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30.

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Mit einem Koffer in der Hand stand Jana vor dem wartenden Taxi, schaute wehmütig auf die Schule und dachte an die letzten Wochen zurück, dachte an das, was sie durchlebt hatte, an die guten und die schlechten Momente.


In der Nacht nach dem Kuss hatte sie kein Auge zubekommen, hatte sich stundenlang unruhig hin und her gewälzt und überlegt, was sie tun sollte. Ralf hatte sie so entgeistert angesehen, dass sie nicht lange überlegen musste, wie er wohl dazu stand. Vielleicht sieht er einfach darüber hinweg oder vergisst es, hatte sie gedacht, obwohl sie auch diese Option furchtbar traurig gemacht hatte.

Ihre Hoffnung, dass er doch mehr in ihr sehen würde, als nur seine Schülerin, war mit diesem Kuss zerstört worden. Am liebsten hätte sie sich bis zum Schuljahresende in ihrem Zimmer versteckt, um ihm möglichst nicht noch einmal begegnen zu müssen, doch hatte sie dafür bislang zu viel investiert, hatte zu viel gelernt. Sie hatte am nächsten Morgen aufstehen und zum Unterricht gehen müssen, ob sie gewollt hatte oder nicht. Außerdem waren es bis zu den Sommerferien keine fünf Wochen mehr gewesen, danach würde sie sich immer noch vor ihm verstecken können. Bis dahin hieß es eben: Ruhe bewahren und abwarten. In Sekundenschnelle durchzuckten sie nun die Erinnerungen an die letzten Wochen.

Die Prüfungswoche verging wie im Flug, die Klausuren waren ein Kinderspiel, obwohl Jana die größte Mühe hatte, sich zu konzentrieren. Ralf schien ihr aus dem Weg zu gehen, so wie auch sie es tat, w a nn es auch nur irgend möglich war, doch beschäftigte sie dies ungemein. Sollte sie ihn nicht vielleicht doch auf den Kuss ansprechen oder lieber abwarten ? Oh M an n , es war zum Haare raufen und sie wünschte sich, dass es einfach nie passiert wäre. Sie vermisste ihn, sie vermisste sein Lächeln, seine lieben aufbauenden Worte, sie vermisste alles an ihm. Sie war drauf und dran , in ein schwarzes Loch zu fallen, wieder in Trauer und Kummer zu versinken, und das nur wegen ihm. Sie hatte doch von Anfang an gewusst, dass es nie ein ›Wir‹ geben würde, dass er nie mehr in ihr sehen würde, als eine einfache Schülerin. Warum also ließ sie sich davon jetzt nur so fertigmachen? Er war ihr Lehrer und würde nie mehr sein . Sie musste den Kuss vergessen, musste ihn ganz schnell vergessen.

D och d as war schwer, verdammt schwer. Wie nur sollte sie die Gefühle, die sie seit all den Jahren für ihn hegte , so einfach abschütteln? Sie musste einen Weg finden.

»Würdest du bitte mit in mein Büro kommen?«, riss seine Stimme sie komplett unerwartet aus ihren Gedanken. Das hatte gerade noch gefehlt. Sie hatte ihn gar nicht bemerkt, bis er nun plötzlich hinter ihr stand. Was konnte er jetzt von ihr wollen?

Mit zitternden Knien folgte sie ihm in sein Büro, sah fröstelnd mit an, wie er die Tür hinter sich schloss und wartete mit angehaltenem Atem auf das, was nun folgen sollte. Es dauerte schier endlose Minuten , bis er schließlich fragte: »Können wir bitte darüber reden?«

Sie schluckte schwer. Das war genau das, was sie die ganze Zeit erhofft und was sie die ganze Zeit befürchtet hatte. Nun, da es so weit war, wünschte sie sich, er hätte sie nie darauf angesprochen. Warum konnte er es nicht einfach gut sein lassen? »Worüber denn?«, krächzte sie und bohrte die Nägel ihrer Zeigefinger in ihre Daumen.

»Du weißt genau, was ich meine. Das hätte nie passieren dürfen«, meinte er und versetzte ihr damit einen argen Dämpfer.

