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IV - Der Rosenturm

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1

Geralt von Riva hatte Kaedwen und die Kestrelberge hinter sich gelassen und war weiter seiner Nase nach Westen gefolgt. Lange Wochen ritt er meist einsam durch unbewohntes Gebiet, daher freute er sich über den ebenfalls einsamen Reisegefährten, den er an den Ufern des Flusses Buine begegnete. Der junge Hexer entschloss, sich dem verwundeten Soldaten auf seinem Weg nach Hause anzuschließen und so schlugen die beiden Männer den Weg nach Hengfors ein, das an Redaniens Nordgrenze zum kleinen Land Malleore lag.

Aryan war in einem Grenzscharmützel, das zwischen Redanien und Temerien immer mal wieder aufflammte, verwundet worden und hatte seine Schwerthand verloren. Der junge Mann mit dem einst fröhlichen schönen Gesicht hatte daraufhin allen Lebensmut verloren und starrte verbittert in die Welt hinaus, die ihm nun ungerecht und grausam einher kam. Seine rechte Hand zu verlieren und fortan als unnützer Krüppel durch Leben laufen zu müssen, zermürbte den erst fünfundzwanzigjährigen Mann. Dann begegnete er diesem geheimnisvollen Hexer, der nur wenige Jahre älter als er selbst zu sein schien.

Der weißhaarige Krieger mit den beiden mächtigen Schwertern auf seinem Rücken und den gelben Katzenaugen flößte ihm anfangs Angst ein, doch zeigte Geralt von Riva ihm gegenüber keinerlei Feindschaft. Und der Hexer, der am ganzen Leib voller Narben war, tat noch mehr für Aryan und erweckte in ihm den Trotz. "Du hast doch noch deine linke Hand", entgegnete der weißhaarige Krieger auf sein selbstmitleidiges Gejammer. "Lern sie zu gebrauchen. Egal, ob du nun damit in Zukunft eine Waffe oder eine Schreibfeder führen willst."

Aryan war jung genug, um einzusehen, dass der Hexer recht hatte. Als Kind hatte man ihm Lesen und Schreiben beigebracht - er konnte lernen, mit seiner verbliebenen Hand zu schreiben und sein Glück in irgendeiner Verwaltung suchen.

Und in den folgenden Tagen, in denen die beiden kampferprobten Männer nebeneinanderher ritten, hatte er genug Gelegenheit das schmerzvolle Schicksal seines Mitreisenden im Stillen zu bedauern. Er hatte von den Hexern gehört, die durch eine jahrelange qualvolle Mutation zu dem gemacht wurden, was sie heute waren. Doch Geralt war der erste Hexer, dem Aryan begegnete. Und die unzähligen Narben an dem kräftigen Körper zeugten von vielen Kämpfen - besonders die tiefe Narbe am linken Auge musste Geralt von Riva für eine lange Heilphase große Qualen beschert haben. Der Hexer war ein Ausgestoßener, auf ewig verdammt umherzuziehen, um Ungeheuer zu töten. Nie würde er das Glück einer Familie genießen können, war er selbst doch unfruchtbar und war von seinen leiblichen Eltern verkauft worden. Aryan haderte nun nicht weiter mit seinem eigenen Schicksal.


"Es war in dem Jahr, als ich geboren wurde, als ein grausamer Fluch den Herzog von Hengfors heimsuchte", begann Aryan mit seiner Erzählung aus der Heimat. "Herzog Eduan von den Rosen und seine schöne Gemahlin Pratziana hatten zu diesem Zeitpunkt eine fünfzehnjährige Tochter namens Rosalea und einen achtjährigen Sohn, den sie Diederic tauften. Die Prinzessin war dem einfluss-reichsten Grafen aus Malleore versprochen, aber zu einer Hochzeit kam es nie. Es heißt, das Mädchen habe damit gedroht sich umzubringen, wenn man sie mit den Malleorischen Grafen verheiratete und dieser hätte vor Zorn über diese Zurückweisung eine Zauberin nach Hengfors geschickt. Diese verfluchte das aufmüpfige Mädchen und verbannte sie in den höchsten Turm der Burg der Rosen. Dort schläft sie bei Tag und geht in den Burgruinen des Nachts als blutdürstende Striege um."

"Das liegt nun fünfundzwanzig Jahre zurück; hat den nie jemand versucht den Fluch zu brechen?" fragte Geralt neugierig geworden.

Die beiden Reiter folgten einem wenig genutzten Weg durch eine fruchtbare Ebene mit lichten Waldstellen und saftigen Niederungen. Ihre braunen Reittiere liefen im Schritt und Geralts Pferd Plötze zupfte ab und an einige besonders saftige Gräser vom Wegrand.

Aryan schüttelte den Kopf. "Nicht dass ich mich erinnere. Die Herzogfamilie verließ ihre verfluchte Burg und ließ einen Schutzwall aus dornigem Gestrüpp um das Gemäuer errichten. Seither opferte man einmal die Woche ein größeres Tier der Bestie in der dornenumwucherten Ruine."

"Wurden der Malleorische Graf oder die Zauberin je zur Rechenschaft gezogen?" wollte der Hexer weiter wissen.

