Читать книгу Keine Helden - Piraten des Mahlstroms - Nils Krebber - Страница 7
4. Kapitel
ОглавлениеAurelia erwachte mit rasenden Kopfschmerzen. Als sie versuchte, sich an den Kopf zu fassen, bemerkte sie, dass sie an einen Stuhl gefesselt war. Sie blinzelte ein paarmal gegen das Licht an, das ihr in die Augen schien, bis sich aus den vagen Formen mehrere Gestalten herausbildeten. Neben ihr saß, unverkennbar schon aufgrund seiner Masse, Eberhart. Vor ihr, entspannt, aber in perfekter Haltung, saß die Gräfin del Mar. Und dahinter, wie ein drohender Schatten, ragte Adrian von Berg auf. Aurelia ließ den Kopf hängen.
»So schnell sehen wir uns wieder.« Die Gräfin genoss die Worte offensichtlich. »Es tut mir leid, das Adrian etwas ... grob werden musste. Immerhin habt Ihr mich bestohlen.« Ihre Mundwinkel zogen sich leicht in die Höhe. »Beinahe erfolgreich.«
Ihr Lächeln verschwand sofort wieder. »Was soll ich jetzt bloß mit Euch tun?« Sie schaute über die Schulter zu von Berg. »Was meinst du, mein lieber Adrian? Wie sollte ich mit Betrügern und Einbrechern umspringen, die es wagen, sich in mein Vertrauen und mein Haus einzuschleichen? Hat dein Orden nicht ganz besondere Strafen für solche Übergriffe?«
Sie blickte forschend zu Eberhart und Aurelia. »Was würdet Ihr davon halten, wenn ich Euch dem Tempel des Loknar und seiner hochnotpeinlichen Befragung übergebe? Ich hörte, sie hätten noch nie darin gefehlt, den Schuldigen ein Geständnis zu entlocken.«
Eberhart blickte auf. Einen Moment lang zögerte er, seine Stirn legte sich in Falten. Er ließ seinen Blick über die Gräfin und den Inquisitor wandern. Dann schüttelte er den Kopf. In seinen zugeschwollenen Augen zeigte sich Trotz.
»Können wir diese Farce irgendwie beschleunigen? Ich will nicht respektlos erscheinen, diese ganze Situation ist recht nett eingespielt, aber doch ein wenig durchschaubar. Der große, böse Inquisitor, die nette, kleine Gräfin. Warum sind wir hier? Ich weiß nicht, welchen Einfluss Ihr auf ihn habt – auch wenn ich recht simple fleischliche Gelüste vermute –, aber er wird uns nicht dem Tempel übergeben. Davon abgesehen, dass die Templer Loknars besseres zu tun haben, als sich um Diebe und Betrüger zu kümmern. Nein, Ihr wollt irgendetwas von uns. Was mich nur noch irritiert, ist: Wie habt Ihr uns erwischt?«
Das Lächeln erschien wieder auf dem Gesicht der Gräfin. »Das ist der Eberhart, von dem mir berichtet wurde. Das ist der flinke Verstand, den ich brauche.« Sie holte etwas aus Ihrer Tasche und hielt es nach oben. »Kommt Euch das bekannt vor?«
Eberhart und Aurelia starrten ungläubig auf das gefälschte Gildenwappen. Aurelia fragte fassungslos »Woher ...«.
»Ich habe mich schon länger mit Euch beschäftigt. Mit Eurer Vorgehensweise, Eurer Vorgeschichte, Euren ... Interessen.«
Sie machte eine schnelle Geste mit dem Fächer. Von Berg trat auf Eberhart zu. Der duckte sich schon in Erwartung neuer Schläge. Mit wenigen Handgriffen löste der Hexenjäger seine Fesseln. Dann trat er zu Aurelia und starrte sie einen Moment hart an.
»Wirst du mir Ärger machen? Wir können dich auch gefesselt lassen, bis wir dich brauchen.«
Aurelia lächelte ihn honigsüß an. »Warum sollte ich Ärger machen, wo Ihr doch so sanft mit mir wart?«
Von Berg drehte sich zur Gräfin um.
