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Kapitel 8

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Das Wochenende stand vor der Tür und mit ihm die vielen Gäste. Catherine sollte Recht behalten. Es waren wirklich gutaussehende Männer dabei. Während sie Cady beim Servieren helfen musste, bekam Emma zusätzlich zu ihrer eigentlichen Arbeit noch die von Catherine aufgetragen. Marjoire tätschelte ihr liebevoll die Schulter. Seitdem alle wussten, was wirklich geschehen war, waren sie anders zu den Zwillingen. Nicht im negativen Sinne. Nein, sie waren vorsichtiger.

Emma nahm sich den Eimer mit Wasser, Staubwedel und Lappen. Mit vorsichtigen Schritten ging sie den langen Korridor entlang. Die Flure, die sich nicht im Dienstbotentrakt befanden, waren hell erleuchtet. Kerzenleuchter hingen an den Wänden und schlanke Teppiche bedeckten den kalten Marmorfußboden. Der Familie fehlte es an nichts. Emma säuberte erst das Schlafzimmer vom Lord und der Lady, verschwand dann in Oscars Zimmer, um sich danach dem verlassenen Zimmer von Marianne zu widmen. Ihr Herz klopfte und ihr Magen zog sich merklich zusammen. Emma wusste nicht, was auf sie zukam. Ihre Hand ruhte eine gefühlte Ewigkeit auf der Klinke. Noch einmal kurz durchgeatmet und schon stand Emma mit einem Bein in Mariannes Zimmer. Es war wirklich prächtig. Die Seidenvorhänge hingen nicht trostlos da, sondern waren nett drapiert. Die Puppen saßen auf dem bezogenen Bett und auf dem Schreibtisch lag ein Block mit einer Zeichnung. Lady Cumberland hatte fast alles so gelassen, wie es gewesen war. Catherine durfte nur Staub wischen, die Fenster putzen und den Boden wischen.

»Du musst deine Arbeit dort so schnell wie möglich verrichten. Die Lady darf dich nicht entdecken«, hatte Catherine ihrer Kollegin eingeschärft. Emma hatte genickt. Sie wollte Catherine nicht in Schwierigkeiten bringen. Gerade heute mussten die Fenster geputzt werden. Vorsichtig öffnete Emma ein Fenster. Die kalte Januarluft strich ihr durch das Haar und sie bekam eine Gänsehaut auf dem Arm. Die Aussicht war grandios. Es war das schönste Zimmer im ganzen Haus. Die Lady musste ihre Tochter sehr geliebt haben. Von hier aus konnte man den Rosengarten sehen und die untergehende Sonne. Emmas Aufmerksamkeit wurde von einem Bild an der Wand angezogen. Sie ging einen Schritt näher heran, um es besser in Augenschein nehmen zu können. Es war die Sonne, die sich im Meer verlor. Die Rosen blühten in voller Blüte und der Rasen hatte so ein saftiges Grün.

»Das hat meine Tochter gemalt. Sie ist eine leidenschaftliche Malerin.« Emma erschrak, als sie eine fremde Stimme hörte. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken, doch es tat sich kein Loch im Boden auf.

»Es tut mir leid. Ich wollte nicht. Ich... Ich... Ich war nur so fasziniert.« Emma hielt den Blick gesenkt.

»Sie müssen sich nicht schämen. Marianne liebt das Malen und hat sicher nichts dagegen.« Emma konnte Schritte hören. Ein blaues Kleid mit schwarzen Schuhen trat in ihr Blickfeld.

»Marianne liebt es, wenn ihr Talent geschätzt wird. Sie müssen sie unbedingt bald kennenlernen.« Die Frau legte ihren Zeigefinger unter Emmas Kinn und hob es hoch. Nun blieb Emma nichts anderes übrig, als Fiona Cumberland in die Augen zu schauen. Sie war groß, hatte krauses, blondes Haar und eingefallene Wangen. »Sei nicht so ängstlich. Die dumme Catherine hat sich nie um die Kunst meiner Tochter geschert. Sie hat nur ihre Arbeit gemacht.« Sie machte eine abwertende Handbewegung.

»Das wusste ich nicht.« Emma versuchte neutral zu bleiben. Sie wollte Catherine nicht mit einem falschen Wort negativ dastehen lassen.