Der grübelnde Soldat hob seinen Stumpf und hatte sich damit am Kinn graulen wollen. Seufzend erinnerte er sich, dass er dort ja keine Finger mehr hatte. "Es kam nie zum Krieg mit Malleore. Nie wurde eine Beschuldigung ausgesprochen. Auch die alte Zauberin hat man nie gefunden. Der Herzog hatte alles schweigend hingenommen. Es schien, als gäbe er sich selbst die Schuld am Unglück seiner Tochter."

"Und all die langen Jahre leben die Hengforser Seite an Seite mit der Striege in ihrer Mitte?" Innerer Grimm zeichnete sich auf seinem markant-ernsten Hexergesicht ab. Das warwieder so ein typisch menschliches Verhalten, sich resignierend seinem unwidrigen Leid hinzugeben. Die Menschen jammerten gerne und viel ihres üblen Schicksal, aber sich aufraffen um daran etwas zu ändern, dazu fehlte den meisten der Wille. Einer der Gründe, warum Hexer durch die Lande zogen...

"Ganz selten verirrte sich ein unwissender Wanderer in die Rosenburg und wurde von dem Untier getötet. Sie verlässt nie die Burgmauern und tagsüber schläft sie. Die Menschen unterhalb der Burgruine arrangierten sich damit." Aryan zuckte mit den Schultern.

"Sie stört nicht", murmelte Geralt mit eiskalter Stimme und ließ sein Pferd antraben, als sie aus einer Baumgruppe traten und sich eine strauchbewachsene Ebene vor ihnen ausbreitete.

Anderntags tauchten vor ihnen die ersten Gehöfte auf und einige Dörfer säumten ihren Weg nach Hengfors. Die Straße, der sie folgten wurde breiter und ab und an von weiteren Reisenden benutzt; meist Händler oder Bauern, die ihre Waren zum nächsten Markt transportierten. Getreide wuchs auf den bestellten Äckern und auf den abgezäumten Weiden grasten scheckige Kühe, dicke Schafe und einige magere Gäule.

Bauern und Hirten allen Alters und Geschlecht blickten den bewaffneten Reitern misstrauisch entgegen, wiesen ihnen aber wortkarg die Wegrichtung, wenn Aryan freundlich danach fragte.

Kinder unterbrachen ihre lautkreischenden Spiele, wenn sie den großen sonderbaren Hexer erblickten, der sein weißes Haar unter einer Kapuze versteckte. In dieser Gegend kamen nur selten Krieger durch, die bis unters Kinn mit riesigen Silberschwertern bewaffnet und in schweren genieteten Rüstungen gekleidet waren.

Die beiden Kämpfer übernachteten für einige Kupferorens in den Scheunen einer Herberge und ihre Reittiere konnten sich an einem Sack Hafer sattessen. Sie selbst erfreuten sich an einer fleischhaltigen, warmen Mahlzeit und schäumend bitterem Bier.

"Morgen erreichen wir die Stadt Hengfors. Dann trennen sich wohl unsere Wege." Der einhändige junge Mann löffelte noch etwas ungelenk die letzten Reste Eintopf mit seiner ungeübten linken Hand aus der hölzernen Schüssel. Den eingebundenen Stumpf hatte er auf den Schüsselrand gelegt.

Geralt nickte stumm.



2

Bevor Geralt in die Grenzstadt hineinritt, gewahrte er rechterhand hinter einem riesigen Gestrüppwall einen mit roten Rosen umwucherten hohen Turm und die Überreste eines dreistöckigen Herren¬hauses, dessen Dach irgendwann einmal eingestürzt war. Die Rosenburg des Herzog von Hengfors, wie ihm Aryan offenbarte; der sich kurz darauf von ihm verabschiedete.

Hengfors war eine von Menschenhand erbaute ummauerte Stadt am Grenzfluss Braa. Eine mächtige Brücke führte über den sanft fließenden Strom und war Scheitelpunkt für ein vielgenutztes Straßennetz nach Caingorn, Malleore und Talgar im Norden und der Bogenküste folgenden Straße nach Blaveken im Süden Redaniens. Und doch war das Treiben nicht so emsig und chaotisch wie in den Hauptstädten, die meist auf Elfenruinen errichtet worden waren. Geralt von Riva fand sich in einer Stadt wieder, deren Tumult weitaus gemäßigter einherging, als er zunächst gedacht hatte. "Ein verschlafenes Provinzstädtchen", murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart.

Doch wegen dieses überschaubaren gemäßigten Stadtlebens fiel der fremde Reiter umso mehr auf. Und es dauerte nicht lange, da stellten sich ihm mit langen Hellebarden bewaffnete und in roten leichten Rüstungen gekleidete Soldaten in den Weg. Auf ihren Lederharnischen prangte die weiße Rose des Herzogs von Hengfors. Unerwartet löste sich ein Hauptmann aus dem Trupp von sechs Stadtwachen und griff in die Zügel von Plötze. Geralt sah schweigend über diese Frechheit hinweg.

