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III - Varulfen

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Die Jungfrau sollte nach Hause gehen

Die Linde rauscht am Hain

Sie nahm den Weg durch den dunklen Wald

Denn sie war von der Lust getrieben.


Und als sie am dunklen Wald ankam

Die Linde rauscht am Hain

Traf sie dort auf einen tiefgrauen Wolf

Denn sie war von der Lust getrieben.


Lieber Wolf bitte friss mich nicht

Ich werde dir mein silbernes Kleid geben.

Dein silbernes Kleid ist mir egal

Ich will dein junges Leben und dein Blut.


Die Jungfrau stieg hoch in eine Eiche

Die Linde rauscht am Hain

Der Wolf streifte heulend um den Baum

Denn sie war von der Lust getrieben.


Der Wolf gräbt nach den Wurzeln der Eiche

Die Linde rauscht am Hain

Die Jungfrau gab einen fürchterlichen Schrei von sich

Denn sie war von der Lust getrieben.


Lieber Wolf friss mich nicht

Ich werde dir meine goldene Krone geben.

Deine goldene Krone ist mir egal

Ich will dein junges Leben und dein Blut.


Der Jüngling sattelt sein graues Ross

Die Linde rauscht am Hain

Er reitet schneller als ein Vogel fliegt

Denn sie war von der Lust getrieben.


Und als er an den Platz kam

Die Linde rauschte am Hain

Fand er nichts mehr als einen blutigen Arm

Denn sie war von der Lust getrieben.


Gott tröste mich, Gott bessere mich armen Jüngling

Die Linde rauschte am Hain

Meine Jungfrau ist von mir gegangen und mein Pferd ist halbtot

Denn sie war von der Lust getrieben.


(Text/Musik: trad. Skandinavisch - Übersetzung: Jacob Moberg / Saltatio Mortis)



1

Der Koloss aus Stein und Herzlosigkeit stürmte dem weißhaarigen Kämpfer entgegen. Ein Donnerbrüllen grollte aus seinem zahnlosen Maul. Auch der Kämpfer rannte dem Golem entgegen und sein Silberschwert blitzte in der Nachmittags¬sonne auf. Das Schwert in der Steinpranke dagegen wirkte wie ein Zahnstocher, reichte aber aus, den Mann mit dem weißen Haar aufzuspießen. Die beiden Kontrahenten verkeilten sich ineinander und der Golem brach unter lautem Getöse zusammen – den weißhaarigen Hexer unter sich begrabend.

Der Kampflärm erstarb und der aufgewirbelte Straßenstaub legte sich. Vorsichtig durchbrachen die ersten Vögel mit einem Lied die Stille und dann kam auch wieder Bewegung in den vor Angst erstarrten Kaufmann, den der Steinkoloss zuvor überfallen hatte – bevor ihm glücklicherweise der heraneilende Hexer Geralt von Riva zur Hilfe geeilt war.

Kaufmann Ayden Samhradh kroch hinter seinem vollgepackten Wagen hervor. Traurig blickte er auf das erschlagene Zugpferd und ging zum zweiten Tier, das zitternd im Geschirr stand und den heimtückischen Angriff des Golems überlebt hatte.

Der schlanke Mann in den gepflegten blauen Gewändern eines erfolgreichen Kaufmannes war ein hübscher Elf mit nackenlangem, braunem Haar und rehbraunen Augen. Er hatte die typischen spitzen Ohren, aber nicht den Kampfgeist seines kriegerischen Volkes geerbt – sonst hätte er wohl keine Hilfe von außerhalb benötigt, um es mit dem Steingolem aufzunehmen. Ayden Samhradh war ein von der menschlichen Zivilisation verwöhnter Kaufmann, der regen Handel zwischen den Menschen und den Wesen der alten Welt trieb. So war er nur mit einem schlanken Stilett bewaffnet, das gegen dieses Ungeheuer mehr als nutzlos war. Sein schwerbewaffneter Begleitschutz Trölt Wolfschädel – ein vollbärtiger Zwerg – hatte die Flucht ergriffen, kaum dass der Steinkoloss aus einem Birkenhain gestampft war.

Vorsichtig näherte sich Ayden dem riesigen Steinhaufen auf der Straße. Er hob einen Ast auf und stupste damit im Steinhaufen herum, aber alles blieb ruhig. Der Kaufmannself ging um den Golem herum. Das Silberschwert steckte im winzigen Kopf des Monsters und stützte den Oberkörper, so entstand darunter eine kleine Höhle in der Ayden den weißhaarigen Kämpfer entdeckte. Sofort versuchte er den Bewusstlosen hervor zu ziehen, was ihm nur unter aller Kraftanstrengung gelang. Dabei brach das Kurzschwert in der Schulter des Hexers ab, als er den Eingekeilten unter dem Steinarm des Golems hervorziehen konnte, bevor dieser einbrach. Felsbrocken kullerten kreuz und quer über die Straße, als der tote Koloss auseinanderbrach.

