Читать книгу Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman - Nina Kayser-Darius - Страница 21

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Die hübsche junge Frau lag völlig reglos auf der Parkbank. Sie war sehr blaß, ihre langen blonden Haare hingen ihr unordentlich ins Gesicht. Ihre Kleider sahen teuer aus, und sie wirkte eigentlich gar nicht wie »so eine«, fand der Rentner Ewald Mönke, der ein wenig ratlos vor ihr stand, aber sie mußte wohl doch eine sein. Eine andere Erklärung fand er jedenfalls nicht. Er hatte versucht, sie aufzuwecken, und es war ihm nicht gelungen.

»So eine« war für ihn eine Drogenabhängige. Mit Junkies kannte er sich aus, denn die Wohnung, in der er seit mehr als dreißig Jahren lebte, lag mittlerweile in einer Gegend, die Politiker gerne mit dem Namen »sozialer Brennpunkt« umschrieben. Früher war es eine gute Wohngegend gewesen, aber diese Zeiten waren schon lange vorbei. Sogar unten im Flur des Hauses, in dem er selbst wohnte, hatte er schon gesehen, daß Drogen den Besitzer wechselten – aber was sollte ausgerechnet er dagegen tun?

Wenn nicht einmal die Polizei etwas erreichte, dann konnte ein armer Rentner wie er, der froh war, die Miete für seine schäbige kleine Wohnung noch bezahlen zu können, erst recht nichts ausrichten.

Ewald Mönke murmelte beschwichtigend: »Sei ruhig, Herr Müller. Mir wird schon was einfallen, aber ich muß nachdenken. So lange wirst du dich ja wohl gedulden können, oder etwa nicht?«

Herr Müller, eine recht häßliche Promenadenmischung mit wunderschönen braunen Augen, bellte leise, um seine Zustimmung auszudrücken. Er ließ sich direkt vor der Parkbank nieder, wobei er sein Herrchen unablässig ansah, um nur ja nicht den Moment zu verpassen, in dem dieser sich erneut in Bewegung setzen würde.

Ewald Mönke und Herr Müller befanden sich nämlich auf ihrem täglichen Morgenspaziergang, der mindestens eine Stunde dauern mußte, um Herrn Müller auch nur annähernd zufriedenzustellen. Sie waren kaum zehn Minuten unterwegs gewesen, als Ewald Mönke völlig unprogrammgemäß stehengeblieben war. Aber Herr Müller war ein wohlerzogener Hund, deshalb gab er keinen Mucks mehr von sich, sondern wartete. Nur sein kleines Stummelschwänzchen, das unablässig hin und her schlug, verriet seine Ungeduld.

»Ich weiß, was ich tue, Herr Müller«, sagte Ewald Mönke in diesem Augenblick erleichtert. »Ich rufe einen Rettungswagen, der bringt die Frau ins Krankenhaus, und dort werden sie dann schon herausfinden, was mit ihr los ist.«

Herr Müller jaulte leise, und Ewald Mönke beugte sich erneut über die junge Frau und sagte: »Hallo, Sie! Wenn Sie jetzt nicht aufwachen, hole ich einen Rettungswagen, hören Sie? Vielleicht wollen Sie ja nicht ins Krankenhaus, dann sollten Sie jetzt aber wirklich schnellstens aufwachen und mir sagen, was mit Ihnen los ist! Sie haben mir einen großen Schrecken eingejagt – einfach so hier zu liegen am frühen Morgen und sich nicht zu rühren!«

Er wartete einige Sekunden, doch er bekam auch dieses Mal keine Antwort. Deshalb wandte er sich seufzend ab. »Komm, Herr Müller!« sagte er. »Wir müssen jetzt zuerst telefonieren. Danach gehen wir wieder in den Park.«

Das war nicht direkt das, was Herr Müller gewollt hatte, aber er ergab sich in sein Schicksal und folgte seinem Herrchen, das den Park auf dem schnellsten Wege verließ.

*

»Adrian?« Schwester Monika Ullmann kam in den kleinen Aufenthaltsraum gestürmt, in dem sich der Unfallchirurg Dr. Adrian Winter gerade eine Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, um etwas wacher zu werden. Es war Vollmond, und er hatte nicht besonders gut geschlafen.