"Halt, Fremder. Weist euch aus und teilt uns den Grund eures Hierseins mit." Schneidend durchbrach die Befehle erteilend gewohnte Stimme des Hauptmanns die aufgekommene Stille.

Geralts Blick schweifte unter der Kapuze über die Szenerie um sich herum, ohne dabei groß den Kopf zu drehen. Die Stadtbewohner verharrten neugierig und schweigend. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Solcherlei misstrauische Begrüßung war der Hexer gewohnt, daher zollte er das ungehobelte Getue des Hauptmanns der Stadtwache mit keinem Wimpernschlag. Mit seiner behandschuhten Rechten streifte er sich die Kapuze vom Kopf. Es folgte ein mehrstimmiges Raunen, als die Menschen seiner pigmentfreien Gestalt angesichtig wurden.

"Seht seine Augen!" raunte es durch die Reihen der erstaunten Hengforser. "Wer ist das?" - "Was ist das?"

Über Geralts eisigem Antlitz huschte ein teufelgleiches Grinsen dann sagte er mit grabeskühler Stimme: "Ich bin Geralt von Riva, ein Hexer. Ich bin gekommen, um euch vom Fluch der Striege zu befreien."


Ob die Stadt überhaupt von diesem Fluch befreit werden wollte, konnte der Hauptmann nicht alleine entscheiden und führte den zielstrebigen Krieger zu seinem Herrscher. Der alte Herzog Eduan von den Rosen empfing den dreisten Hexer in seiner zweistöckigen Stadtresidenz. Seine ergraute, noch immer hübsche Gemahlin Pratziana saß linkerseits. Zu seiner Rechten saß sein zu einem stattlichen Mann herangewachsener Sohn Diederic. Die Blicke der adligen Personen ruhten abwartend auf dem vom Staub der langen Reise besudelten weißhaarigen Krieger.

Der grauhaarige, faltige Herzog beriet sich flüsternd mit seiner Gemahlin, bis er sich schließlich Geralt zuwandte. "Ihr habt den langen Weg umsonst getan, Geralt von Riva. Wir benötigen die Dienste eines Hexers nicht."

"Wollt ihr euch nicht von dem Ungeheuer befreien? Wollt ihr auf immer und ewig die Striege füttern und nie mehr eure Tochter in die Arme schließen?" Lässig hatte Geralt seinen linken Daumen in den Gürtel gestemmt und hielt seine ausgezogenen Handschuhe in der rechten Hand. Das abweisende Gerede des Herzogs schien ihn um einen gerechten, notwendigen Lohn zu bringen.

Die greise Herzogin Pratziana schluckte traurig einen Widerspruch hinunter und die Hand ihres Gemahls legte sich beschützend auf ihren Arm.

"Ich habe seit sehr langer Zeit keine Tochter mehr. Sie ist mir durch eine grausige Vorsehung genommen worden. Und irgendwann, wenn meine Gebeine längst vermodert sind, mag auch sie ins Totenreich eingehen. Dort werde ich sie wieder in meine Arme schließen können." Des Herzogs Blick schweifte kurz in weite Ferne. Dann fasste sich der alte Edelmann wieder und richtete ein abschließendes Wort an Geralt von Riva: "Ihr dürft euch gerne einige Tage in Hengfors von eurer langen Reise erholen, aber Arbeit gibt es hier für einen Hexer oder Krieger keine. Ich bedauere, dass ich euer Talent nicht gebührend nutzen kann." Eduan von den Rosen lehnte sich in seinem throngleichen Sessel zurück und senkte seinen Blick.

Der Hexer merkte, wenn seine Person unerwünscht war und ohne ein Abschiedswort machte er auf dem Absatz kehrt und stolzierte aus dem Saal.

Er verlangsamte nur unmerklich seine Schritte, als er eine Gestalt hinter sich herlaufen hörte. Als sie ihn schon fast erreicht hatte, blieb Geralt abrupt stehen und drehte sich zu seinem Verfolger um. Es handelte sich dabei um den Herzogssohn Diederic.

Der goldblonde Edelmann kam schnellatmend zum Grund seiner Eile. "Wartet, Herr Geralt. Ich möchte mich für die Abweisung meines Vaters entschuldigen, aber mir ist sehr daran gelegen, dass der Fluch von meiner Schwester genommen wird. Kommt, folgt mir in mein Schreibzimmer."

Diederic führte den Hexer mit schnellen Schritten den Korridor entlang und bot ihm den Platz gegenüber seinem Schreibtisch an. Er griff nach einer Weinkaraffe und goss ihnen den roten Traubensaft in zwei gläserne Kelche. "Nun, Hexer, wisst ihr schon, wie ihr an das Problem herangehen werdet?"

Geralt hob den Weinkelch, betrachte die blutrote Flüssigkeit darin kurz und leerte den Kelch in einem Zug. Sein "Nein!" kam zeitgleich mit dem Aufsetzen des Glaskelches.

"Wie wollt ihr mir dann -"

Doch Geralt ließ Diederic nicht zu Ende reden und fuhr ihm ins Wort. "Ich muss wissen, wer den Fluch ausgesprochen hat und aus welchem genauen Grund. Am besten wäre der genaue Wortlaut des Fluches."