Ihre Atmung beschleunigte sich, sie biss die Zähne fest zusammen und versuchte , Ruhe zu bewahren, doch half es nichts es platzte förmlich aus ihr heraus: »Meinst du, das weiß ich nicht ? Es ist einfach geschehen, ich habe es doch nicht darauf angelegt. Tun wir doch so, als wäre das alles nie passiert!«

Er kniff die Augen leicht zusammen, sah sie einen Moment eindringlich an.

Bitte, lass es doch einfach gut sein!, flehte sie innerlich und blickte starr zu Boden.

»Und was hatte es dann zu bedeuten?«

Sie hob ihren Blick, sah ihn fassungslos an , blieb aber stumm.

»Wenn ich dir irgendwie das Gefühl gegeben habe, dass da mehr …«

Aus seinem Mund klang das Wörtchen ›mehr‹ so unwirklich, so falsch, so verboten, dass es ihr eine Gänsehaut über den Körper jagte. Sie fiel ihm ins Wort, noch bevor er den Satz beenden konnte: »Verdammt noch mal, es war nur ein Kuss, nur ein verdammter, nichtsbedeutender Kuss. Mach aus einer Fliege keinen Elefanten. Ich weiß selbst nicht, was da über mich gekommen ist. Es wird nicht noch einmal vorkommen. Also vergiss es einfach!«

Tränen stiegen ihr in die Augen, sie musste hier raus, bevor er diese sehen und ihm somit bewusst werden konnte, dass sie gelogen hatte. Er würde nie erfahren, wie viel ihr der Kuss wirklich bedeutet hatte. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und lief aus seinem Büro. Den Blick starr zu Boden gerichtet, bemerkte sie ihn erst, als sie gegen ihn prallte. Ihr Herz rutschte ihr in die Hose, als sie ihren Direktor erkannte . Dass er alles mit angehört hatte, verriet seine Miene nur zu deutlich. »In mein Büro, sofort!«


Allein bei den Gedanken daran bekam Jana eine gewaltige Gänsehaut. Das Ganze war nicht mal drei Stunden her, und jetzt stand sie mit gepacktem Koffer im Hof und schaffte es nicht, ins Taxi zu steigen. Sie hatte nicht lange darüber nachdenken müssen, bis sie den Entschluss gefasst hatte, die Schule zu verlassen. Sie war neunzehn Jahre alt, konnte also tun und lassen, was sie wollte und was sie für richtig hielt. Und jetzt zu gehen, war eindeutig das Richtige. Wieso sollte sie auch nicht? Sie hatte nichts zu verlieren, und vermissen würde sie doch ohnehin niemand. Sicherlich, ihre Klassenkameradinnen hatten die ganze Zeit über hinter ihr gestanden und waren für sie eingetreten, aber wahrscheinlich auch nur, weil keine von ihnen Viktoria hatte leiden können. Vielleicht hätte einiges anders kommen können, vielleicht hätte sie auch neue Freundschaften schließen können, wenn sie sich nicht so hätte gehen lassen und sich nicht so zurückgezogen hätte, doch wollte sie sich darüber eigentlich keine Gedanken machen. Alleine zu sein und zu bleiben, war besser und sicherer. So konnte ihr wenigstens niemand mehr weh tun.

Wohin ihr Weg sie jetzt führen würde, wusste sie nicht. Sie wusste noch nicht einmal, wie sie in den Prüfungen abgeschnitten hatte, Zeugnisse würde es erst in drei Wochen geben. Doch das war ihr egal, genauso egal, wie alles andere. Er hatte sie enttäuscht, so dermaßen enttäuscht, sie die ganze Zeit über, die ganzen fünf Jahre, belogen und das konnte und wollte sie ihm nicht verzeihen. Wie das alles in neun Wochen aussah, wusste sie nicht, sie würde es ja sehen, wenn sie nach den Ferien zurückkehren würde. Sie musste es einfach auf sich zukommen lassen. Jetzt brauchte sie Abstand, einfach nur Abstand und Zeit für sich.