»Eine junge Frau wird gleich gebracht«, sagte Schwester Monika außer Atem. »Ein Rentner hat sie in einem Park gefunden, auf einer Parkbank, und er hat sie nicht aufwecken können. Verdacht auf Drogenmißbrauch.«

Adrian nahm einen zu großen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Zunge. »Au, verdammt!« Er verzog das Gesicht und stellte hastig die Tasse ab. Dann lächelte er die hübsche Schwester an. »Ich bin sofort da, Moni. Haben sie sonst noch etwas gesagt? Ist sie immer noch ohne Bewußtsein?«

»Nein, im Wagen ist sie zu sich gekommen. Mehr haben sie nicht gesagt. Sie hatten es ziemlich eilig.«

Adrian trank den restlichen Kaffee – diesmal war er vorsichtiger und nahm nur kleine Schlucke, um sich nicht noch einmal zu verbrennen. Dann folgte er Schwester Monika in eine der Notfallkabinen. »Bereite schon mal eine Infusion mit Kochsalz vor, Moni, und außerdem…«

Er kam nicht dazu weiterzusprechen, denn in diesem Augenblick wurde die angekündigte junge Frau auch schon gebracht. »Die Patientin ist achtundzwanzig Jahre alt, wieder bei Bewußtsein. Behauptet, keine Drogen zu nehmen, kann aber nicht erklären, warum sie bewußtlos auf der Parkbank gelegen hat. Stark unterkühlt, sie hat dort offenbar die ganze Nacht verbracht. Sie hat bereits eine kreislaufstabilisierende Infusion bekommen«, berichtete einer der Sanitäter. »Wir müssen wieder los, Herr Dr. Winter!«

Adrian nickte und wandte sich der Patientin zu. »Wo ist Julia?« fragte er.

»Sie kommt gleich, sie war bis eben mit einem Herzanfall beschäftigt«, antwortete Schwester Monika, die der Patientin die Infusion mit Kochsalzlösung anlegte.

»Ich brauch’ sie hier«, sagte Adri­an knapp, und Schwester Monika verschwand gleich darauf wortlos, um sich auf die Suche nach Dr. Julia Martensen zu machen. Adrian Winter und sie bildeten ein großartiges Team – der junge, engagierte Chirurg und die souveräne, bereits auf die fünfzig zugehende Internistin.

»Können Sie mich hören?« fragte Adrian die junge Frau, die ihn aus großen blauen Augen ansah. Er war sicher, daß sie ihn hörte, aber offenbar verstand sie nicht, was vor sich ging.

»Ja«, antwortete sie. Mehr sagte sie nicht.

»Ist sie das?« fragte Julia Martensen, die in diesem Augenblick hereinkam.

»Ja, ich finde nicht, daß sie wie eine Drogensüchtige aussieht«, sagte Adrian nachdenklich. »Sie hat auch keinerlei Einstiche oder so.«

»Vielleicht kokst sie«, erwiderte Julia nüchtern. Sie war eine gutaussehende, sehr schlanke Frau mit kurzen braunen, nach der neuesten Mode geschnittenen Haaren. »Irgendwelche Verletzungen?«

»Ich habe keine entdecken können«, stellte Adrian fest. »Sie ist dehydriert und unterkühlt, das steht fest. Moni, bitte besorg als erstes ein paar angewärmte Decken. Und sie sollte auch eine angewärmte Infusion bekommen. Wir führen ihr zunächst einmal Flüssigkeit zu, machen eine große Blutuntersuchung mit Drogenscreening, und danach sind wir hoffentlich klüger.«

Julia beugte sich über die Patientin, die unruhig war, aber noch immer nichts sagte. »Wie heißen Sie?« fragte sie behutsam.

Die junge Frau sah sie an und drehte den Kopf weg. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Julia richtete sich auf und blickte Adrian fragend an. »Verstehst du das?«

»Nein«, antwortete er leise. »Ich verstehe es auch nicht, aber das Beste wird sein, wenn wir sie erst einmal in Ruhe lassen. Vielleicht sind wir nach den Untersuchungen klüger.«

Schwester Monika kam mit den angewärmten Decken, in die sie die Patientin mit vereinten Kräften hüllten, und bald darauf wurde ihr auch noch eine angewärmte Infusion angelegt. Sie nahmen ihr Blut ab und schickten es mit der Bitte ins Labor, es möglichst bald zu untersuchen.

»Merkwürdiger Fall«, murmelte Adrian kopfschüttelnd vor sich hin. »Normalerweise würde ich sagen, sie muß sich nur ordentlich aufwärmen, genug essen und trinken, und danach wird sie sich sofort besser fühlen. Aber ich habe ein komisches Gefühl bei der Sache.«

»Ich auch«, gestand Julia, und das überraschte ihren jüngeren Kollegen. Julia stand mit beiden Beinen auf der Erde, und sie glaubte in der Regel nur das, was man ihr auch beweisen konnte. Für Intuition war in ihrem Team Adrian zuständig – obwohl man sie im allgemeinen eher den Frauen nachsagt. Aber in der Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin, die Dr. Adrian Winter leitete, waren zumindest in diesem Punkt die Rollen anders als üblich verteilt.

»Es bleibt uns trotzdem nichts anderes übrig, als die Laborergebnisse abzuwarten«, stellte Adrian fest. »Meinst du, wir sollten noch ein CT machen lassen?«

»Wegen ihrer Bewußtlosigkeit, meinst du?«

Er nickte.

