Читать книгу Sarah Boils Bluterbe - Nicole Laue` - Страница 89
Kapitel 6
ОглавлениеGegen zehn Uhr stand ich endlich in meinem Sportstudio auf dem Laufband und powerte mich aus. Hier konnte ich die Welt um mich herum für eine kurze Weile vergessen. Aus den großen, alten, schwarzen Boxen drang laute Pop- Musik. Der Bass vibrierte regelrecht in meiner Brust.
An der Wand, genau gegenüber, hing ein großer Bildschirm und lieferte ständig wechselnde Bilder von verschiedenen, wunderschönen Stränden dieser Erde. Der blaue Himmel, die Wellen des Meeres, die Sonne und die unzähligen wunderschönen Buchten mit ihren seichten Stränden entfachten ein unbefriedigendes Fernweh in meiner Seele. Wie gern wäre ich jetzt in diesem Augenblick an einem dieser Flecken Erde, wie sehr wünschte ich, der gestrige Tag hätte einfach nicht existiert. Ich sehnte mich nach diesem `Heileweltgefühl`. Nach taufrischen Wiesen, dem Geruch der Sorglosigkeit und den Stimmen spielender Kinder. Mir war immer noch nicht klar, ob ich mir das alles einbildete, oder ob ich wirklich ein Erlebnis der dritten Art hatte. Meine Gedanken waren verwirrt und mein eigenes Leben entfremdete sich mir von Stunde zu Stunde. Eine mir bekannte und vertraute Stimme riss mich abrupt aus meinen wirren Gedankengängen: „Hey, Sarah, dein Laufprogramm ist schon lange abgelaufen. Pennst du? Du solltest jetzt mal an die Geräte.“
Ich starrte auf die große weiße Uhr an der Wand. Dr Sekundenzeiger tickte seelenruhig weiter. Sie hatte Recht. Ich hatte die Zeit vergessen und erstaunlicherweise war ich kein bisschen außer Atem. Sandra schlenderte kopfschüttelnd zurück zu ihrer Gruppe, die zusammen mindestens tausend Jahre alt war. Sie trainierte morgens die Altengruppe des St. Georg Stiftes. Die Damen mit ihren Cellulitis-Schenkeln und der schlaff hinabhängenden Haut, bemühten sich tatkräftig, die leichte Eisenstange in die Höhe zu heben und sie über ihrem Kopf kreisen zu lassen. Verwirrt und irritiert begab ich mich an den Bauchtrainer. Meine Gedanken trieben durchs Nirgendwo und versteckten sich in einem Wirrwarr von vielen aufeinanderfolgenden Kindheitserinnerungen und absurden Kombinationen und Vorstellungen, die meinen Vater betrafen. Bizarre Abgründe taten sich auf. Ferngesteuert wechselte ich die Trainingsgeräte und durchlief den Gerätezirkel ohne Mühe. Roland, einer der täglich hier anwesenden Muskelpakete schlenderte irgendwann in meine Richtung. Breitbeinig baute er sich vor mir auf. In seinem Gesicht spiegelte sich Erstaunen und fast schon ein wenig Neid wieder: „ Hey, du hast ja ne ordentliche Wumme heute. Meine Güte, dat habe ich aber auch noch nicht bei `ner Frau gesehen, Wat haste jenommen? Wat zahlste denn dafür? Dat scheint ja ein mega geiles Zeug zu sein.“
Ich blickte kurz hoch, starrte in ein aufgequollenes Anabolika-Gesicht und ließ die Eisenstange los. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich pausenlos die Expander und Gerätschaften nutze, ohne gleich einen Schwächeanfall zu unterliegen. Alles fühlte sich an diesem Morgen so leicht an. Am Spinat konnte es nicht gelegen haben, ich hatte schon ewig keinen mehr gegessen. Ich nickte ihm nervös zu, sprang plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf und lief die Treppen zur Umkleidekabine hinunter. Roland starrte mir verblüfft hinter her.
„Ehj, dat war doch nit so jemeint.“
Seine Worte hallten durch die große Halle.
„Es ist nicht deine Schuld,“ murmelte ich und lief weiter.