"Ich war noch ein kleiner Junge, als das alles geschah. Meine Schwester Rosalea sollte damals den Grafen Roderick von Eisenstein, einer der mächtigsten Männer Malleore, heiratet. Aber sie weigerte sich lautstark. Kurz darauf erschien eine finstere alte Zauberin in unserer Burg. Sie zerrte das jammernde Mädchen in den Burgturm und schloss sie dort ein. Sie sprach eine mystische Folge von fremden Worten und eine gewaltige Rosenhecke wuchs den ganzen Turm hinauf. Dann befahl sie meinen Eltern mit all ihrem Gefolge die Burg auf der Stelle zu verlassen. Aus Angst vor weiterem Unheil flohen wir alle noch am gleichen Tag. Niemand wagte es sich der mächtigen Frau entgegen zu stellen. Man hörte noch lange Zeit die erstickten Schreie meiner Schwester. Und der stete Zaubergesang der alten Zauberin dauerte den ganzen Abend lang an. Einige Lauscher glaubten sogar den qualvollen Schrei eines jungen Mannes zu hören, der um Mitternacht vom Gebrüll eines Ungeheuers abgelöst wurde. Von der Zauberin sahen und hörten wir nie wieder etwas." Diederic hielt kurz inne, erinnerte sich schmerzvoll an den Verlust der Schwester.

"Was geschah weiter?" drängte Geralt.

"Am nachkommenden Tag schaffte mein Vater sein ganzes Hab und Gut aus der verfluchten Burg. Doch niemand konnte die Rosenhecke am Turm durchbrechen, um Rosalea zu befreien. Sie wuchs so dicht und die Dornen waren so lang, dass sich etliche Soldaten und Diener meines Vaters daran schwer verletzten. Nicht einmal Feuer konnte ihr etwas anhaben. Und als die erste Nacht hereinbrach tauchte da dieses zähnefletschende, blutdürst¬ende Ungeheuer auf. Da wusste jeder was geschehen war: Rosalea war zum Dasein einer Striege verurteilt worden. Eine magische Grenze hielt die Bestie innerhalb der Burgmauern, die mit den Jahren zu verfallen begann. Trotzdem ließ mein Vater eine weitere Mauer aus dornigen Rosen und Brombeeren um die Burg errichten und mahnte jeden, nie einen Fuß dahinter zu setzen. Und einmal jede Woche banden die Soldaten ein Rind, ein Schaf oder eine Ziege an den Burgbrunnen, damit die Striege Rosalea überleben konnte."

"Und ab und an versucht ein unwissender Reisender dort zu übernachten und erwacht in den tödlichen Fänger des Ungeheuers", vollendete der Hexer die Erzählung.

"Kurz nach meinem neunzehnten Geburtstag traute ich mich ein einziges Mal innerhalb der Burgmauern hinein. Die Sonne stand hoch am Himmel und die Insekten summten über die unzähligen Rosen am Turm. Es war friedlich, übersah man die modernden Knochen, die überall im Hof verstreut lagen. Ich wagte mich nicht in die Innenräume des Hauses, aus Angst dem Ungeheuer zu begegnen. Nach einer Stunde des zitternden Gedenken an meine Schwester bin ich schließlich nach Hengfors zurückgerannt."

"Striegen verlassen nur in der Nacht ihren finsteren Unterschlupf, um sich auf die Suche nach frischem Blut zu begeben. Der Fluch kann gebrochen werden, wenn man verhindert, dass die Striege im Morgengrauen in ihre Grabstätte zurückkehrt."

"Aber das hieße ja, man muss mit ihr eine Nacht verbringen!"

"So ist es", gestand Geralt trocken.



3

Noch bei Tageslicht ritt Geralt von Riva hinauf zu der verfluchten Burg und marschierte suchend durch den mit abgenagten Knochen übersäten Hof. Der hohe Turm war vollends mit einer meterdicken Rosenhecke umschlossen, die auf den angrenzenden Mauern weitergewandert war und fast den gesamten Burgkomplex überwuchert hatte.

Das verfallene Herrenhaus stand wie ein gruseliges Mahnmal und der verwitterte Eingang grüßte ihn mit einem stummen Aufschrei. In seinem Innern fand der Hexer weitere Knochen und Fleischreste, die stinkend vor sich hin moderten. Durch den Staub am Boden zogen sich die bizarren Spuren eines nächtlichen Tanzes von einem klauengewehrten Ungeheuers.

Geralt verließ die Ruine wieder und trat an den Turm. Er untersuchte genau die Rosenhecke, die sich makellos bis unter das Turmdach über ihm ausbreitete. Nichts wies darauf hin, dass jede Nacht ein Ungeheuer den Weg hinab und hinauf nahm. Aber er musste sich vergewissern, dass das Mädchen Rosalea dort oben schlief.

Ihm blieben noch einige Stunden, bis die Sonne untergehen würde. Der Hexer rannte zu einer Steintreppe, die hinauf zu den Mauern führte. Je näher er dem Turm kam umso dichter wucherten die Rosenzweige über den Wehrgang. Mit seinem Stahlschwert bahnte er sich einen Weg nahe genug heran, bis er am verwunschenen Turm ein Fenster unterhalb des Daches ausmachen konnte.

