Er beobachtete, wägte ab. Ich weiß nicht, ob er sich sonderlich wohl fühlte, die meisten der Anwesenden waren älter, erfahrene Hauptleute, aber er zeigte sich nicht beeindruckt, überhaupt nicht. Ich fand ihn … nicht uninteressant, das, was er sagte. Das wenige, was er sagte.

Später dann, nicht an jenem ersten Abend, ein weiteres Treffen im Haus meines Vaters, haben wir länger geredet, ausführlicher. Ich wohl vor allem, denn Davian meinte abschließend, mit diesem arroganten, spöttischen Lächeln, ob ich jetzt klüger sei.“

„Und, warst du klüger?“

„Kaum. Interessierter, ja, aber ich erfuhr nicht besonders viel über ihn. Das, was ich sowieso schon wusste, woher er kam, sein Werdegang, solche Dinge. Keine Einzelheiten, nichts Persönliches. Dass er zur Garde wolle, das sagte er.“

„Du warst damals bereits bei der Garde?“, hakte Mara nach.

„Ja, schon einige Jahre. In dem Sommer … Spätsommer bin ich zum Hauptmann befördert worden. Möchtest du noch Tee?“

„Ich habe noch, danke.“

„Du langweilst dich doch hoffentlich nicht?“

„Nein, durchaus nicht.“ Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Ich lausche gern deiner Stimme.“

„Das … das sagtest du schon mal.“

„Es ist die Wahrheit, ich höre deine Stimme gern, Sandar. Und ich höre dir gern zu.“

„Na, dann sollte ich … Ich bin Davian nicht wirklich häufig begegnet, noch einige Male im Haus meines Vaters, ein paarmal in Wirtshäusern. Nicht unbedingt der Ort, sich besser kennen zu lernen, zumal er meist betrunken war. Im darauffolgenden Frühjahr war er dann ’ne Weile, einige Monate, außer Landes, mein Vater wollte mir jedoch nicht verraten, wo genau.“

„Er macht sowas häufiger, nicht wahr? Davian?“

„Hm, ja …“ Sandar nickte nachdenklich. „Er redet nicht darüber, auch jetzt noch nicht, ich gehe davon aus, diese Unternehmungen sind … streng vertraulich. Das heißt, lediglich Domallen und vielleicht noch seine Majestät sind informiert. Ähnlich der jetzigen.“

„Aber wir … Ihr führt Krieg!“

Er hatte sehr wohl ihren Versprecher bemerkt, ging jedoch nicht darauf ein. „Ich fürchte, das ist kein Widerspruch, Liebes.“

„Warum gerade Davian? Du willst mir doch nicht erzählen, niemand sonst in der Garde könne vernünftig Ostländisch sprechen“, fuhr sie auf.

„Er ist der beste, Mara. Ich will gar nicht behaupten, er sei der einzige, aber Davian macht das seit Jahren. Soll ich noch weiter erzählen?“

„Ja, bitte“, murmelte sie leise. „Wenn du noch magst.“

„Für dich immer, meine Teure. Nun, irgendwann war er wieder da, kurz vor der Mittsommernacht. Im Herbst dann wurden Truppen von der Kaserne am Nordtor ins Grenzgebiet nordöstlich von Kirjat … Habe ich eigentlich erwähnt, dass Davian in der Einheit meines Vaters war?“

„Weder du noch er.“ Sie grinste unterdrückt. „Und dein Vater auch nicht.“

„Du hast mit Vater …“ Sandar hatte das dumme Gefühl, sie mit offenem Mund anzustarren. „Wann denn?“

„Vor … drei Tagen, als er hier war, um sich nach deinem Befinden zu erkundigen. Du lagst mit Fieber im Bett.“

„Ich weiß, aber … Er war hier?“

„Das sagte ich. Natürlich war er hier, er macht sich Sorgen um dich.“

Damit hatte Sandar nicht gerechnet, und er fragte sich verwirrt, warum eigentlich nicht. Er hatte kein übertrieben herzliches und mitunter etwas angespanntes, aber ganz sicher auch kein schlechtes Verhältnis zu seinem Vater. „Und … was hast du ihm gesagt?“