Der Koffer war bereits verstaut, als sie schließlich mit der Zeitung in der Hand ins Taxi stieg und die Tür schloss. Seit sie hier war, war das das erste Mal, dass sie die Schule verließ. Es war ein komisches, beklemmendes Gefühl und gleichzeitig so ein befreiendes und wohltuendes. Wie schon einige Male zuvor faltete sie die Zeitung auf und las die Überschrift Jana Hansen – neue deutsche Meisterin. Es kam ihr immer noch wie ein Wunder vor. Die ISU hatte die Beweise tatsächlich anerkannt. Sie hatten sie nachnominiert, hatten ihre Kurzkür neu bewertet und ihr die Punkte gegeben, die sie redlich verdient hatte, woraufhin sie tatsächlich auf den ersten Platz vorgerückt war. Somit war ihr der Weg für die Europameisterschaft bereitet. Mit einem breiten Grinsen lehnte sie sich im Sitz zurück und begann den Artikel erneut zu lesen.



* * *



Zur gleichen Zeit, als Jana in ihrem Taxi das Schulgelände verließ, stieg auch jemand anderes in sein Auto, um etwas zu erledigen, das ihn vor eine äußerst schwierige Herausforderung stellte, doch war es die einzige Möglichkeit, die ihm eingefallen war. Er musste es tun, für sie, um ihr zu helfen.

Nach einer langen und ermüdenden Fahrt hatte er sein Ziel erreicht, stieg aus seinem Wagen und betätigte die Klingel. Mit angehaltenem Atem sah er die dunklen Umrisse einer Person, die zur Tür trat, diese öffnete und ihn finster anstarrte. »Was wollen Sie denn hier? Habe ich Ihnen denn nicht schon am Telefon deutlich genug zu verstehen gegeben, dass Sie hier nicht willkommen sind?«

»Ist sie da?«, fragte er.

»Ja, aber sie will Sie nicht sehen.«

»Das soll sie mir selbst sagen. Ich gehe nicht, bevor ich nicht persönlich mit ihr gesprochen habe.«

Missmutig und mit zu Schlitzen verengten Augen trat die Frau zur Seite und ließ ihn eintreten. »Folgen Sie dem Gang geradeaus. Sie finden sie im Salon.«

Ohne weiter auf ihr abfälliges Schnauben zu achten, trat er durch den Flur ins Wohnzimmer, in dem er sie in einem großen Sessel sitzend, das Bein noch immer geschient und auf einem Hocker liegend, in ein Buch vertieft vorfand.

»Isabell. Schön dich zu sehen«, sagte er.

Erschrocken fuhr sie zusammen, hob ihren Blick und sah ihn an. »Was machen Sie denn hier?«

»Sie braucht dich, mehr denn je.«

»Jana?«, fragte Izzy mit kaum hörbarer Stimme und blickte traurig zurück auf ihr Buch.

»Ja.«

»Das glaube ich kaum. Wieso auch, sie hat sich seit dem ›Unfall‹ nicht mehr bei mir gemeldet. Wieso sollte ich …« Sie hielt inne, als sie bemerkte, dass er sich an seinem Jackett zu schaffen machte und nur Augenblicke später ein zusammengebundenes Bündel auf den Tisch neben sie warf – ein dickes Bündel Briefe.

»Sie hat dir fast jede Woche geschrieben, doch kamen die Briefe jedes Mal ungeöffnet zurück.«

Isabell legte ihr Buch beiseite und nahm das Bündel in die Hände. Das mussten mehr als fünfzig Briefe sein; auf dem obersten Umschlag sah sie den Stempel ›Annahme verweigert‹. »Oh mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung. Wie ist das möglich?« Die Frage war eher rhetorischer Natur gewesen, da eigentlich nur eine einzige Person dafür infrage kam. Kopfschüttelnd sah sie ihre Mutter an, die im Türrahmen stand, beide argwöhnisch beobachtete und nun von ihrer Tochter gefragt wurde: »Das war dein Werk, oder?«

»Klar, was denkst du denn?«

Sie stritt es nicht mal ab, was das Ganze nur noch schlimmer machte. Izzy hatte die größte Mühe, ihre Wut zu bändigen, doch versuchte sie, den Ärger hinunter zu schlucken, bevor sie sagte: »Wie konntest du nur? Die ganze Zeit über habe ich gedacht, dass ihr unsere Freundschaft wohl doch nichts wert war und sie mich einfach vergessen hat. Und nun muss sie das Gefühl haben, dass ich sie einfach fallenließ. Warum hast du das getan?«

»Es war besser so«, meinte Frau Braun gelassen.