Er entrollte ein Seil, an dessen Ende ein Haken befestigt war. Geralt stand sicher auf den schmalen Zinnen der Mauern und schwang das Seil. Als er genug Schwung geholt hatte, flog der Haken hinauf und verfing sich am Mauerwerk des Fensters. Der Hexer zog mit seinem ganzen Gewicht daran, als es hielt, sprang er hinauf und landete mit den eisenbesetzten Stiefeln an der dornenbesetzten Mauer. Seine kräftigen Arme zogen ihn Schritt für Schritt nach oben, während seine Beine sich durch das Geflecht der Rosen kämpften. Manchmal musste er sich aus dem Gestrüpp heraus kämpfen und viel zu oft drangen die langen Dornen durch das Leder seiner Kleidung und rissen ihm winzige Wunden. Mit jedem neuen Schmerz entfloh ihm ein kurzer Fluch über die verzerrten Lippen. Je höher er jedoch kletterte, umso schmaler wurde der unbarmherzige Rosenmantel, der sich wie ein abwehrender Panzer um den Burgturm gelegt hatte. Schließlich erreichte Geralt den rettenden Fenstersims und ließ sich erschöpft ins Turminnere gleiten. Er hoffte, dass sein kräftezerrender Aufstieg nicht umsonst gewesen war, und er im Innern etwas vorfand, was ihm der Lösung des Fluchs etwas näher brachte.

Er kämpfte sich auf die Beine und zog sich noch etliche abgebrochene Dornen aus den Armen und Hosenbeinen.

Die Sonne stand bereits sehr tief und so fiel wenig Licht durch das einzige Fenster. Der runde Raum beinhaltete nur ein einziges Mobiliar: ein Bett. Am hohen Baldachin hingen halbvermoderte Vorhangfetzen, durch die er ein Mädchen auf den muffigen Kissen ruhen sah.

Der Hexer näherte sich dem Bett, das inmitten des Raumes stand, und schob die Stoffstreifen beiseite, die bei seiner Berührung zu Staub zerfielen. Er blickte auf die schlafende Gestalt eines wunderhübschen blonden Mädchens in einem feingestickten blauen Kleid. Eine goldene Kette ruhte auf ihrem rosigen Dekolleté und nur bei sehr genauem Hinsehen war zu erkennen, wie sich ihr zarter Busen im flachen Atemzug hob und senkte. Geralt hatte die Herzogstochter Rosalea gefunden.

Gegenüber dem Fenster führte eine Treppe hinab in die Finsternis. Als er den Boden genau unter-suchte, stellte er fest, dass seine Schritte die ersten seit fast fünfundzwanzig Jahren waren, die den fingerdicken Staub aufgewirbelt hatten.

Der Hexer rollte das Seil zusammen und setzte sich unterhalb des Fensters auf den Boden. Er verstand nicht ganz, was er hier in der Rosenburg vorfand. Das Mädchen schien keine Striege zu sein, sondern hier die ganze Zeit schlafend zugebracht zu haben. Sie hatte diesen Rosen umwucherten Turm noch nie verlassen. Fluch und des Rätsels Lösung musste eine etwas andere Variante sein. Dass im Burghof ein Ungeheuer hauste, davon zeugten die unzähligen abgenagten Knochen. Der Hexer hatte das Monster riechen und in der Finsternis lauern gespürt. Da unten war etwas. Und Geralt glaubte zudem, dass die Dornenhecke dieses Etwas daran hindern sollte hier herauf zu gelangen.

Bis die Nacht hereinbrach würden dem Hexer noch drei Stunden bleiben, die er dazu nutzte, um zu schlafen. Er holte eines seiner Elixiere aus der Tasche und trank davon. Es sollte ihm bei der Heilung der unzähligen winzigen Dornenwunden helfen. Mit dem Silberschwert in der Hand legte er sich zu Seite und schloss die Augen. Er war auf der Stelle eingeschlafen.



4

Geralt erwachte beim ersten fernen Brüllen eines Ungeheuers. Er öffnete die Augen und stellte fest, dass es bereits tiefste Nacht war. Geschützt durch die Dunkelheit setzte der Hexer sich auf und griff nach einem weiteren Elixierfläschchen, das er sich bereits vor dem Einschlafen hingestellt hatte. Das Gift tat schmerzvoll seine Wirkung und nur wenige Lidschläge später konnte er in der Dunkelheit sehen. In einem diffusen grauen Licht leuchtete seine Umgebung, nur der schlafende Körper des Mädchens auf dem modrigen Bett gab seine rote Wärme ab.

Geralt erhob sich und starrte aus dem Fenster. Über ihm der Sternenhimmel mit einer schmalen Mondsichel. Unter ihm graue Mauern zwischen dunklen duftenden Rosen und noch finsteren Schatten. Er lauschte und meinte im Herrenhaus Klauen über Stein wetzen zu hören. Minutenlang wartete der Hexer, dass sich das Ungeheuer hervortraute. Minutenlang tat sich gar nichts.

