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V.II - Der Königsmörder – Flotsam

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Zwei Monate bevor der Mord an König Foltest geschah, begegnete Iorweth zum aller ersten Mal einem Hexer.

Der mittlerweile berüchtigte Scoia'tael-Anführer hatte sich in den dichten Wäldern um Flotsam, einer kleinen Faktorei an der östlichsten Grenze Temerien zu Aedirn, zurückgezogen. Sein auswegloser Kampf war inzwischen zu einer blutigen Farce mutiert und beinhaltete meist nur noch töten oder selbst getötet zu werden.

Der entstellte Elf hatte sich einen kleinen Leichenfresser, einen Nekker, gegriffen und zum Rand einer kleinen, schluchtenartigen Lichtung inmitten des Waldes gebracht. Routiniert hielt er dem schwarzhäutigen Wesen eine Tinktur unter die Nase, die so stark roch, dass der betäubte Nekker glucksend zu sich kam.

Erbarmungslos packte Iorweth den Nekker am Kragen und schleifte ihn zum Abgrund. Herzlos stieß er ihn hinab und missbrauchte ihn als Köder für eine große, noch hässlichere Krabspinne.

Der Elf sprang auf die Lichtung und verschwand in einem verborgenen Höhleneingang, als sich das riesige Untier mit seiner kreischenden Beute befasste.

Sein Weg führte ihn zu einem kleinen Unterschlupf. Einem Raum, in dem auf einem Tisch an der Felswand unzählige Waffen ausgebreitet lagen. Schwerter, Messer, Bögen mit Pfeilköchern und sogar einigen Wurfäxten. Links neben dem Tisch stand eine große Truhe, in denen Rüstungsteile eingelagert waren. Rechterseits reihten sich Ballen und Holzkisten mit weiteren nützlichen Vorräten an der Wand auf. Hellebarden und drei Beidhänder lehnten dagegen.

Eine erstaunliche Nachricht hatte ihn vor kurzem erreicht: Ein Meuchelmörder hatte Demawend, den König von Aedirn, auf seinem gutbewachten Schiff, inmitten seiner getreuen Gefolgsleute und einem Zauberer, ermordet. Nun entbrannte ein Krieg um den Thorn dieses Landes und Iorweth sorgte sich um sein Scoia'tael-Kommando im Pontartal, das bereits davor für größere Unruhen gesorgt hatte.

Plötzlich unterbrach ein kurzes Kreischen das stete Tropfen des Wassers auf Felsen in der Nachbarhöhle. Der Elf hielt inne und lauschte. Da erklang das Geräusch erneut und seine geübten Ohren entzifferten es - Stahl fiel auf Stein. Sofort griff er nach einem Elfenschwert, das auf dem Tisch lag und ging dem Laut nach.

Das Schwert in der Hand schlich sich Iorweth mit dem Rücken an der Felswand einen natürlichen Korridor entlang. Wieder schepperte Metall auf Stein. So leise er konnte, schritt der Elf durch den Gang auf die nächstgrößere Höhle zu, von der er wusste, dass sie derzeit unbewohnt sein musste. Bevor er am Eingang der Höhle angelangen konnte, denn der Korridor machte eine kleine Biegung, und sein Blick darauf frei sein würde, sprach ihn jemand von diesem Ort an: "Steck die Waffe weg, Elf." Die Stimme war kehlig und eher unsympathisch. "Ich will mit dir reden."

Der Elf bog vorsichtig um die Ecke und hatte freien Blick auf den Sprecher: einem bulligen Riesen, der an einem Feuer saß und mit einem großen Holzlöffel in einem Kessel einen Eintopf umrührte.

Der Kerl, wohl ein Mensch, war übersät von Narben und sein klobiger Schädel war kahlrasiert und verlieh ihm auf den ersten Blick einen unterbemittelten Eindruck. Aber jeder sollte einen zweiten Blick auf ihn riskieren, denn der mächtige Kämpfer war weder dumm noch ungefährlich.

"Verneig dich", sprach er ungerührt weiter, wohl wissend, dass Iorweth im Höhleneingang stehengeblieben war. "Du stehst vor einem gekrönten Haupt." Der Unbekannte fuchtelte mit seinem Löffel in Richtung eines abgeschlagenen Kopfes, der auf einem Stein lag und um den die Fliegen schwirrten.

"Das von Demawend", sprach der Muskelprotz weiter. "Durchlauchtigster Herr von Aedirn von Gottes Gnaden und Souverän des Pontartals und so weiter."

"Und du bist?" Iorweth senkte sein Schwert, behielt es aber vorsorglich in der rechten Hand.

"Ein Freund der Anderlinge", erwiderte der Königsmörder ruhig. "Ich habe einen Vorschlag."

Der Riese strapazierte allmählich seine Geduld, aber der Elf wollte sich nicht mit ihm anlegen, ohne vorher zu erfahren, was das alles zu bedeuten hatte. Darum drängte er: "Sprich schnell und präzise. Die Krabspinne taucht gleich wieder auf. Bis dahin hätte ich gern Klarheit."

"Du könntest diesem Haupt noch weitere hinzufügen." Wieder zeigte er mit seinem Löffel in die Richtung des abgetrennten Kopfes. "Gekrönte."

"Red' weiter." Iorweths Neugier hatte der Riese allemal geweckt.

"Zuerst den von Foltest. Aber ich brauche Hilfe. Bin in Aedirn nur knapp entkommen", gestand ihm der bullige Kerl ohne den emotionslosen Ton seiner unsympathischen Stimme zu ändern. "Zugang zu einem Versteck, Mann. Karten von euren geheimen Pfaden wären nützlich und schließlich die Hilfe der Scoia'tael. Gold will ich keins. Auch der Ruf eines Töters schert mich nicht." Zum ersten Mal blickte der Fremde zu dem Elf herüber.

Das Licht des Lagerfeuers reichte nicht aus, um die Feinheiten seines Gesichts auszuleuchten. Der Muskelprotz blieb noch ein Rätsel.

"Warum willst du sie dann umbringen?" Iorweth blieb auf Distanz.

Der Königsmörder blickte wieder ins Feuer. "Lange Geschichte", murmelte er.

Da erklang von weit Draußen das scharfe Kreischen der Krabspinne an ihre Ohren.

"Dein Schützling hat den Nekker erwischt. Zeit zu gehen."

Nun erhob sich der Muskelprotz und der Elf erkannte zum ersten Mal wirklich, welch ein bulliger Riese vor ihm stand. Er selbst war schon hochgewachsen, aber der Kerl übertrumpfte ihn fast um eine ganze Kopflänge. Und sein massiger Muskelleib war doppelt so breit wie seiner. Vor der Brust waren zwei lange Dolche überkreuzt geschnallt und ein auffälliges Medaillon von zwei ineinander verschlungenen Schlangen hing an einer langen Silberkette herab. Doch das markanteste an dem narbigen Muskelprotz waren seine gelben Augen mit den geschlitzten Pupillen. Da wusste Iorweth, dass er einen Hexer vor sich hatte. Er war Letho von Guleta begegnet.

