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II - Rabentod
ОглавлениеAuf einem Baum drei Raben stolz
Oh weh oh weh oh Leid oh weh
Auf einem Baum drei Raben stolz
Sie waren so schwarz wie Ebenholz
Der eine sprach: Gefährte mein
Wo soll die nächste Mahlzeit sein
In jenem Grund auf grünem Feld
Ruht unter seinem Schild ein Held
Seine Hunde liegen auch nicht fern
Sie halten wacht bei ihrem Herrn
Seine Falken kreisen auf dem Plan
Kein Vogel wagt es ihm zu nahen
Da kam zu ihm ein zartes Reh
Ach das ich meinen Liebsten seh
Sie hebt sein Haupt von Blut so rot
Der Liebste den sie küsst war tot
Sie gräbt sein Grab beim Morgenrot
Am Abend war sie selber tot
Oh großer Gott uns allen gib
Solch Falken solche Hund solch Lieb
Rabenballade (Schelmish)
Niemand hatte den jungen Ritter davor gewarnt, was dann über ihn herfallen würde. Die einfachen Leute eines kleinen Bauerndorfes hatten den Ritter auf seinem stolzen braunen Ross in Begleitung zweier schlanker hellen Hunde, angehalten und um seine Hilfe gebeten. Sie appellierten an seine tugendhafte Ritterlichkeit und baten ihn, sie von dem Ungeheuer zu befreien, das sie immer wieder heimsuchte und schon fünf männliche Kinder, eine Frau und drei junge Männer das Leben gekostet hatte.
Sie beschrieben ihm den Weg. „Dort hinter dem Waldstück auf einem Hügel steht ein knorriger uralter Baum, dort sitzt das Ungeheuer. Von dort tötet es.“
Der namenlose, edle Ritter trabte alsbald durch den Wald und sah schon von weitem den Hügel mit dem markanten, knorrig-alten Baum, der kaum noch Blattwerk trug.
Mutig ritt er auf den Hügel zu. Dort stand der Baum und auf einem kahlen Ast saßen drei große Raben. Ungerührt beobachteten sie die Ankunft des Ritters. Weit und breit war niemand anderes zu entdecken.
Plötzlich knurrten die beiden schlanken Jagdhunde, als eine zierliche Gestalt hinter dem Baumstamm, wo sie sich wohl versteckt hatte, hervortrat. Die Hunde, die vorausgeeilt waren, beugten freudig ihre Brust und wedelten mit den Ruten. Ein Naturwesen, eine Nymphe stand vor ihnen und streichelte ihnen die Köpfe. Ein hübsches Nymphenwesen mit grünen Haaren und blasser Haut. Sie trug ein zartes Gespinst aus beige-transparenter Seide, wie durchscheinendes Spinnengewebe, das ihren weiblich-vollkommenen Jungfrauenkörper nur unzureichend bedeckte. Ihre zarten bloßen Füßchen tanzten anmutig über das saftige Gras.
„Mädchen, gib dich fort von hier“, rief der junge Ritter und zügelte sein Ross wenige Meter vor der hübschen jungen Frau. „Hier soll sich ein blutrünstiges Ungeheuer herumtreiben. Du bist hier in arger Gefahr!“
„Ein Ungeheuer?“ Die Stimme der blass-grünen Nymphe war wie das Rauschen eines Wildwasserbaches – kristallklar und kalt. „Du bist in Gefahr.“ Sie lachte auf und drehte sich im Kreis.
Vom Blutgeruch vertrieben galoppierte das reiterlose braune Ross über die Hügel. Ihm entgegen kam ein einsamer Reiter. Er setzte dem Tier nach, bekam die Zügel zu fassen und stoppte das verängstigte Ritterpferd.
„Hoh! Ruhig mein Hübscher, “ schnurrte der kräftige Kerl auf der braunen Stute. Seine Hand auf den Nüstern des fremden Pferdes haltend, beruhigte es schnell. Eingehend betrachtete der weißhaarige Kämpfer, der ein wertvolles Silberschwert auf den Rücken geschnallt trug, das edle Tier. Der hochwangige Sattel, an dem ein großes Schild hing, der breite Brustgurt und das bunte Zaumzeug zeigten ritterliche Abzeichen.
