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3. Sklaverei in der Frühen Neuzeit (16.–18. Jahrhundert) 3.1 Eine Longue-durée-Perspektive
ОглавлениеLongue-durée-Perspektive
Bis in die 1960er Jahre gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Sklaverei dank christlicher Moralvorstellungen mit dem Untergang des Römischen Reiches ebenfalls verschwunden war. Das Aufleben der Sklaverei in den Kolonien der Neuen Welt ist jedoch nur vor dem Hintergrund der andauernden Sklaverei in Europa zu verstehen. Weder die Sklaverei im Allgemeinen noch die Versklavung der Schwarzen im Besonderen hat erst mit der portugiesischen Expansion an der westafrikanischen Küste oder gar mit der Entdeckung Amerikas ihren Anfang genommen. Dieses Studienbuch sieht seinen Gegenstand deshalb in einer Longue-durée-Perspektive: Aus der Sklaverei im Mittelalter ging die Sklaverei in der Frühen Neuzeit hervor, auch wenn sich das Erscheinungsbild immer wieder an neue Verhältnisse anpasste.
Mittelalter
Die Sklaverei im Mittelmeerraum und seinen lateinischen Anrainergebieten erlebte während des hohen Mittelalters einen Wiederaufschwung, das heißt, sie stieg zunächst im 12. Jahrhundert wieder deutlich an, ohne je ganz verschwunden gewesen zu sein. Seit dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts erhielt sie dann starke Impulse durch die Erschließung der Levante und des Schwarzmeerraums durch die italienischen Seerepubliken. Auch der Arbeitskräftemangel infolge der großen Pest von 1348 trug in den Städten zum Aufschwung der Sklaverei bei. Die Auswertung der Notariatsakten des Archivio di Stato di Genova (ASG) ergab in den letzten Jahrzehnten ein differenziertes Bild der Praxis der Sklavenhaltung und Freilassungen in Genua vom 12. bis zum 15. Jahrhundert. Sie zeigen, dass die Sklaverei dort in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ihren Höhepunkt mit einer Anzahl von 3000–5000 Sklaven bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 55000 Einwohnern erreichte. Der Sklavenhandel über den Schwarzmeerraum wurde dann im Zuge der osmanischen Eroberungen mit der Erlangung der Kontrolle über den Bosporus 1453 und der Einnahme der Stadt Kaffa 1475 sehr erschwert. Dennoch gab es bis 1797 Sklaverei in Genua, bis diese im Kontext der französischen Revolution feierlich abgeschafft wurde. Es ist also von einer Kontinuitätslinie mit unterschiedlichen Konjunkturen auszugehen.
Notariatsakten
Bei den Sklaven, die sich über Notariatsakten erfassen lassen, handelt es sich in der Regel um Haussklaven. Diese konnten sowohl in der Landwirtschaft eingesetzt werden als auch direkt in den Haushalten. Hier lassen sich regionale Unterschiede feststellen. „Während vor allem auf den Balearen, aber auch auf Sizilien und in Teilen Südspaniens Sklaven in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, war Sklaverei in den größeren Handels- und Hafenstädten hauptsächlich in den Haushalten zu finden“ (Cluse, 384).
Galeerensklaven
Im Unterschied zu der gut erforschten Haussklaverei im mediterranen Mittelalter wurde den Galeerensklaven dieser Epoche weniger Aufmerksamkeit zuteil. Sie werden wohl immer wieder genannt, erscheinen im Vergleich zu den Haussklaven aber wie ein Randphänomen. Hier scheint sich vom 15. zum 16. Jahrhundert das Verhältnis verschoben zu haben. Zumindest gewinnt man in der Forschung zur Frühen Neuzeit den umgekehrten Eindruck: Galeerensklaven dominieren dabei das Bild der Sklaverei. Inwiefern dieses Bild der Wirklichkeit entspricht oder eher der bisherigen Forschungslage geschuldet ist, die sich jeweils auf unterschiedliche Quellengattungen stützt, wird weiter zu überprüfen sein. Gegenwärtig ist davon auszugehen, dass die Galeerensklaverei im 16. Jahrhundert stark angestiegen ist, während die Haussklaverei zurückging.