Der Krieger wandte sich dem Bett zu, trat an Rosalea heran. Was sollte er nun tun? Ein Kuss erweckt die schlafende Jungfrau. Geralt beugte sich über die Schlafende und drückte ihr einen zaghaften Kuss auf die Lippen. Es roch intensiv nach Rosen.

"Hätte mich auch gewundert, wenn es geklappt hätte", murrte Geralt, als das Mädchen unverändert weiterschlief.

Vorsichtig hob er sie auf seinen Arm und ging mit ihr zur Treppe. Die Umgebung zeichnete sich als graue Schemen ab, die straubige Luft kitzelte in der Nase und er roch weiterhin den intensiven Duft der Rosen, als er die steile Wendeltreppe hinab eilte. Der hohe Turm hatte zwei weitere Abschnitte, leere spinnwegverhangene Räume mit dornenverhängten Fenstern, die durch die am Mauerrand hinab führende Wendeltreppe getrennt wurden. Nach einiger Zeit kam er unten an und lauschte an der dicken, festverschlossenen Holztür. Stille.

Der Hexer legte Rosalea neben sich auf den Boden und betastete das Türschloss. Eine Handgeste und ein kurzer Axii-Zauber öffnete ihm mit einem leisen Klacken die verschlossene Tür. Er zog die Klinke herunter und ruckte an der Tür. Nur widerwillig lösten sich die Wurzeln und Dornen der Rosenhecke von dem alten Holz. Geralt kamen die Geräusche, die er dabei machte, in der nächtlichen Stille überlaut vor. Ihn trennte nun nur noch ein meterdickes Gewirr aus bis zu armdicken Rosenzweigen, die mit spitzen Dornen nur so übersät waren, vom weiträumigen leeren Burghof.

Zudem musste ihn das Ungeheuer schon längst bemerkt haben und lauerte bestimmt schon dort draußen auf ihn. Er legte die weiterhin schlafende Rosalea in die tiefsten Schatten unter der Treppe.

Doch alle Vorsicht nütze ihm nichts. Nur brachiale Feuergewalt und sein Hexerschwert in der Hand würden ihm nun weiterhelfen. Er aktivierte sein Igni-Feuerzeichen und brannte damit den Durchgang nach Draußen frei.

Das dornige Gestrüpp brauchte lange Minuten, brannte knisternd weg und blendete den Hexer für kurze Zeit. Als die Flammen erloschen und er durch die geschlagenen Presche in den Hof lief, schwang er sein Silberschwert in alle Richtungen. Doch keine geifernde Bestie sprang ihn an.

Immer wieder drehte er sich um sich selbst und suchte mit seinen nachtsehenden Augen den Burghof ab. Besonderes Augenmerk legte er auf die Schatten, in denen der Gegner lauern und jederzeit ihm entgegenspringen konnte. So durchquerte er den halben Hof und war fast am Brunnen angelangt, als er das Schnauben vernahm. Seine Nackenhaare stellten sich auf und er bemerkte fast zu spät, wie sich ein Schatten auf dem Brunnendach erhob und ihm entgegenflog.

Weit war das zähnebewehrte Maul aufgerissen und hatte nur eines im Sinn: dem Hexer die Kehle zu zerfetzen. Ebenso wie die Pranken mit den scharfen Klauen, die ihm mit einem muskelbepackten nackten Leib entgegenkamen. Geralt konnte sich gerade noch zu Boden werfen und aus der Gefah-renzone rollen, als der massige Leib der Striege an ihm vorbei war. Knochen klapperten, als das Ungeheuer auf dem Boden aufkam und unmittelbar drehte, um seinem Feind nachzujagen.

Der Hexer hechtete über den Hof und rannte die Treppe zur Wehrmauer hinauf, mit dem Monster dicht auf den Fersen. Während des Laufs rollte er sich eine silberne Kette vom Arm und drehte sich schließlich dem Ungeheuer entgegen. "Komm her, Miststück", lockte er das Monster mit seinem Silberschwert näher an sich heran und schwang mit der anderen Hand die Kette. Das Silber flitzte durch die Luft und landete auf der breiten Nase des Untieres. Das magisch-edle Metall riss eine Wunde in die zerfurchte Visage des Ungeheuers und ließ es aufjaulen.

Die Striege wich nun vor ihm zurück und Geralt bemerkte zum ersten Mal, dass das Untier männlichen Geschlechts war. Der mutierte, muskelbepackte nackte Leib wies eine glatte Brust auf und ein schweres Gehänge baumelte zwischen den krummen Hinterbeinen. Das struppige Kopfhaar, das sich über den Rücken bis fast zum Gesäß fortsetzte war von einem tiefen Schwarz. Auch wenn sich das Ungeheuer auf allen Vieren fortbewegte, so war es fast genauso hoch wie Geralt groß war. Bisher jedoch waren alle Striegen, von denen er gehört oder die ihm begegnet waren, weiblich gewesen. Dieser Fluch oder was immer es war, wurde immer sonderbarer.