»Wenn uns die Laborwerte nicht weiterhelfen, würde ich das auf jeden Fall tun«, antwortete sie. »Es könnte natürlich einfach ein Kreislaufkollaps gewesen sein, weil sie offenbar nichts gegessen und getrunken hat. Aber ich hoffe, daß sie anfängt zu reden, sobald es ihr bessergeht. Vielleicht erfahren wir dann alles, was wir wissen wollen.«

Er glaubte es nicht, und sie ebensowenig, das sah er ihr an. Aber er sagte nichts mehr. Im Augenblick jedenfalls konnten sie nichts tun.

*

Lukas Bromberger hatte keinen Blick für Frankfurts neue Hochhäuser. Er wollte so schnell wie möglich nach München zurück, denn dort wartete Felicitas auf ihn. Seine wunderschöne blonde Verlobte, die er zärtlich Feli nannte. Sie waren schon seit zwei Jahren ein Paar und würden in vier Wochen endlich heiraten. Er hatte sie schon öfter gefragt, aber sie hatte nicht so früh heiraten wollen. »Laß uns erst ganz sicher sein, Lukas«, hatte sie jedesmal gesagt. »Wir haben es doch nicht eilig.«

Er hatte es sehr wohl eilig gehabt, aber das hätte er niemals zugegeben. Noch immer konnte er sein Glück nicht fassen, daß sie sich unter allen Männern dieser Welt ausgerechnet ihn ausgesucht hatte. Lukas litt nicht an mangelndem Selbstbewußtsein, denn er hatte es mit seinen zweiunddreißig Jahren schon weit gebracht. Er hatte eine eigene Agentur für Öffentlichkeitsarbeit, die gut lief, er sah gut aus mit seinen braunen Locken und den warmen braunen Augen, und er war ein allgemein sehr beliebter Mann. Er hielt sich außerdem für jemanden, auf den man sich verlassen konnte.

Trotzdem fand er, daß er nichts Besonderes war – Feli hingegen war das sehr wohl. Sie war nicht nur schön und klug, sie hatte auch eine Menge Temperament, sie war künstlerisch begabt, darüber hinaus humorvoll und zuverlässig. Lukas fand, daß das eine einmalige Kombination war. Er zumindest kannte keine andere Frau, die so viele positive Eigenschaften hatte wie Feli. Ein Leben ohne sie erschien ihm absolut unvorstellbar.

Und deshalb war er nicht gern länger von ihr getrennt. Deshalb auch hatte er es mit dem Heiraten so eilig.

Denn noch immer saß ihm die Angst im Nacken, ein anderer Mann könnte kommen und ihr Herz im Sturm erobern. Ein Mann, der genauso etwas Besonderes war wie Feli.

Lukas seufzte. Es wäre sehr viel schöner gewesen, wenn er nicht immer diese Angst gehabt hätte, sie zu verlieren. Er war sonst gar nicht so. Er neigte nicht übermäßig zur Eifersucht, und er war auch niemand, der sich viele Gedanken um »ungelegte Eier« machte. Aber wenn es um Feli ging, dann funktionierte sein Gehirn völlig anders als gewöhnlich. Es war offenbar die Liebe, die das bewirkte.

»Herr Bromberger?«

Der Auftraggeber, mit dem er sich in einem exklusiven Frankfurter Hotel getroffen hatte, sah ihn fragend an, und Lukas wurde es abwechselnd heiß und kalt. Er hatte dem anderen mindestens eine Minute lang nicht zugehört und dementsprechend nicht die geringste Ahnung, was dieser jetzt von ihm hören wollte. Das war unverzeihlich, schließlich ging es bei dem möglichen Auftrag um eine Menge Geld. Er entschloß sich, die Wahrheit zu gestehen und sein Gegenüber dadurch zu entwaffnen.

»Entschuldigen Sie bitte, aber Sie wissen vielleicht, daß ich in vier Wochen heiraten werde. Und deshalb passiert es mir in letzter Zeit gelegentlich, daß ich an meine zukünftige Frau denke, wenn ich mich eigentlich auf meine Arbeit konzentrieren sollte. Wenn Sie können, verzeihen Sie mir, daß ich einige Augenblicke lang mit meinen Gedanken woanders war.«

Auf dem Gesicht des Mannes, der ihm gegenüber saß, erschien ein breites Lächeln. »Kann ich gut verstehen – schließlich war ich auch mal frisch verliebt!« Er wiederholte, was er gesagt hatte, und diesmal antwortete Lukas ausführlich und mit großem Sachverstand.

Allmählich entspannte er sich wieder. Offenbar hatte er diese gefährliche Situation gemeistert. Jetzt durfte er sich nur keinen weiteren Patzer leisten, dann hatte er den Auftrag sicher in der Tasche.

