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Prolog

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South Dakota, 1941

Die Sonne stand hoch am Himmel. Nicht die kleinste Wolke wollte sich ihr nähern, kein Tropfen Regen half den Menschen durch diesen öden, trockenen Sommer.

Die Straße war brütend heiß, kein Auto war zu sehen. Niemand nahm bei diesem Wetter

den langen Weg in die Stadt auf sich. Doch eine junge Frau wagte sich hinaus. Sie trug eine enge Bluse, einen knielangen Rock und einen Strohhut, wie ihn die Vogelscheuchen auf den Feldern immer auf dem Kopf hatten, der ihren Kopf vor den Sonnenstrahlen schützte. Sie hatte gerade die Schule beendet und wollte sich in der Stadt Arbeit suchen. Am liebsten als Sekretärin. Sie konnte gut mit Tinte umgehen und hatte eine schöne Schrift. Ihre Eltern brauchten dringend das Geld. Der Vater war arbeitslos und trank den ganzen Tag, während die Mutter sich um die jüngeren Geschwister kümmerte. Die Frau war schon eine ganze Weile unterwegs, als sie hinter sich ein Auto hörte. Der Motor knatterte und dann quietschten die Reifen. Sie drehte sich nicht um. Wahrscheinlich war es Willy mit seinen Kumpanen, dachte sie und ging ein wenig schneller. Willy war der Enkel des Dorfältesten und allein aus diesem Grund der Meinung, der Rest der Dorfbewohner müsse ihm zu Füßen liegen. Bei dem Gedanken daran schüttelte die junge Frau sich.

Sie zog sich den Hut tiefer in die Stirn und drehte den Kopf etwas, als das Auto an ihr vorbeifuhr. Eine leichte Windböe ließ ihr schwarzes Haar von den Schultern auffliegen. Gleich würde sie dort sein. Die junge Frau konnte die Dächer der Stadt schon sehen, deren Häuser noch überwiegend aus Holz gebaut waren. Am Eingang stand Anthony mit seinem Auto. Einmal in der Woche brachte er Lebensmittel ins Reservat. Er war groß, hatte wunderschöne Augen und ein smartes Lächeln. Die junge Frau konnte ihn gut leiden und wenn sie an ihn dachte, huschte immer ein Lächeln über ihre Lippen. Vorsichtig ging sie dicht an der Häuserwand entlang, um vor der Sonne geschützt zu sein. Sie wollte so schnell wie möglich beim Postamt sein. Vielleicht gab es dort eine Stelle für sie. Die zweite Anlaufstelle wäre dann die Zeitung. Sie schrieb gerne Geschichten, besonders ihre eigenen. Sie hatte viel Phantasie und war entschlossen, daraus etwas zu machen.

Die Tür war angelehnt, bei jeder Berührung jaulten die Scharniere. Im Postamt war eine Frau gerade dabei, den Boden zu schrubben. Am Schalter stand eine mittelalte Frau mit Brille und strenger Kurzhaarfrisur.

»Guten Tag. Ich heiße Maria und möchte mich für die freie Stelle bewerben.«

Die Frau schaute sie über ihre Brille hinweg an. Maria nahm ihren Hut ab und schüttelte ihr Haar.

»Setzen Sie sich dort drüben hin, zu den anderen Bewerberinnen.« Sie deutete mit dem Kopf auf die Stühle an der Wand. Alle waren schon besetzt. Deswegen stellte Maria sich neben die anderen Frauen und blickte zu Boden. Die übrigen Bewerberinnen schauten der Putzfrau beim Reinigen des Bodens zu. Maria war sichtlich nervös und knetete ihren Strohhut. Sie konnte die Blicke der anderen auf der Haut spüren. Im Kopf hörte sie fast ihre Gedanken: »Was will die denn hier? Die wird doch nie einen Beruf finden. Solches Pack sollte man einsperren.« Maria fühlte sich unbehaglich, obwohl niemand etwas gesagt hatte. Die Blicke hatten ausgereicht. Marias größter Schwachpunkt war das Selbstbewusstsein.

»Bist du auch wegen des Bewerbungsgespräches hier?«, fragte eins der Mädchen. Sie hatte blondes Haar und bleiche Haut. »Verstehst du unsere Sprache nicht?« Sie zog die Augenbrauen hoch und lächelte.

»Doch«, murmelte Maria. Sie war die einzige in der Familie, die die Sprache der Weißen perfekt beherrschte. »Ich... Ich verstehe eure Sprache.« Eure Sprache? Warum sagte sie so etwas. Es war schließlich auch die Sprache der Ihren. Columbus war schließlich nach Amerika gekommen und hatte sein Volk hier angesiedelt. Marias Volk war schon lange Zeit vor ihnen hier gewesen. Am liebsten hätte sie es laut gesagt. Doch dann kamen die Erinnerungen. Was für ein Leben führte sie?