Der Hexer ließ die Silberkette vor sich rotieren und folgte der Striege nach unten. Einmal stach er mit dem Schwert nach ihm, als eine Klaue ihn unerwartet zu Fall bringen wollte. Ein schmerzvolles Jaulen entwich dem furchteinflößenden Maul, als das Metall es erneut verwundete. Schließlich drehte die Bestie ab und hechtete mit riesigen Sprüngen über den Hof auf den Turm zu.

"Verdammt!" Rosalea lag dort ungeschützt. Geralt rannte ihr hinterher. Doch er erreichte den Turm viel zu spät, da hörte er schon den markerschütternden Schrei des erwachten Mädchens. Er dachte nicht lange darüber nach, warum das Mädchen plötzlich erwacht war oder ob gar die Striege selbst es geschafft hatte die Tochter des Herzogs zu erwecken, sondern spurtete weiter.

Ein dicker Schenkelknochen wurde ihm zum Verhängnis und ließ ihn stolpern. Er versuchte noch seinen harten Fall mit dem Arm abzufangen, hörte das Gelenk knacken und überschlug sich. Benommen blieb er zwischen abgenagten Knochen und dreckigem Staub liegen.

Ätzend rollte er sich auf die Seite und merkte, dass sein linkes Handgelenk zumindest ange¬brochen sein musste. Als er nach seinem Hexerschwert griff, das er beim Fallen verloren hatte, fiel sein Blick auf den Turmdurchgang. Die männliche Striege tauchte gerade daraus hervor und zog einen leblosen Körper hinter sich her. Hatte die Bestie das Mädchen bereits getötet? Doch der scharfe Blick des Hexers konnte keine Wunde an Rosalea erkennen. Er hoffte, dass sie der schreckliche Anblick des Ungeheuers nur in eine befreiende Ohnmacht gerissen hatte.

Geralt behielt die Bestie genau im Blick, während er sich auf die Füße quälte. Die Kette hatte er fallen lassen, zu sehr schmerzte ihn das verstauchte Handgelenk. In seiner rechten Hand blitzte bedrohlich das silberne Hexerschwert.

Die Striege hatte ihn entdeckt, ließ Rosalea fallen und ging mit langsamen Schritten auf den Hexer zu. Nur wenige Meter trennten sie noch voneinander. Der faulige Atem der Bestie und der betörende Duft der Rosen gaben ein widerliches Potpourri ab. Geralt knurrte fast ebenso laut und drohend wie das sich ihm nähernde Ungeheuer. Er schwang sein Schwert und die Bestie blieb auf ausreichender Distanz.

Der Hexer wob einen Aard-Zauber mit seiner wunden Hand. Knirschend biss er die Zähne aufeinander und drückte den Schmerz fort. Die weißgelbe Energie entwich seiner nach oben gekrümmten Hand und stob der Striege entgegen, die sofort dagegen ankämpfte. Sie stemmte ihre Klauenpranken in den Boden und schob sich Schritt um Schritt ihrem Gegner näher. Sie durchpflügte den Energiestrahl und gewann immer mehr an Boden. Geralt konnte zu wenig Energie in seinen Zauber legen und bevor ihn dieser zu sehr schwächte, beendete er ihn. Kaum erlosch das Aardfeuer, als sich der Hexer auch schon zur Seite warf und das Schwert auf die vorbeitrabende Bestie herab sausen ließ.

Knochen und Staub stieben auf. Das Jaulen des getroffenen Untiers dröhnte in Geralts Ohren. Doch er zögerte nicht und sprang der Striege entgegen. Die Zähne gefletscht, das Silberschwert erhoben, stieß er sich ab und hieb dem Ungeheuer seine Klinge in den nackten Muskelleib. Der Hexer prallte mit der stinkenden Bestie zusammen und bekam einen harten Schlag ab, als die Striege im Todeskampf ein allerletztes Mal um sich schlug. Der Hieb presste ihm die Luft aus den Lungen und schleuderte ihn an die Brunnenwand, wo Geralt betäubt liegen blieb.


Süßlicher Rosenduft stieg dem Hexer in die Nase, als er aus seiner Ohnmacht erwachte. Er wischte sich das Blut von einer Wunde an der Stirn und die verklebten Haare aus den Augen. Sein ganzer Körper schmerzte ihm, doch kämpfte er gegen die Schmerzen an und quälte sich auf die Beine, dabei zog er sich an Brunnenrand nach oben. Es dämmerte bereits und ihm bot sich ein ungewohntes Bild.

Dort wo er die Striege niedergestreckt hatte lag ein schwarzhaariger Jüngling. Über seinen nackten Körper, aus dessen Brust noch das Hexerschwert ragte, kniete Rosalea und beweinte leise seinen Tod. Zwischen ihren schmerzvollen Schluchzern stieß sie immer wieder einen Namen aus. "Lukan, mein liebster Lukan. Oh, Lukan."

Das Mädchen bemerkte schließlich den weißhaarigen Krieger auf sich zu wanken und schrie ihn an: "Du, Ungeheuer hast ihn getötet!" Sie versuchte das Schwert aus dem toten Körper ihres Liebsten zu reißen, aber sie war zu schwach dazu. "Bleib weg von mir!"

