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Kapitel 5
ОглавлениеLondon, April 2012
Eingehakt schlenderte Lara neben Daniel den Korridor entlang, zurück zur großen Halle. An einer großen walnussfarbenen Tür blieben sie stehen. »Meine Großeltern sind heute nicht da. Mein Großvater ist in Somerset. Eigentlich ist er nie in London.« Daniel schüttelte den Kopf. »Und meine Großmutter ist irgendwo zum Essen eingeladen.«
»Müsste ich Angst vor deinen Großeltern haben?« neugierig auf eine Antwort kniff Lara die Augen zusammen.
»Hm, lass mich überlegen ...« Er legte einen Zeigefinger an die Lippen. »... eigentlich nicht.«
»Na also«, lächelte Lara und legte ihre Hand in die von Daniel. Gary öffnete die Tür und kündigte den jungen Lord und seine Begleitung an. Lara musste schmunzeln, denn sie wurde noch nie vor dem Betreten eines Raumes angekündigt. Es war alles so formell, obwohl sie doch eine Familie waren. Eine Familie mit hohem Ansehen!
Auf dem glänzenden Marmorfußboden lag ein purpurroter Läufer, der zu einem Tisch führte, der bestimmt zweimal so lang war wie Laras Schlafzimmer. Eine junge Frau mit dunkler Haut saß neben einem großen Mann im Anzug mit Manschettenknöpfen. Sie war ziemlich sicher eine Thailänderin. Der Mann dagegen hatte weiße Haut, dunkelblondes Haar und ein zerknirschtes Gesicht.
»Hallo, Lara. Wie geht es dir?«, sagte die Frau, stand auf und ging um den Tisch herum. Sie reichte ihr die Hand. Lara nahm sie zögernd an.
»Hallo.«
»Ich bin Yuna Mali, die Mutter von Daniel. Und das hier ist James, Daniels Vater.«
Sie legte ihre Hände ineinander. »Kommt. Setzt euch zu uns.«
Daniel zog Lara den Stuhl zurecht und setzte sich dann neben sie. Charlene saß am Kopfende und spielte mit ihrer Gabel.
»Vielen Dank für die Einladung. Es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.«
»Gern geschehen. Wir hatten immer schon sehr gerne Gäste um uns. Es ist sicher aufregend für dich. Daniel hat uns erzählt, dass du aus Flensburg kommst?«
»Ja.« Lara nickte und versuchte, unter dem Tisch nach Daniels Hand zu greifen. Sie fühlte sich etwas unsicher. Die vielen Fragen in einer fremden Sprache.
»Und dann fliegst du in eine so große Stadt. Ich hätte das niemals gemacht.« Yuna bekam vom Sprechen einen trockenen Mund.
»Ich bin mir sicher, dass Lara sich das lange überlegt hat. Und sie hat sich richtig entschieden.« Charlene hob ihr Glas und zwinkerte Lara zu. Währenddessen hatte Lara Daniels Hand gefunden. Er streichelte ihren Daumen.
»Ich finde London toll. Ich war noch nie in so einer großen Stadt.«
»Das ist doch wunderbar. Dann kann Daniel ja morgen eine Sightseeingtour mit dir machen«, schlug Yuna vor.
Plötzlich sprangen die Türen auf und fünf junge Frauen in schwarzen Uniformen mit weißen Schürzen kamen herein und brachten die Vorspeise. Krabbencocktail.
»Magst du keine Krabben?«, fragte James. Es war das erste Mal, dass Lara seine Stimme hörte. Bei dieser Frau war es auch schwer, zu Wort kommen.
»Aber ja. Ich bin am Meer groß geworden. Allerdings nicht an der Nordsee.«
»Wenn du möchtest, kann ich morgen dein Guide sein?«, fragte Charlene in die Stille hinein.
»Wenn du magst. Mir ist es gleich.« Lara nahm sich die Gabel und pickte eine Krabbe nach der anderen heraus. Der Hauptgang bestand aus argentinischem Rind mit Salatbeilage.
Während das Mahl eingenommen wurde, war es still. Die Dienstboten wirkten wie Gespenster. Man glaubte, sie wären nicht da und doch verschwand das benutzte Geschirr wie von Zauberhand. Lara genoss die Zeit und hörte genau hin, wenn sich die Familie in schnellem Englisch unterhielt. Daniel versuchte, ihr alles haarklein zu erklären, doch das gestaltete sich äußerst schwierig.
»Hast du eigentlich Geschwister?«, fragte Yuna nach dem Hauptgang. Sie nahm sich einen Zahnstocher und fing an, sich zwischen den Zähnen herumzustochern.
»Ja, ich habe eine Schwester.« Lara legte das Besteck auf den Teller und schob ihn auf die Tischmitte. Oh je, jetzt hatte sie schon wieder vergessen, Daniel nach dem Internet zu fragen. Sie musste es sich hinter die Ohren schreiben, damit sie es kein drittes Mal vergaß.
»Und was bist du von Beruf?«
»Friseurin. Ich arbeite bei mir im Dorf, mein Weg zur Arbeit ist wirklich nur ein Katzensprung.«
»Das ist ja interessant. Vielleicht magst du mir irgendwann einmal die Haare machen?« Yuna fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
»Bestimmt. Zu einem gegebenen Anlass.«
»Es ist so schön, dich hier bei uns zu wissen. Daniel hat uns noch nie eine Frau vorgestellt.« Yuna blickte ihren Sohn liebevoll an. »Und dann noch so eine hübsche.«
Lara wandte verlegen den Blick ab. Zögernd strich sie sich eine Strähne hinters Ohr. »Vielen Dank.«
Yuna nahm sich die Kirsche von einem der Eisbecher, die wie ein Wunder vor ihnen auf dem Tisch erschienen waren. »Ich hoffe, dass Daniel durch dich ein wenig ruhiger wird. Was die Liebe alles bewirkt.«
»Mutter«, sagte Daniel mit erhobener Stimme.