Der Elf schleifte den Hexer aus der Gefahrenzone und untersuchte seine Wunde. Das rostige Schwert des Golems war oberhalb des Herzens, kurz unterhalb des Jochbeins, so tief eingedrungen, dass die Spitze hinten herausschaute. Zum Glück blutete die Wunde nicht stark und Ayden wagte nicht, die Klinge jetzt zu entfernen.

Er begann das tote Pferd vom Wagen zu befreien, als reumütig sein Begleiter zurückkehrte. Der Zwerg steckte sein Schwert zurück in die Scheide, als er sah, dass keine Gefahr mehr drohte.

„Für was bezahle ich dich eigentlich, Trölt Wolfschädel, wenn du bei der ersten Gefahr davonläufst!“ Der Kaufmann versetzte dem Zwerg eine harmlose Backpfeife.

Kommentarlos half er seinem Chef Geralts Braunen vor den Wagen einzuspannen und Platz auf der Ladefläche zu schaffen, wo der Verwundete gelagert werden konnte. Trölt zog auch das Silberschwert aus dem Golemkopf und lenkte dann den schwerbeladenen Wagen zurück auf die Straße in Richtung Filderstedt, wo Ayden Samhradh lebte. Der Kaufmann selbst saß bei dem verwundeten Hexer und achtete darauf, dass die Fahrt ihn nicht zu sehr durchrüttelte.



2

Das Alpwesen witterte im Weltenäther nach einem neuen Opfer und er fand es. Ein sehr interessantes und im Fieberwahn liegendes Opfer.

Meistens suchte er frisch verliebte Frauen des Nächtens heim. Setzte sich auf deren bebende Brust und bescherte ihnen Horrorvisionen ihrer tiefsten Ängste. Aber diesmal fand er einen gestandenen Krieger, der durch das Wundfieber für ihn angreifbar wurde.

Unbemerkt setzte sich der Alp auf die kräftige Brust des weißhaarigen Kriegers. Er labte etwas Wundessenz und infizierte mit seinem Speichel zusätzlich die tiefe Schulterwunde.

Das unsichtbare Wesen hauchte Geralt von Riva einen Kuss auf die bleichen Lippen und drang so in sein Innerstes vor. Er tauchte ein in die Erinnerungen und Gedanken des Hexers. „Welch ein Fang!“ frohlockte der Alp, als er tiefer in den Geist des Kämpfers vorstieß. „Ich werde lange von dir zehren können, Hexer!“


„Er hat viel Blut verloren. Die Wunde will sich nicht schließen und beginnt auch noch zu eitern!“ Die junge Elfenfrau wechselte besorgt den Schulterverband. „Er liegt im Fieber – ich kann nichts mehr für ihn tun. Ich werde unverzüglich meine Meisterin Cyonil Tir’Duinn herbitten.“ Eileal Fitheach, eine Heilerin mit rostroten Haaren erhob sich und wandte sich den beiden anderen Personen in dem kleinen Krankenzimmer zu. „Er wird zusehends schwächer. Verdopple seine Kräuterration. Ich hoffe er hält durch, bis ich mit meiner Meisterin wieder hier bin.“

„Er hat kaum wache Momente. Und alles was ich ihm an Kräuter, Tränken und Suppen eingebe schwitzt er wieder aus“, erwiderte Kaufmannsfrau Telda Samhradh – eine schwarzhaarige Menschenfrau. An ihrer Seite stand ihr Mann, Ayden Samhradh.

„Er ist ein Hexer, müssten da seine Heilkräfte nicht besser funktionieren?“ meinte Ayden.

„Ja, eigentlich schon. Aber die Klinge, die ich aus seiner Wunde gezogen habe, war sehr verdreckt und vielleicht sogar vergiftet,", kommentierte Eileal Fitheach. Sie schaute auf den schlafenden Krieger auf dem Lager aus weißem Linnen.

Geralts zerschundener, nackter Körper lag weich gebettet in Decken gehüllt. Ab und an stöhnte er im Fieberwahn auf und warf sich hin und her – dann musste man ihn halten, dass er sich nicht verletzte. Ein kühles, nasses Tuch lag auf seiner Stirn, die Augen waren geschlossen. Die kräftigen Arme lagen über der Decke, die bis zum Bauch herabgezogen war. Unzählige alte und frischere Narben zierten seinen gestählten Leib.

„Ich breche unverzüglich auf“, erwiderte die Heilerin und Elfin Eileal. „In bin hoffentlich in zwei Tagen wieder zurück.“ Sie verließ das Zimmer.