»Tja, das kannst du doch auch nicht wissen. Mr. Harrisson hat mir erzählt, dass wir zwei neue Zöglinge haben.«

»Ja, ich wollte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie mich und meinen Bruder aufgenommen haben. Es ist hier sehr nett.« Emmas Glieder entspannten sich langsam.

»Wie alt bist du?«, fragte Fiona und rauschte wie von Zauberhand zum Fenster hinüber. Still blickte sie dem trüben Tag entgegen.

»Vierzehn.« Emma nahm den Lappen in die Hand und begann vorsichtig, in der anderen Ecke den Staub zu entfernen.

»Marianne ist auch vierzehn. Sie wird bald fünfzehn. Vielleicht hast du Lust, mir bei der Vorbereitung für die Überraschungsparty zu helfen?«

Fiona schaute sich zu Emma um, die gerade die Türklinke putzte. »Das musst du doch nicht tun.« Fiona trat zu Emma und nahm ihr den Lappen aus der Hand. »Du sollst mir doch bei der Überraschungsparty helfen.«

Emma runzelte die Stirn. »Natürlich, wie Sie wünschen.«

»Oh, wunderbar.« Für einige Sekunden begann die strenge Haltung der Lady Cumberland zu brechen. »Ich werde Leo gleich benachrichtigen.« So urplötzlich wie Fiona gekommen war, verschwand sie auch wieder. Emma blieb allein zurück. Ihr Herz begann erneut zu pochen. Marjoire hatte doch erzählt, dass Marianne vor Jahren gestorben sei? Sie rieb sich die Schläfe, um sich danach wieder ihrer Arbeit zu widmen.

Am Abend kam Emma erst spät in die Küche. Die Gäste hatten sie immer wieder aufgehalten. Sie sollte doch bitte die Hose kürzen, Strümpfe stopfen und andere Arbeiten machen. Emma hatte noch nie Hosen gekürzt oder Strümpfe gestopft. Doch sie wollte die Gäste nicht verärgern. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, alles zu beherrschen, es allen Recht zu machen.

Doch als sie die Küche betrat, saß Marjoire mit Cady und Catherine am Tisch. Die Köchin hatte eine Hand auf Catherines Rücken gelegt und Cady hielt ihr ein Stofftaschentuch hin.

»Was ist denn mit dir?«, fragte Emma und wollte sich ebenfalls an den Tisch setzen.

»Was willst du hier?«, schluchzte Catherine. »Du bist doch die Schuldige.«

Emma wich zurück. Ihre Augen wurden so klein wie Stecknadelköpfe. Woran war sie Schuld? »Aber. Aber...« Emma wollte sich rechtfertigen, aber Cady mahnte sie mit einem scharfen Blick.

»Lady Cumberland hat Catherine zu sich gerufen«, erklärte Marjoire mit trauriger Miene.

»Habe ich etwas falsch gemacht?«, wollte Emma fragen, doch als sie Catherines Blick sah, sog sie die Wörter wieder ein.

»Du hast sie getroffen, stimmt's?«, fragte Catherine und schnaubte in das Stofftaschentuch. »Ja. Es tut mir leid. Ich wollte unsichtbar sein, aber sie stand so plötzlich vor mir.« Emma wollte sich so gern mit Worten aus dem inneren Käfig befreien, aber das war sehr schwierig.

»Catherine, es ist gut.« Marjoire stand auf. »Ich werde erst einmal Kakao machen. Dann können wir uns gemeinsam über den heutigen Tag unterhalten.«

Emma staunte darüber, wie geschickt die Köchin ihre Worte verpackte. Catherine und Cady legten ihre Hände um den warmen Becher Kakao. »Setz dich, Emma.«

»Danke.« Emma legte ebenfalls ihre Hände um den warmen Becher und pustete.

»Wie ist es dir heute ergangen?«, fragte Marjoire.

»Sehr gut. Ich war sehr aufgeregt, weil ich niemanden enttäuschen ...« Emma hielt kurz inne und schaute zu Catherine. Als diese ihr zunickte, sprach sie weiter. »... wollte. Ich habe zuerst die Gemächer der Herrschaften gesäubert und danach bin ich in Mariannes Zimmer gegangen. Ich habe gelüftet und wollte gerade die Fenster putzen, als sie plötzlich in der Tür stand.«

»Du warst in Mariannes Zimmer?« Marjoire staunte und trank einen Schluck.

»Ja, ich sollte doch Catherines Arbeit übernehmen. Ich wollte dich doch nicht enttäuschen«, sagte Emma an ihre Kollegin gewandt.

