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3.4 Der religiöse Faktor
ОглавлениеFaktor Religion
Es gehört zu den Schwerpunktsetzungen dieses Buches, besonders auf den Faktor Religion für die Geschichte der Sklaverei in der Frühen Neuzeit einzugehen. Auf welchen Ebenen spielte Religion hier eine Rolle?
Religionszugehörigkeit der Akteure
Zunächst einmal ist die Religionszugehörigkeit der Akteure zu beachten. Das sind in diesem Fall vor allem Sklavenhändler, Sklavenhalter und Sklaven und ferner alle, die in dieses System involviert waren. Durch den europäischen Schwerpunkt (II. 1) bedingt stehen drei Religionen im Mittelpunkt dieses Studienbuches: Christentum, Islam und Judentum. Mit der Erweiterung des Blickfeldes auf die außereuropäischen Bezüge (II.2) wird das religiöse Feld durch die Sklaven aus Afrika und Amerika noch etwas größer und vielfältiger.
Judentum, Christentum, Islam
In der Praxis spielten die drei abrahamitischen Weltreligionen in der Geschichte der Sklaverei eine unterschiedliche Rolle. Das hing vor allem mit dem jeweiligen Macht- und Einflussbereich zusammen. Während Christentum und Islam zu den expandierenden Religionen gehörten, bildete das Judentum jeweils nur eine mehr oder weniger geduldete Minderheit. Im Hinblick auf die Sklaverei sind alle drei Religionen miteinander eng verstrickt, denn in allen bildete sich die Praxis heraus, nicht die eigenen Glaubensbrüder und -schwestern zu versklaven, sondern die ‚Ungläubigen‘. Damit waren aus jeder der drei Perspektiven die Vertreter der anderen beiden Buchreligionen gemeint. Afrikaner und Indios traten als ‚Heiden‘ ins Bewusstsein, über deren Status im Vergleich zu ‚Ungläubigen‘ nachgedacht werden musste. Auch die Expansion musste theologisch reflektiert werden. So finden sich also Christen, Muslime und Juden sowohl als Sklavenhalter wie als Sklaven jeweils im Kontakt mit den anderen Religionen. Sklaverei erscheint somit als Brennpunkt einer Beziehungsgeschichte zwischen diesen drei Religionen einerseits und dem jeweiligen Umgang mit weiteren indigenen religiösen Gruppen andererseits.
Unterschiedliche institutionelle Rahmenbedingungen
Für alle drei gelten unterschiedliche institutionelle Rahmenbedingungen, die Akteure und Diskurse unterschiedlich prägten. Im Islam wurden Reflexionen über Sklaverei zum Beispiel primär von den Rechtsschulen geprägt, in der christlichen Theologie vom Diskurs an den Universitäten, im Judentum von den Debatten der Rabbiner. Sowohl Islam als auch Judentum kennen kein Lehramt wie die katholische Kirche mit dem Papsttum. Dies gilt auch für Protestanten. Es sind also unterschiedliche Autoritäten, die im jeweiligen konfessionell-kulturellen Kontext für die Deutung und Praxis der Sklaverei einflussreich sind. Aber es gibt eben jeweils solche Autoritäten, so dass eine vergleichende Perspektive unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Strukturen möglich ist. Zudem handelt es sich bei allen dreien um Buchreligionen, die ihre Positionen jeweils mit einer Schriftauslegung begründen. Am Beispiel der Erzählung von der Verfluchung Hams wird deutlich, dass es einen gemeinsamen Pool an Ideen gab und dass die Auslegungstraditionen auch in Beziehung zueinander stehen konnten (vgl. III.4).
Humanisierungspotenziale
Juden verstehen ihren Glauben als gegründet im Bund Gottes mit Israel, wie er in der Hebräischen Bibel offenbart wurde. Für Christen gründet sich ihr Glaube im Geschichtshandeln Gottes, wie es in der Heiligen Schrift bezeugt wird und in Jesus Christus seine Zusammenfassung findet. Für Muslime hat der Glaubensinhalt in der koranischen Offenbarung seine Grundlage. Eine vergleichende Interpretation dieser Offenbarungsquellen hilft, die zentralen Bezugspunkte jeweiliger Schriftauslegungen besser einschätzen zu können. Für die Schrifthermeneutik ist dabei auch jeweils zu berücksichtigen, in welche sozialen Kontexte diese Offenbarungsquellen fielen. In diesen drei Fällen kann stets festgehalten werden: Sowohl Hebräische Bibel, Neues Testament wie auch Koran setzen Sklaverei als selbstverständliche soziale Größe voraus und versuchen auf ihre Weise, sie zu humanisieren (vgl. III). Historisch entscheidend ist aber, was die Schriftgelehrten dann später aus dieser Ethik gemacht haben. Auch das ist freilich nicht ohne Bezug auf ihre jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu verstehen.
Funktion der Religion
Religion spielte in der Frühen Neuzeit da eine Rolle, wo es um die Rechtfertigung und Regelung einer Praxis ging, die in weltlicher wie in religiöser Hinsicht nach Normen und Ausführungsbestimmungen verlangte. Insofern ist die Ebene des Rechts in den jeweiligen religiös-kulturellen Kontexten zu beachten. Zum anderen hat Religion eine konsolatorische Funktion, insofern sie bei der Daseinsbewältigung hilft. Die Welt mit ihrer hierarchischen Struktur, in der eben nicht alle gleich sind (wie vor Gott), ist Ausdruck eines Weltbildes, das Über- und Unterordnungen erklärt und mit Sinn versieht. Warum lässt Gott Sklaverei zu? Wo ist Gott für die Sklaven? Was begründet menschliche Würde unabhängig von Sklaverei? In welchem Zusammenhang stehen innere und äußere Freiheit? Was bedeutet menschliche Freiheit überhaupt?
Sklaverei als spiritueller Begriff
Verknüpft sind solche Fragen mit weiteren zentralen theologischen Themen (Gottesbild, Menschenbild, Soteriologie, Eschatologie etc.). Interessanterweise wird Sklaverei in allen drei Religionen auch als spiritueller Begriff verwendet, der im Kontext der eben genannten theologischen Bereiche eine Rolle spielen konnte. So lässt sich in einer theologiegeschichtlichen Perspektive fragen, welche Auswirkungen die spirituelle bzw. innere Sklaverei (meist gleichbedeutend mit Knechtschaft der Sünde) für die Vorstellungen von äußerer Sklaverei und Unfreiheit hatte.
Abolitionistisches Potential der Religion
Die Abschaffung der Sklaverei war das Ziel der Abolitionsbewegung (vgl. IV.). Auch hier spielten religiöse Argumente eine Rolle. In allen drei Religionen finden sich in der Glaubenslehre humanisierende bis abolitionistische Potentiale. Warum konnten (und können!) diese sich in manchen Zeiten und Kontexten entfalten und in anderen nicht? Die Antwort auf diese Frage ist stärker in den historischen Bedingungen als im Wesen der Religionen zu suchen (vgl. III.).
Einfluss der Religion auf Handlungsmaxime
Neben den theologischen Deutungen und Bewertungen der Sklaverei ist der Faktor Religion auch für die impliziten Handlungsmaximen wichtig, die der Praxis der Akteure und der Gesellschaft zugrunde liegen. Die Mentalitäten waren in der Frühen Neuzeit ebenfalls religiös geprägt. Die Ausdifferenzierung der Akteure in Krieger, Händler, Siedler und Missionare lässt sich nicht so modern denken, dass hier nur der Missionar für die Religion zuständig war, während sich die anderen damit höchstens oberflächlich ummantelt haben und hemmungslos ihre eigenen Ziele verfolgten. Religion prägte das Handeln auf allen Feldern – auch wenn die Frömmigkeitsstandards nicht eingehalten wurden. Die Sorge um das eigene Seelenheil verband letztlich alle, wenngleich sich hier unterschiedliche Strategien im Umgang mit Schuld und eigenen Ansprüchen entwickelten. Die zu beobachtende Profitgier eines Händlers bedeutete zum Beispiel nicht automatisch, dass er kein Gespür mehr für sündhaftes Verhalten gehabt hätte. Auch die Reichen und Mächtigen brauchten eine Pastoral. Gerade im Hinblick auf eine Geschichte der Gewalt – und das ist die Geschichte der Sklaverei in großen Teilen – ist auch eine Geschichte der Gewissen nicht zu vergessen. Täter wie Opfer hatten ein Gewissen. An dieser Gewissensbildung war Religion maßgeblich beteiligt und hat – aus heutiger Sicht – nicht selten versagt. Auch die Verdunkelungen der Gewissen, die Frage nach der Schuld, gilt es in den religiös-kulturellen Werterahmen der jeweiligen Zeit einzuordnen.
Grenzen eines interreligiösen Vergleichs
Dieses Studienbuch ist sich der Grenzen und Schwierigkeiten eines interreligiösen Vergleichs durchaus bewusst. Zum einen ist vor der Vorstellung zu warnen, es gebe so etwas wie „das Judentum“, „das Christentum“ oder „den Islam“. Es geht hier nicht um essentialistische Vereinfachungen, die einer bunten Wirklichkeit von verschiedenen Gruppen und Individuen gegenübergestellt werden sollen. Wenn hier versucht wird, einige religionstypische Zuordnungen im Verhältnis zur Sklaverei herauszuarbeiten, so soll dies nicht bedeuten, dass Normen einfach in die Praxis umgesetzt wurden oder gar, dass alle so dachten. Normenkonflikte konnten jedoch theologische Diskurse anregen, die wiederum eine Praxis reflektierten. Die Bedeutung theologischer Diskurse für bestimmte sozialgeschichtliche Kontexte herauszuarbeiten, gehört sicherlich zu den anspruchsvollsten Aufgaben kulturgeschichtlicher Einzeluntersuchungen. Aus diesem methodischen Problem abzuleiten, sie hätten keine Bedeutung gehabt, wäre allerdings a priori unredlich und ebenso zu belegen. Ohne Kenntnis der jeweiligen Glaubenslehren und ihrer Vermittlungssysteme dürfte allerdings auch eine solche Widerlegung nicht nachvollziehbar funktionieren.
Eine religionssensible Perspektive
Insofern möchte dieses Studienbuch zu weiterführenden Fragen und Gesprächen über Sklaverei in einer interreligiösen Perspektive einladen. Einseitige Bewertungsmuster, die sich bis heute in historischen Darstellungen über Sklaverei finden, können nur in einer religionssensiblen komparativen Perspektive überwunden werden, die sich nicht scheut, auch die Perspektive des „anderen“ immer wieder einzunehmen. Das gilt von einem atheistischen Standpunkt aus im Hinblick auf diverse Religionsgemeinschaften ebenso wie von einem konfessionell-religiösen Standpunkt aus gegenüber anderen. Es gibt immer noch Historiker, die dahingehend argumentieren, ob nun die eine oder die andere Religion im Hinblick auf ihre Haltung zur Sklaverei besser war als die andere (z.B. Flaig 2009). Bei näherer vergleichender theologiegeschichtlicher Betrachtung wird eine solche Perspektive immer absurder. Dieses Studienbuch möchte einen Beitrag zu ihrer Überwindung leisten.
1 Im Griechischen existieren zahlreiche Begriffe für Sklaverei. Die griechische Terminologie greift mit unterschiedlichen Akzentuierungen die verschiedenen Aspekte der Unfreiheit auf. Ein Problem besteht darin, dass die jeweiligen Begriffe nicht immer eindeutig mit den einzelnen Arten und Lebensumständen der Versklavten identifiziert werden können. Zudem können einige Termini zumindest theoretisch auch zur Bezeichnung einer freien Person verwendet werden.
2 Neben diesen Begriffen werden folgende Begrifflichkeiten verwendet: madhan (Sklave, der eigenständige Rechte besitzt), abiq (ein entlaufener Sklave), jalib (ein importierter Sklave), buqan (ein Sklave aus Äthiopien), wasif (ein im Haus angestellter Sklave).