„Er hat mir das Leben gerettet. Kümmere dich gut um ihn, meine Liebe.“ Ayden nahm seine schwarzhaarige Menschenfrau kurz in den Arm und küsste ihre Stirn. „Ich darf aber nicht länger meine Geschäfte vernachlässigen. Ich werde heute Nachmittag abreisen, Telda.“

„Ich tu mein bestes“, erwiderte Telda Samhradh und begann einen weiteren Kräutertrank für den Hexer herzurichten.


Um ihn war Dunkelheit und doch konnte er sehen. Ein heller Mond schien durch die Kronen mächtiger Bäume in einem alten Wald. Es war nach dem Winterschnee, aber kurz vor der Frühlingsblüte. Braun und dunkelgrün bedeckte dichtes Moos den Waldboden und schluckte jeden Laut – außer man zertrat einen dürren Zweig.

Ich kenne diesen Ort, diesen verfluchten Wald, dachte Geralt und folgte einem nicht vorgegebenen Weg. Dann trat er auf eine Lichtung. Innmitten der Bresche stand eine mächtige Eiche. Woher kannte er diesen Baum? Der Hexer grübelte kurz. Es war lange her, sehr lange her, dass er unter dieser Eiche gestanden hatte. Und aus einer fernen Erinnerung heraus blickte er nach oben.

Ein graues, haariges Etwas saß auf einem Ast im Dunkeln über ihn. Geralt sah ein gelbes Augenpaar mit geschlitzten Pupillen aufblitzen. Ähnliche Augen wie seine. Tieraugen. Die Augen eines grauen Wolfes – erinnerte sich der Hexer.

„Hallo Geralt von Riva!“ sprach ihn der graue haarige Schatten an.

„Hallo Ulf Varen!“ erwiderte Geralt – ein junger Hexenkrieger von kaum achtzehn Jahren, den eine blutige Spur zu dieser alten Eiche geführt hatte.

Der junge Geralt tastete nach seinen Schwertern, aber er trug keinerlei Waffen – nur einfache Bauernkleidung: eine Hose und ein Hemd aus braunem Leinen und dazu Wildlederstiefel. So war das damals aber nicht gewesen, dachte er.

Etwas wurde von oben auf ihn geworfen. Instinktiv wich er dem länglichen Gegenstand aus. Es war ein nackter abgerissener Arm eines bedauerlichen Mädchens. Er hörte ein kurzes Lachen, aber als er hinauf sah, war der graue Schatten, mit Namen Ulf Varen, verschwunden. Nur ein blutiger Fetzen Kleides hin über dem dicken Ast, auf dem er vor wenigen Lidschlägen noch gesessen hatte.


Er war damals an diesen Ort geschickt worden, um seinen allerersten Auftrag zu erfüllen. Ihm kam es einer Prüfung gleich, eine Umsetzung seiner gelernten Kampfkunst und Instinkte, seiner Bestimmung und seines Hexerkönnen.

Nach seiner Ausbildung und der Umwandlung zum Hexer wurde er allein in die Welt hinausgeschickt, mit der Aufgabe Ungeheuer zu töten. Mit siebzehn machte er sich auf seinen langen Weg, ausgestattet mit einem Pferd, einem Silber- und einem Stahlschwert, einer Schatulle mit wertvollen Elixieren und seinem immensen Hexerwissen. Einem Wissen um Magie, Zauber¬zeichen, Zaubersprüchen und elementares Wissen um jedes Lebewesen dieser Welt ...und wie es zu töten war.

Seine Wanderschaft währte nur kurz, als er auf ein Dorf traf, das ein Werwolfproblem hatte. Im nördlichen Wald trieb ein Teufelswolf sein schändliches Unwesen, indem er unschuldige Mädchen zu sich lockte und sie dann auffraß. Bereits drei Mädchen seien in den letzten Wochen verschwunden und erst heute Morgen – so gestand der Dorfälteste – wurde ein viertes Mädchen vermisst. Man hatte Angst, sie sei ebenfalls in den Wald gelaufen und würde nun von diesem Wolf aufgefressen. Wenn er dieses Untier tötete – und das Mädchen finden sollte – stehe ihm natürlich eine Belohnung aus. Und so war der junge Geralt von Riva in den nördlichen Wald gegangen und einer unübersehbaren Spur junger Mädchenfüße bis zu der Lichtung mit der Eiche gefolgt.