»Schatz, es ist gut. Lass Lara erst einmal ausatmen.« James nahm die Hand seiner Frau.
Er war wie ein Löwe. Ein Beobachter, der im richtigen Moment die passenden Worte fand. »Nun verzehren wir noch unseren Nachtisch und dann werden wir uns alle zurückziehen.«
Nach dem Abendessen verabschiedete Daniel sich vom Tisch und zog Lara hinter sich her. »Wohnen deine Eltern auch hier?«
»Ja. Meine Eltern und meine Großeltern.«
»Also lebt ihr alle unter einem Dach?«
»So könnte man es sagen.« Er griff nach ihrer Hand. »Außer mein Großvater. Er kommt nur ganz selten nach London.«
»Und wo wohnt er?«
»Er wohnt in Somerset. Dort haben wir ebenfalls ein kleines Haus.«
»Klein? Also ich finde es wirklich sehr groß.«
»Ja.« Daniel lächelte und kratzte sich am Hinterkopf.
Sie folgten dem Flur bis zur Eingangshalle. »Ach, ich hätte noch eine Bitte. Fast hätte ich es wieder vergessen.« Lara blieb stehen.
»Ja, was ist denn?« Er lächelte und entblößte seine makellosen Zähne.
»Hast du einen Internetanschluss?«
»Ja.« Sein Lächeln wurde breiter. Er hatte vielleicht gerade den gleichen Gedanken wie Lara. Wer hatte heute kein Internet? Die Frage war also überflüssig.
»Darf ich meiner Schwester eine Nachricht per Facebook schreiben? Ich hatte völlig vergessen, dass ich am Sonntag mit meiner Mutter und meiner Schwester verabredet bin. Ich muss ihr absagen, aber ich weiß nicht wie.«
»Ja, natürlich.« Daniel zückte sein iPhone und tippte auf das Touchboard. »Hier.« Er reichte ihr das Handy und Lara beäugte das große Ding, wie sie es nannte, misstrauisch.
»Du musst hier deine Daten eingeben und dann kannst du dich einloggen.« Er wartete geduldig, bis Lara sich eingeloggt hatte. Nachrichten blinkten dick und rot auf. Janet hatte ihr schon einige Male geschrieben und zu Laras Entsetzen war sie noch online.
Janet: Wo zum Teufel bist du? Ich versuche schon die ganze Zeit, dich zu erreichen. :@
Lara: Es tut mir leid. Ich wollte dich angerufen haben, aber mir ist etwas
dazwischengekommen.
Janet: Jetzt erzähl mir nicht, dass du für Sonntag absagst?
Lara konnte den wütenden Tonfall ihrer Schwester durch das iPhone spüren. Er hallte in ihrem Ohr wie ein nicht aufhörendes Echo.
Lara: Doch. Es tut mir leid.
Jane: Das ist mir so was von scheißegal. Ich werde dich übermorgen aus dem Bett ziehen und
dich über den Asphalt zu Mama schleifen.
Lara: Daraus wird nichts, ich komme erst am Sonntag wieder nach Hause. Ich bin für einen
Kurztrip nach London geflogen.
Janet: Haha. Eine bessere Ausrede hast du wohl nicht.
Lara: Ich werde dir morgen ein Foto schicken, damit du mir glaubst. So hab jetzt keine Zeit mehr.
Ciao und Bussi an Mama.
»Und, was sagt sie?« Daniel nahm das iPhone und steckte es zurück in seine Tasche.
»Mm, was soll ich sagen. Sie ist etwas sauer. Sie glaubt mir nicht, deshalb müssen wir morgen unbedingt zum Big Ben oder zu einem anderen berühmten Bauwerk. Ich muss ihr ein Foto von mir schicken.«
»Das wird wohl kein Problem darstellen.«
»Es war ein sehr schöner Abend«, sagte Lara, als sie vor ihrer Zimmertür standen. Sie hauchte Daniel einen Kuss auf die Wange und verschwand in ihrem Gemach. Von innen ließ sie sich an der Tür zu Boden sinken und versteckte ihr Gesicht hinter ihren Händen. Ihre Füße und ihr Herz schmerzten. Die Füße wegen der hohen Schuhe und das Herz wegen der kurzen Annäherung zwischen Daniel und ihr. Sie hatte dieses Pochen in ihrem Herzen, das sich nicht abschütteln ließ und das sie ganz gewiss nicht schlafen lassen würde. Sie seufzte und zog die Schuhe aus. Vorsichtig stellte sie sie neben die Chaiselounge und legte das Kleid über die Lehne. Nur in einem T-Shirt bekleidet stand sie vor dem großen Fenster und lugte nach draußen. Der Mond stand hoch am Himmel. Plötzlich überkam sie diese Melodie, die ihre Mutter ihr in Kindertagen immer vorgesungen hatte. Und dann fing sie leise zu singen an. Der Mond ist aufgegangen ...
Kurze Zeit später kroch sie auf die weiche Matratze und unter die warme Daunendecke. Obwohl es schon April war, war es noch kalt. Aber hier war es viel angenehmer als zu Hause. Lara dachte über das Essen nach und darüber, was Yuna über ihren Sohn gesagt hatte. »Ich hoffe das er durch dich ruhiger wird.« Inwiefern? Wie war er denn vorher? Fragen ohne Antworten ließen ihrem Kopf keine Ruhe.
Die Nacht verlief unruhig. Sie hatte Mühe einzuschlafen. Sie wälzte sich unruhig hin und her, doch der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen.