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Kapitel 1

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Feuer und Siegelfluch

Für jeden, der mutig ist. Es lohnt sich.

Der Pub, in dem ich saß, war brechend voll. Ich zwang mich erneut, das bittere Bier, an die Lippen zu legen, ohne dabei eine Grimasse zu schneiden, die mich an Sophie verraten würde. Ihr eisiger Blick verfolgte mich bei jeder kleinen Bewegung. Ich wusste nicht mehr, wie viele solcher Momente ich schon hatte, doch kannte ich diese Art von Mädchen, ohne das ich Sophie weiter kennengelernt hatte. Meine Erfahrung lehrte mich Besseres, als das ich hier sitzen sollte, und wie automatisch hörte ich die hohe Stimme von Yasmin im Kopf. Wie ein Ohrwurm, der immer wieder zu einem fand.

Sie sind nicht nett.

Sie finden dich schön. Das ist alles.

Für einen kurzen Moment fiel mir das Atmen schwer, mein Herz verkrampfte sich in meinem Brustkorb, der sich plötzlich zu eng anfühlte. Jetzt konnte ich das hier tun, erinnerte ich mich, in der Hoffnung, dass sich meine Muskeln lockerten.

„Avelina?“ Oliver stupste mich sanft an der Schulter an. Sofort zuckte ich zurück. Meine neuen Klassenkameraden sollte ich nicht sofort verschrecken, auch wenn ich noch in der Überlegung war, dass John sie für dieses Treffen bezahlte.

„Ja?“

„Ist John dein Vater, oder so?“ Die Frage klang merkwürdig falsch, dennoch antwortete ich wie abgesprochen.

„Er ist ein Verwandter von mir.“ Er war ein Freund der Familie. Bis vor ein paar Tagen kannte ich ihn nicht. Aber es war immer das Gleiche. Freunde nahmen mich auf, weil meine Eltern keine Zeit für mich hatten. So landete ich vor kurzem das erste Mal in Johns großem Haus, als er diesen Deal vorschlug. Der Fremde hatte mich freundlich angelächelt, eine Geste, die nicht viele meiner vorherigen Verwandten taten.

Wenn ich mich anpasste, dann durfte ich bleiben. So einfach dieser Satz auch klang, bedeutete er für mich die Welt. Ich hatte noch nie ein Jahr an demselben Ort gelebt.

„Krass, dass du jetzt bei ihm wohnst. Bestimmt cool,“ sagte Oliver staunend.

„Findest du? Es erinnert mich so an Velvet und ihre Freaks,“ murmelte Sophie misstrauisch, während sie an der aufgeweichten Etikette der Bierflasche herumfummelte. „Denk an Holly, Oliver.“ Ich wusste nicht, von wem sie redete. Schließlich kannte ich bis auf die beiden kaum jemanden, denn das war meine erste Woche in London.

„Aber sie sieht gut aus,“ erwiderte er mit einem schelmischen Grinsen, bei dem man seine weißen Zähne erkannte. Die blauen Augen ruhten interessiert und aufmerksam bei mir und Sophie, die seit unserem ersten Treffen heute Morgen die Augenbrauen ein Stück zu weit oben trug. Ihr Schmollmund zog sich gelangweilt nach unten, während sie mir ihren rot lackierten Fingernägeln Buchstaben in das aufgeweichte Holz des Tisches ritzte. In feinen Spänen rieselte es zu Boden, ohne das sie auch nur einmal das Gesicht verzog. Sie war das Gegenteil von mir. Sie hatte kastanienbraunen Locken, ich so helles Haar, dass es einem Weiß glich. Die dunklen Augenbrauen passten zu dem wilden Braun ihrer Augen, während mein Grün zur hellen Haut unnatürlich ausschaute. Früher hatte mir Yasmin meine Haare sogar gefärbt, damit ich nicht so aus der Menge stach. Später übernahmen das ein paar Tanten oder Onkel, bis ich mich vor wenigen Wochen das erste Mal gewehrt hatte. Nachdem ich einmal durchatmete, erinnerte ich mich daran, dass das in London ein Neuanfang war. Die Hoffnung, an die ich mich eisern klammerte, das endlos lange Jahr bis zu meiner Volljährigkeit zu überstehen.

„Ich brauch´ was Neues zu trinken“, sagte ich und versuchte dabei etwas fröhlicher zu klingen. Schließlich gehörten Freunde zu so einem normalen Leben dazu. Und genau das wollte ich haben. Blitzartig erhob sich Oliver von seinem Hocker.