Tatsächlich hielt Geralt von Riva inne.

Und als sich die Sonne im Osten über dem Horizont erhob, tauchten auch die ersten Menschen aus Hengfors am Burgtor auf. Vorneweg ging der alte Herzog und stützte seine furchterfüllte Gemahlin. Diederic rannte in den Hof, unsicher ob er zu seiner zeternden Schwester oder dem verwundeten Hexer laufen sollte - so blieb er zwischen ihnen stehen und behielt beide im Blick. Etwa zwanzig mutige Bewohner und eine Handvoll Stadtwachen warteten am Burgtor.

Rosalea bemerkte nun auch die anderen Menschen, die in die Ruine geströmt waren. Ein kurzer Blick fiel auf ihren erwachsenen Bruder Diederic, den sie jedoch nicht wiedererkannte. Stattdessen sah sie an ihm vorbei und erkannte ihre Eltern. Ihr zartes schönes Gesicht war wutverzerrt und sie versuchte erneut das Schwert aus dem Leib zu ziehen. Was ihr auch diesmal nicht gelang.

Inzwischen hatte Geralt das Mädchen erreicht. Ihm war es ein leichtes sein Silberschwert aus dem Toten zu ziehen. Er behielt es in der Hand und fragte die Herzogstochter: "Wer ist Lukan?"

"Ich habe ihn geliebt. Und er mich", gestand Rosalea.

"Lukan war ein einfacher Stallknecht!" erklang die erboste, gebrochene Stimme des alten Herzog Eduan von den Rosen. "Er hätte meine Tochter nicht einmal ansehen dürfen, geschweige denn lieben! Niemals hätte ich solch einer Heirat zugestimmt."

"Die Zauberin handelte in eurem Namen, Herzog?" wollte Geralt von dem alten Mann wissen.

Der alte Herzog zögerte.

"Raus mit der Wahrheit, Vater!" verlangte nun auch der junge Herzog nach der Wahrheit.

Eduan von den Rosen nickte resigniert. "Meine Frau brachte mich auf die Idee und sie wusste von der Zauberin. Die alte Hexe sollte Rosalea nur einen Trank einflößen, der sie diesen Stallknecht vergessen lassen sollte. Aber mit irgendwas hatten wir den Zorn dieser Zauberin auf uns gelenkt, sie betrog uns. Sie verfluchte unsere Tochter zu einem ewigen Schlaf, sperrte sie in diesen Turm und ließ nachts diese Bestie umherstreifen. Es war unser eigenes Verschulden. Was hätten wir tun sollen?" Der alte Mann streckte seine faltigen Hände nach seiner Tochter aus und Tränen traten ihm aus den müden Augen. "Rosalea, bitte vergib uns."

"Niemals!" fauchte sie erschüttert. "Ihr habt mir mein Lebensglück geraubt. Mich verfluchen lassen. Das kann ich nicht vergeben." Das Mädchen kniete sich erneut am Leichnam ihres Liebsten nieder und weinte bitterlich.

Die Liebe zu dem Jüngling Lukan hatte wohl ausgereicht, dass er Rosalea selbst in der furchtbaren Gestalt einer Striege hatte aus ihrem Zauberschlaf erlösen können.

Geralt ließ sie zurück und wandte sich an Diederic von den Rosen. "Die Striege ist tot, der Fluch aufgehoben. Ihr habt eure Schwester zurück. Ich erwarte nun meinen Lohn, dass ich meiner Wege ziehen kann."

Sichtlich von dem blutverschmierten, von Dornen zerrissenen, in Rüstung gekleideten Hexer angeekelt, griff der junge Herzog nach einem Beutel mit Münzen und warf sie ihm entgegen. "Verschwindet schnell von hier, Hexer."

Kommentarlos fing Geralt den prallgefüllten Beutel auf und verstaute ihn achtlos an seinem Gürtel. Dann säuberte er sein Schwert an einem seiner zerfetzten Hemdsärmel und steckte es in die Lederscheide am Rücken zurück. Mit grimmigem Blick marschierte er wortlos an dem alten Herzogpaar vorbei, die sich zögerlich ihrer erlösten Tochter näherten und ihm keinerlei Beachtung mehr schenkten. Am Burgtor bildeten die Stadtwachen und Bewohner Hengfors eine Gasse, durch die der weißhaarige Hexer schritt.

Erst als er außer Hörweite und bei seinem Pferd Plötze, das er unterhalb der Burgruine am Tag davor angebunden hatte, angekommen war, entfuhr ihm ein schmerzvolles Stöhnen und er quälte seinen zerschlagenen Leib in den Sattel. Er riss sich mehrere Streifen aus seinem eh schon kaputten Hemd und umwickelte damit sein verstauchtes Handgelenk, dann lenkte er sein Reittier auf einen nahes Gehöft zu, auf dem die Familie seines Reisegefährten Aryan wohnte.

Der Hexer hoffte, dort seine Kleidung ausbessern, Proviant für die Weiterreise und ganz wichtig, seinen zerschundenen Körper stärken und heilen zu können.


Ende




SILBER UND STAHL

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