*

»Kein Alkohol, keine Drogen«, stellte Dr. Adrian Winter fest, als die Laborwerte der jungen Patientin vorlagen, die noch immer in der Notaufnahme war. »Aber sie muß stationär aufgenommen werden, denn sie hat sich vielleicht eine Lungenentzündung geholt. Zur Vorsicht muß sie weiter beobachtet werden.«

»Wir können sie auf die Innere verlegen«, meinte Julia Martensen, »wir haben noch einige Betten frei, und ich kann mich dort weiter um sie kümmern.«

»Du hast diese Woche Dienst in der Notaufnahme, vergiß das nicht«, sagte Adrian mit gespielter Strenge. »Da wird nicht nebenbei noch heimlich auf der Station nach dem Rechten gesehen.«

Sie lächelte ihn voller Zuneigung an. »Das mußt ausgerechnet du sagen! Dr. Adrian Winter, der Arzt, der sich noch um Patienten kümmert, wenn sie die Notaufnahme längst verlassen haben.«

»Schon gut, schon gut«, murmelte er verlegen, »ich sag’ keinen Ton mehr. Aber laß uns bitte noch einmal zu ihr gehen, ob sie jetzt bereit ist, mit uns zu reden. Ihr Fall wird immer rätselhafter. Wenn weder Drogen noch Alkohol im Spiel sind, Julia, was hat sie dann auf dieser Parkbank getan? Sie wirkt doch nicht so, als hätte sie keine Wohnung, in die sie gehen könnte. Warum also war sie unterkühlt, dehydriert und hatte nichts im Magen?«

»Ich kann es dir auch nicht sagen«, antwortete seine Kollegin. »Kreislaufkollaps, etwas anderes wüßte ich nicht. Komm, wir fragen sie selbst.«

Wenige Augenblicke später standen sie neben der jungen Frau, die ihnen entgegensah, aber durch nichts zu erkennen gab, daß sie sich erinnern konnte, wer sie waren.

»Wissen Sie, wo Sie sind?« fragte Julia behutsam.

»Nein«, antwortete die Patientin, und Adrian atmete auf. Immerhin hatte sie geantwortet, das war schon mal ein Fortschritt.

»In der Kurfürsten-Klinik in Berlin«, sagte er. »Sie sind hier in der Notaufnahme. Können Sie sich erinnern, wie Sie hierher gekommen sind?«

Wieder antwortete sie mit: »Nein.« Ihre großen blauen Augen waren jetzt aufmerksam auf die beiden Ärzte gerichtet.

»Sie sind auf einer Parkbank gefunden worden«, fuhr Julia fort. »Sie waren bewußtlos, und der ältere Herr, der Sie gefunden hat, hat sich Sorgen um Sie gemacht und einen Rettungswagen gerufen.« Sie hatte absichtlich nichts von dem Verdacht auf Drogenmißbrauch gesagt. Adrian war froh darüber.

»Bitte, sagen Sie uns, wie Sie heißen«, sagte er. »Ich bin Dr. Adrian Winter und leite hier die Notaufnahme. Dies ist meine Kollegin Dr. Julia Martensen, sie ist Internistin. Wir werden Sie auf die Innere verlegen, weil Sie stark unterkühlt waren und wir sichergehen wollen, daß Sie sich keine Lungenentzündung geholt haben.«

Er bekam keine Antwort.

»Wie heißen Sie?« wiederholte Julia die Frage.

»Doris… Doris Willbrandt.« Sie stieß die Worte hervor, als bereiteten sie ihr körperliche Schmerzen.

»Wen sollen wir benachrichtigen, Frau Willbrandt?« fragte Adrian.

»Benachrichtigen?« fragte sie verwirrt.

»Ja, daß Sie hier sind«, erklärte er geduldig. »Ihre Eltern? Ihren Mann? Freunde? Sie werden doch sicher jemandem mitteilen wollen, daß Sie jetzt in einer Klinik sind. Außerdem macht man sich bestimmt bereits Sorgen um Sie.«

Es war, als lege sich ein Schatten über ihr Gesicht. Sie öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Julia Martensen und Adrian Winter warteten geduldig. Schließlich sagte Doris Willbrandt: »Ich wohne in Hamburg, Sie müssen niemanden benachrichtigen. Das würde nur für Unruhe sorgen. So schlecht geht es mir ja nicht. Ich wollte mir ein paar Tage Berlin ansehen und dann zurückfahren. Kein Grund, meine Familie zu beunruhigen.«

»Wie Sie wollen«, meinte Adrian nach kurzem Zögern. Kam es ihm nur so vor – oder reagierte sie tatsächlich erleichtert, als er das sagte?