»Ich sage es noch einmal – sie ist ein zu großes Risiko. Sie ist eine Diebin, Brandstifterin und Ketzerin.«
Die Gräfin wirkte unbeeindruckt. »Du hast deine Argumente vorgebracht, Adrian. Mehr als einmal. Es bleibt dabei – wir brauchen jemanden mit ihren Talenten. Wie viele andere Ketzer kennst du, die schon seit zwei Jahren der Inquisition auf der Nase herumtanzen?«
Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Niemand entkommt der Inquisition Loknars. Niemand.« Er wandte sich zurück zu Aurelia. »Wenn das hier vorbei ist, wirst du für deine Sünden brennen, Weib.«
Aurelia tat gelangweilt, aber beobachtete genau die Bewegungen des Inquisitors.
»Wie oft ich das schon gehört habe. Können wir jetzt?« Der Hexenjäger wollte hinter sie treten, aber Aurelia stand auf und legte ihre Hände auf seine Brust. »Na na, mein lieber Adrian. Wenn Ihr mich irgendwann fangen wollt, müsst Ihr noch an Euren Knoten arbeiten.« Dann packte sie ihn am Kragen und hieb ihre Stirn gegen seine Nase.
Der Hexenjäger taumelte zurück, Blut lief ihm übers Gesicht. Er fletschte die Zähne, in seinen Augen loderte unbändiger Zorn. Mit einem wilden Ruck riss er eine Pistole aus der Schärpe.
»Adrian! Nein!« Die Stimme der Gräfin knallte wie eine Peitsche.
Die Pistole zielte direkt in Aurelias Gesicht, die mit unschuldig erhobenen Händen da stand. Eberhart war vor Schreck vom Stuhl gefallen und kroch rückwärts in Richtung Sofa, um Deckung zu suchen. Die Hand der Gräfin legte sich auf von Bergs zitternden Arm. »Wir brauchen sie.« Ihre Lippen legten sich an sein Ohr. »Denk an das Ziel.« Die Kiefer des Hexenjägers mahlten, eine Ader trat an seiner Stirn hervor. Dann wischte er sich mit der Linken das Blut aus dem Gesicht und steckte die Pistole wieder in die Schärpe.
»Darüber sprechen wir noch, Häretikerin.«
Aurelia grinste gefährlich.
»Ich freue mich drauf – aber vielleicht siehst du mich das nächste Mal auch nicht kommen.« Dann wandte sie sich von ihm ab und half Eberhart auf die Beine.
Der Händler wischte sich nervös die Hände am Wams ab und schaute sie vorwurfsvoll an.
»Du bringst mich nochmal ins Grab, meine Liebe.« Dann wandte er sich an die Gräfin.
»So, nachdem wir nun die Höflichkeiten hinter uns haben – was wollt Ihr von uns?«
»Eins nach dem anderen, mein lieber Eberhart.« Sie glitt zurück an den Tisch und nahm Platz. Auf einen Wink schenkte von Berg ihr Wein aus einer Karaffe ein, bevor er wieder hinter ihr Stellung bezog. Sie deutete mit der linken Hand auf die Stühle am Tisch. »Lasst uns trinken, dann kann man viel entspannter die Zukunft besprechen.«
Zögernd nahmen die Beiden gegenüber der Gräfin Platz.
»Im Gegensatz zu Euch, meine Lieben, war ich von Anfang an ehrlich. Mein Interesse ist der Schreckenskorsar. Allerdings keineswegs nur aus weiblicher Langeweile oder akademischem Wissensdurst. Ich habe vor, ihn zu finden.«
Stille breitete sich aus. Aurelia und Eberhart starrten sie ungläubig an. Dann lachte Aurelia lauthals los. Sie schüttelte sich vor Lachen und schlug sich auf die Schenkel. »Ihn finden! Den Schreckenskorsar! Den Kinderschreck von Maracasar, den bösen Geisterkapitän, den Laros‘ Sturmgeborene selbst in die Hölle geschickt hat. Und Ihr wollt ihn finden.« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und schlug Eberhart spielerisch die Hand auf die Schulter. »Eberhart, wir sind am Arsch. Die Gräfin ist leider wahnsinnig.«
Eberharts Miene war ernst geblieben. Nicht nur ernst, sondern ... nachdenklich. Aurelia hörte auf zu lachen. »Das kann nicht dein Ernst sein.« Sie schaute von Eberhart zur Gräfin, dann zu von Berg. »Das könnt ihr alle nicht ernst meinen! Ihr seid verrückt! Eberhart, sag, dass das ein Scherz ist.«
Er starrte auf die Tischplatte und knetete seine Kappe. Dann sah er die Gräfin an.