"Sind wir uns einig, Elf?"

Was anderes als "Ja!" hätte der Scoia'tael-Anführer dem Königsmörder antworten sollen? Eine Ablehnung hätte dieser sicher nicht akzeptiert und Iorweth wäre kurz darauf ein toter Elf gewesen.



Einige Wochen später geleiteten Letho fünf Scoia'tael-Krieger zu der von Foltest belagerten Burg seines Neffen La Valette. Über eine List gelangte der Königsmörder in die Einsiedelei, in dem die unehelichen Kinder des Königs von Temerien versteckt gehalten wurden und wartete.

Er wartete darauf, dass das diplomatische Geschick des persönlichen Leibwächters von Foltest, des Hexer Geralt von Riva, die Belagerung beendete. Und der König seine Kinder aufsuchen würde.

Nach einiger Zeit brachte der weißhaarige Hexer seinen Herrn, König Foltest, tatsächlich in den sicher geglaubten Tempel.

Letho ergriff sofort die Gelegenheit und tötete den König und entkam Geralt mit einem waghalsigen Sprung aus dem Fenster in den Fluss, wo den Königsmörder die dort wartenden Scoia'tael in ihr Boot zogen und zurück nach Flotsam segelten.

Geralt von Riva wurde fälschlicherweise als Königsmörder in den Kerker geworfen. Der Kommandant der "Blauen Streifen", Vernon Roche, verhörte ihn, glaubte ihm seine Geschichte und gab dem weißhaarigen Hexer den Schlüssel zur Flucht.

Roche erwartete ihn mit der Zauberin Triss Merigold und seinen vertrautesten Soldaten auf einem Schiff, das sie nach Flotsam brachte. Da Geralt die am Tempel wartenden Elfen gesehen und als Freiheitskämpfer identifiziert hatte, führte die Spur des wahren Königsmörders zunächst zu Iorweth und der hauste derzeit in den dichten Wäldern um die Faktorei des Kommandanten Loredo.


Die Ankunft des Schiffes blieb nicht unbemerkt. Iorweth bekam schnell Nachricht von seinen Spähern, als Vernon Roche, sein ärgster Feind aus alter Zeit, mit seiner blaugestreiften Truppe unterhalb Flotsam vor Anker ging. Der Kommandant der Spezialeinheit war in Begleitung des weißhaarigen Hexers Geralt von Riva und der rothaarigen Zauberin Triss Merigold. Die drei folgten einem Uferweg, der verschlungen an grauen Klippen vorbeiführte. Die Sonne schien friedlich, die Vögel zwitscherten und das liebliche Lied einer Flöte drang an ihre verwunderten Ohren.

Die drei Angereisten blieben unterhalb des Baumastes stehen, auf dem ein Elf saß und sein Lied zu Ende spielte.

Iorweth erhob sich und begrüßte seinen blaugewandeten Feind mit theatralischen Gesten. "Vernon Roche. Seit vier Jahren Anführer der Temerischen Sondereinheit. Diener des Teme-rischen Königs. Verantwortlich für die Befriedung des Mahakam-Vorlands." Er wusste viel über seinen Feind und gab es gerne preis. "Elfenjäger. Mörder von Frauen und Kinder. Zweifach ausgezeichnet für Mut auf dem Schlachtfeld." Die letzte Bemerkung unterstrich der Elf indem er in die behandschuhten Hände klatschte.

"Iorweth, gewöhnlicher Hurensohn", grüßte Vernon Roche mit hasserfüllter Stimme zurück.

Den arrogante Mut des Scoia'tael-Anführers zollten die drei Personen am Boden, in dem sie noch immer nicht zu den Waffen griffen.

Iorweth breitete seine Arme aus und redete weiter. "Ich habe so lange auf diese Begegnung gewartet. Pläne geschmiedet. Fallen gestellt. Und dann tauchst du mir nichts dir nichts in meinem Wald auf."

"Du hast dem Mörder meines Königs geholfen", klärte Roche ihn wütend auf.

"König oder Bettler, wo ist der Unterschied? Nur ein Dh'oine weniger!"

"Seit wann bedienen sich die Eichhörnchen gedungener Mörder?" mischte sich nun auch der weißhaarige Hexer mit grabeskalter Stimme in das Gespräch mit ein. "Ein Dh'oine im Dienste der Scoia'tael. Tief seid ihr gesunken!"

"Gedungener Mörder, ja, so kann man ihn wohl nennen." Iorweth faltete die Arme vor der Brust und blickte auf die drei Menschen herab. "Aber ganz gewiss nicht Dh'oine." Die letzte Aussage hatte er dem Hexer mit den gelben Katzenaugen gewidmet.

"Hier geht es doch nicht um Rassenzugehörigkeit", maulte Geralt von Riva und überhörte die Anspielung auf seine Hexermutation.

"Und ob das der Zankapfel ist", eine leichte Wut schwang in der Stimme des Elfen mit. "Wir haben spitze Ohren, ihr runde. Wir sind langlebig, aber nur wenige. Ihr dagegen vermehrt euch massenhaft, doch glücklicherweise krepiert ihr schnell. Jeder will beweisen, dass gerade seine Ohren die richtige Form haben. Darum dieser Rassenkrieg. Deswegen bekriegen sich Menschen und Elfen seit über vier Jahrhunderten. Wegen der Form ihrer Ohrmuscheln!"

"Du bist einer der Greise in Jünglingsgestalt, die hinter gewählten Worten die Wahrheit zu verbergen suchen", forderte Geralt den Elfen weiter heraus.

"Die Wahrheit?"

"Es geht nicht um Rassen oder Freiheit. Nicht einmal um Rache", offenbarte ihm der Hexer. "Ihr seid hier, weil es euch irgendein Einflussreicher befohlen hat. Von dem ihr einfach benutzt werdet. Vielleicht trägt er eine Krone oder ein Zauberstab. Vielleicht herrscht er über eine Gilde. Sicher ist, dass ihn eure Freiheit und Angelegenheiten ebenso wenig scheren, wie eure Ohren. So war es in Nilfgaard und so ist es auch jetzt. Irre ich mich?"

Meinte er Letho? Doch Iorweth wollte es nicht wahrhaben und antwortete trotzig: "Du irrst dich! Die Zeiten sind vorbei, niemand benutzt mehr die Scoia'tael."

"Wem willst du das verkaufen. Mir? Dir? Oder deinen Schützen im Gebüsch?" Der weißhaarige Hexer deutete nach oben in Richtung seiner unsichtbaren Bogenschützen.

"Hör auf zu schwafeln", wandte plötzlich Vernon Roche ein und griff nach seinem Messer. "Stirb!"

Die Klinge flog dem Elf entgegen, doch Iorweth sprang mit einer geschickten Drehung zur Seite und brüllte seinen wartenden Bogenschützen einen elfischen Befehl zu. "An'vaill!"

Etwa sechs Bogenschützen traten von den erhöhten Klippen aus dem Dickicht und zielten auf die drei Menschen.