»Besser so? Für wen? Für dich?«, schrie Izzy ungehalten.

»Für uns alle. Was hätte es dir gebracht, wenn ihr den Kontakt aufrecht erhalten hättet? Es hätte dich nur verletzt.«

»Das stimmt doch gar nicht. Verdammt, sie war meine Freundin, meine beste Freundin.«

»Freundin? Dass ich nicht lache. Nur ihretwegen und wegen dieser gottverdammten Schule ist doch das da passiert«, sagte Frau Braun, stieß sich vom Türrahmen ab und deutete auf das Bein ihrer Tochter.

»Das ist nicht wahr, und das weißt du ganz genau. Hör endlich auf, Jana die Schuld in die Schuhe zu schieben! Wäre sie nicht gewesen, hätte dieser Mistkerl mich vergewaltigt und wahrscheinlich umgebracht.«

»Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte es der Typ gar nicht erst auf dich abgesehen gehabt. Du warst doch nur ein Mittel zum Zweck.«

Izzy schäumte vor Wut. Egal, was sie sagte, ihre Mutter hielt dagegen. So war es schon immer gewesen und es würde auch immer so bleiben, wenn sie nicht endlich etwas unternahm. Sie atmete ein paar Mal tief durch, um sich etwas zu beruhigen, bevor sie sich wieder ihrem Besucher zuwandte. »Wenn sie mich wirklich braucht, werde ich alles tun, was in meiner Macht steht. Also, was kann ich tun?«

»Komm zurück!«

Einen Moment lang herrschte absolute Stille in dem pompös eingerichteten Salon, Izzy sah ihn sprachlos an, als ob sie die beiden Wörter erst verinnerlichen musste. Gerade als sie antworten wollte, fing ihre Mutter schallend an zu lachen. »Das können Sie vergessen. Sie wird nirgends hingehen.«

»Mutter«, rief Isabell fassungslos und schüttelte den Kopf. »Meinst du nicht, dass ich langsam alt genug bin, meine eigenen Entscheidungen zu treffen? Ich habʼs satt, mich ständig von dir bevormunden zu lassen.«

»Solange du unter meinem Dach wohnst, werde ich entscheiden, was das Beste für dich ist. Ich werde nicht zulassen, dass du auch nur einen Tag zurück an diese Schule gehst. Was willst du da überhaupt? Ein Krüppel wie du an einem Sportinternat? Dass ich nicht lache.«

»So siehst du mich also«, stellte Izzy traurig fest, doch bestärkte sie das nur in ihrem Entschluss. »Ich werde gehen, ob du willst oder nicht.«

»Wenn das dein letztes Wort ist, dann nur zu. Dann sieh aber auch zu, wie du das finanziert bekommst. Auf meine Unterstützung kannst du jedenfalls nicht hoffen. Nicht einen Cent werde ich in dieses Internat stecken.«

Traurig und enttäuscht wandte sich Isabell von ihrer Mutter ab und blickte ihren Besucher an. Mit der Drohung, ihr den Geldhahn zuzudrehen, hatte Frau Braun genau das erreicht, was sie wollte. Sie hatte ihrer Tochter den Boden unter den Füßen weggezogen, obwohl sie sich innerlich schon riesig darauf gefreut hatte, nach Neustadt und zu ihren Freunden zurückkehren zu können. Ihr Besucher aber schien das Ausmaß nicht zu verstehen, er grinste noch immer. Fragend hob Izzy die Augenbrauen.