»Gut«, sagte Julia energisch, »dann schlage ich vor, wir verlegen Frau Willbrandt auf die Innere, und danach sehen wir weiter. Allerdings müssen wir noch herausfinden, warum Sie bewußtlos geworden sind. Das können wir uns nämlich nach wie vor nicht erklären.«

Diesmal war es ganz eindeutig, daß die Patientin erschrak. Mit großen Augen fragte sie: »Was meinen Sie damit?«

»Nun, ein gesunder Mensch wird nicht einfach bewußtlos, wenn er auf einer Parkbank sitzt oder liegt«, erklärte Julia freundlich. »Es muß einen Grund dafür geben, und den sollten wir herausfinden, bevor wir Sie wieder entlassen, Frau Willbrandt.«

Die junge Frau preßte ganz fest die Lippen zusammen, dann fragte sie: »Und wie wollen Sie das herausfinden?«

»Wir werden ein CT machen – eine Computertomographie also. Das tut nicht weh. Vielleicht gibt es uns Aufschluß über das, was passiert ist.«

»Das möchte ich nicht«, erklärte die Patientin. »Dazu wird man doch in so eine Röhre geschoben, nicht?«

Beide Ärzte nickten.

»Ich habe Platzangst. Das will ich nicht!« wiederholte Doris Willbrand, diesmal mit allen Anzeichen von Panik in der Stimme.

»Beruhigen Sie sich bitte«, sagte Adrian Winter ruhig. »Wir werden Sie zu nichts zwingen, Frau Willbrandt. Wir dachten nur, daß wir Ihnen so vielleicht am besten helfen können.«

»Ich bin spätestens morgen wieder fit«, erklärte die junge Frau. »Ich war hungrig und müde, da hat mein Kreislauf schlapp gemacht – das ist alles. Lassen Sie mich nur ein bißchen schlafen und essen, dann sind Sie mich auch schon wieder los.«

»So eilig haben wir es gar nicht, Sie loszuwerden«, erklärte Adrian mit einem kleinen Lächeln. »Vor allem wollen wir, daß Sie wieder völlig gesund sind und nicht mehr an rätselhaften Ohnmachten leiden.«

Sie preßte die Lippen fest zusammen, erwiderte aber nichts mehr.

Julia und Adrian wechselten einen schnellen Blick, dann sagte Julia: »Ich bringe Sie jetzt zunächst einmal auf die Innere, Frau Willbrandt. Alles andere sehen wir später.«

Mit Adrians Hilfe schob sie die Liege aus der Kabine und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Adrians nachdenklicher Blick folgte den beiden. Irgend etwas stimmte hier nicht. Aber was?

*

Thomas Laufenberg, der neue Verwaltungsdirektor der Kurfürsten-Klinik, sah seine Mitarbeiterin Sabine Meyer fragend an. »Was soll das heißen?« erkundigte er sich stirnrunzelnd. Er war ein gutaussehender Mann von dreiundvierzig Jahren, mit braunen Haaren, die sich an den Schläfen bereits silbrig färbten. Ihm gefiel das nicht besonders, aber Frauen fanden es in der Regel äußerst interessant. Davon wußte er allerdings nichts, denn das hatte ihm noch keine gesagt.

Die junge Frau, die jetzt vor ihm stand, hatte noch nicht viel Berufserfahrung, und sie hatte außerdem Angst vor Thomas Laufenberg. Es gab dafür zwar keinen Grund, denn er war bisher immer freundlich zu ihr gewesen, aber sie fürchtete sich trotzdem. Er war immerhin ein »hohes Tier« an diese Krankenhaus, und sie hatte große Angst, schrecklich zu versagen und dann ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Sabine Meyer war eigentlich klug, aber die Angst zu versagen blockierte gelegentlich ihr Gehirn, was ein großer Jammer war. Thomas Laufenberg selbst wäre nie auf die Idee gekommen, daß sie Angst vor ihm hatte – er fragte sich deshalb manchmal, ob er sich vielleicht für die falsche Mitarbeiterin entschieden hatte. Aber sie hatte bei allen Tests hervorragend abgeschnitten…

Jetzt strich sie sich die schulterlangen braunen Haare aus dem Gesicht und sagte mit einer Stimme, die kaum wahrnehmbar zitterte: »Die Patientin wurde von der Notaufnahme in die Innere verlegt – sie war unterkühlt, und die Ärzte befürchteten, sie hätte sich vielleicht eine Lungenentzündung zugezogen.«

»Na, und?« fragte der Direktor, der allmählich ungeduldig wurde. »Das ist doch völlig in Ordnung, Frau Meyer. Ich kann kein Problem erkennen.«

Sabine Meyers Stimme zitterte heftiger, aber sie sprach tapfer weiter. »Wir haben von der Frau keine Adresse, keine Krankenversicherungsnummer, nichts…«

»Offenbar weiß sie die Antwort nicht – oder sie tut vielleicht auch nur so. Jedenfalls hat sie jetzt schon zweimal gesagt, daß sie sich an nichts erinnern kann. Oder sie hat andere Ausflüchte vorgebracht. Es war wohl schon schwierig, ihren Namen aus ihr herauszuholen, und deshalb weiß hier niemand etwas über sie, obwohl sie schon seit gestern vormittag hier ist. Und sie ist bei Bewußtsein, daran liegt es also nicht.«

Allmählich fing Thomas Laufenberg an, sich für diesen Fall zu interessieren. Es war zwar eigentlich nicht seine Aufgabe, sich um solche Einzelfälle zu kümmern – aber wenn er es nicht tat, dann tat es vermutlich niemand. Und er mußte es schaffen, dieses Krankenhaus neu und besser zu organisieren, sonst drohte der Kurfürsten-Klinik, wie anderen Häusern auch, Bettenabbau und vielleicht sogar noch schlimmeres.