„Er möge doch in ein paar Tagen vorbeikommen und dich selbst fragen, wie es dir geht. Das wäre … heute oder morgen, eher noch heute. Dein Vater scheint mir kein allzu geduldiger Mann zu sein.“

„Oh, Mist, ich muss …“

Mara lachte und legte ihm die Hand auf den Unterarm. „Am Abend, Sandar, du kannst mir also in aller Ruhe die Geschichte zu Ende erzählen.“

„Ich …“ Er lachte, er benahm sich wie ein Halbwüchsiger, und drückte ihre Hand an seine Lippen. „Ja, das kann ich. Truppen vom Nordtor unter dem Kommando meines Vaters wurden also nach Osten gesandt, zwei Monate, etwas länger, doch Davian kehrte nicht mit ihnen zurück, weil er etwas Familiäres zu erledigen hätte, so mein Vater.“ Er runzelte die Stirn, sah Mara an. „Davian hat mir nie richtig erzählt, was genau passierte, wie er in die Hände dieser Ostländer geraten ist und dann, nach Tagen, von Domallen gerettet wurde. Ich hörte natürlich diverse Geschichten, die sich aber hauptsächlich um Domallen drehten, ein paar Sachen hat mir auch mein Vater berichtet, aber Davian selbst … schwieg sich darüber aus und soff. Entschuldige meine Ausdrucksweise, aber genau das tat er. Er hatte schon vorher viel getrunken, manchmal auch mehr, als gut für ihn war, das mache ich auch, viele Gardisten tun das. Doch Davian hat sich mit voller Absicht zugeschüttet, bis er kaum noch geradeaus laufen konnte, und dann Streit gesucht. Er hat die Kerle, andere Soldaten, Schläger in den Spelunken am Hafen, so lange provoziert, bis es Ärger gab, richtigen Ärger. Er legte es darauf an.“

„Hast du …“ Mara war blass und nagte an ihrer Unterlippe. „… mitgemacht?“

„Nicht oft, drei-, viermal. Wenn Gardisten einen über den Durst trinken und sich prügeln, in Maßen, ist das eine Sache, aber von einem Hauptmann wird ein anderes Verhalten erwartet. Außerdem verkehrte ich nicht unbedingt in den Kneipen, in denen er sich rumtrieb. Als er dann zur Garde kam, konnte ich ihn ein bisschen besser im Auge behalten, ich wusste, wann er Dienst hatte und wann nicht.“

„Warst du sein Hauptmann?“

„Ich? Himmel, nein, natürlich nicht, das wäre auch gar nicht … Er war zuerst in Hauptmann Silvans Einheit, bis der zur Festungswache ist, und frag mich nicht, wieso. Danach, als Hiron die Einheit übernommen hat, ist er in Hauptmann Risos Einheit gewechselt.“

„Warum wäre es nicht möglich gewesen? Wenn ich richtig aufgepasst habe, warst du doch bereits Hauptmann.“

„Das schon, aber mein Vater hat Davians Eintritt in die Garde unterstützt. Und noch zwei, drei andere ziemlich wichtige … Personen.“

„Wie bitte?“ Irritiert musterte ihn Mara, viel zu aufmerksam, zu wach, und Sandar wünschte sich, er hätte den Mund gehalten. „Nichts. Dein Mann ist wirklich gut darin, sich Gegner zu machen, weil es ihn einen Dreck interessiert, was andere denken und ob er jemandem mit dem, was er tut, zu nahe tritt. Da seid ihr euch recht ähnlich. Doch es gibt ein paar Menschen, die ihn tatsächlich schätzen.“

„Die …“ Mara biss sich auf die Lippen und schlug hastig die Hand vor den Mund. „Du meinst, abgesehen von dir und mir und seinen Männern?“

„Abgesehen von dir und mir und seinen Männern, ja.“

Sandar erhob sich, lockerte sein verkrampftes linkes Bein und schenkte Mara und sich Tee nach. „Der zweite Punkt, es wird in der Garde gar nicht gern gesehen, wenn ein Hauptmann einen seiner Männer verführt oder was mit ihm anfängt.“

„Oh. Aber …“

Ernst blickte er sie an. „Nicht mit einem Untergebenen, Mara. Nicht in der Garde. Eine Gardeeinheit, das ist … Meine Männer würden für mich in den Tod gehen, wenn ich es ihnen befehle, da kann ich nicht … da darf mir nicht einer mehr wert sein als der andere. Oder weniger. Da darf es keine solch starken Gefühle geben, nicht in einer so engen Gemeinschaft.“