Bevor die tödlichen Geschosse ihr Ziel trafen, sponn die Zauberin ein Schutzschild um sie. Doch sie hatte es so schnell entstehen lassen, dass es über ihre Kräfte ging und sie in Ohnmacht fiel. Der Schutzschild jedoch blieb bestehen. Orangene Schmetterlinge flatterten aufgeregt im Lichtbogen und verpufften.

Geralt bat Roche, Triss zu tragen und er wollte sich um die Elfenkrieger kümmern, die versuchten in den magischen Kreis zu kommen.

Einige Scoia'tael streckte der Hexer nieder. Während der blaugestreifte Kommandant mit der Zauberin über der Schulter dem Weg nach Flotsam weiter ging. Geralt folgte ihm, kreuzte noch einige Male Elfenklingen und wehrte Pfeile ab, die es in den Schutzschild hineingeschafft hatten. Schließlich kam die kleine Stadt am Fluss in Sicht.

Iorweth befahl seinen Elfenkriegern, die Verfolgung aufzugeben. Aus seiner Deckung heraus beobachtete er den Hexer, der mit einem vielsagenden Blick zu ihnen hinaufsah - aber sie eigentlich nicht sehen konnte. Auch diesen Hexer zierte eine unschöne Narbe, die quer über sein linkes Auge ging.

"Ihr kennt euch?"

Letho trat in diesem Moment an Iorweths Seite und blickte dem anderen Hexer nach. "Oh ja, aber davon weiß er nichts mehr. Darum konnte ich den Hexer auch überraschen, als ich Foltest tötete. Keine Sorge, Elf. Ich kenne Geralt, besonders seine Schwächen."

Iorweth schwieg. Er ahnte, dass Geralt von Riva mit seiner Behauptung gar nicht so verkehrt lag.


Wenige Tage später fanden zwei magere Scoia'taelkrieger und ein Zwerg - denn auch etliche Zwerge hatten sich den Freiheitskämpfern angeschlossen - drei tote Banditen in den alten Elfenruinen Cal'naveth, die südlich eines Wasserfalls lagen. Einer der Elfen kniete sich neben einen der Leichname und untersuchte dessen Verletzungen.

"Eine Hexerklinge", erläuterte er. "Letho kommt gerne hierher."

"Aber im Moment ist er nicht da", entgegnete der Zwerg mit dem geflochtenen Bart, der am Eingang der Ruinen stehengeblieben war. "Also können wir wieder gehen." Furchtsam blickte er sich um.

Der Elf erhob sich und wanderte zu der Statue zweier Liebender, die zwischen den hier wild blühenden Rosen hervorragte. "Sie haben uns die Geschichte von Eldan und Cymoril gestohlen. Wie sie jetzt die Rosen der Erinnerung stehlen. Sie haben daraus ein schwachsinniges Märchen gemacht. Ein verwunschener Wald und ein entzückendes Elfenmädchen, das darin lebte. Bis dann ein Menschenprinz erschien, auf einem milchweißen Ross. Bloéde Dh'oine. Wir Aen Seidhe wissen wie es war. Grenzenlose Hingabe. Aufopferung und Leidenschaft."

Ein leises Stöhnen entrann der Statue.

"Die Legende sagt, dass die Seufzer jener Liebenden in diesen Stein gebannt sind. Und nur Verliebte können sie hören." Die Elfen verließen die Ruinen.

"Singende Büsche. Rülpsende Steine. Typischer Elfenquatsch", maulte der Zwerg und blickte sich lauschend um.

Das Stöhnen wurde zu einem erquickenden Liebesseufzer.

"Ach du Scheiße." Der Zwerg nahm seine kurzen Beine in die Hand und stolperte seinen Kameraden hinterher.

Wie hätte er in diesem Moment auch ahnen können, dass sich ein echtes Liebespärchen unterhalb der Statue in einer verwunschenen Grotte ihrem Liebesspiel hingab? Es waren Geralt und Triss.


Auf Drängen des Hexers willigte der Zwerg Zoltan Chivay ein und führte seinen Freund Geralt zu den Scoia'tael, mit denen er heimlich gemeinsame Sache machte. Der Hexer musste unbedingt mit ihrem Anführer reden, da dieser genau wusste, wo sich der Königsmörder aufhielt.

So machten sich die ungleichen Freunde auf den Weg durch den dichten Wald und folgten schmalen Pfaden.

Unerwartet blieb der Hexer plötzlich stehen und stoppte den rotgewandeten Zwerg mit einer Handbewegung. "Zoltan, halt. Wir sind da."

"Also Geralt, du bist wachsam wie ein Kranich. Aber jetzt übertreibst du." Für den kleinen Mann war es unbegreiflich, warum sie mitten in der Wildnis stehen blieben, der Treffpunkt war noch etwas weiter weg.

"Sag die Losung", bettelte Geralt drängend.

"Wem?" Zoltan fiel nichts Außergewöhnliches auf.

"Beeil dich. Sie sind ungeduldig."

"Cer gell'gard." Tat der Zwerg ihm den Gefallen.

Kaum hatte er die Losung gesagt, da traten zwei Scoia'tael aus dem Dickicht und stellten sich ihnen in den Weg. Ein Mann, Elias und eine maskierte Frau. Der Elf richtete sofort das Wort an sie. "Brüll nicht so", meinte er zu Zoltan, blickte aber unverwandt auf Geralt. "Was wollt ihr hier?"

"Gegenlosung", verlangte nun seinerseits der beleidigte Zwerg.

"Heidecker." Elias blickte kurz zu Zoltan, dann heftete er seinen neugierigen Blick erneut auf den weißhaarigen Hexer. "Ich hab dich was gefragt."

"Bring uns zu Iorweth", antwortete ihm endlich der Hexer mit grabeskalter Stimme.

"Wozu?" Elias hatte von Iorweth zwar die Order erhalten, den weißhaarigen Hexer zu der Lichtung zu locken, falls dieser ihn suchend im Wald auftauchen sollte. Aber der Elf bekam Gefallen daran, den Hexer mit Worten herauszufordern.

"Wollten wir mit dir sprechen, würden wir nicht nach deinem Anführer fragen", konterte Geralt langsam ungeduldig werden.

"Der will aber nicht mit euch sprechen."

"Das kannst du doch gar nicht wissen", entgegnete Geralt.

"Verschwindet solange ihr könnt."

"Ihr zwei wollt uns erschrecken", wandte nun Zoltan genervt ein, dem es gar nicht gefiel, so ignoriert zu werden.

"Da sitzen noch vier auf dem Baum", klärte Geralt seinen kleinen Freund auf.

"Wie kannst du das wissen?" fragte der Elf verblüfft.

"Ich höre sie atmen", sprach der Hexer überlegen. "Einer von ihnen ist krank oder hat Fisstech geraucht."

"Woher weißt du das?" Allmählich wurde Elias der katzenäugige Kämpfer unheimlich.

"Er pfeift beim Luft holen."

"Na, da sinken euch wohl die Elfenpinsel um", kommentierte Zoltan, als er den überraschten Blick der Elfen vor ihm bemerkte.

"Wir wollen nur mit Iorweth reden."