„Wo ist dein tugendhafter Herr abgeblieben?“ fragte sich Geralt von Riva und sein scharfer Blick folgte den Weg, den das panische Ross genommen hatte. Weit hinten gewahrte er auf einem Hügel einen seltsamen knorrig-alten Baum, darunter lag etwas ...jemand.
„Komm Plötze, sehen wir mal nach, was da los ist.“
Als sich der weißhaarige Hexer dem Hügel näherte sprangen ihm zwei bellende Hunde entgegen. Mit seiner Rechten formte er das Zauberzeichen Axii und die Hunde verstummten gelähmt und fielen schlafend zu Boden.
Mit scharfem Blick sog er die Szenerie unter dem Baum in sich ein. Der Ritter saß gegen den Stamm gelehnt in seinem eigenen Blut. Über ihn gebeugt eine zarte, grünhaarige Nymphenfrau, die sich in dem Moment erhob und umdrehte, als Geralt vom Baum nur noch fünf Meter entfernt war. Er schluckte einen Fluch herunter, als er das viele Blut sah, das die aufgerissene Kehle des jungen Ritters entströmte und das von den rosigen Lippen des fast nackten Mädchens rann. Nein, das Wesen vor ihm konnte keine Nymphe sein, trank sie doch Blut wie ein Vampir!
Noch während der Hexer aus dem Sattel sprang griff er nach dem silbernen Schwert an seinem Rücken und hielt es bereits in der Hand, als seine Füße auf dem Boden aufkamen.
Das Mädchen wischte sich das verräterische Blut von den Lippen und wiegte ihren vollkommenen Jungfrauenkörper aufreizend im Takt eines lautlosen Liedes. Die bereits tiefstehende Sonne erfasste ihren Leib und sie bot ihm ihre Reize schamlos dar. Sie schwebte von dem Leichnam weg, blieb aber auf Distanz zu dem Mann mit dem Schwert.
„Bitte tu mir nichts“, stammelte sie und fiel vor ihm auf die Knie.
Mit einem schnellen Satz war Geralt bei ihr und vergrub seine Linke in ihre wilde grüne Haarmähne. Die Schwertklinge in der Rechten drückte gegen den Hals des Mädchens. Wunderschön und unschuldig wirkend wie eine Waldnymphe und doch so gefährlich und blutrünstig wie ein Vampir – was für ein Zwitterwesen hatte er da vor sich?
„Wer – was bist du?“
„Ich weiß es nicht, edler Herr“, säuselte die Schöne wie ein Wildbach.
Sie stöhnte unter seinem Griff, hob ihre Brüste vor, schob ihr rundes Becken näher an ihn heran. Eine Hitzewelle durchströmte seinen gestählten Leib und seine Lenden zuckten. Sie legte ihm ihre Hände auf die Hüften, drückte ihre Finger näher an seinen Schritt heran.
Sein Wolfsamulett ruckte an der Kette am Hals und sein Hexerinstinkt brachte ihn schließlich wieder zur kühlen Vernunft. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken herunter und er löste sich von dem Nymphenwesen, ohne ihren Kopf loszulassen oder die Klinge von der Kehle zu nehmen. „Lass deine Finger bei dir!“ knurrte der weiße Wolf, wie er oft auch genannt wurde.
„Wer bist du?“ fragte Geralt erneut.
Sie wann sich unter ihm, versuchte seinem Griff, seiner Klinge zu entweichen und ritzte sich dabei selbst an der magischen Silberklinge. Sie schrie auf, als das Schwert ihr eine rauchende Wunde ins Dekolleté schnitt. Kraftlos sank sie in seinem Griff zusammen, da ließ der Hexer sie los. Ein Schluchzen ging durch ihren Körper und sie krabbelte auf allen Vieren von ihm fort. Ihr praller Hintern lud den Mann zu einer intimen, dreckigen Fantasie ein – aber Geralt schüttelte den unpassenden Gedanken fort.
Er folgte der Nymphe und stoppte sie schließlich mit der Klinkenspitze, die er ihr erneut gegen die Kehle gedrückte. Wie ein räudiger Hund schaute sie ihn tränendurchströmt an. Er hatte dann doch Mitleid mit ihr und zog sein Schwert zur Seite.