„Und wenn nun doch?“

„Wechsel in eine andere Einheit. Dein Jula hat es getan, wenn auch aus genau dem entgegengesetzten Grund. Die einzige Möglichkeit, oder Domallen wäre gezwungen gewesen, ihn rauszuschmeißen.“

„Ich … ich verstehe.“

„Ich kann das nicht gut erklären, verzeih. Und das sind auch keine schriftlich niedergelegten Regeln oder Richtlinien, das steht nirgends, aber jeder Gardehauptmann weiß darum. Sollte darum wissen.“

Mara nickte schwach, trank von ihrem Tee und zog seufzend die Füße auf den Sessel.

„Geht es dir nicht gut? Soll ich vielleicht aufhören und du …“

„Nein, erzähl bitte weiter.“

„Du sagst aber, wenn es dir zu viel wird, ja?“ Er fuhr sich übers Gesicht, überlegte, wie er fortfahren sollte. „Wenn ich Davian in einem Wirtshaus getroffen habe, nicht immer zufällig, habe ich natürlich nicht darauf gewartet, bis er genug getrunken hatte, um eine Prügelei anzufangen. Ich… setzte mich zu ihm, was ihm offenbar gleichgültig war, versuchte, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Es war mühsam. Alles, was ich erreichte, war, dass ich ihn, kaum weniger betrunken als er, in die Gardeunterkünfte schleppte und er mir auf die Stiefel kotzte. Heilfroh, dass er niemanden totgeschlagen hatte.“

„Und dann?“

„Ich überredete ihn, in eine andere Schenke, nördlich des großen Marktes, mitzukommen. Und als er zu betrunken war, um noch klar zu denken, kaum noch aufrecht stehen konnte, habe ich ihn hierher gebracht. Er sprach die ganze Zeit davon, dass er noch Durst hätte, also gab ich ihm Wein, trank mit ihm. Redete mit ihm und er mit mir, wirres Zeug, Anzüglichkeiten, was Männer so reden, wenn sie betrunken sind. Und wir waren betrunken, Götter, waren wir betrunken, lagen uns lallend in den Armen.“ Er verzog das Gesicht, mochte Mara nicht in die Augen sehen. „Eine gute Ausgangsposition. Ich weiß nicht, ob er überhaupt noch mitbekommen hat, was weiter passierte, ob er sich daran erinnert.“

„Du weißt es? Erinnerst dich?“

„In groben Zügen, ja.“ Er verstummte. Und wie weiter? „Ich begehrte ihn, Mara, ich weiß nicht, ob du dir das vorstellen kannst, ich war besessen von dem Gedanken, mit ihm … Er hat es mir nicht unbedingt leicht gemacht, das nicht, dazu waren wir beide wohl zu betrunken, aber er hat es mir auch nicht besonders schwer gemacht, sich schon gar nicht gewehrt, und … Ein paar Tage später sprach er mich an, nach dem allgemeinen Kampftraining, glaube’ ich. Der Wein wäre wirklich gut gewesen, ob ich noch mehr davon hätte.“

„Und du hattest.“ Mara betrachtete ihn lächelnd.

„Natürlich, ich schätze guten Wein. Wir … er kam zu mir und wir tranken Wein, nicht so viel, zwei, drei Flaschen, redeten, nichts allzu Persönliches, aber wir redeten. Trieben es miteinander. Und dann ging er. Eine Zeit lang trafen wir uns häufiger, hier, und … Er fing was mit ’ner Tempelwächterin an, anderen Frauen, schränkte die wüsten Schlägereien ein, nicht aber das Trinken. Nachdem er rund anderthalb, fast zwei Jahre bei der Garde war, verschwand er einmal mehr gen Osten. Nach Kuramai, aber das erzählte er mir erst nach seiner Rückkehr. Beinah fünf Monate später.“