Endlich lenkte Elias ein und sagte: "Wartet auf der Lichtung. Du weißt schon wo, Zwerg. Ich leite die Nachricht an Iorweth weiter."

"Ach mach doch was du willst", erwiderte Zoltan beleidigt und zog seinen Freund am Ärmel. "Komm, Geralt."

Iorweth hatte von seinem Versteck aus alles mit verfolgen können. Er wusste, dass Hexer ein ausgeprägtes Seh- und Hörvermögen hatten - aber es faszinierte ihn trotz alledem.

Sie folgten ihnen zu der tiefgelegenen Lichtung.

Zoltan zeigte Geralt den Weg. Sie kletterten eine natürliche Treppe hinab und unerwartet materialisierte sich eine riesige Krabspinne vor ihnen. Der Hexer hatte schon sein mächtiges Schwert gezogen, als der Zwerg das herannahende Untier kommentierte: "Aber was sich da nähert ist kein Elf." Gerne überließ er dem Hexer den Vortritt. "Kümmere du dich darum, Geralt. Ungeheuer sind nicht mein Spezialgebiet."

Das ließ sich Geralt nicht zweimal sagen und sprang der Krabspinne entgegen. Seine Hiebe waren hart und unerbittlich. Seine Schwertklinge sauste unbarmherzig auf das Riesenvieh ein und zerfetzte ihm das weitaufgerissene Maul und den Panzer. Nach kurzer Zeit war das Monstrum erlegt und der Hexer kaum außer Atem.

Vom oberen Rand der Lichtung erschienen eine Handvoll Scoia'tael und ihre gespannten Bögen zeigten auf Zoltan und Geralt. Iorweth sprang zu ihnen hinunter, würdigte die tote Krabspinne keines Blickes und ließ sich auch sonst nicht anmerken, wie sehr er den weißhaarigen Hexer und seine Fähigkeiten bewunderte. Stattdessen meinte er herablassend: "Nette Vorstellung, Gwynbleidd. So viel Mühe machst du dir, obwohl dich ein ungleicher Kampf und der sichere Tod erwarten."

"Und das aus deinem Mund."

"Was willst du von mir, Vatt'ghern? Red' schnell, bevor ich euch beide töte." Erneut spannten die Elfen ihre Bögen.

"Lass Zoltan frei, Iorweth. Du hast ja mich."

"Ich habe euch beide. Einen Hexer, der dringend einen hässlichen Tod braucht. Und einen Verräterzwerg, der die Ehre seiner Brüder bespuckt." Der Anführer der Scoia'tael nahm es dem Zwerg etwas übel, dass er den Hexer so einfach selbstbestimmend zu ihm geführt hatte.

"Weißt du, worauf ich spucke, verdammter Dämlack? Auf eure dreckige Welpenbande, weswegen unschuldige Menschen umkommen."

"Unschuldige Menschen?! Amüsant, wie arrangiert du das hinausposaunst." Der Elf hatte die aufbrausende Art der Zwerge noch nie leiden können. Er ignorierte Zoltan Chivay und blickte zu Geralt von Riva.

"Ich will den Königsmörder Letho. Den Mann für dessen Verbrechen man mich jagt."

"Wärest du nicht Foltests Knecht geworden, wärest du bei dem Mord auch nicht zugegen gewesen. Du glaubst doch nicht, dass ich dir einen nützlichen Verbündeten ausliefere?"

"Letho hat dich verraten", begann Geralt sein Wissen endlich preis zu geben. "Er wollte sich mit deinem Gefährten Ciaran verständigen."

"Ciaran aep Easnillien ist tot! Seine Krieger sind vor zwei Wochen in einem Hinterhalt gefallen. Lügen haben kurze Beine, Gwynbleidd." Auch jetzt schmerzte es Iorweth noch sehr, von dem Tod seines guten Freundes Ciaran zu sprechen.

"Auf der Barke ist er", entgegnete Geralt. "Verwundet, aber am Leben. Er hat sich Letho widersetzt und seine Abteilung hat dafür teuer bezahlt."

Iorweth wusste von der Gefängnisbarke, die in Flotsams Hafen ankerte, in die der Kommandant Loredo alle seine Scoia'tael-Gefangenen brachte.

Der Elf zögerte. "Wenn das wahr ist, wird der Dh'oine sterben. Dein Wort allein genügt mir aber nicht."

"Was denn, du vertraust diesem Mörder weiter?"

Nein, das tat er nicht, aber das wollte er vor dem berühmten Hexer, dem Weißen Wolf, nicht eingestehen. Das verbot ihm sein Stolz. "Wenn du mich anlügst..."

"Wenn ich lüge, hat Ciaran auch gelogen", warf Geralt ein.

"Also prüfen wir das. Mal sehen, was Letho zu deinen Enthüllungen sagt."

"Wo ist er?" wollte Geralt ungeduldig wissen.

Grübelnd drehte sich Iorweth von den beiden weg und überlegte. Wie weit konnte er dem weißhaarigen Hexer trauen? Andererseits ahnte er von Anfang an, dass Letho ihn nur für seine eigenen persönlichen Ziele benutzt hatte. Er musste nun eine Entscheidung treffen.

"In den Ruinen von Cal'naveth. Was immer er da treibt, er scheint den Ort zu mögen." Iorweth schaute zum Hexer. "Das Kommando gibt uns Deckung. Seid ihr bereit?"

"Der gedungene Mörder hat sich also als Verräter entpuppt."

"Vorläufig steht nur sein Wort gegen deins."

"Wer ist er, dass du ihm so blind vertraust? Ein Dh'oine, der die schmutzigen Angelegenheiten der Scoia'tael erledigt?"

"Einer der bereit war zu tun, was zu tun ist. Einer der gezeigt hat, dass niemand unverwundbar ist", konterte Iorweth von Geralts Beschuldigungen in seinem Stolz gekränkt.

"Was willst du eigentlich Iorweth?"

"Das kannst du nicht verstehen." Der Hexer war kein Geächteter, so wie der Elf.

"Du hockst in den Wäldern, ermordest Reisigsammler. Kaust Wurzeln."

"Wir leben nach unseren eigenen Prinzipien", verteidigte Iorweth die ausweglose Situation der freien Elfen. "Wir tun, was wir tun müssen." Um zu überleben, doch das sprach er nicht aus.

"Was erwartet dich am Ende des Weges?" stocherte der weiße Wolf weiter in Iorweths Seelenwunde herum.

"Geralt, was geht's dich an. Esseth van'garn. Du hast alles aep arse." Iorweth verfiel ins Elfische, weil er für sein Leid keinen Menschenausdruck fand.

"Ich hab nicht alles aep arse." Geralts Stimme wurde noch dumpfer. "Mein Leben hängt gerade von deiner Laune ab. Drum bin ich neugierig."

Gut, dass du mich daran erinnerst, dachte Iorweth, denn noch waren sie keine Freunde. "Nur so viel: Die beiden Könige, die getötet wurden, waren zwei ausgemachte Hurenböcke. Die noch das Todesurteil ihrer Kinder unterschrieben hätten, um an der Macht zu bleiben. Aber im Osten gibt es jemanden, der die Krone verdient."