„Als ich erwachte, “ begann sie zu erzählen, „kannte ich weder Mutter noch Vater. Aber da war ein Mann, er sagte, er hätte mich erschaffen. Doch woraus erschaffen?“ Sie blickte mit tränennassen Augen hinüber zu des Ritters blutigen Leichnam. „Wozu erschaffen? Das sagte er mir nicht. Und in mir brannte ein unstillbarer Hunger nach Blut.“
Sie kauerte vor Geralt, starrte auf ihre blutbefleckten Hände. „Ich bin aus seinem Schloss geflohen – oder er hat mich fortgejagt. Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts über mich. Ich kenne nur diesen Hunger. Dieses unstillbare Verlangen in mir.“
Sie hielt ihm ihren Arm hin. „Dies ist das Zeichen meines Schöpfers, dies brannte er mir ein.“
Der Mann umfasste ihre Hand und betrachtete das Brandmal am Handgelenk. Es ähnelte einer Sanduhr – oder einer liegenden Acht, Symbol für die Unendlichkeit. Aber Geralt kannte niemanden der dieses Symbol sein Eigen nannte. Aber es musste sich zumindest um einen Alchemisten oder Zauberer handeln, wenn er Mutationen hervorbrachte.
Das Nymphen-Vampir-Wesen schwieg, schaute einige Zeit traurig vor sich auf den Boden. Geralt stand über ihr, dachte nach, was er mit ihr tun sollte. Da nahm sie ihm diese Entscheidung ab.
Ohne Vorwarnung sprang das Mädchen ihn an die Kehle, grub tief ihre Klauenfinger in seinen Nacken und versuchte ihre langen Fangzähne in seine Kehle zu schlagen. Mit bloßen Fäusten wehrte er sie ab, riss ihr an den Haaren den Kopf nach hinten, um so ihren scharfen Vampirzähnen zu entgehen. Zwei mutierte Wesen kämpfen engumschlungen miteinander.
Mit aller Kraft hielt er den Kopf der Vampirin von seinem Hals weg. Sie hatte ihre schlanken Beine um seine Hüften geschlungen und hielt sich so an ihm fest. Ihre klauenbewehrten Finger kratzten ihn durchs Gesicht. Sie roch sein Blut und entwickelte Berserkerkräfte. Immer näher kamen ihre Fänge seinen Adern am Hals, die dick hervortraten. Ihre Beine drückten ihm die Luft aus den Lungen, ganz kurz ließ er nach, da spürte er ihren Biss am Hals.
Der Schmerz entwickelte in ihm neue Kräfte. Mit Entsetzen hörte er ihr schmatzendes Geräusch und wie sie sein Blut schluckte.
Unerwartet ließ sie ihn plötzlich los, schüttelte sich vor Krämpfen und wand sich am Boden vor Schmerzen. Sie spuckte sein giftiges Blut aus und würgte und wälzte sich unkontrolliert am Boden.
„Ich schmeck dir wohl nicht, Vampir!“ knurrte Geralt, zog sein Silberschwert und stieß die Klinge in den jungfräulichen Leib der vampirischen Nymphenfrau. „Wenn ich mich vorstellen darf. Ich bin Geralt von Riva. Ich bin Hexer und geschaffen worden, um Ungeheuer zu töten.“ Tief trieb er das Schwert aus purem Silber in sie hinein und pfählte sie. Um die Wunde knisterte ein vernichtendes Feuer, das die vampirischen Anteile des Mischwesens auflösten. Zurück blieb nur ein Häufchen Asche.
Die Sonne schickte sich an schlafen zu gehen. Der weißhaarige einsame Kämpfer ritt auf seiner braunen Stute den Hügel hinab auf ein Waldstück zu, dahinter wusste er ein Bauerndorf, wo er sicher ein Quartier für die Nacht finden konnte. Er führte ein edles Ross am Zügel und zwei helle Hunde folgten ihm. Alle drei Tiere würde er versuchen dort zu verkaufen.
Die drei Raben, die dem ganzen bewegungslos und lautlos zugesehen hatten, verließen nun ihren Platz auf dem dürren Ast und ließen sich auf dem noch frischen Leichnam des Ritters nieder. Eine leckere Mahlzeit erwartete sie...
Ende