Doch was er dort vorgefunden hatte, hatte ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen. Um den Baum verteilt lagen die angenagten Überreste eines jungen Mädchens – noch recht frisch, es handelte wohl um das vierte vermisste Mädchen. Dort lag ein Arm. Anderswo ein angenagtes Bein. Wieder woanders eine abgerissene Hand. Die Bestie hatte das junge Ding – vielleicht nur zwei Jahre jünger als Geralt selbst – in ein Dutzend Stücke zerrissen.

Dem jungen Kämpfer hatte man die Angst abtrainiert und eigentlich hätte es ihm auch nicht übel werden sollen bei diesem grausigen Fund, aber der junge Hexer hatte mit all dem arg zu kämpfen.

Geralt erinnerte sich, wie er vorsichtig den Baum umrundet hatte und seine aufkommende Angst mit der Sicherheit seines Silberschwertes niederkämpfte. Er suchte nach dem Werwolf, der vorerst verschwunden blieb...


Ein Hexer durfte keine Angst spüren! Ein Hexer konnte sich jedem Monster stellen, dazu war er erschaffen worden! Ein Hexer war selbst ein Ungeheuer – ein verwandelter, gestählter, zauberkundiger Mutant mit überirdischen Fähigkeiten! Geralts Nackenhärchen stellten sich auf. Warum war er an diesem Ort? Unbewaffnet? Er kickte den Arm zur Seite und blickte sich um: keine weiteren Leichenteile. Sein erster Auftrag! Ein Mädchen fressende Werwolf mit äußerst unappetitlichen Essmanieren. Aber er hatte ihn getötet, erinnerte sich Geralt, vor vielen Jahrzehnten!

„Ulf!“ brüllte der Hexer in die Nacht hinein. „Varen!“

Stille. - „Ulf Varen!“ rief er erneut.

Hinter ihm knackte ein Ästlein entzwei. Geralt drehte sich um und ein junger Vagabund trat auf die mondhelle Lichtung und blieb vor ihm Angesicht zu Angesicht stehen.

Der etwas ungepflegte Kerl hatte ein Allerwelts-Gesicht, höchstens drei Jahre älter als Geralt selbst und trug das lange grauschwarze Haar am Oberkopf zusammen gebunden. Er war sehr schlank, fast ausgezerrt und auch seine bunt zusammengewürfelte Kleidung hatte schon bessere Zeiten gesehen. Die hohen Stiefel starrten vor Schlamm und das zweifarbige Wanst in rot und gelb, war mit blauen Flicken gestopft worden. Hose und Mantel waren aus unscheinbaren Leder und über dem Rücken war eine achtseitige Harfe geschnallt.

Dieses Instrument holte der Vagabund hervor und spielte eine fröhliche Weise. Geralt in sich erstarrt, musste ihm zuhören und alles geschehen lassen. Zwar die Hauptperson in dieser Unwirklichkeit, aber doch dazu verdammt nur Beobachter zu sein.

Der Musiker spielte sehr gut, er entlockte der kleinen Harfe eine Kaskade von scharfen, klaren Klängen. Und aus einer fröhlichen Weise wurde ein Grablied, während er ein paar Mal um den jungen Hexer herumtanzte. Dieser folgte ihm mit hasssprühenden Blicken.

Schließlich blieb Ulf Varen stehen und schleuderte die Harfe weit von sich. „Erinnerst du dich an mich, Hexer?“ Der Vagabund stand ihm direkt gegenüber und seine rechte Hand wanderte in den Ausschnitt seines Hemdes. „Was für ein hübscher, kräftiger Kerl du bist! Makellos und gesund!“

Geralt spürte die liebkosende Hand auf seiner nackten Brust, aber er selbst konnte seine Arme nicht heben, um diese Hand fortzustoßen. Stattdessen begann ihn diese Berührung zu erregen.

„Ich hatte noch mein ganzes Leben vor mir. Und dann kamst du daher", sprach Ulf mit rauchiger Stimme seinen Monolog weiter. Seine grollend-raue Stimme passte zu dem wilden Tier in seinem Innern. „Muss nicht jedes Wesen essen um zu leben?“

Ulfs Hand ruhte inzwischen an Geralts Hals und drückte mit dem Daumen sein Kinn in die Höhe. Weit beugte sich der Vagabund zu dem Hexer herüber und schaute ihm tief in die Augen. „Hast du dazu nichts zu sagen?“

„Ich diskutiere nicht mit jemanden, der seit Jahren tot ist“, gestand ihm Geralt von Riva.