»Wie heißt die Patientin?« fragte er knapp.

»Doris Willbrandt«, antwortete Sabine Meyer jetzt mit fester Stimme wie aus der Pistole geschossen. »Aber sie ist nicht aus Berlin, sie ist aus Hamburg. Sie hat hier nur einen Kurzurlaub gemacht.«

»Soso, das immerhin hat sie erzählt«, murmelte er. »Wer hat sie aufgenommen?«

»Dr. Winter.«

»Natürlich«, stöhnte Thomas Laufenberg. Das hatte ihm zu seinem Glück gerade noch gefehlt.

Dr. Adrian Winter gehörte zu denjenigen Ärzten der Kurfürsten-Klinik, die dem neuen Verwaltungsdirektor nach wie vor äußerst mißtrauisch, wenn nicht sogar mit versteckter Feindseligkeit gegenüberstanden. Thomas wußte eigentlich gar nicht, warum das so war, denn er bemühte sich wirklich nach Kräften, das medizinische Personal der Klinik in jeder Hinsicht zu unterstützen – aber es war ihm bisher nicht gelungen, Dr. Winter davon zu überzeugen, daß er auf seiner Seite stand und nicht etwa gegen ihn arbeitete.

Und nun also gab es einen Fall, der wieder für einen Zusammenstoß sorgen würde. Denn natürlich konnte es nicht akzeptiert werden, daß Patienten sich weigerten, ihre Personalien vollständig anzugeben. Und wenn Dr. Winter die Patientin aufgenommen hatte, dann mußte er auch dafür sorgen, daß alle notwendigen Informationen über sie vorlagen. Er brauchte sie ja nicht unbedingt selbst zu beschaffen, aber er mußte zumindest dafür sorgen, daß sich jemand um die Angelegenheit kümmerte.

»Geben Sie mir bitte die Unterlagen, ich werde mal sehen, was sich tun läßt«, sagte er und streckte seine Hand aus.

Sabine Meyer reichte ihm die schmale Mappe mit so sichtbarer Erleichterung, daß er unwillkürlich lächeln mußte. »Sie sind wohl froh, daß Sie die lästige Angelegenheit los sind, Frau Meyer, was?«

Sie nickte und floh aus seinem Zimmer, aber das merkte er schon nicht mehr, denn er hatte sich bereits in die spärlichen Informationen vertieft, die die Kurfürsten-Klinik bisher über die Patientin Doris Willbrandt hatte zusammentragen können.

*

Lukas Bromberger war nervös. Er war am Vortag erst sehr spät abends aus Frankfurt zurückgekehrt und hatte es deshalb nicht gewagt, Feli noch anzurufen, obwohl er sie zuvor mehrmals nicht erreicht hatte. Er wußte ja, daß sie eine Menge zu tun hatte, nicht nur mit ihrer Arbeit – sie war Innenarchitektin –, sondern jetzt auch mit den Vorbereitungen für die Hochzeit. Er konnte nicht erwarten, daß sie jederzeit erreichbar war. Sie schaltete ihr Handy oft ab, wenn sie ihre Ruhe haben wollte, obwohl er sie vor seiner Abreise gebeten hatte, das nicht zu tun. Er haßte Tage, an denen er Feli nicht sah, aber noch schlimmer wurden sie, wenn er nicht einmal mit ihr sprechen konnte.

Sein bester Freund Wolfgang Ostermann hatte ihm schon oft gesagt, daß er ihn zu besitzergreifend fand, und insgeheim gab Lukas ihm recht. Er versuchte sich auch immer wieder zusammenzunehmen, aber leider gelang ihm das häufig nicht. Und wenn dann noch eine Situation eintrat wie die jetzige – Feli war nicht zu Hause, sie war auf dem Handy nicht zu erreichen, und die Sekretärin ihres Chefs fragte sich ebenfalls schon, wo sie blieb –, in solchen Situationen fehlte nicht viel, um Lukas vollständig die Fassung verlieren zu lassen.