„Ich werde mitkommen!“

„Das ist nicht nötig“, murmelte ich.

„Oh, doch“, entgegnete er. Am liebsten hätte ich gestöhnt. Stattdessen lächelte ich.

Ein paar grünliche Dielen gaben unter meinen lilafarbenen Doc Martens ächzend nach, und jedes Mal hatte ich das Gefühl, dass die Leute davon genervter wurden. Wenn ich mit Oliver an Ihnen vorbei lief, taxierten ihre Blicke uns. Wie Ameisenbisse stachen sie auf meiner Haut, unangenehm und überall. Ich fragte mich, wieso die beiden überhaupt hier abhingen. Die meisten breit gebauten Männer waren über einen Highschool Abschluss längst hinaus, mit ihren leicht angegrauten Haaren und den speckigen Lederjacken.

Ignoriere Sie. Menschen sind primitiv.

An der Bar angekommen fühlte ich mich völlig nackt. Die rote Strickjacke zog ich enger um meine Handgelenke, sodass nur noch die weißanlaufenden Fingerknöchel zu erkennen waren. Plötzlich war ich für den vielen Privatunterricht dankbar. Währenddessen rief Oliver die schwarzhaarige, junge Frau zu sich, die hinter der gut befüllten Bar energisch an einem schon längst glänzenden Glas schrubbte. Dabei trat ihre definierte Armmuskulatur durch das enganliegende Achselshirt so deutlich hervor, dass man dachte, sie trainiert regelmäßig. Ein verblichenes Tattoo zeichnete sich auf ihrem Schulterblatt ab, als sie sich von uns abwendete. Wir warteten ab, bis das Glas einsortiert wurde.

Dann kam sie auf uns zu. Dabei betrachtete sie Oliver ganz genau. Bei ihren gelblichen Augen spürte ich eine Gänsehaut auf den Armen, bis ich mir sicher war, dass es Kontaktlinsen sein mussten.

„Was gibts?“ Nun betrachtete sie mich von oben bis unten, wobei sich ihr spitzes Kinn durch meine Größe immer wieder hob und sank. Um gelassen zu wirken, stützte ich mich an dem Tresen ab, bis ich das Piksen im Unterarm spürte. Ich rutschte ab, um erschrocken ein Stück zurückzuweichen. Auf der gewachsten Oberfläche erkannte ich einen Raben. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Das grazil gezeichnete Tier schien in das Holz eingebrannt, verewigt, als hätte man das alte Möbelstück, wie eine Kuh gebrannt schlagt. So wie er die Flügel von sich streckte und den Kopf erhaben in die Lüfte schwang, sah es aus, als sei er besonders stolz, auf das, was er war. Mein Magen sackte ab, als säße ich in einer rasanten Achterbahn.

„Entschuldigen Sie, aber haben Sie vielleicht ein Blatt und einen Stift?“

Misstrauisch stützte die Schwarzhaarige die Hände auf der Oberfläche ab. Unter ihrem strengen Blick schluckte ich, doch wartete einfach ab. Dieses Bild schrie mich an, es zu zeichnen. Tief in meinem Innern beruhigte es mich, wie früher die Bilder meiner Mutter. Den bitteren Geschmack von Galle ignorierte ich. So hatte ich wenigstens etwas zu tun, wenn ich nachher an John´s Schreibtisch saß. Und so starrte ich auf das Bild. Es war wie ein Zwang. Vorsichtig tasteten sich meine Finger an das Tier, als wäre es echt. Plötzlich schnellte die Hand der Barkeeperin hervor. Ehe ich meine Hand wegzog, gab es ein klatschendes Geräusch, als sie mir schnell auf den Handrücken schlug. Neben mir zog Oliver erschrocken den Atem ein, während meine Haut sich prickelnd in ein Rot färbte. Die Frau vor mir verzog die vollen Lippen. „Lass das in Ruhe. Sagt mir, was ihr wollt und gut ist.“

Was war an der Bitte denn so furchtbar gewesen? Wenn sie mir meinen Schreck anmerkte, sagte sie es nicht, sondern zog die Augenbrauen nur ein Stück höher, als keiner von uns sprach. Bis sich Oliver aus seiner Starre löste, um zu bestellen.