„So, tust du nicht. Sehr anmaßend, mein junger Freund.“ Ulf lachte knurrend auf. „Mich verurteilst du und setzt mich ohne Gnade und Wahl dem Tod aus – und selbst? Wer richtet über dich, Mutant?“ Seine Finger fuhren sanft um die Augen des Hexers – die schwarzen Pupillen bedeckten fast total die gelbfahle Iris. „Die Menschen werden alle alten Wesen von dieser Welt tilgen und sich als Herrenwesen aufspielen. Sie sind machtgierig, degeneriert und gnadenlos. Sie sind Ungeheuer, wie du und ich. Du solltest beginnen, auch sie abzuschlachten, Hexer. Und wenn du alle Ungeheuer von dieser Welt getilgt hast dann bist du selbst dran! Dann bist du das letzte Monster auf dieser Welt, das vernichtet werden muss! Habe ich nicht recht?“

Ulf Varen trat von Geralt einen Schritt zurück. Der blieb gelassen und schwieg.

„Hab ich nicht recht, Hexer?“ brüllte ihm der Vagabund entgegen.

Geralt lächelte nur etwas und schüttelte seinen Kopf.

Da fuhr Ulfs Hand erneut gegen Geralt, doch diesmal mit einer brutaleren Botschaft. Aus der Hand eines Mannes war die behaarte, klauenbesetzte Hand eines Untiers geworden. Mit nur einer scharfen Klaue – die seines Zeigefingers – fuhr Ulf Varen über Geralts Gesicht und fetzte es auf. Von der Stirn bis fast hinab zum Mund klaffte eine tiefe Wunde – es war die linke Seite, die noch heute sein Gesicht verunstaltete.

Geralt taumelte zurück und hielt sich das blutende Gesicht. Mehr Gegenwehr war ihm nicht erlaubt. Er war in diesem Alptraum völlig der Spielfigur Ulf Varen ausgeliefert. Der hatte sich in einen aufrechtgehenden Werwolf verwandelt und drosch nun wütend auf ihn ein. Jeder Hieb mit den Pranken fand auf Geralts ungedeckten Körper ein Ziel. In sich gefangen, konnte er nur zusehen, wie der Werwolf ihn zerfetzte.

Schließlich fiel er in schwarze Dunkelheit.


„Geralt!“

Der Hexer hörte eine ihm sehr bekannte Stimme und schlug die Augen auf. Er lag auf dem Boden unter der großen alten Eiche inmitten der Lichtung. Neben ihm kniete eine wunderschöne Frau mit prächtiger schwarzer Lockenmähne, die fürsorglich sein verunstaltetes Gesicht streichelte.

„Geralt!“ wiederholte sie.

„Yennefer!“ antwortete er ihr. Denn über ihn gebeugt – und nun ihn innig küssend – war seine große Liebe, die Zauberin Yennefer.

„Ach, mein ärmster Liebster“, hauchte sie und liebkoste sein narbiges Gesicht.

Da griff ein grauer Schatten die Frau an den Haaren und zerrte sie hoch. Ihre zarte Kehle war entblößt und das Untier schlug seine Zähne hinein. Viel Blut spritzte über den Hexer, der auf die Beine taumelte.

„Nein!“ schrie Geralt.

Der Werwolf Ulf Varen schleuderte dem Hexer den Frauenkadaver entgegen, während er die herausgerissene Kehle hinunterschluckte.

Geralt von Riva legte den toten Leib seiner Geliebten zur Seite und stürzte sich auf den Werwolf. Voller Wut donnerte seine Faust gegen den blutigen Kiefer des Monsters. Ein kurzer Taumel, ein wildes Schütteln und ein lautes Knurren, dann sprang Ulf Varen den Hexer an. Sie rangen miteinander. Ein ausgeglichener Tanz zweier Mutantenmänner – einer graubehaart mit scharfen Krallen und Zähnen; der andere mit übersinnlichen Reflexen und ebenso stark. Sie schlugen und traten nacheinander. Ulf Varen geiferte nach Geralts Kehle, während dieser, diese hungrigen Zähne auf Distanz zu halten versuchte. Der Hexer packte das Werwolfmaul und riss es schmerzhaft auseinander. Da warf sich der Teufelswolf nach hinten und fiel mit dem Hexer zusammen zu Boden. Geralt musste seinen Griff lockern, rollte sich geschickt ab und kam wieder auf die Beine.

Die Kontrahenten umkreisten sich. Der Hexer hatte weiterhin nur seine bloßen Hände als Waffe. Keinerlei Schutz, keine Aussicht zu gewinnen. Der Werwolf setzte ihm mit gefährlichen Hieben nach, drängte ihn zurück. Geschickt wich Geralt diesen Schlägen aus und stolperte plötzlich über den liegenden Körper Yennefers. Der doch nicht sie war.

Geralt fiel und rollte sich weiter aus der Gefahrenzone Werwolf. Halb aufgerichtet, lauernd wartete der Hexer, denn das Untier machte sich erneut über den Frauenkadaver her.

Der verwandelte Ulf Varen wirkte gewaltig. Er hob den Körper auf und zerriss ihn wie eine Puppe in der Mitte entzwei.

