Читать книгу Kreise schließen sich - Nika Vero - Страница 6
MEINE MUTTER
ОглавлениеUnd endlich sah ich sie! Dieses wunderbare Wesen erfüllt von Liebe, Geduld und Güte. Ihr hatte ich es zu verdanken, dass ich mich angenommen und geliebt fühlte. Sie war die Anmut in Person und von beachtlicher Schönheit! Ihr schwarzes Fell glänzte und jede ihrer Bewegungen verlieh ihrem Wesen einen grazilen Touch. In jeder Körperhaltung strahlte sie eine gewisse Würde aus, die sich auf sehr sanfte und liebreizende Weise zeigte; und sie war noch so jung – erst ein Jahr. Ihr Name war Lisa und ich liebte sie so sehr. Meine Mama! Sie hatte es nicht immer leicht mit uns quirligen Kindern als alleinerziehende Mutter. Und doch brachte sie so viel Nachsicht uns gegenüber auf. Manchmal wirkte sie sehr müde, trotzdem wies sie uns in unserem Benehmen zurecht, lehrte uns im Umgang miteinander und griff ein, wenn unser Spiel zu ernst wurde. Sie war zu jeder Zeit bereit, Liebkosungen zu geben und ihre Streicheleinheiten taten mir sooo gut – schnurrrrr. Sie war ein großer Segen für uns, denn sie brachte uns eine wahrhaft ansteckende Ruhe und Gelassenheit entgegen. Ihre warmherzige Art mit uns umzugehen und mit uns zu kommunizieren verliehen ihr unseren Respekt und uneingeschränkten Gehorsam – meistens jedenfalls. Ihre würdevolle Ausstrahlung und Autorität setzte sie sehr einfühlsam ein, so dass wir trotzdem verstanden, was sie meinte. Als wir uns nach ein paar Tagen in Laufübungen versuchten und uns vorsichtig aus unserer Höhle wagten, passte sie verantwortungsbewusst auf uns auf. Dabei bewies sie immer wieder ihre – fast – unerschöpfliche Ausdauer mit uns. Manchmal musste sie doch deutlicher werden und gab uns einen leichten Klaps hinter die Ohren oder auf den Po. Auch trug sie einen nach dem anderen wieder in die Höhle zurück, wenn sie der Meinung war, dass wir fürs Erste genug von den neuen Informationen aufgenommen hatten.
Dann legte sie sich wieder mit uns zusammen hin und ließ uns an ihren Zitzen saugen. Jetzt erst merkten wir, wie sehr uns die Laufversuche ermüdeten und wir schliefen schnurrend und knetend ein. Das war für uns eine echte Erholung! Bald darauf waren wir alle wieder bei Kräften und konnten wieder mit vollem Eifer und Elan weiter herumtollen.
Kneten ist ein angeborener Instinkt von Katzenbabys. Sie treten die Brust der Katzenmutter, um den Milchfluss anzuregen. Man nennt es deshalb auch „Milchtritt“. Manche Katzen kneten auch noch, wenn sie erwachsen sind, weil ein weicher Untergrund sie an den Schutz und die behagliche Wärme ihrer Mutter erinnert.
Wenn sie selbst hungrig wurde oder ihren eigenen Bedürfnissen nachgehen wollte, kündigte sie dies an, bevor sie ging. Das gab uns das nötige Vertrauen, weil wir wussten, dass sie kurze Zeit später wieder erscheinen würde. Nach etwa einer Stunde war sie meistens wieder bei uns. Die Freude sie wiederzusehen war unermesslich! Ihre Fürsorge und Nestwärme, die sie uns allen angedeihen ließ, waren das Größte!
Als wir fünf Wochen alt waren, verließ Mama Lisa nachmittags unsere Höhle. Doch diesmal wurde es Abend und sie zeigte sich immer noch nicht. Während wir kleinen Fellknäule aneinander gekuschelt zusammen lagen, warteten wir vergeblich auf ihre Rückkehr. So sehr wir sie auch zu uns wünschten und nach ihr riefen – sie kam nicht. Wir vermissten ihre so wohlige Wärme und ihren beruhigenden Herzschlag in dieser ersten Nacht. Wir kuschelten uns ganz eng aneinander und brauchten uns mehr denn je, in diesem Moment, in dieser Situation. In eine Ecke gedrängt lagen wir fast unbeweglich da. Nur unsere Atembewegung verriet, dass WIR noch am Leben waren. Die Höhle war noch viel zu groß für uns allein! Unsere Mama Lisa hatte meistens mit dem Kopf nach draußen gelegen, und so war die Höhle und der Schutz ihres Körpers zu unserem „Heim des Vertrauens“ geworden. Eine von uns geglaubte sichere Welt brach in jenem Augenblick ihres Verschwindens für uns alle zusammen. Traurig schliefen wir ein.
Auch der nächste Morgen erwachte ohne ein Lebenszeichen von ihr. Für sie hatte sich überraschend ein Kreis geschlossen, denn sie war mit einer anderen Absicht von uns gegangen. Für uns öffnete sich damit ein neuer Kreis und wir waren ab sofort auf fremde Hilfe von außen angewiesen. Einer Hilfe, deren Vertrauen noch nicht vollständig aufgebaut war und die sich auf einem wackligen Fundament bewegte. Vorstellungen, Lernprozesse und Erziehungsmethoden, die für eine Katzenmutter bei der Erziehung zur Selbstverständlichkeit gehörten, wurden nun in die Hände von Menschen gelegt. Der Grundstein eines neuen Verlaufes, der für uns alle zu einer großen Herausforderung werden sollte, hatte seinen Anfang genommen. Unsere Mutter hatte unbeabsichtigt und endgültig jene Aufgaben, die für unsere aller Entwicklung notwendig waren, aus ihren Pfoten gegeben.