Während wir auf die Getränke warteten, sah ich immer wieder auf das Tier. Die stickige Luft drückte sich auf mich nieder. Meine Haut fühlte sich merkwürdig fiebrig an, gleichzeitig schien die Zeit still zu stehen, denn das unangenehme Schweigen zwischen ihm und mir wurde mit jedem Augenblick schlimmer. Doch die Schwarzhaarige redete erst mit zwei muskulösen Männern, die anschließend verstohlen in unsere Richtung schielten. Kurzzeitig funkelten auch ihre Augen in einem merkwürdigen Gold, bevor ich mir hastig über das Gesicht fuhr. Daraufhin blickten mir laubgrüne Iriden entgegen.

Plötzlich öffnete sich hinter der leicht eingestaubten Bar eine quietschende Tür, aus der ein junger Mann polterte. Im gleichen Moment, wie die schwer aussehende Kiste lautstark in seinen dünnen Armen schepperte, bellte die Barkeeperin den Blonden an: „Pass bloß mit den Flaschen auf, Nic!“

Dieser zuckte mit den schmalen Schultern, die in einem verschlissenen olivfarbenen Bandshirt steckten. Seine langen Haare warf er hektisch zur Seite, wobei er mit den eisblauen Augen die Leute musterte. Bis wir uns ansahen. Die Haut so aschfahl, dass es selbst aus der Entfernung ungesund aussah. Ich sah noch, wie er den Mund öffnete und sich Finger für Finger von dem großen, leicht durchhängenden Karton lösten. „Vorsicht!“, schrie ich. Da hörte man schon das viele Glas zerbersten. Das Geräusch schmerzte im Ohr, bevor ich zusammenzuckte. Alle blickten zu dem stillen Schuldigen, der geradeaus ins Leere starrte. Das Klirren hing in den Ohren nach, obwohl es schon von dem Geschrei der Barkeeperin abgelöst wurde.

„So ein Scheiß! Mach das weg!“

Wie auf Kommando bildete sich eine große Pfütze auf dem Boden, die sich wie ein Ölfleck schnell ausbreitete. Neben mir bemerkte ich Olivers Grinsen.

„Wieso lächelst du?“

Zuerst winkte er mit seiner großen Hand ab, doch als ich ihn weiter anstarrte, seufzte er tief.

„Er hat mich an Sophie erinnert.“

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Er schnaubte. „Ich weiß, dass sie auf mich steht.“ Seine plötzliche Arroganz fühlt sich an wie ein unvorbereiteter Schlag ins Gesicht. Er schüttelte den Kopf, bevor in meinem Innern die Alarmglocken klingelten.

„Was glaubst du, wieso ich dich zu dem Date eingeladen habe?“

Ich wollte es nicht verstehen, während ich das Gefühl hatte, dass mir jemand gegen den Brustkorb schlug, so wenig Luft hatte ich auf einmal.

„Das...“, murmelte ich mit trockenem Hals, „das ist euer Date?“ In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich für ihn die Anstandsdame spielte. Ich war die Mauer, die Sophie wacker versuchte zu erklimmen, um bei Oliver zu sein. Menschen waren tatsächlich primitiv.

Abschätzend drehte er den Kopf hin und her, was mich total wütend machte. Hitze stieg mir in mein inzwischen feuerrotes Gesicht, bevor ich mich angespannt vom Tresen löste und die Fäuste ballte. Zwischen Wut und Scham entschied sich mein Geist nicht, obwohl beides verzweifelt um die Oberhand rang.

„Und der Junge erinnert dich auch noch an sie?“ Meine unkontrollierte Stimme war ein bisschen zu laut, sodass sich nun auch Sophie zu uns auf den Weg machte. Ihre Miene deutete ich nicht, als ich sie angespannt auf Oliver zuging. Jetzt verstand ich sie. An ihrer Stelle hätte ich mich auch nicht gemocht. Ich sah ihr tief in die braunen Augen, die die Situation hastig musterten. „Nimm ihn nicht.“

Ich merkte, wie erstickt sie die Luft einzog, bevor sie mich anguckte, als hätte ich ihren Hund überfahren. Mit jedem Wort, das ich sagte, wurden ihre Augen schmaler.

„Du musst dir das nicht alles gefallen lassen“, murmelte ich mit Nachdruck. Ich wollte mich zwingen aufzuhören. Sie war alt genug, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Vor meinen inneren Augen sah ich den Deal mit John gefährlich nah am Abgrund tanzen, wenn ich mir jetzt schon Feinde machte. Unheilvoll verkrampfte sich mein Magen.