"Warum wolltest du Foltests Tod?"

"Foltest konnte den bezaubernden Menschen mimen. Doch wer war er wirklich? Er ließ zu, dass die alten Rassen in Temerien verfolgt wurden. Er war wie alle Dh'oine. Doch bedeutet sein Tod viel mehr."

"Du überfällst und ermordest die Bewohner von Flotsam und vergisst dabei, dass unter ihnen Elfen und Zwerge leben."

"Leben? Sie haben ihnen die Selbstachtung genommen. Ihnen nach Menschengesetz zu leben und zu sterben aufgedrängt, sie sind viel eher Dh'oine als du, Geralt."

Der Hexer sah endlich ein, dass er an Iorweths Einstellung vorläufig nichts ändern konnte. Es galt einen Verräter zu entlarven, daran erinnerte er. "Wir treffen uns dort."

"Va'fail Gwynbleidd. Und keine Tricks." Iorweth hob die Hand zum Gruß und ging.


Der Tag neigte sich dem Abend zu. Die Schatten wurden länger, als Geralt bei den Elfen¬ruinen ankam, wo Iorweth bereits wartete. Seine Scoia'taelkrieger lauerten versteckt auf den Bäumen und zwischen den Büschen, aber der Hexer hatte viele von ihnen bereits entdeckt.

"Spielen wir Theater. Sag Letho, dass du mich gefangen hast und mich ihm auslieferst", offenbarte der Elfenanführer seinen Plan.

"Und du?"

"Ich bin unbewaffnet. Hände gebunden. Sprichst du die Wahrheit, wird seine Reaktion dich bestätigen. Glaub nicht, dass ich dir traue. Denk an unsere Deckung. Wenn du versuchst was Dummes zu tun..."

"Ich verstehe", wandte Geralt kühl ein.

"Kaum", konterte Iorweth. "Sie beschmieren dir dein Gesicht mit Honig und stecken es in einen Ameisenhaufen." Er blickte dem Hexer herausfordernd ins Gesicht, der jedoch keine Miene verzog. "Da heulst du so, dass dich noch die Reiter der Wilden Jagd hören."

"Sind deine Unternehmungen alle so aufwendig? Warum befehlen wir Letho nicht einfach zu gestehen?"

"Eidd fenn nuelhe el'tern verde", sagte Iorweth auf elfisch.

"Erobere nicht durch Gewalt, sondern durch Kühnheit", übersetzte Geralt.

Dafür spendete Iorweth ihm Applaus. "Genau. Gehen wir."

Der Elf übergab dem Hexer sein Schwert, der ihm dann die Hände hinterm Rücken so zusammen band, dass er sich mit ein wenig Kraft selbst davon befreien konnte. Dann führte Geralt seinen Gefangenen vor sich her, den steinigen Weg zu den Elfenruinen hinauf.

"Meine Leute behalten dich im Auge. Eine falsche Bewegung und du bist tot", flüsterte Iorweth dem Hexer zu, dem er sich nun ausgeliefert hatte.

Sie marschierten durchs Tor und entdecken Letho sofort. Der Muskelprotz saß vor der Statue der Liebenden auf einen Stein und schien seinen Gedanken nachzuhängen.

"Geralt von Riva", begrüßte ihn Letho. Der weißhaarige Hexer stieß seinen Elfengefangenen von sich, dass dieser zu Boden stürzte. "Was suchst du hier?"

Während sich Iorweth zurück auf die Füße bemühte, erhob sich der Muskelprotz und kam bis auf eine Schwertlänge an die beiden heran.

"Ich komme um zu verhandeln", erwiderte Geralt trocken.

"Ha, der Waldfuchs hat sich tatsächlich greifen lassen!" Letho schien amüsiert. "Ich hab dich unterschätzt." Das war an Geralt gerichtet.

"Was tut ein Mensch in den Reihen der Scoia'tael?" fragte der weißhaarige Hexer, dabei blieb seine Stimme völlig emotionslos.

"Du kennst das Sprichwort: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die Scoia'tael sind meine Rachebrüder."

"Genug gescherzt, mach mich los!" forderte Iorweth.

Doch die Hexer ignorierten den Elf zunächst, sie hatten ihren eigenen kleinen Disput auszu-tragen. "Sag mir", verlangte Geralt, "für wen du wirklich arbeitest und der Elf ist dein."

"Wir arbeiten für uns."

"Wer wir?" Ein Hauch Verblüffung huschte über das bleiche Gesicht.

"Die Königsmörder." Es gab also noch mehr von diesen schlangenfalschen Assassinen?

"Du hast Foltest ermordet", kam Geralt zu seinem eigentlichen Anliegen zurück, "da kannst du dich nicht herauswinden."

"Der einzige, der gesehen hat wie er starb, bist du. Da kannst du dich nicht herauswinden."

"Ciaran aep Easnillien sagt, du willst Iorweth liquidieren", sprach Geralt das nächste Problem an.

"Und wenn. Warum solltest du mir helfen?"

"Bloéde Dh'oine", warf der Elf dazwischen, doch er wurde weiterhin ignoriert.

"Sag mir wer du bist?" forderte Geralt.

"Du erinnerst dich wirklich nicht?"

"Diese Frage steht mir bis sonst wo!" brummte der weiße Wolf, den es am meisten nervte unter Gedächtnisverlust zu leiden.

"Es ist also wahr. Und gerade deinen Strich durch die Rechnung hatte ich befürchtet. Ich bin Letho von Guleta, der Königsmörder."

"Demawend. Foltest. Wer noch? Wer seid ihr, verdammt noch mal?" Geralt fletschte die Zähne, behielt sich aber noch unter Kontrolle.

"Wir sind uns schon begegnet, Geralt", gestand Letho ruhig. "Weißt du das nicht mehr?"

"Nein!" Geralt schüttelte den Kopf.

"Das vergesse ich nie. Du hast mir das Leben gerettet, weißer Wolf. Wir haben Schulter an Schulter gekämpft. Und jetzt kreuzen wir die Klingen. So weit wäre es nicht gekommen, wenn ich Iorweth schon getötet hätte."

Jetzt war es heraus! "Serrit und Egan werden in ihrem Blut ersaufen", rief Iorweth wütend.

"Glaub ich kaum", antwortete ihm Letho gelassen. "Ehe die Scoia'tael im Pontartal merken, dass du nicht mehr am Leben bist, haben meine Leute ihre Aufgabe erfüllt."

"Serrit und Egan, wer sind sie?"

Iorweth antwortete auf Geralts Frage. "Königsmörder. Denen die Scoia'tael im Pontartal in Ober-Aedirn geholfen haben."

Die beiden Hexer fixierten sich mit ihren gelben hassfunkelnden Katzenaugen.

"Es muss nicht so enden", meinte Geralt in die Pause hinein. "Erzähl mir alles!"

Doch Iorweth hatte genug erfahren. "Genug mit der Farce", brüllte er und rief zum Angriff. Und seine Scoia'taelkrieger sprangen aus ihren Verstecken.

Letho sprang zurück und zog sein Schwert. "Was treibst du da für ein Spiel?"