Betroffen senkte Mara den Kopf. „Das ist lange.“

„Ja, das ist es.“ Er musterte sie, stand dann eilig auf und beugte sich zu ihr. „Nicht doch, Liebes, nicht weinen. Das heißt doch nicht, dass Davian auch dieses Mal so lange …“ Er strich ihr übers Haar, drückte sie fest an sich. „Mara, Liebste, diese fünf, nun, viereinhalb Monate waren bei weitem der längste Auftrag …“

„Du lügst, Sandar. Du lügst mich an.“

„Mara …“ Sandar biss sich auf die Lippen. „Ja. Du hast Recht, ich lüge dich an. Um dich zu trösten. Eine dumme Idee, verzeih, ich hätte es besser wissen müssen. Davians längste Reise, kurz nachdem er Hauptmann wurde, dauerte ein dreiviertel Jahr, und über die hat er mir so gut wie nichts erzählt. Bist du jetzt …“

„Aber er hat mir versprochen, er wäre da!“

„Ich weiß, das sagte er. Und er bat mich …“

„Er hat mit dir über mich geredet?“ Ihr verzweifelter Blick brach ihm das Herz.

„Genau genommen über die Tatsache, dass du ein Kind erwartest. Sein Kind.“

„Und …“ Sie blickte ihn starr an, argwöhnisch, ihre Stimme ein bloßes Flüstern. „Worum hat er dich gebeten?“

„Gut auf dich aufzupassen, wenn …“ Irgendetwas schief ging und Davian nicht zurückkehrte, der Gedanke war in seinem Kopf, so sehr er auch dagegen ankämpfte. Und sie wusste es, sie las seine Gedanken. „Wenn es soweit ist und er es nicht rechtzeitig schaffen sollte.“

„Sandar!“

„Nicht, Schätzchen, nicht, das ist …“ Er ächzte. „Und wenn du schon zuschlagen musst, nicht gegen die linke Schulter, Liebes, du weißt …“

„Tut mir leid, ich …“ Mara lehnte sich an ihn, die Stirn an seiner Brust. Sandar fuhr durch ihr Haar, tröstend über ihren Rücken, nicht sicher, wen er mehr beruhigen wollte, sich oder sie. „Ist schon gut. Wir sind wohl beide ein wenig … nervös.“

„Ja. Ich sollte … ich werde rausgehen, schauen, was Mavi macht. Vielleicht braucht Emmie ja auch Hilfe im Gemüsegarten?“

„Überanstrenge dich aber nicht, du …“

„Bestimmt nicht, glaubst du, sie ließe das zu? Ich …“ Mara sah zu ihm auf, lächelte zerknirscht. „Ich brauche ein bisschen Bewegung. Draußen.“

Er nickte verhalten, verstand. „Und allein.“

Ihr Lächeln war wie eine Belohnung; Sandar ließ sie los.

Natürlich blieb es nicht bei dem einen Mal, der einen gemeinsamen Nacht, die Versuchung: Mara in seinem Haus, unter seinem Dach, in seiner unmittelbaren Nähe … viel zu groß. Sandar war kein standhafter Mann – er schaffte es ja nicht einmal, die Finger von ihrem Hintern, ihrem süßen, kleinen Arsch zu lassen – und sie eine überaus neugierige Frau.

* * *

Im Laufe des nächsten Monats kehrten die meisten Gardeeinheiten und Truppen vorübergehend nach Samala Elis zurück, und manchmal erwartete Mara sie in der Festung. Sie würde wissen, falls Davian zurückkäme, trotzdem hoffte sie jedes Mal, wider besseres Wissen, er wäre aus irgendeinem Grund unter den heimkehrenden Soldaten. Was nie der Fall war.

In der Stadt war wenig Konkretes über die Kämpfe zu hören, überhaupt über den Krieg. Höchstens ein paar wüste Geschichten in den Gasthäusern oder aber Gerüchte, von denen Janek, Mara sah ihn ziemlich häufig, ihr berichtete. Daher traf sich Mara alle vier, fünf Tage mit seiner Majestät und Jon – der sich strikt weigerte, sie zu unterrichten, seit ihre Schwangerschaft für alle zu sehen war – zum Gespräch und sie diskutierten den Fortgang des Krieges.