Der Hexer wartete geduckt auf ihn. Das war nicht Yennefer, sagte er sich. Du bist hier in einem – ja was eigentlich?

Wieder wandte sich der Werwolf ihm zu. Der graue Schatten sprang durch die Luft. Ein hellerer, weißhaariger Schatten sprang ihm entgegen. Ihre massigen Körper prallten gegeneinander. Berserkerwut entfesselte sich auf beiden Seiten – und doch blieb die grausige Szenerie still.

Geralt erinnerte sich an viele erduldete Schmerzen, sein Leib wurde regelrecht damit überflutet. Ihm schwand die Kraft, der Wille weiter zu kämpfen. Er erlahmte.

Ulf Varen umklammerte Geralts Hals und hob ihn in die Höhe. Ein mächtiges Wolfsgeheul durchstieß die lautlose Kampfszene. Geralt klammerte sich an den Arm des Untiers, hatte aber keine Kraft mehr sich zu befreien. Sein Gesicht war verzerrt, die Beine baumelten in der Luft, selbige drohte ihm auszugehen. Der Werwolf drückte zu und seine Klauen drangen tiefer in Geralts Hals ein.

Dann war da wieder Dunkelheit.


Der Disput mit Ulf Varen dauerte Tage und Nächte an. Dabei war Zeit bedeutungslos geworden. Jedes hervorgerufene Gefühl von Angst, Verzweiflung und Niederlage nährte das Alpwesen.

Noch einige Male tötete der Werwolf eine Frau vor den Augen des Hexers. Einmal war es das Mädchen Ciri – deren Schutzbefohlener der Hexer war. Ein anderes Mal war es die Zauberin Triss Merigold, die ihn bedingungslos, aber vergebens liebte. Dann war es eine gute Freundin: Nenneke, die Hohepriesterin der Göttin Melitele.

Dann kämpften Werwolf und Hexer verbissen miteinander. Ein anderes Mal verhöhnte ihn der Vagabund Ulf Varen, spielte ihm Klagelieder vor und demütigte ihn mit seiner Zärtlichkeit, der Geralt immer wehrlos-erstarrt ausgeliefert war. Jeder Disput mit Ulf ging zum Nachteil Geralts aus.


Geralt stand, nun selbst die Eiche, inmitten der Lichtung. Wehrlos ohne seine Waffen. Schutzlos gekleidet in Stiefeln und Hose, die in Fetzen an seinem narbigen, zerschundenen Körper herabhingen. Aber sein eiserner Wille sich allem zu stellen, was auch auf ihn zukommen mag, war ungebrochen. Seine Pupillen der gelbfahlen Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, die den finsteren Rand der Lichtung absuchten.

Er hörte sie erst, bevor er sie sah. Rasseln von Ketten, schaben von chitingepanzerten Beinen und den Donner schwerer Schritte. Er hörte die Wesen schmatzen, jaulen, fauchen und klagen. Hörte sie trommeln, geifern, knurren und fluchen. Und dann kamen sie aus dem finsteren Dickicht auf die arenarunde Waldlichtung. In den hellen Schein des Mondes hinein traten Hunderte schauriger Wesen: SEINE Bilanz des Todes der letzten Jahrzehnte!

Spinnenbeinige Kikimoras, groß wie Elefanten traten auf ihn zu, ebenso tumbe Zombies, klappernde Skelette und vollbusige Bruxas. Zähnefletschende gorillaartige Striegen und verfluchte Geisterkönige auf feuerspuckenden Rössern galoppierten auf ihn zu. Algenbehangene Wassermänner, schwabbelige Riesenwürmer und geifernde Ghule wälzten sich ihm entgegen. Werwölfe, Höllenhunde, riesige Mutanten in steinernen Rüstungen, Werkatzen und sogar einen geflügelten Dämon konnte er ausmachen. Haarige Trolle, brüllende Oger und zangenbewehrte Crawler stampften auf ihn zu. Über ihnen kreisten kreischende Harpyien, zwei Greife und sogar eine drachengleiche Wyverne. Stein- und Feuergolems und fratzenschneidende Gargoyle warteten auf den Befehl des Angriffs.

Dicht an dicht gedrängt umringten Hunderte Ungeheuer den Hexer. Immer wieder drehte er sich im Kreis und behielt so die Monstermasse im Auge, die bis auf wenige Meter ihn umzingelt hatte.

Direkt vor ihm stand der hübsche Vagabund Ulf Varen. Er ging den Rand der lauernden Monster entlang und streichelte da mal einen Höllenhund oder eine kieferklappernde Kikimora. “Welch eine Ehre dir zuteilwird. Sie sind alle deinetwegen gekommen, Geralt von Riva – Hexer aus Kaer Morhen!“

Unbemerkt musste Ulf Varen ein Zeichen gegeben haben, denn plötzlich sprangen eine Striege, eine Kikimora und ein Gargoyle in die Mitte auf Geralt zu.