Auch Geralt hielt schon ein Schwert in seiner Hand. "Eins das du verloren hast."

Plötzlich streckte ein Bolzen einen Elfenkrieger nieder und Vernon Roche mit seinem "Blauen Streifen" Kommando tauchte aus dem Wald auf.

Iorweth hatte in dem aufkommenden Chaos seine Fesseln abgestreift und verlangte von Geralt: "Gib mir mein Schwert!"

Noch zögerte der weißhaarige Hexer, denn Roche war ihm ein guter Freund. Doch dann griff er in seinen Rücken und zog die Elfenklinge hervor und gab sie Iorweth. Alle stürzten sich in den Kampf.


Mit einem hasserfüllten "Krepier!" warf sich Iorweth auf den blaugestreiften Kommandanten.

"Ich muss dich töten", brüllte Letho und sein mächtiger Beidhänder saust auf Geralt herab.

"Versuch es, ich bin kein König!" Geralt parierte den Hieb, dass nur so die Funken sprühten.

Es gab kein Pardon, die magisch begabten Hexer lieferten sich einen erbitterten Kampf. Bis sie in die Grotte hinabstürzten und aus den Blicken der anderen Kämpfenden verschwanden. Dort unten erwies sich Letho zwar als der bessere Kämpfer, aber er ließ Geralt am Leben, da ihm dieser einst mal das Leben rettete. Der Muskelprotz verriet ihm sogar, was seine nächsten Schritte sein würden: dass er Geralts Hexe dazu nutzen wollte, um schnellstmöglich ins Pontartal zu gelangen.

Dann verschwand der Königsmörder.

Iorweth fand Geralt allein in der Grotte vor.

"Wo ist Roche?" wollte der Hexer wissen und hoffte, dass die Scoia'tael die "Blauen Streifen" nicht vernichtet hatten.

"Wir haben ein paar erwischt, der Rest ist entwischt. Und Letho, tot?" Doch Iorweth suchender Blick entdeckte keine Hexerleiche.

"Unterwegs nach Flotsam."

"Woher weißt du das?" Musste er dem wortkargen weißen Wolf wieder jedes Wort aus der Nase ziehen?

"Er will Triss. Ich muss los."

"Bring ihn um, bevor er mit den anderen Kontakt aufnimmt."

"Du hättest dem Dh'oine nicht vertrauen sollen." Geralt schob sein Stahlschwert zurück in die Lederhülle am Rücken und ging Richtung Ausgang. "Komm!"

"Nein, Geralt. Wir können da nicht hin. Die Garnison."

"Natürlich, mir war entfallen, was ihr für Krieger seid."

Iorweth kommentierte die Kritik mit einem Schulterzucken. "Verhedd herde, Gwynbleidd. Viel Glück." Der Elf hob die Hand zum Abschied und ging einen anderen Weg.


Dass Geralt von Riva dem Scoia'tael-Anführer Iorweth geholfen hatte, war bei seiner Ankunft bereits in Flotsam angekommen. Loredos Soldaten taten ihr übriges dazu und stachelten die Bewohner gegen die Anderlinge auf. Der Hexer hatte allerhand zu tun, um weitere tödliche Übergriffe auf Elfen zu verhindern. Doch das Pogrom war ausgerufen und die Innenstadt abgeriegelt worden.

Zudem war ihm Letho zuvor gekommen, und entkam mithilfe Triss Merigold und dem Teleporter der Zauberin Sheala de Tancarville, die in der Faktorei auf Kayranjagd gewesen war.

Kommandant Loredo schien allmählich durchzudrehen. Vernon Roche und seine "Blauen Streifen" wollten so schnell wie möglich aus Flotsam fort und ins Pontartal reisen, hinter dem Königsmörder her.

Geralt sollte ihn begleiten, doch er entschied sich Iorweth zu helfen.

Zoltan begleitete den Hexer zum nächsten Treffen der Scoia'tael. Geralt berichtete Iorweth, was in Flotsam vorgefallen war und dass Letho ihm zuvorgekommen war.

"Wo ist er?" fragte der Elf.

"In Aedirn. Er hat Triss zum Teleport gezwungen."

"Oh, verdammt! Aedirns Scoia'tael werden für meine Dummheit blutig bezahlen." Als Anführer durfte man sich keine Fehler erlauben. Iorweth überlegte kurz und befahl dann seinem Begleiter. "Elias, Abteilung Abmarsch bereit machen. Sofort aufbrechen!"

"Das sind zwei Tagesmärsche. Das schaffst du nicht", erwiderte Geralt.

"Doch!"

"Wie das?"

Iorweth betrachtete den Hexer eingehend. "Entscheide dich erst, ob du uns hilfst."

"Ja, ich helfe euch." Schließlich stand der Hexer ja hier. "Zusammen kriegen wir Letho."

"Sehr gut." Iorweth hatte die verräterische Schlange gegen den legendären weißen Wolf eingetauscht. Einen besseren Verbündeten konnte sich der Elf nicht wünschen. "Es gibt keine Zeit zu verlieren. Wir holen uns die Gefangenenbarke."

"Mit einer Handvoll Elfen willst du ein Schiff entern. In einer Stadt, die gerade ein Pogrom veranstaltet hat? Ich habe mich geirrt. Du bist nicht anmaßend, sondern schlicht verrückt."

"Das hat meine Mutter auch gesagt", kommentierte der Elf und drehte ab.


Am späten Nachmittag trafen sich Geralt und Iorweth erneut, alles war zum Aufbruch bereit. Der Elf hatte all seine Scoia'taelkrieger aus dem Wald zusammen gerufen. Und der Hexer war mit seinen beiden Freunden dem Zwerg Zoltan Chivay und dem Barden Rittersporn gekommen.

"In der Faktorei ist die Hölle los. Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?" Selten wich der Hexer einem Kampf aus, wenn er nicht gerade den sicheren Tod bedeutete.

"Wir betreten die Stadt gar nicht. Wir trennen uns. Greif du von der Anlegestelle aus an. Nimm unsere besten Späher mit." Iorweth verstand Geralts Zögern nicht, hatte er ihm doch noch vor kurzem Feigheit vorgeworfen. "Ich fahre mit den anderen über den Fluss. Die meisten Wachen dürften sich in der Faktorei aufhalten."

"Das Pogrom passt uns also gut in den Kram?" warf der Hexer ihm angewidert entgegen.

"So ist das nicht gemeint."

"Natürlich nicht. An der Anlegestelle könnte es brenzlich werden."

"Dachtest du, wir machen einen Spaziergang?" Warum zauderte der Hexer, schien dieser Plan so aussichtslos?

"Darum geht es nicht." Geralt war eher praktisch veranlagt. "Greifen wir besser zu einer List, wie bei Letho."

"Beim Anlieger gibt es keinerlei Unterstützung", wandte Iorweth ein. Erneut bewies der Hexer Mut.

"Aber dafür halten uns die Wächter nicht auf. Und auf der Barke haben wir nur eine Handvoll gegen uns."

"Gut, die sind tot, bevor sie ihre Schwerter ziehen können."