»Ich weiß.« Catherine tupfte sich ihre Augen.

»Was hat dir die Lady erzählt?«, fragte Marjoire.

»Als ich anfing, die Fenster zu putzen, hat mich das Bild an der Wand kurz von der Arbeit abgehalten. In dem Moment betrat die Lady das Zimmer. Sie erzählte von ihrer Tochter und dass sie genauso alt wäre wie ich und wir eine Überraschungsparty zusammen planen könnten.«

»Oh je, die arme Frau.«

»Aber ich dachte, Marianne ist tot.« Emma trank den lauwarmen Kakao.

»Ist sie auch. Nur Fiona Cumberland hat das nicht verwunden. Sie lebt in dem Glauben, dass Marianne noch lebt. Fiona glaubt, dass sie im Internat ist und nur in den Ferien nach Hause kommt. Und in den Ferien ist sie bei einer Freundin, meint Fiona.« Marjoire lehnte sich in den Stuhl.

»Das Leben ist so ungerecht. Wieso ist ihr das Kind genommen worden? Warum hat man mir meine Mutter genommen und warum passieren immer wieder Sachen in unserem Leben, die wir nicht verstehen?« Emma war traurig. Sie musste an ihre Mutter denken. Ihre braune Haut und die kleinen Falten an den Augen. Emma nannte sie die Mutterfalten. Nur Mütter bekamen solche Falten.

»Das kann uns nur einer sagen.« Marjoire blieb ruhig. Sie hatte ihre Hände auf ihre Knie gelegt.

»Hat er uns denn jemals geholfen?« Catherine tat ihr Haar zurück.

»Gott kann doch nicht überall zur gleichen Zeit sein. Irgendwann ist jeder mal an der Reihe.«

»Also, ich glaube nicht mehr daran.« Catherine verschränkte die Arme vor der Brust.

»Und warum hat dich Lady Cumberland zu sich gerufen?«, wollte Emma wissen. Vor Aufregung ließ sie ihre Beine unter dem Tisch in der Luft baumeln.

»Sie wollte mir mitteilen, dass ich meiner Arbeit nicht mehr nachgehen bräuchte, denn ich sei ja bereits vergeben und könne eine Familie gründen.«

»Sie hat dich rausgeworfen?« Emma zitterte. Ihre Stimme versagte und in ihrem Bauch breitete sich ein großes Loch aus.

»Sie wollte mich höflichst bitten, zu gehen. Ich sagte ihr, dass ich gute Arbeit leiste und das Geld brauche. Sie faltete nur ihre Hände in den Schoß. Lady Cumberland genießt die Macht, die sie über Menschen hat.« Catherine wischte sich noch eine Träne weg. »Mr. Harrisson hat noch einmal mit ihr gesprochen und eine Stelle als Küchenhilfe herausschlagen können.«

»Aber ich verstehe nicht, warum. Du hast doch immer gute Arbeit geleistet.« Emma zuckte mit den Schultern.

»Ich glaube, dass sich etwas an Lady Cumberland heute verändert hat. Du hast ihr nicht widersprochen, deswegen bist du in ihrem Ansehen gestiegen«, sagte Cady, die sich die ganze Zeit im Zuhören geübt hatte und nun ihre Zunge nicht länger bändigen konnte. »Niemand hier im Haus spielt nach ihren Regeln. Wir wissen alle, dass Marianne gestorben ist. Es war ein tragischer Unfall. Doch du bist neu und noch in der Probezeit. Du bist unterwürfig und ängstlich. Ihre Marionette.« Cady stützte den Kopf in ihrer Hand ab.

Emma wusste nicht, was sie sagen sollte. Das war auch besser so, denn Marjoire begann zu sprechen. »Du wirst Catherines Platz einnehmen. Du bist wie du bist und sollst dich nicht verstellen. Du hast der Lady das Gefühl gegeben, ernst genommen zu werden. Es könnte sein, dass sie dich des Öfteren suchen und dich so schnell nicht mehr loslassen wird.« Marjoire beugte sich vor. »Aber du bist nicht ihre Tochter. Du bist Emma. Ein junges Mädchen. Eine Dienstmagd der Familie Cumberland. Vergiss das nicht. Und nun marsch ins Bett. Es ist schon spät und morgen müssen wir alle wieder früh hoch.«

Im Schatten der Lady Cumberland

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