Er biß die Zähne zusammen und rief ihre Eltern an. »Hier ist Lukas«, meldete er sich, als er die Stimme von Felis Mutter hörte. Bevor er weitersprechen konnte, rief Marianne Markwart erleichtert: »Gott sei Dank, endlich meldet sich wenigstens einer von euch beiden mal, Lukas! Was ist denn in Feli gefahren, daß sie plötzlich von der Bildfläche verschwindet, wo wir so viel zu besprechen haben? Wo ist sie?«

In seinem Kopf rasten die Gedanken. Ihre Eltern haben also auch nichts von ihr gehört! Auf einmal bekam er es mit der Angst zu tun. Feli war kein Mensch, der einfach verschwand, ohne eine Nachricht zu hinterlassen – wieso war ihm das nicht gleich klargewesen? Aber er hatte ja wieder einmal nur an sich gedacht und sich geärgert, daß sie nicht erreichbar gewesen war, als er das Bedürfnis gehabt hatte, mit ihr zu sprechen. Was für ein dämlicher Egoist bin ich doch! dachte er, aber das half ihm natürlich auch nicht weiter.

»Lukas?« fragte Marianne Markwart beunruhigt. »Bist du noch dran?«

Er mußte ihr die Wahrheit sagen, alles andere hatte keinen Zweck. »Ja, bin ich. Entschuldige bitte, Marianne. Ich habe eigentlich bei euch angerufen, weil ich hoffte, daß Feli bei euch ist. Es ist nämlich so, daß ich sie von Frankfurt aus nicht erreicht habe – und seit ich zurück bin, erreiche ich sie auch nicht. Sie ist nicht zu Hause, im Büro ist man schon sauer, weil sie nicht auftaucht, und ihr Handy ist abgeschaltet.«

Für einige scheinbar endlose Sekunden war es totenstill in der Leitung. Dann fragte Felis Mutter mit völlig veränderter Stimme: »Was hat das zu bedeuten, Lukas?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete er, und die Verzweiflung, die er empfand, war seiner Stimme deutlich anzuhören. »Vielleicht gar nichts. Vielleicht hat sie einen wichtigen Termin und hat nur vergessen, im Büro Bescheid zu sagen. In zwei Stunden ist sie wieder da, ruft an und hat eine einleuchtende Erklärung. Und wir haben uns ganz umsonst Gedanken gemacht.«

»Aber du glaubst nicht, daß es so ist.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Stimmt«, gab er zu. »Ich glaube nicht daran. Aber bevor wir uns verrückt machen, rufen wir zuerst noch ein paar Leute an, die wissen könnten, wo sie ist. Vielleicht hat sie auch plötzlich schreckliche Angst vor der Hochzeit bekommen und heult sich bei einer Freundin aus.«

»Daran glaubst du auch nicht«, sagte Marianne Markwart. »Und ich tue es genausowenig. Wenn ihr nur nichts passiert ist, Lukas. Das alles sieht ihr gar nicht ähnlich – einfach zu verschwinden, meine ich.«

»Ich weiß.« Seine Stimme klang rauh, und er räusperte sich, als es ihm auffiel. »Ich weiß«, wiederholte er, »aber laß uns Ruhe bewahren. Ich werde jetzt ein paar Telefonate führen und wenn niemand etwas von ihr gehört hat, überlegen wir, wie wir weiter vorgehen.«

»Ich werde Gerd noch nichts sagen«, meinte sie ängstlich.

»Das würde ich auch nicht tun an deiner Stelle, das würde seinem Herzen sicher nicht gut bekommen«, sagte Lukas mit erzwungener Ruhe. »Wenn dir noch jemand einfällt, bei dem sie sein könnte, dann ruf bitte dort an. In einer halben Stunde spätestens melde ich mich wieder bei dir.«

»Ist gut, Lukas.« Er hörte die Tränen in ihrer Stimme und legte rasch auf. Es fiel ihm auch so schon schwer genug, sich zu beherrschen. Eine weinende Schwiegermutter konnte er jetzt nicht gebrauchen.

Er griff zu einem Block und fing an, ihn mit Namen von Personen zu füllen, bei denen sich Feli eventuell aufhalten könnte. Aber plötzlich hielt er inne. Das war doch alles Unsinn! Es war Mittwochnachmittag, da arbeiteten fast alle Leute, die sie kannten. Wenn Feli irgendwo war, dann mußte es mit ihrem Beruf zusammenhängen. Seufzend griff er zum Telefon, um erneut in dem Architekturbüro anzurufen, in dem Feli seit einem Jahr arbeitete.

*

»Bitte, Frau Willbrandt, sagen Sie mir jetzt, wo Sie versichert sind. Und dann brauchen wir noch Ihre Adresse in Hamburg. Es ist doch auch in Ihrem Interesse, daß die Formalitäten möglichst schnell geregelt werden.«

Sie wandte der Schwester ihr Gesicht zu und gab ihr mit klarer Stimme Auskunft. Die Überraschung war der anderen deutlich anzusehen. Sie hatte offenbar erneut damit gerechnet, keine Auskunft zu bekommen. Eifrig schrieb die junge Schwester alles auf, was sie ihr diktierte, und dann verließ sie sehr zufrieden das Zimmer.