Sie suchte jeden Tag Meister Dibistin in der Festung auf. Häufig spielten sie Schach und Mara behielt das Bild, welches inzwischen weit über die Grenzen der Stadt reichte, sich westlich an die Gestade des Ozeans, südlich bis weit über die Tameran-Kette hinaus und östlich bis zu den Ausläufern des Kitaina-Gebirges erstreckte, im Auge. Sie sah … Gefechte, Kämpfe, wirre, wie verwaschen wirkende Bilder, schwierig einzuordnen, und der Alte mahnte sie, nicht zu lange bei deren Betrachtung zu verweilen.

Liz-Rasul hingegen traf Mara nur alle paar Tage in seinen Räumlichkeiten im Palast. Sie sprachen nicht viel, absolvierten einige Übungen oder schufen kurzlebige Trugbilder, Sinnestäuschungen und Illusionen. Ihre Treffen verliefen recht angenehm, der Mann schätzte sie offenbar, war höflich und rücksichtsvoll, sie verstanden sich gut. Vielleicht zu gut, sie waren fast zu vertraut miteinander.

„Denkt Ihr immer noch daran, mich zu küssen?“

„Ständig.“ Liz-Rasul verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln – einem sehr einnehmenden spöttischen Lächeln, denn Mara verspürte den unbändigen Wunsch, diese Lippen zu berühren. „Eigentlich denke ich an nichts anderes mehr.“

Sie lachte, wollte sich achselzuckend abwenden und glaubte fast, seine Hände schwer auf ihren Schultern zu spüren, derweil er sehr dicht hinter ihr stand, sie sogar noch näher, enger an sich zog. Ihren Nacken küsste, liebkoste, sie bekam eine Gänsehaut, seufzte.

„Fast nichts anderes ...“ Seine dunkle Stimme wäre heiser, würde ihr eine neuerliche Gänsehaut bescheren. „Und die Vorstellung, wie meine dunkle Hand auf deinem blassen, bleichen Leib ...“

„Ihr ...“

„Natürlich“, er würde ihr in den Nacken atmen, beißen, seine großen Hände tastend, ja besitzergreifend über ihre Seiten, den Bauch gleiten lassen, höher ... „Tu doch nicht so überrascht, du weißt das, wusstest es von Anfang an.“

„Aber ...“, versuchte sie vielleicht noch einzuwenden.

„Jula ist genau wie dein Mann sehr weit … entfernt“, raunte er ihr ins Ohr, würde fester, derber zugreifen. „Ich habe drei Ehefrauen, Abendstern, glaubst du, ich komme damit nicht zurecht?“

Und sie würde den Kopf seufzend zurücklehnen, sich stöhnend auf die Lippen beißen und mit geschlossenen Augen ganz seinen Liebkosungen und Zärtlichkeiten hingeben. Das Gefühl des leichten Schwindels genießen, des Nicht-Sehens, Nicht-Wissens, wenn er...

„Mara, Ihr ...“, mahnte Liz-Rasul, denn es geschah ja nicht. Nichts von alledem, er entblößte nicht ihre Schenkel, derweil sie sich in den Polstern und Kissen wand, hemmungslos ob der Berührungen seiner Fingerspitzen, seiner Lippen, Zunge, seines warmen Atems...

„Das passiert nicht wirklich!“ Er lachte irritiert. „Das hätte ich jetzt nicht im Sinn, aber … So geht es wohl auch.“

Abwehrend schüttelte Mara den Kopf und starrte den großen Mann, Magier entsetzt an.

„Denkt nicht darüber nach, denkt einfach nicht darüber nach.“ Er schloss sie beruhigend fest in seine Arme, strich tröstend über ihren Kopf. „Es war nichts. Ihr seid schwanger, seid extrem empfindsam, nehmt jede Regung, jedes Gefühl Eurer Umgebung … Abendstern, es ist nichts passiert“, versicherte Liz ihr wieder und wieder. „Gar nichts. Das war nur ein Traum, ein Tagtraum. Wir haben nichts gemacht, es ist nicht geschehen.“

„Aber …“, sie schrie fast, drückte den Kopf an seine Brust. „Meine Beine zittern, als ob … ich fühl‘ mich …“ Noch immer erregt, sie roch sich.

„Wollt Ihr Euch setzen?“

„Bloß nicht! Ihr …“

„Ich habe Euch nicht angerührt, Mara. Es ist nicht geschehen.“

„Habt Ihr daran gedacht?“, verlangte sie zu wissen.