Dem steinernen Fratzenwesen wich er aus und sprang der spinnengleichen Kikimora auf den Rücken und teilte unterwegs der rothaarigen Striege mitten im Sprung einen Faustschlag ins Gesicht aus. Kaum gelandet verdrehte er der Kikimora den Kopf und brach dem Wesen das Genick. Schon sprang er dem Gargoyle entgegen, aber hatte die Striege in seinem Rücken nicht vergessen. Er nutzte den Schwung, trat den Gargoyle in die Monstermenge und flog schon der Striege entgegen, die seine Fäuste ein weiteres Mal zu spüren bekam.

Der Hexer dachte nicht mehr – er reagierte und agierte nur noch, so wie es ihm gelehrt worden war. Eine Kampfmaschine in Perfektion.

Weitere Ungeheuer lösten sich aus dem Kreis und griffen den Hexer an. Er schlug viele beim ersten Ansturm nieder. Fiel ein Untier, ersetzten zwei weitere ihren Platz.

Dieser Kampf währte ewig – so schien es. Bis ein Dutzend Ungetüme auf einmal angriffen und sich auf den weißhaarigen Hexer warfen und ihn unter sich begruben.

Dies ist nicht möglich, dachte Geralt, dies alles hier ist total absurd! Die stinkenden Fleischberge auf ihm raubten ihm die Sicht, das Atmen, selbst die kleinste Bewegung war unter dieser wimmelnden, sich selbst behindernden Masse nicht mehr möglich.

Da drang ein ferner Ruf an sein inneres Ohr: „Geralt von Riva, erkenne!“

Und da erkannte er es. Er steckte in einem irrwitzigen Albtraum fest! Und nicht länger Spielfigur eines aus seiner tiefsten Vergangenheit heraufbeschworenen toten Wesens, stärkte ihn diese Erkenntnis zur absoluten Gegenwehr.

Aber es reichte nicht aus, einfach aufwachen zu wollen, er musste auch daraus erwachen. Und dazu musste er Herr über diese Situation werden.

Unerwartet stob der Ungeheuer-Fleischberg auseinander. Seine einzelnen keifenden Monster flogen wie explodierte Teile durch die Luft und lösten sich in Nichts auf.

„Es ist genug!“ brüllte Geralt und knurrte noch finsterer als die um ihn erstarrten Ungeheuer. „Genug! Ich hab keine Lust mehr zu diesem Spiel. Verschwindet!“ Und um sein letztes Wort zu unterstreichen, machte er dazu die passende Handbewegung unter der die Striegen, Kikimoras, Ungetüme, Höllenhunde und Ghule, unter der die Golems, Bruxas, Geister und verfluchte Könige sich in schwarzen Rauch auflösten. Sehr theatralisch, aber wirkungsvoll.

Nur eine ängstlich blickende Person blieb außer dem Hexer auf der Lichtung zurück: der Vagabund Ulf Varen. Geralt packte ihn an der Gurgel.



3

Die ältere, weißhaarige Elfenfrau Cyonil Tir’Duinn hatte die Wunde des Hexer mit ihrer uralten Elfenmagie behandelt. Sie war sofort zu dem Verwundeten geeilt, als sie erfuhr, dass es sich dabei um den Hexer Geralt von Riva handelte. Nur seinetwegen, nicht aus falscher Loyalität eines Kaufmannselfen wegen, war sie nach Filderstedt geritten. Jeder – ob nun Ayden oder Telda Samhradh, ob nun Zwerg Trölt Wolfschädel oder die junge Heilerin Eileal Fitheach – hatten bisher nur vermutet, um wen es sich bei dem weißhaarigen Kämpfer handeln musste. Das eilige Handeln der weisen Elfenmeisterin aber bestätigte sie ihn ihrer Vermutung, denn Cyonil Tir’Duinn war dem Hexer persönlich schon einige Male begegnet.

Sie hatte sofort erkannt, dass der Mann im Bann eines Alpwesens gefangen war, darum handelte sie schnell und effektiv. Indem sie die Wunde mit Magie weitgehend heilte und das Fieber senkte. Schließlich drang sie in seinen Geist ein und schickte ihm eine kurze Botschaft – „Geralt von Riva, erkenne!“ Dann wartete die Elfenmeisterin geduldig an seinem Bett.

„Was ist mit ihm, edle Herrin?“ fragte Eileal Fitheach, als Geralt zwar von Schmerz und Fieber befreit, aber nicht erwachen wollte.

„Still!“ winkte die weise Elfin ab. „Warte!“

Der Verband war fort, die Schulterwunde mit dickem Schorf verschlossen. Die kräftige, vernarbte Brust hob und senkte sich ruhig im flachen Rhythmus der Atmung. Sein weißes, langes Haar lag feucht-strähnig über das Daunenkissen gebreitet. Das markant-hübsche Gesicht blieb bewegungslos – die blassrote Narbe über der linken Gesichtsseite zuckte leicht unter den rollenden Bewegungen der geschlossenen Augen. Geralt von Riva war ein ansehnlicher Mann, der in seinem Leben schon viel erlitten hatte.

Geralts rechte Hand fasste plötzlich in die Luft über seine Brust, als griff er dort nach jemanden und er schlug die gelben Augen mit den geschlitzten Pupillen auf.

Erschrocken über die Plötzlichkeit wich die junge Eileal zurück. Cyonil blieb ungerührt am Bett sitzen.

Dass was Geralt unsichtbar umgriffen hielt manifestierte sich langsam mit knisternden Funken. Das gnomhafte, dunkelhäutige Wesen zappelte im eisernen Griff des Hexers und wimmerte erbärmlich. Der Alp war nicht viel größer als ein Kleinkind von vielleicht fünf Jahren. Ohne loszulassen, richtete sich Geralt im Bett auf und schaute sich das Wesen genau an.

„Was haben wir denn da?“ Ein wohlgenährtes Bäuchlein verunstaltete die asketischen Proportionen des schwarzhäutigen Alps.

„Gnade, edler Herr!“ wimmerte dieser und fiel zu einem Häuflein Elend zusammen. „Habt Erbarmen!“

„Du hast dir den falschen dazu ausgesucht“, knurrte Geralt.

Da legte Cyonil Tir’Duinn ihre zarte Hand auf den kräftigen Arm des Hexers. „Lass ihn gehen, Geralt. Es gibt nicht mehr viele seiner Art.“

„Er hat –“ stockte der Hexer. „Er ist...“

„...eigentlich sehr harmlos und erbärmlich. Lass ihn gehen.“

Geralt sah in das sanft lächelnde Gesicht der alten Elfin. Ihre hellen Augen hatten die Farbe eines weiten Horizonts und ihre zarten Gesichtszüge waren von zeitloser Schönheit. Das dünne, weiße Haar wurde von einem Silberreif gehalten, den ein grüner Smaragd auf der makellosen Stirn zierte. Ihre Berührung war wie der Flügelschlag eines Schmetterlings und ihre Bitte ein zärtlicher Befehl. Der Hexer öffnete seinen Griff.

Kaum frei verschwand der Alp. Er löste sich einfach auf, kehrte in die Zwischenwelt – wo er entstanden war – zurück.



4

Drei Pferde standen gesattelt vor dem zweistöckigen Gebäude, indem Geralt ganze zehn Tage im Fieberwahn – gefangen in einem absurden Albtraum – gelegen hatte. Die Gastfreundschaft der Kaufmannsfrau Telda Samhradh hätte er noch einige Tage in Anspruch nehmen können, aber er brach anderntags – mit den beiden Elfenfrauen zusammen – auf. Seine wenigen Habseligkeiten waren durch Proviant und saubere, geflickte Kleidung erweitert worden. Sein Silber- und das Stahlschwert waren am Rücken überkreuzt gegürtet. Seine Schulterwunde, unter dem schützenden Wams, heilte schnell und es würde nur eine Narbe zurück bleiben. Was machte das schon, eine Narbe mehr oder weniger, dachte Geralt, fiel an ihm nicht auf.

Er verabschiedete sich herzlich von den drei Frauen – Teldas Mann Ayden war immer noch in Geschäften unterwegs und hatte Trölt Wolfschädel als Schutz mitgenommen. Der Hexer wollte nicht warten, bis er wiederkam, um sich auch bei ihm zu bedanken und zu verabschieden. Auch von den beiden Elfenfrauen – besonders von Cyonil Tir’Duinn – verabschiedete er sich. Er wollte in eine ganz andere Richtung.

„Herrin Tir’Duinn, ich komme ein anderes Mal mit nach Earrach-Dúthaich. Richtet meinem bráthair Argovil Laraun einen Gruß von mir aus. Und hab Dank für deine Hilfe. Sith, edle Cyonil Tir’Duinn. Sith, Eileal Fitheach.“

Die drei Abreisenden schwangen sich auf ihre Pferde. Zwei Elfinnen ritten nach Norden. Ein weißhaariger Hexer ritt hingegen nach Süden.

„Sith auch dir, Geralt von Riva.“


Ende




SILBER UND STAHL

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