„Das verstehst du nicht!“, zischte sie. Hektisch stellte sie sich neben Oliver, dessen kühler Ausdruck auf dem Gesicht mich nur wütender machte. In Sophies Stimme lag so viel Ernst, dass ich wie ein Kind mit dem Fuß aufstampfte, weil ich sie nicht verstand. Wie konnte man sich für Liebe so aufopfern und so viel Schmerz ertragen?

Widerwillig drehte ich mich um. Sofort schoss mir die Stimme meiner Mutter durch den Kopf und die bittere Erkenntnis, dass sie tatsächlich Recht hatte, drückte sich wie ein Bleimantel auf mich. Dann dachte ich an den Deal. Nur einmal wollte ich länger als sechs Monate durchhalten. Ich seufzte und schloss die Augen mitten im Raum, als würde mich das für alle unsichtbar machen. Dann beobachtete ich den Blonden, der den dreckigen Mopp auswusch. Zuerst haderte ich. Aber da saß ich wieder an unserem wackeligen Küchentisch, allein mit meinem Koffer, um nach London zu fahren. Mit so viel Mut, wie ich zusammenkratzen konnte, lief ich auf ihn zu. Das Putzzeug fiel zu Boden, als er bemerkte, dass ich vor ihm stehen blieb. Mit zitternden Fingern hielt er es rechtzeitig auf. Das flackernde eisblau seiner Augen traf auf meine. Die älteren Männer an den umliegenden Tischen machten darüber abfällige Bemerkungen, während sie sich gegenseitig mit ihren riesigen Bierkrügen zuprosteten. Dagegen war Olivers Getränk der Spuckrest gewesen.

Zögerlich fragte ich: „Kann ich dir behilflich sein? “

Vielleicht konnte ich ihm helfen, wenn sich Sophie so weigerte.

„Ähm.“ Er sag sich um, bevor er heftig nickte. „Ja gern. Ich bin Nic.“

„Avelina. Aber nenn mich Lina.“

In der Hocke sammelte ich die übergebliebenen Glasscherben auf. Zischend zuckte ich zurück. Es pikste unangenehm in meinem Finger, bis es sich in ein Brennen verwandelte und die ersten Tropfen aus meiner Fingerkuppe quollen.

„Oh Mist“, murmelte Nic. Eigentlich, dachte ich, war er gar nicht schlaksig. Vielmehr war er sehnig, wie ein Athlet. Seine schlapprigen Klamotten waren ihm nur zu groß, als er sich zu mir hinunterbeugte und den Schnitt betrachtete, aus dem eine kleine glitzernde Blutperle tropfte. Als Rinnsal lief sie meine Haut hinab.

„Darf ich ?“, fragte er zögerlich. „Das sollten wir desinfizieren.“

„Ach quatsch“, wiegelte ich ab. Doch sein Griff wurde etwas fester.

„Da ist Dreck drin. Das könnte sich entzünden.“

Normalerweise passierte mir so etwas nicht. Bei so etwas hatte ich immer Glück und wenn ich mich verletzte, entdeckte ich es Tage danach. Umso unangenehmer war es jetzt, dass er sagte: „Ein Pflaster. Und du solltest dir vielleicht die Hände waschen“, ergänzte er zögerlich, als er auf das angetrocknete Rot an den Fingern deutete. Die Flüssigkeit legte sich in die Kerben meiner Haut, sodass ich aussah wie ein rot gestreiftes Zebra. Nic betrachtete eingehend den dreckigen Finger und mir wurde bewusst, dass ich Vorschläge, nicht sofort abwimmeln dufte. Wenn ich Freundschaften schließen wollte, musste ich offen sein. Und das hieß auch, in keine alten Muster zu verfallen. Also nickte ich ergeben. Vielleicht hatte er ja wirklich recht.

Also durchquerten wir die Bar, wobei die meist tätowierten Leute uns kritisch musterten. Natürlich, ich passte genau wie Nic, Oliver oder Sophie kein bisschen in die Atmosphäre. Als Nic einen rostigen Schlüssel aus seiner Hosentasche zog, war ich überrascht, dass er im Schloss der alten Holztür nicht abbrach. Sobald er in den dunklen Raum trat, drang ein modriger Geruch von Mottenkugeln und abgelagerte Luft in meine Nase. Für einen Moment zog ich die Nase kraus, als ich bedächtig einen zögerlichen Schritt in den verstaubten Raum wagte. Augenblicklich hustete ich, während der Blonde energisch in einer Kiste wühlte, aus der er nur wenig später Desinfektionsmittel zauberte.

„Komm her!“, sagte er mit einem einladenden Lächeln.