Er schüttelte, nicht sehr entschieden, den Kopf und wich ihrem Blick aus. „Nicht so … konkret.“

„Wie dann?“

„Muss ich das …“ Liz stieß hörbar die Luft aus. „Jedenfalls wäre das nicht die Art, wie ich es mit Euch … Braucht Ihr unbedingt ein Bild?“, beklagte er sich, sprach hastig weiter. „Im Stehen.“

Mara nickte und verbot sich ihr überreiztes Kichern. „Danke.“

Sie setzte sich jetzt doch, auf einen harten, ungepolsterten Stuhl.

Nur ein einziges Mal während dieser Zeit des Wartens und Bangens ging Mara in den Tempel und traf dort Réa, zweimal auch in die Häuser zu Nadka, welche Mara sorgsam untersuchte, sich mit Vorhaltungen und Vorwürfen jedoch zurückhielt.

Hin und wieder weilte Mara sogar in ihrem … Davians Haus, mal mit, mal ohne Mavi, um dort nach dem Rechten zu sehen, ein bisschen aufzuräumen, auch wenn es gar nichts aufzuräumen gab. Sie fühlte sich dort nicht sonderlich wohl. Vermisste Davian. Aber trotzdem teilte sie Sandar nach gut einem halben Monat, den sie bei ihm verlebt hatte, mit, sie würde dorthin zurückkehren. Er machte sich zu viele Hoffnungen, Illusionen, hatte Lucinda allerdings tatsächlich einen kurzen Besuch abgestattet. Davon Mara aber wenig erzählt.

* * *

Vier, fünf Tage waren sie in den Ruinen der verlassenen Stadt geblieben, hungernd, frierend, und immer wieder hatte er sinnend das Pferd angestarrt, welches zumindest an den kärglichen, dürren Gräsern hatte zupfen können. Aber sie brauchten das Tier lebend dringender, er jedenfalls hatte keine Kraft für einen Fußmarsch quer durch halb Mandura. Und die Frau … sicherlich auch nicht, sie schien arg erschöpft, schlotterte vor Kälte. Er kannte ihren Namen nicht, und wann immer er daran dachte, sie danach zu fragen, vergaß er den Gedanken sogleich wieder; er schob es auf das Fieber, die ständig gegenwärtigen heftigen Schmerzen, seine miserable Verfassung. Doch sie waren in Mandura, sie mussten es sein, eins der verfallenen, zerstörten Gebäude erinnerte ihn an einen Tempel, und …

Sie blieben, bis die Angst, und nicht der Hunger, sie weiter trieb, Angst, Maroks Truppen könnten sie hier aufstöbern. Die Frau – er musste sie wirklich nach ihrem Namen fragen – hatte tatsächlich irgendwelche Lumpen, verrottete alte Säcke in den Trümmern gefunden, um sich damit zu bedecken, und er aß ungefragt, was auch immer sie ihm anbot, Kräuter oder junge Triebe.

Wenn sie zu zweit ritten, war es tatsächlich etwas wärmer, westwärts, hinunter durch die Vorberge. Und als ihm klar wurde, dass sie das Kitainagebirge hinter sich gelassen hatten, liefen ihm die Tränen über das Gesicht, nässten den verdreckten Verband über seinem Auge. Unbewusst summte er das Lied der Garde, sang lauter, brüllte es geradezu heraus, bis er hinter sich das Schluchzen der Frau hörte. „Was ist denn? Wir haben es geschafft, freust du …

Doch die Frau schüttelte bloß abwehrend den Kopf. „Nein.“

Warum denn nicht, wir sind durch, bald …“

Ich habe Angst, entsetzliche Angst. Was werden sie uns antun?

Antun? Ich verstehe nicht, warum sollten sie … Du meinst, was sie dir tun werden?

Ich bin eine Kalimatan und ihr seid Nordländer, Feinde. Wir führen Krieg und … Siehst du?“ Ihre Stimme zitterte, als sie an ihm vorbei nach vorn zeigte.

Was …“ Er kniff das heile Auge zusammen, starrte in die von ihr angedeutete Richtung und fluchte unterdrückt, griff instinktiv zu seinem … Kein Schwert, er trug keine Waffen, ballte die Fäuste. „Verdammte Schweine!