»Wenn es nur ums Geld geht«, sagte er nun, »brauchst du dir keine Sorgen zu machen, das ist alles schon geklärt. Sieh es als eine Art Stipendium. Denk in Ruhe darüber nach und lies die Briefe! Ein Anruf genügt, und ich werde deine Anreise organisieren. Einverstanden?«

Izzy war sprachlos. Mit Tränen in den Augen nickte sie ihm zu, er drehte sich um und ging. Seine Mission war erledigt, alles Weitere lag jetzt bei Isabell.



* * *



Neun Wochen waren vergangen, die Sommerferien neigten sich dem Ende zu. Nur noch das Wochenende trennte die Schüler vom Beginn des neuen Schuljahres.

Um die Mittagszeit an diesem letzten Freitag hielt ein weiteres Taxi vor dem Haupteingang der Schule, aus dem eine braungebrannte Person stieg. Mit einem tiefen Seufzer schaute sie die große Steintreppe empor, wollte gerade den Weg ins Gebäude einschlagen, als eine ihr nur allzu bekannte Stimme sie innehalten ließ.

»Jana?«

Das konnte doch unmöglich sein. Sie musste sich verhört haben. Ganz eindeutig sogar.

»Jana?«

Nein, sie hatte sich nicht verhört. Mit wild pochendem Herzen drehte sie sich um, blinzelte in die hellen Sonnenstrahlen, die ihr in den Augen weh taten und hob schützend die Hand. Die Umrisse der Person, die keine zehn Meter von ihr entfernt stand, wurden deutlicher und dann erkannte sie sie. »Izzy? Nein, das glaube ich nicht. Das kann doch unmöglich sein. Bist du es wirklich?«

»Ja.« Mehr brachte Isabell einfach nicht über die Lippen, ihre Stimme zitterte vor lauter Anstrengung, die Tränen zurückzuhalten.

Einen Moment lang standen die beiden wie versteinert da und starrten sich an, dann plötzlich ließ Jana ihre Tasche fallen und lief auf Izzy zu. Überwältigt fielen sie sich in die Arme, standen minutenlang umschlungen und weinend in der Sonne, bis sie sich zu der kleinen Bank im Schatten der Trauerweide begaben und sich setzten.

»Seit wann bist du denn wieder da?«, fragte Jana, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.

»Erst seit zwei Tagen. Ich kannʼs immer noch nicht ganz glauben. Hier hat sich absolut nichts verändert, und trotzdem ist alles so neu für mich.«

»Du glaubst gar nicht, wie sehr du mir gefehlt hast.«

»Du hast mir auch schrecklich gefehlt, Jana. Anfangs habe ich dir noch geschrieben, aber als ich nie eine Antwort bekommen habe, habe ich aufgehört. Ich hatte ja keine Ahnung.« Als sie nur fragende Blicke erntete, griff sie in ihre Tasche und holte den Stapel Briefe heraus.

»Aber woher hast du die denn?«, fragte Jana irritiert.

»Er hat sie mir gegeben, als er mich vor ein paar Wochen besucht hat, um mich zu bitten, zurückzukommen. Du scheinst ihm ganz schön viel zu bedeuten, wenn er sich sogar mit meiner Mutter anlegt und mir die Schulkosten erlässt. Du glaubst gar nicht, wie sauer meine Mutter war – und ich erst, als ich meine Briefe gefunden habe, die ich dir eigentlich geschickt hatte.«

»Moment mal, ich komme nicht ganz mit. Wer ist ER?«

»Na, Hongo. Er hat wirklich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt.«

Jetzt war Jana nur noch irritierter, rümpfte die Nase und sagte leise: »Wenn du meinst.«

»Was ist denn los?«

»Nichts.«

»Jana Hansen, ich merke immer noch sofort, wenn du lügst. Also, raus mit der Sprache!«

»Ich möchte aber nicht drüber reden, okay?«

Izzy sah ihre Freundin an, sah den traurigen, aber auch wütenden Blick, legte ihr die Hand auf den Arm und sagte: »Gut. Aber wenn du es dir anders überlegst, irgendwann, ich bin für dich da.«

»Wie geht es eigentlich deinem Bein?«, wechselte Jana lieber schnell das Thema.