"Dann geben wir den anderen ein Signal."

"Diesmal entkommt uns keiner", entgegnete Iorweth bereits siegessicher "Einverstanden. So machen wir es. Scoia'tael em'vennian Vrihedd!"

"Vrihedd!" antworteten ihm seine Krieger.

"Mir nach!"


Wieder gab sich Iorweth als Gefangener des Hexers aus. War ihm ausgeliefert. Doch der Scoia'tael-Anführer vertraute Geralt. Sie näherten sich den Außenbezirk und gingen in Richtung Hafen.

"Ich habe den Dh'oine das Leben zur Hölle gemacht", gestand Iorweth, "war aber noch nie hier."

"Wie gefällt dir die andere Seite der Medaille?" flüsterte Geralt zurück und schob den gefesselten Elf vor sich her.

Einige Bewohner traten neugierig aus ihren ärmlichen Häusern, hielten in ihrer Arbeit inne, als die beiden Männer an ihnen vorbei gingen.

"Sie sehen mich auch zum ersten Mal." In so manchen Augen sprühte ihnen Hass entgegen, als der entstellte Elf erkannt wurde. "Sehen nicht aus, als würde ihr Gewissen sie plagen."

Unerwartet setzte Regen ein.

"Sollte es denn?"

"Wohl nicht", flüsterte Iorweth. "Sie wollen mich sterben sehen. ICH will sie sterben sehen. So ist das eben auf dieser Welt. Die andere Seite der Medaille haben sich die Philosophen in Oxenfurt ausgedacht. Die kennen Orte, wie Flotsam nicht."

"Heute stirbt keiner, Iorweth. Abgesehen von den Söldnern des Kommandanten."

Sie näherten sich einem Engpass in den Straßen, den zwei von Loredos Handlangern bewachten. Der Regen verdichtete sich inzwischen immer mehr und durchnässte jeden bis auf die Haut.

"Halt! Wohin willst du mit dem Elf?" sprach sie der bullig-untersetzte Soldat an.

"Das ist Iorweth. Loredo hat befohlen, ihn auf die Gefängnisbarke zu bringen."

"Meiner Treu, Iorweth, Höchstselbst. Diese Wanze hat meinen Bruder auf dem Gewissen. Würd mich gern mal eben mit ihm unterhalten." Der fette Soldat klopfte an seinen Dolch.

Geralt hatte nicht erwartet, dass es ohne Probleme ablaufen würde. "Dafür ist keine Zeit!"

"Ach, und wieso nicht", blaffte der Soldat ungehalten.

"Mein Befehl lautet, ihn auf die Barke zu bringen." Iorweth beobachtete alles unruhig mit gesenktem Kopf.

"Und du bist wer? Ein Elfenliebchen?" kommentierte der Soldat gereizt.

"Laut Loredo darf niemand mich aufhalten!" sagte Geralt und unterstütze seine Worte mit dem beeinflussenden Axii-Zeichen.

"Oh, ich hab überhaupt nichts gesagt", gab ihnen der Wachposten kleinlaut den Weg zum Hafen frei. Als sie durch waren, verschloss dieser den Durchgang mit einem Karren.

"Dieser miese kleine Dh'oineling hier. Solche töte ich am liebsten. Das ist wie Unkraut jäten." Für einen Elfen legte Iorweth ungewöhnlich viel Hass in seine Stimme.

"Ein schlichtes Danke hätt's auch getan", erwiderte Geralt trocken.

"Du bist doch mein Held."

Am Anlegesteg begegneten ihnen weitere Wachsoldaten von Loredo. Der Tag hatte sich durch den Regen so verdunkelt, dass das Unwetter eine willkommene Deckung abgab.

Auch hier wurde Geralt nach dem "Wohin?" gefragt und der Hexer antwortete mit der Lüge "Befehl von Loredo" und man ließ die beiden Männer problemlos passieren.

Kaum auf der Barke angekommen, flüsterte Geralt Iorweth ins Ohr: "Ich die linke Seite, du die rechte."

Ein dicker Soldat griff sich den gebundenen Elfen und wollte ihn unter Deck in die Verliese bringen, als ihn sich Iorweth auf die Schultern stemmte und über die Reling wuchtete.

Zeitgleich hatte Geralt ein Schwert gezogen und durchbohrte damit einen nächstnäheren Wach-soldaten. Mit einem Kopfstoß befreite er die Waffe aus dem Toten und warf es einem anderen Angreifer in die Brust.

Derweil hatte sich Iorweth von seinen Fesseln befreit und zog das geworfene Schwert aus dem Sterbenden.

Die beiden Kämpfer standen alsbald Rücken an Rücken und stellten sich den verbliebenen sechs Wachsoldaten auf dem Schiff. Der Kampf dauerte nicht lange, die geübten Krieger hatten Loredos Soldaten schnell überwältigt.

Iorweth gab ein Zeichen und aus den Verstecken am Ufer liefen seine Scoia'taelkrieger herbei und töteten die restlichen Soldaten, die am Anlieger patroulierten. Der Regen gab ihnen zudem genügend Deckung, um nicht von der Siedlung gesehen zu werden. Er ließ allmählich nach, als die Elfenkrieger die Barke geentert hatten.

Vom sicheren Hafen aus, hatten einige Bewohner Flotsams den Kampf beobachtet und schwangen wütend die Fäuste - wagten es aber nicht einzugreifen.

Da bemerkten sie das Licht im Zollturm am Hafen.

Loredo stand mit einer Elfin ganz oben und schrie hinunter: "Ich wusste, dass du mit denen paktierst, Mutant. Fühlst dich wohl als Held, nicht wahr. Legt ihr ab, verbrenne ich diese Huren bei lebendigem Leibe."

Iorweth trat neben Geralt an die Reling. "Wir segeln. Unsere Frauen sind bereit zu sterben."

Die Elfen zogen bereits den Anker ein. Loredo stieß die Elfin in den Turm zurück und warf die Fackel, die er bis dahin noch in der Hand gehalten hatte, aufs Dach. Trotz des vorausgegangenen Regens, entzündete sich das feuchte Holz, Schuld war das hartnäckig-brennende Pech, das die spuckende Fackel dort verteilte. Loredo hingegen brachte sich eilig in Sicherheit.

Geralt zögerte, schätzte wohl seine Erfolgschancen ab. "Ich werde das nicht zulassen!" Der Hexer sprang über die Reling auf den Anlegesteg, von dem sich die Barke bereits entfernte.

"Bloéder Dh'oine", murmelte Iorweth und sah Geralt nach, der zum Turm eilte. Wer ihn unterwegs aufhalten wollte, bekam seinen scharfen Stahl zu spüren.

Iorweth befahl das Schiff zu stoppen. Er wartete und hoffte. Doch vorerst weitete sich das Feuer im Gebälk des Zollturms weiter aus und die ersten Schreie der darin gefangenen Elfenfrauen drangen an ihre spitzen Ohren. Iorweths Griff um das Holz der Reling wurde fester. Minuten des bangen Hoffens vergingen gnadenlos.