Vorsichtig lenkte er das Pferd in den Schutz einer Baumgruppe, rutschte schwerfällig aus dem Sattel, seine Beine trugen ihn kaum. „Bleib hier.

Wenn aber noch …

Dann hätten sie uns gesehen und wären längst hier. Sie sind weiter gezogen.

Er starrte lange Zeit auf das Gehöft, die schwelenden Trümmer des Hauses, doch nichts regte sich, keine Bewegung, keine Spur von Leben. Langsam ging er am Rand des frisch gepflügten Feldes entlang, mühsam humpelnd, er ahnte, was ihn erwartete. Verharrte angestrengt atmend an der Umzäunung des kleinen Geheges und blickte über die Kadaver der sinnlos abgeschlachteten Schafe. Drei Tage, höchstens, seit die Ostländer hier gewütet hatten. Ohne Hoffnung ging er weiter auf die Ruine des Haupthauses zu, die verkohlten Balken waren noch warm, schaute sich im Gebäude um. Vier Leichen lagen zwischen den verbrannten Überresten der zertrümmerten Einrichtung, er glaubte nicht, dass es bereits alle waren. Suchte, er wusste nicht wonach, fand in dem, was einst die Küche war, ein noch brauchbares Messer und nahm es an sich, ging mit schweren Schritten Richtung Scheune, das Tor weit offen. Seine Augen brannten, als er die drei übrigen leblosen Körper entdeckte, achtlos liegengelassen. Wieder dachte er an Dalgena, dachte an Gela, und ballte die Faust um den Stiel einer Mistforke. Drehte sich nicht um, als er die Frau hinter sich hörte. „Komm nicht rein.“

Aber natürlich konnte sie auch vom Pferd aus sehen, was er ihr ersparen wollte, er hörte sie ächzen. „Was ist denn…“ Hörte sie vom Pferderücken rutschen, den Klang ihrer zögernden Schritte.

Du sollst draußen bleiben, verdammt! Komm nicht hier rein!

Sie weinte, starrte, die Hände vor den Mund gepresst, auf die geschundenen Frauenleichen. Brüsk drehte er sie an den Schultern zu sich herum, drückte ihren Kopf an seine Brust. „Schau doch nicht noch länger hin.

Sind sie …

Tot, ja. Komm, wir …

Wir können sie doch nicht so liegen lassen!

Sie sind tot, Frau, tot wie die vier im Haus. Wie können nichts mehr für sie tun.

Aber du kannst doch nicht einfach …

Hatte sich jemand, irgendein anständiger, mitfühlender Mensch um Gelas Leichnam gekümmert? Resigniert schüttelte er den Kopf, sah in das verzweifelte, tränenüberströmte Gesicht der Frau. „Nein, kann ich auch nicht. Doch lass uns erstmal hier raus und … Ich kenne nicht einmal deinen Namen, Frau.

Du willst wissen, wie ich heiße?

Er drängte sie aus der Scheune, schaute sich um, alles wie tot, leblos, zum hinteren Eingang des Hauses. „Ja. Bevor ich wieder zu fragen vergesse, ich bin … Mein Name ist dir bekannt, nehme ich an, ansonsten …“ Er schob die Frau in die Küche, nicht ganz so stark zerstört wie der Rest des Gebäudes. „Hiron, aus dem Haus Ligoban.

Misstrauisch blickte sie sich um, die Arme schützend um den Oberkörper geschlungen, hob dann das Gesicht und lächelte ihn unsicher an. „Das … das habe ich mitbekommen. Und ‚aus dem Haus Ligoban’, das bedeutet …

Ist der Name meiner Familie.

Ja, ich verstehe. Ist das gut?

Kann ich nicht beurteilen. Es ist, hm, eine ziemlich große, bekannte und recht alte Familie in Mandura, nicht die älteste. Dein Name?

Nuri.“ Sie biss sich auf die Lippen, hob ein wenig die Schultern. „Von Nuri Amena, aber … einfach nur Nuri reicht aus.

Musst du wissen“, er nickte, deutete eine Verbeugung an. „Nuri.“

Nuri lächelte noch immer, ein bisschen scheu, und nickte gleichsam.

(etwa 405. Tag, 1. Frühlingsmonat)

nur Tod und Verderben

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