»Dann meintet Ihr das ernst, was Ihr gestern erwähnt habt? Dass die Mahlstrominseln existieren – sie sind keine Metapher für den Abgrund?«
Zufrieden lehnte sich die Gräfin zurück. »Ich bin davon überzeugt. Und nicht nur das. Ich weiß auch, wie wir sie finden können. Aber dafür müssen wir zurück in meine Heimat. Wir müssen zurück nach Maracasar.«
Aurelia blickte ungläubig zwischen der Gräfin und dem Händler hin und her. Bei der Erwähnung Maracasars hatte sich so etwas wie Verzückung auf sein Gesicht gelegt.
»Maracasar – die Perle des Südens. Die Insel der Korsaren. Das Tor zum Südmeer.« Er war überwältigt. Seine Hände konnten nicht still halten, kneteten unentwegt seine Kappe oder fuhren sich durch die Haare. »Natürlich. Wenn er irgendwo ein Versteck hatte, war es in Reichweite seiner Heimat. Es gibt unzählige unerforschte Inseln im Süden. Aber wo? Welche?« Er schien beinahe fiebrig.
Die Gräfin lachte perlend auf.
»Nur die Ruhe, mein Lieber. Es gibt noch ein paar Hindernisse, bevor wir zum Mahlstrom selbst aufbrechen können. Aber ja, unser erster Schritt wird Maracasar sein.« Sie schaute amüsiert zu Aurelia. »Ihr zweifelt, Aurelia?«
Die Diebin schaute sie aus schmalen Augen an.
»Zweifeln scheint mir etwas schwach. Aber wie auch immer, Ihr habt Eberharts weichen Kern gefunden – das Südmeer ist sein Traum, selbst wenn Ihr aus völlig verrückten Gründen dorthin wollt. Er ist mit Sicherheit dabei.« Sie lehnte sich nach vorne und stützte das Kinn auf die Hand. »Aber jetzt erklärt mir doch mal, warum ich bei diesem Irrsinn dabei sein sollte.«
Die Gräfin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, öffnete Ihren Fächer und wedelte sich langsam Luft zu.
»Ihr werdet mit dabei sein, meine Liebe, weil ich nicht nur eine Schatzsucherin bin. Nicht nur, weil der Schatz des Schreckenskorsaren größer ist als alles, was Ihr Euch vorstellen könnt, und Ihr einen großzügigen Anteil daran haben werdet. Nein, Ihr werdet dabei sein, weil wir gemeinsam Maracasar von der Knute des Imperiums befreien werden. Wenn ich mein Erbe als einzige Nachfahrin von Escobar del Mar, dem Schreckenskapitän, antrete, werden sich die Adelshäuser von Maracasar erheben und wir werden wieder frei sein. Wenn Ihr also jemals dem Imperium einen Schlag versetzen, jemals etwas wirklich Bedeutendes gegen die Unterdrückung des Imperators tun wollt – dann helft mir, mein Erbe anzutreten!«
Zum ersten Mal schimmerten wahre Emotionen durch die Maske der Selbstbeherrschung. Eine leichte Rötung war sichtbar unter dem Puder, die Gräfin atmete schwer.
Aurelia blieb still. Ihr Kopf war voller widersprüchlicher Gefühle. Das hier war eine unglaubliche Gelegenheit. Aber die Gräfin war ... eine Gräfin. Aurelia konnte sich nicht vorstellen, mit so einer Frau auf einer Seite zu stehen – oder gar mit einem Hexenjäger! Sie schaute zu Eberhart. Der hatte einen bettelnden Hundeblick aufgesetzt. Aurelia raufte sich die Haare.
»Heißt das, ich muss auf ein Schiff?«
Die Spannung fiel von ihnen ab, und die Gräfin erhob das Glas. Eberhart und Aurelia griffen ebenfalls zu den bereitstehenden Gläsern. Auf einen strengen Blick der Gräfin schloss von Berg sich missmutig an.
»Auf eine fruchtbare Zusammenarbeit!« Die Gläser klirrten, und nachdem alle einen Schluck von dem leichten Wein genommen hatte, erklärte die Gräfin: »Nun, nicht sofort, Aurelia. Unsere kleine Truppe ist noch nicht komplett. Ihr müsst zunächst noch einen weiteren Spieler für mich anheuern.«
Eberhart schenkte sich nach und lächelte zufrieden.
»Noch jemand? Nun gut, wo finden wir diesen mysteriösen Spieler?«
Das Lächeln der Gräfin wurde breiter.
»Im Sanatorium.«