Endlich machte er auf der Plattform eine Bewegung aus. Drei Elfinnen stolperten hustend hervor und stürzten sich ins rettende Nass.

Der Turm brannte inzwischen lichterloh, als eine vierte Gestalt durch das Feuer brach und sich ins Hafenbecken stürzte.

Der Hexer hatte es geschafft.

Iorweth fischte den Hexer und die drei geretteten Elfenfrauen aus dem Wasser.

"Loredo ist entwischt", brummte Geralt.

"Der kommt nicht weit. Wenn ihn nicht ein Einheimischer erledigt, dann jemand anders. Es spielt keine Rolle. Du hast unsere Frauen gerettet. Wir stehen in deiner Schuld."

"Hilf mir den Königsmörder und Triss zu finden, dann sind wir quitt."

Iorweth blickte zu seinem neuen mächtigen Freund und nickte. "Auf nach Vergen. Wir legen ab!"

Da fiel Geralt noch etwas anderes ein. "Konnte Vernon Roche ungehindert ablegen?"

"Ihm fehlt nichts. Wir haben ein bisschen geplaudert, stell dir vor. Aber es sollte dir klar sein, er konnte nur ziehen, weil ich es zugelassen habe."

Iorweth erinnerte sich, er war dem Kommandanten der "Blauen Streifen" nach dem Vorfall in den Elfenruinen ein weiteres Mal begegnet.

Auf einer kleinen Waldlichtung hatte Roche ihn bereits mit gezogener Waffe erwartet.

Iorweth trat aus dem Dickicht und zog seine eigene Elfenklinge. Kurz belauerten sich die Kontrahenten, dann stürmte der Scoia'tael-Anführer los.

Heftig und unerwartet kurz war der Kampf, als Iorweth Roches Deckung durchbrach und ihn niederstach. Der Mann stürzte zu Boden.

"Temerische Spezialverbände", begann Iorweth seine Triumpfrede und kniete sich neben den Verletzten. "Nach dem ersten Nilfgaardkrieg von Foltest zur Bekämpfung der Scoia'tael aufgestellt. Veteranen. Fachleute. Die Besten der Besten. Es ist aus, Roche. Siehst du diese Schilde?" Der Elf tippte an die gesammelten Embleme an seiner Brust. Trophäen. "Mir fehlen nur noch die Temerischen Lilien. Ich habe die Anführer aller Spezialverbände im Norden besiegt. Jetzt kann ich die Scoia'tael einen."

"Bringen wir's hinter uns."

"Ich werde dich nicht umbringen, Roche. Aen Seidhe töten nicht die letzten Vertreter einer aussterbenden Gattung." Der Elf erhob sich. Das ist nicht der einzige Grund warum ich dich Dreckskerl am Leben lasse, dachte Iorweth, vielleicht kannst du mir irgendwann einmal von Nutzen sein? "Leb weiter und vergiss nie, wer dich besiegt hat. Denn ich kann es ein zweites Mal tun." Der Elf steckte sein Schwert zurück in die Scheide und verließ den Verwundeten. "Va'fail, Vernon Roche."

"Du machst einen Fehler, Iorweth. Ich werde dich finden", rief ihm Roche hinterher.

Iorweth hoffte, dass der Kommandant sich irren mochte und er diesen Gnadenzug nie bereuen musste.


Unterwegs nach Vergen erfuhr Geralt von Iorweth, warum er dem Pontartal zur Hilfe eilen wollte.

Nach Demawends Tod hatte Henselt, König von Kaedwen eine Armee an die Grenzen Aedirn marschieren lassen, um sich das rebellische Pontartal unter den Nagel zu reißen. Ihm stellte sich eine tapfere Jungfrau in den Weg. Ihr Name war Saskia, die Drachentöterin. Und ihr zur Seite stand die mächtige Zauberin Philippa Eilhart. Die Zwergenstadt Vergen war ihr Machtzentrum.

Ciaran aep Easnillien hatte mit ihr Kontakt aufgenommen und war von der Tapferkeit und dem Idealismus der Jungfrau von Aedirn tief beeindruckt gewesen. Das war kurz bevor der Scoia'tael auf die Königsmörder gestoßen war.

Nun träumte Iorweth von einer freien Elfennation im Pontartal. Sah die Drachentöterin und ihre Rebellen als nützliche Verbündete. Und sicher konnten die Verteidiger seine Hilfe gut brauchen. Schließlich konnte der Elf eine Armee von einigen Hundert Bogenschützen aufweisen - und Elfen waren bekannt für ihren meisterlichen Umgang mit Pfeil und Bogen.

Doch vorerst segelte Iorweth mit einhundert Scoia'tael aus den östlichsten Wäldern Temeriens auf dem Grenzfluss, dem Pontar, gen Osten. Nach nur einem Tag würden sie ihr Ziel erreicht haben.

Die Zwergenstadt Vergen lag jedoch in einem schluchtenreichen Gebiet Ober-Aedirns und an den Ufern direkt unterhalb, lagerte der Feind aus Kaedwen. Sie mussten die Barke in einem sicheren Versteck zurücklassen.

Eine Handvoll Elfen blieb zurück. Einige weitere schickte der Elfenanführer durchs Land, um seine gesamten Scoia'tael zusammen zu rufen. Das Pontartal stand kurz vor einem Krieg und Iorweth wollte gerüstet sein.

Seinen engsten Vertrauten Elias und hundert seiner Krieger schickte er auf direktem Weg nach Vergen. Er selbst wollte sich mit Geralt zu einem Treffen schleichen, von dem er bei seiner Ankunft in Aedirn erfahren hatte...



In einem täuschte der Hexer sich gewaltig. Iorweth war kein Greis in jugendlicher Hülle, er war tatsächlich noch ein recht junger Elf von einhundertzwanzig Jahren. Dem jedoch schon früh das Schicksal übel mitgespielt hatte. Als er sein rechtes Auge verlor und den Ruf des wohl hässlichsten Elfen bekam, setzte er sich an die Spitze der Freiheitskämpfer, der sogenannten Scoia'tael. Er trug königliches Elfenblut in sich, war klug und einer der besten Schwertkämpfer seiner Zeit. Seine Krieger verehrten ihn, da er sie mit respektvoller Hand führte, sich um sie kümmerte in der größten Not.

Iorweth wurde gegenüber seinen Feinden immer erbarmungsloser, je mehr sie Jagd auf ihn und seine Eichhörnchen machten. Und der Überlebenskampf wurde mit jedem Mal härter. Er wusste, dass dieser Kampf der Untergang seines Volkes sein würde. Darum suchte er einen Ausweg.

Erbittert bekämpfte er die Dh'oine, die ihre stinkenden Häuser auf den Überresten einst prächtiger Elfenstädte errichtet hatten und wurde zum überall gesuchten Schlächter. Und doch waren es zu viele... ausweglos der blutige Kampf.

Nun schien ein Menschenkrieg ihm neue Hoffnung zu bringen, doch noch überleben zu können. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte Iorweth einen nichtelfischen Freund an seiner Seite, den Hexer Geralt von Riva...




SILBER UND STAHL

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