»Ich glaube, du bist hier falsch. Gibt es nicht im Reservat eine Stelle für dich? Wer kommt denn schon und gibt Post ab, wenn ein Indianermädchen am Schalter sitzt«, sagte eine andere Bewerberin. Sie fing an zu lachen und die anderen Frauen stimmten mit ein. Maria hielt es nicht mehr aus und lief schnell zur Tür. Dabei hatte sie die Frau, die den Boden säuberte, völlig vergessen. Kurz bevor sie die Tür erreichte, rutschte sie aus, fiel hin und lag wie ein Käfer auf dem Rücken. Das schallende Gelächter übertönte die Türglocke. Maria kämpfte mit den Tränen. Sie tastete nach ihrem Hut.

»Darf ich behilflich sein?«, fragte eine fremde Stimme. Maria wurde eine Hand gereicht, die sie dankend annahm. »Komm.« Der Fremde, der sich als Anthony entpuppte, hielt Maria die Tür auf und trat mit ihr auf die Straße. Die wenigen Menschen, die sich bei diesem Wetter nach draußen gewagt hatten, hielten ihre Trinkflaschen fest am Körper.

»Mach dir nichts draus. Die doofen Hühner sind doch nur neidisch, dass du so wunderschöne Haut und ein nettes Lächeln hast.« Er legte seine Hand unter ihr Kinn, um ihr in die Augen sehen zu können. Maria spürte, wie ihr das Blut in die Wangen lief. Sie wollte sich abwenden, doch Anthony ließ sie nicht los.

»Ja, vielleicht«, sagte sie zögerlich.

»Du wirst schon einen richtigen Beruf finden. Ich weiß es.«

»Ja, vielleicht.«

»Kannst du auch etwas anderes sagen?« Anthony lächelte und kratzte sich am Hinterkopf.

»Eigentlich schon.«

»Schon besser. Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag. Ich fahre gleich ins Reservat. Dort soll ich ein paar Geschenke abgeben. Irgendjemand hat wohl Geld bekommen und kann euch gut leiden.«

Maria schluckte. Gut leiden? Das hörte sich an, als wäre ihr Volk ein Virus. »Jemand kann uns gut leiden?«

»Nein, so meinte ich es nicht. Es gibt jemanden, der euch gerne hat und euch etwas Gutes tun möchte. Er hat etwas Geld für neue Schuluniformen, Schuhe und Röcke investiert.«

»Wie nett von ihm.«

»Ja, das ist es wirklich. So, nun müssen wir uns auf den Weg machen. Mein Vater hat mir das Auto nur für den Nachmittag gegeben.« Er klatschte in die Hände und ging zu einem dunkelgrünen Pickup. Maria blickte sich um, setzte ihren Hut auf und folgte Anthony ohne zu zögern. Die Ladefläche war voller Kisten. Als Maria sich setzte, ließ Anthony den Motor an. Das Auto fuhr langsam die Straße hinauf zum Reservat.

»Wie heißt du eigentlich? Ich habe dich schon ein paar Mal im Dorf gesehen, aber mich nie getraut dich anzusprechen.« Er berührte kurz ihren Arm. Seine Hand war kühl.

»Ich heiße Maria.«

»Nein. Ich meine den Namen der Lakota. Wie wirst du dort genannt?« Anthony blickte kurz zu ihr hinüber.

»Ich heiße Ehawee. Das bedeutet lachendes Mädchen«, fügte Maria hinzu, als Anthony die Stirn runzelte. Als sie an eine Weggabelung kamen, bog Anthony links ab, obwohl es zum Reservat geradeaus gegangen wäre.

»Wo fährst du hin? Ins Reservat geht es doch dort.« Maria zeigte in Richtung des Reservates.

»Nur ein kleiner Umweg zu einem Freund. Ich muss ihm noch etwas bringen. Ich habe eine Wette verloren und schulde ihm etwas.« Der Pickup fuhr weiter.

»Okay.« Maria wollte noch fragen was, er ihm schuldete, aber sie traute sich nicht und blieb ruhig sitzen.

Eine ganze halbe Stunde später hielt Anthony den Wagen auf einem Hof an. »Wir sind da. Komm.« Er stieg aus und wartete bis Maria ebenfalls ausgestiegen war. Sie fuhr sich über die Stirn. »Wo ist denn dein Freund?«

»In der Scheune. Nun komm schon. Er ist wirklich sehr nett.« Anthony öffnete das Scheunentor und schob Maria hinein.

»Ich weiß nicht. Ich glaube, ich warte lieber draußen.«

»Nun komm schon. Hab dich nicht so.« Anthony blickte sich kurz um, bevor er die Tür von innen ins Schloss und den Schlüssel in die Hosentasche gleiten ließ.

Im Schatten der Lady Cumberland

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