»Na ja, besser würde ich sagen, aber eben auch noch nicht hundertprozentig. Meistens komme ich ohne Krücken oder dieser engen Schiene hier aus, aber ganz weglassen darf ich sie nicht. Die Ärzte meinen zwar nach wie vor, dass ich nie wieder auf dem Eis werde stehen können, aber wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.«

»Und wieso bist du dann wieder hier? Tschuldigung, wenn ich so direkt frage. Nicht, dass ich mich nicht freue, aber …«

»Schon gut. Ehrlich gesagt, habe ich mich das auch die ganze Zeit gefragt. In erster Linie bin ich deinetwegen zurück.«

»Meinetwegen?«

»Ja, Jana, deinetwegen. Auch wenn ich nicht mehr selbst Eislaufen werde, du kannst es noch. Du wirst eben in Zukunft für uns beide laufen und ich werde dich dabei unterstützen. In nicht einmal vier Monaten ist die Europameisterschaft. Und ich weiß, dass du seit der DM keine Minute mehr auf dem Eis gestanden hast. Das heißt, wir werden jede Menge Arbeit haben.«

Als Izzy bemerkte, dass Jana bei der Erwähnung der DM traurig den Blick abgewandt hatte, fragte sie leise: »Er hat dich betrogen, oder?«

Ohne aufzusehen, nickte Jana kaum merklich und sagte: »Das habe ich doch aber nie geschrieben. Woher weißt du das?«

»Deine Tränen zwischen und auf den Zeilen deines letzten Briefes und das, was du zwischen den Zeilen geschrieben hast, hat gereicht«, sagte Izzy und zog das Blatt Papier aus dem Umschlag und gab es Jana zu lesen: … ich weiß nicht, was ich machen soll, ich kann nicht mehr. All das, woran ich die letzten Jahre geglaubt habe, ist einfach zerbrochen wie ein Spiegel, wie eine Seifenblase. Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen wegbricht. Es fühlt sich alles so sinnlos an. Wenn du nur hier sein und mir sagen könntest, was ich jetzt nur tun soll. Ich habe alles verloren, einfach alles…

Schniefend wischte sie sich die Tränen aus den Augen und steckte den Brief zurück in den Umschlag.

»Ich wusste sofort, dass du nicht nur die DM meintest. In fast all deinen vorherigen Briefen hast du Mario erwähnt, sei es ganz am Rande oder manchmal auch seitenweise. Du hast sogar einmal geschrieben, dass du glaubst, ihn wirklich zu lieben … und dann ganz plötzlich kein einziges Wort mehr über ihn und auch kein weiterer Brief. Ich wusste sofort, dass irgendetwas ganz Schlimmes passiert sein musste. Es tut mir so unendlich leid, dass das passiert ist und dass ich nicht für dich da sein konnte. Du musstest alles alleine durchstehen. Wie soll ich das nur jemals wieder gutmachen?«

Auch wenn Jana Isabell nicht ansah, konnte Izzy das Lächeln sehen, das ihre Freundin auf den Lippen hatte.

»Was?«

Jana atmete tief ein, bevor sie sagte: »Mach dir keine Gedanken, über das, was war. Wichtig ist nur, was sein wird. Du musst gar nichts wieder gutmachen, ich bin froh, dass du jetzt da bist. Und außerdem war ich nie wirklich alleine.«

»Hä? Wie jetzt?«

»Ich hatte die ganze Zeit einen Schutzengel, der einfach immer auf mich aufgepasst und sich um mich gekümmert hat.«

Isabell folgte ihrem Blick, sah, wie Ralf Maier gerade das Gebäude verließ, ihnen freundlich zunickte und weiter seiner Wege ging.

»Nee, oder?«

Leise seufzend nickte Jana nur.

»Sag bloß, du bist immer noch in …«

»Nein, ich bin nicht mehr in ihn verliebt. Das ist vorbei, ein für alle Mal. Wir sind nur gute Freunde.«

»Ach ja, wer soll denn das glauben? Wenn du keine Gefühle mehr für ihn hast, warum bist du dann so rot geworden?«

»Das erzähle ich dir vielleicht auch ein anderes Mal«, grinste Jana, stand auf, reckte und streckte sich, atmete tief durch und sagte: »Lass uns reingehen!«


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