Mit der Hand voraus trat ich mehr und mehr in das überschaubare Kämmerlein, bis dir Tür auf einmal schrecklich weit entfernt schien. Mit leichtem Unbehagen betrachtete ich die eingerissenen Kartons auf den instabilen Metallregalen.

„Wie lange arbeitest du schon hier?“, versuchte ich, ein Gespräch zu beginnen. Plötzlich packte er mich grob am Arm. Irritiert schaute ich ihn an. Meine Nackenhaare stellten sich auf, bevor ich rückwärts schlich.

„Nic?“ Satt zu antworten traten seine Augen so starr hervor, dass ich schluckte.

Ehe ich mich versah, drückte er mich mit all seiner Kraft gegen eines der Metallregale. Plötzlich fletschte er die gelben Zähne. Über mir krachen Kartons und Flaschen zu Boden. Die kalten Stangen drückten sich schmerzhaft in meinen Rücken. Ich jaulte auf, während ich seinen Schatten vor mir schummrig wahrnahm. Licht und Dunkelheit wechselten sich zu rasant ab. Mein Kopf dröhnte. Gleichzeitig wurde mir furchtbar übel, als er sich zu meiner Gestalt hinunterbeugte. Vorsichtig nahm er eine meiner hellen Strähnen in die Hand, um sie zu einer Locke zu drehen. Mein Herzschlag verdoppelte sich. Ich befahl meinem Körper aufzustehen, sich zu wehren, aber kein Muskel gehorchte mir. Also starrte ich ihm ins Gesicht, das sich vor meinen Augen verdoppelte.

„Es ist Krieg!“, flüsterte er. Langsam verschwand er aus meinem Blickfeld, bis sich die Tür schloss. Erleichterung überflutete mich, bis sich ein Staudamm bildete. Saß ich hier jetzt etwa fest?

Auf einmall drehte sich alles. Das Regal, gegen das ich gerade noch gefallen war, löste sich auf. Das Licht nahm zu, die Wände verschwanden, während ich nicht verstand, was hier passierte. Mein Puls raste. Schmerzhaft verkrampften sich meine Eingeweide. Dann fiel ich. Zu langsam, als das es der Realität entsprach, bis mein Kopf hart auf den Boden aufschlug. Gleißend helle Sonne schien mir auf mein Gesicht, gegen die ich keine Chance hatte anzublinzeln. Der harte Stein unter mir fühlte sich an wie Asphalt. War ich ohnmächtig geworden und war woanders hingebracht worden? Ich erinnerte mich an nichts dergleichen. Meine Finger fühlten sich taub an, als ich mir damit über das Gesicht fuhr, bis zum Hinterkopf. Unter dem tiefen Pochen zuckte ich zusammen. Dann wurde die Welt wieder schummrig.


Die Luft ist klar, sauber; es riecht nach Meer, durch das offene Badezimmerfenster, um den Dampf der Dusche herauszuholen. Mama ist hinter mir, Strähne für Strähne kämpft sie sich durch das nasse Gewusel auf meinem Kopf, während Papa mit unserem Besuch redet. Die rothaarige Frau kommt mir bekannt vor, aber sie sagt nicht viel. Genau wie der Mann sieht sie so beschäftigt aus. Mama und Papa wirken immer trauriger, jedes Mal wenn sie kommen. Ich mag sie nicht. Ich Tausche den pinken Bademantel gegen ein ordentliches Kleid. Das zitronengelb passt zu meinen Sommersprossen, sagt Mama, aber ich mag Jeans lieber. Zusammen gehen wir in unser Wohnzimmer. Dabei kralle ich mich in ihr ausgeleiertes Shirt, das sie immer trägt, wenn wir am Strand spielen. Aber in letzter Zeit darf ich nicht mehr so oft nach draußen, was ich nicht mag.

Hallo...“, sagt die Rothaarige.

Ich antworte nicht, sondern verstecke mich hinter meiner Mama.

Avelina, du weißt, dass sie dir nichts tun. Sie wollen nur wissen, ob du diesmal weißt, wo es ist?“


Als ich das nächste Mal aufwachte, hatte ich solche Kopfschmerzen, dass ich laut stöhnte. Kleine spitze Steine drückten sich unangenehm in meine Ellenbogen, als ich mich aufrichtete. Ich spürte ein leichtes Stechen im Rücken, doch als ich meine Umgebung erkannte, rückte das alles in den Hintergrund. Mein Brustkorb hob und sank so rapide, dass mir schwindelig wurde. Wackelig richtete ich mich zu voller Größe auf, um festzustellen, dass ich eingesperrt war. Schnell rannte ich gegen eine der kräftigen Mauern, klopfte, schrie und trat, wie eine Wilde. Nichts passierte.

Alles was ich sah, waren kahle, rote Wände. Man hatte mich eingemauert wie ein Monster. Wie zum Teufel war das passiert? Vor Angst fingen meine Hände an zu zittern, mein Atem beschleunigte sich schon wieder, bevor ich mich zur Ordnung rief. Mein Schrei hallte an den unendlich Mauern wider und machte mich wahnsinnig. War ich vielleicht noch ohnmächtig?

Auf jeden Fall würde ich mich diesem Spinner nicht wehrlos ausliefern. Falls, und darauf hoffte ich, dass jemand kam, überwältigte ich ihn und würde abhauen. Wenn ich auf wusste, wie unwahrscheinlich es war, dass ich denjenigen überwältigte. Mein Zeitgefühl war komplett dahin, sodass ich keine Ahnung hatte, wie viel Uhr es war. Der weiße Himmel bewegte sich kein einziges Mal. John dachte bestimmt, ich hielt mich nicht an unsere Abmachung. Seufzend lehnte ich den Kopf an, wobei ich den Schmerz im Hinterkopf ignorierte und die Augen schloss. Das alles war eine riesige Katastrophe.

Die Zeit zog träge dahin, in der ich mich an die Wand drückte und der kühle Backstein sich unangenehm an meine Prellungen drückte. Immer wieder nickte ich ein, nur um kurz darauf aufzuschrecken. Dann hörte ich plötzlich Gerumpel, aufgeregte Schreie, nach denen ich mich verwirrt umdrehte. Doch ich war allein. Schluchzend zog ich die Knie an meinen Körper. Das Brennen im Hals wuchs, aber ich verbot mir zu weinen.

Auf einmal war der Krach so laut, dass ich zusammenzuckte. Hastig stellte ich mich auf die Füße, um gegen die Wände zu hämmern, bis mir die Handflächen brannten.

„Hallo? Ist da wer?“ Umso energischer ich klopfte, desto lauter wurden die Geräusche außerhalb meines ominösen Gefängnisses, so dass ich hoffnungsvoll nach einer Tür in der runzligen Wand suchte. Mein Herz pumpte so kräftig, dass mir schwindelig wurde. Da verstummte es wieder und mit ihr meine Hoffnung. Wie eine schnelle Husche zog sie weiter, bis nichts blieb als vertrocknetes Land. Für einen Moment fror ich ein, ehe seufzend meine Hände hinunter glitten und ich die Stirn gegen die Mauer lehnte. Ich war nicht irre. Plötzlich bildete sich ein blauer Wirbelsturm auf dem roten Backstein. Langsam und zögerlich fraß er sich zu mir hindurch. Irritiert trat ich einige Schritte zurück. Vor Verzweiflung fasste ich mir in mein Haar, als würde es mir Halt bieten. In der Zwischenzeit wuchs das tosende Auge so an, dass man hindurch könnte. Doch ich sah nicht, wohin es mich brachte, sodass ich wimmernd umsah. Bis er wie aus dem Nichts plötzlich auftauchte. Dicke Stiefel stampften auf dem Boden auf, als ich angespannt den Atem einzog.

„Das kann doch jetzt nicht wahr sein“, murmelte ich zu mir selbst.

„Live und in Farbe“, sagte der Schwarzhaarige. Dabei sah er mich mit seinen grauen Augen von oben bis unten an. Sie erinnerten mich an einen aufziehenden Sturm, düster und geheimnisvoll. Augenblicklich bekam ich eine Gänsehaut. Dann dachte ich an meinen Plan. Blitzartig schoss ich nach vorne, um im Sprint mit dem linken Arm auszuholen. Ich spannte mich so fest an, wie es ging. Das Herz raste, während mir Adrenalin durch die Venen schoss. Doch der Mann holte mich mitten in der Bewegung ein, sodass er mit der Faust meinen Unterarm festhielt. Eine seiner Augenbrauen wanderte in die Höhe. Meine Haut kribbelt merkwürdig, dort, wo er mich berührte, gleichzeitig es nach verbranntem Holz roch. Schnaufend riss ich mich los, aber er nahm noch meine andere Hand und wirbelte mich so herum, dass ich plötzlich an seinem warmen Brustkorb gedrückt wurde. Die raue Stimme pustete gegen meinen Hals, was ich tänzelnd verhindern wollte.

„Immer ruhig mit den jungen Pferden. Immerhin steht hier dein Retter vor dir, und du begrüßt mich gleich so?“

„Lass mich los!“, kreischte ich. Dabei versuchte ich nach hinten auszutreten. Zu meiner wachsenden Frustration traf ich ihn nicht ein einziges Mal. Nur mein Brustkorb hob und sank sich durch die unnötige Mühe heftiger. Dagegen pochte sein Herz kräftig und unerschütterlich, was ich so überdeutlich an meiner Wange fühlte, als er mich gegen sich drückte.

„Zuerst sagst du mir, wie du diese Zwischendimension erschaffen hast, Hexe. Haben dich die Jisarfen geschickt? Denkt ihr, ich bin dumm genug, eure durchsichtigen Zauber nicht zu bemerken?“

Plötzlich wurde ich stocksteif in seinem festen Polizeigriff. Meine Stimme klang rau von der ganzen Schreierei.

„Wovon redest du da?“

„Stell dich nicht dumm, Hexe!“, herrschte er mich an. Doch mein Kopf war so leer, dass ich den Mund lautlos öffnete. Kein Wort kam heraus, weil ich nicht wusste, was ich erwidern sollte.

„Hexe?“, fragte ich ungläubig. „Willst du mich beleidigen oder meinst du das ernst?“

Endlich löste er den Griff. Die plötzliche Kälte ließ mich fröstelnd die Schultern hochziehen, während ich so viel Abstand wie möglich zwischen mich und den Irren brachte.

„Das kannst du nicht ernst meinen“, flüsterte ich ungläubig. Dadurch, dass ich immer wieder wirr mit dem Kopf schüttelte, flogen mir die Haare wild ins Gesicht. Der Mann vor mir kniff die Augen zusammen.

„Tust du nur so oder bist du tatsächlich so naiv?“

Vor Entrüstung wusste ich zuerst nicht, was ich erwidern soll. Nur meine Wangen färbten sich rot, bevor ich die Hände zitternd zu Fäusten ballte. Ich wollte ihm kontern, allerdings formte sich kein einziger Satz in meinem Kopf. „Du bist doch krank!“, schrie ich.

Aus dem Nichts stürzte ein dunkles Tier auf uns. Ich folgte ihm mit den Augen, doch da landete der Rabe schon auf der Schulter von ihm. Der Schwarzhaarige drehte den Kopf leicht in seine Richtung, um daraufhin laut los zu fluchen. Die gelben Augen des Tieres fixierten mich, als würde er intensiv über mich nachdenken. Merkwürdigerweise störte es mich nicht. Er löste in mir ein merkwürdig warmes Gefühl aus, als würde ich einem alten Freund begegnen.

Grob stürmte der Fremde auf mich zu, schnappte sich mein Handgelenk und zog mich mit sich. Doch ich weigerte mich wie ein Hund, bei schlechtem Wetter, Gassi zu gehen und stemmte die Füße in den Boden.

„He, was soll das?“ Mit meinem ganzen Gewicht lehnte ich mich gegen den Muskelprotz, doch er zog mich so mühelos mit, dass ich ihn trotzig anfauchte: „Das ist Freiheitsberaubung!“ Er drehte sich nicht einmal zu mir um, als er mit eisig Stimme antwortete: „Ich will wissen, zu welchem Clan du gehörst. Davor lass ich dich nicht gehen.“

Dass ich nicht verstand, wo von er redete, machte mich nur zorniger. Vor uns erschien das blaue Portal und verströmte den Geruch von Chlor, als würden wir gleich in einen Pool springen. Sobald wir wieder an einem Ort waren, der relativ normal aussah, würde ich versuchen zu entkommen. Das war meine einzige Chance lebend hier herauszukommen. Zuerst trat ich nur zögerlich näher, doch durch den festen Griff von diesem fremden Geisteskranken wurde ich unweigerlich in die weiche, warme Masse getrieben. Es war so hell, dass ich meine Augen schließen musste, damit es nicht so brannte. Nur Sekunden, dann kam mein Schuh wieder auf dem grünen Dielenboden auf. Allerdings starrte ich irritiert auf das Holz. Mir stand der Mund offen.

Dunkler Ruß zerfraß das zerstörte Mobiliar. Das Schwarz an den Wänden ließ die Bar wie die Hölle aussehen. Alles war verbrannt. Und auf dem Boden lagen Menschen. Leute, mit dreckiger Haut und geschlossenen Augen. Ich schrie, während ich zurücktaumelte. Erschrocken jaulte ich auf, als da plötzlich die Brust des Fremden war. Er sah nicht auf unser Umfeld, sondern auf mich und bemerkte zu meinem Ärger meine Reaktion. Allerdings verschleierten mir Tränen die Sicht und zum ersten Mal war ich dankbar dafür. Denn so blieb mir der Anblick vom Elend erspart. Wie ein Feigling schloss ich die Lider, bevor ich panisch nach meinem Handy suchte, um Hilfe zu rufen. Aber ich fand es nicht. War das die Schuld von Nic?

„Angesichts deiner Reaktion hast du so etwas wohl noch nie gesehen?“ Die tiefe Stimme des Fremden lenkte mich für einen Moment ab. Als ich ihn ansah, zog er plötzlich sein monströses Schwert vom muskulösem Rücken. Das helle Metall loderte gleißend auf. Das Feuer brannte selbst von der Entfernung unangenehm auf meiner Haut, während sich mein vernebelter Verstand einzureden versuchte, dass das alles nur Einbildung war.

„Wie... Wie hast du das gemacht?“, wisperte ich und taumelte dabei orientierungslos nach hinten. Weg vom Feuer. Weg von der Gefahr.

Wieder legte sich dieser berechnende Ausdruck auf sein Gesicht, lässt ihn älter erscheinen, als er vermutlich war.

„Du weißt wie“, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu mir und kam dabei ein Stück näher.

Ich schüttelte mit dem Kopf, während ich darauf hoffte, dass er mich verschonte.

„Warum bist ausgerechnet du an diesem Ort aufgetaucht?“, flüsterte ich. Ich war erstarrt, den Blick nicht von den leblosen Körpern nehmend, die aussahen wie drapiert.

Zwar hatte er das Schwert nicht kampfbereit in der Hand, doch riet mir mein Gefühl, so schnell wie möglich hier heraus zu kommen. Stützend auf seiner Waffe ließ er mich keinen Augenblick unbeobachtet.

„Auch das müsstest du wissen. Haben sie dich beauftragt als Leibwächterin?“

Obwohl mir der plötzliche Augenkontakt beinahe körperlich weh tat, reckte ich das Kinn zu ihm empor. Ich blickte in die Kälte, aber irgendwie auch ins Feuer. Ein Knurren drang tief aus seiner Brust. Er rückte ein Stück näher.

„Ich hasse es, verarscht zu werden, Hexe.“

„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich keine Ahnung habe, von was du da redest?“

Er zog die Augenbrauen zusammen. Ich ahnte, dass es meine einzige Chance war. Dann trat ich ihm zwischen die Beine. Ich hörte ihn fluchen, bevor ich losstürmte. Über die Menschen, über die umgefallenen Gegenstände. Alles was ich mit den Händen griff, fiel scheppernd zu Boden, bis ich den festen Griff um meinen Knöchel spürte. Mein Herz hörte auf zu schlagen, im gleichen Moment wie die Welt sich drehte. Mit einem lauten Klatschen traf mein Kopf etwas Hartes. Benebelt griff ich ins Nichts, in der Hoffnung eine Waffe zu finden. Bis eine weiße, zerfressene Gestalt vor mir auftauchte. Ihr augenloser Kopf zischte mich an, so dass ich die heiße Spucke auf meiner Haut spürte und schrie. Voller Panik trat ich nach ihm, doch das Vieh war so stark, dass es mich mit seinem zu langen Körper zu Boden drückte. Ich presste die Lider aufeinander, dachte an meine Granny, bis ein lautes Fiepen meine Angst durchschnitt. Der ekelerregende Druck auf meinem Körper verschwand wie von Zauberhand, während über mir ein graues Augenpaar auftauchte.

„Den Tod hättest du für den Tritt gerade eben echt verdient gehabt“, murrte er, ehe er sich zu mir hinunter beugte. „Wegen dir stirbt jetzt sicher meine Ahnenfamilie aus.“ Jetzt musste ich schlagfertig antworten. Doch mein keuchender Atem raubte mir jeden Gedanken und so lag ich auf dem dreckigen Parkett und versuchte zu verstehen, was das für ein Monster gewesen ist.

Die Stimme des Fremden triefte vor Hohn, als er die breiten Arme zu beiden Seiten ausstreckte, als wäre er ein Zirkusdompteur.

„Willkommen in der Welt der Hexen, Zicke.“






Feuer und Siegelfluch

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