Das war’s also. Erleichtert sah sie ihr nach. Sie war froh, wieder allein zu sein. Es gab soviel, worüber sie nachdenken mußte. Dieser Krankenhausaufenthalt war in ihrem Plan nicht vorgesehen gewesen, aber jetzt mußte sie eben sehen, wie sie mit der Situation zurechtkam.

Ihr war in der vergangenen Nacht einiges klargeworden, und deshalb hatte sie beschlossen, diesmal auf die Fragen Antwort zu geben. Es war nicht in ihrem Interesse, in dieser Klinik besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Im Gegenteil. Und zum Glück ging es ihr bereits bedeutend besser. Von einer Lungenentzündung war nicht mehr die Rede, man würde sie ohnehin bald entlassen. Sie würde mit Frau Dr. Martensen heute darüber reden. Die resolute Ärztin, die gerade Dienst in der Notaufnahme hatte, nahm sich die Zeit, immer mal wieder bei ihr vorbeizukommen und sie zu fragen, wie es ihr ging.

Als hätte sie geahnt, was die junge Frau gerade dachte, betrat Dr. Julia Martensen das Zimmer genau in diesem Augenblick. »Nun, Frau Willbrandt?« fragte sie freundlich. »Wie fühlen Sie sich jetzt?«

»Ganz gut«, antwortete sie, und das entsprach sogar der Wahrheit.

Die Ärztin nickte, fuhr aber fort, sie prüfend anzusehen. Das war sehr unangenehm, am liebsten hätte sie sich versteckt, doch das ließ sich natürlich nicht machen.

»Ich bin froh darüber«, sagte Dr. Martensen schließlich. »Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht, aber das wissen Sie ja schon. In einigen Tagen werden Sie sich wieder ganz gesund fühlen, hoffe ich. Aber ich möchte noch über etwas mit Ihnen reden.«

Sie konnte sich schon denken, worüber, aber ihr Gesicht blieb völlig unbewegt.

»Warum wollen Sie nicht, daß wir ein CT machen?« fragte die Ärztin ruhig. »Es geschieht doch auch zu Ihrer eigenen Sicherheit. Man wird nicht einfach aus heiterem Himmel ohnmächtig, Frau Willbrandt. Es ist wichtig, der Sache auf den Grund zu gehen, glauben Sie mir das.«

Sie nickte. Auch über dieses Problem hatte sie in der vergangenen Nacht nachgedacht. »Ich bin einverstanden«, sagte sie leise. »Aber frühestens morgen. Ich… also, ich brauche noch etwas Zeit, bevor ich mich freiwillig in so eine Röhre begebe.«

»Ich verstehe, daß einem der Gedanke daran unangenehm sein kann«, sagte Julia Martensen ruhig. »Aber Sie können Musik hören während der Zeit oder sich auf andere Weise ablenken. Es ist gar nicht so schlimm, wenn man sich erst einmal klarmacht, wie wichtig die Erkenntnisse sind, die eine solche Aufnahme bringen kann.«

»Ist mir klar.« Ihre Stimme klang gelassen, und das war gut so. Nur nichts von dem durchblicken lassen, was in ihr vorging.

»Dann sind wir uns ja einig. Ich bin froh, daß Sie sich nun doch dazu entschlossen haben, Frau Willbrandt. Bis morgen, ich sehe wieder nach Ihnen.«

»Bis morgen.«

Als sie wieder allein war, schloß sie die Augen. Wenn jetzt noch jemand kommt, wollte sie nicht mehr reden. Sollten sie denken, daß sie schlief – das war ihr recht. Sie hatte genug gesagt. Mehr als genug.

Tränen wollten ihr in die Augen steigen, aber sie hielt sie mit Gewalt zurück. Sie würde jetzt nicht weinen, nein, das würde sie ganz bestimmt nicht tun.

*

»Wir bekommen Besuch, Adrian!« Es war Dr. Bernd Schäfer, Assistenzarzt der Chirurgie, der diesen Satz flüsterte. Er tat es gerade noch rechtzeitig, um Adrian die Gelegenheit zu geben, die Augen unwillig zusammenzukneifen und zu knurren: »Was will der denn hier?«

Die Rede war von Thomas Laufenberg, dem Verwaltungsdirektor, der sich gerade höchstpersönlich in der Notaufnahme blicken ließ. Ein seltener Besuch, obwohl sich »der Neue«, wie selbst Adrian zugeben mußte, seit seinem Amtsantritt vor etlichen Wochen schon öfter hier hatte sehen lassen als sein Vorgänger während mehrerer Jahre. Doch das reichte nicht, um Adrians Urteil über Thomas Laufenberg günstig zu beeinflussen. Für ihn war Laufenberg ein Paragraphenreiter, der nichts anderes im Sinn hatte, als den Ärzten an der Kurfürsten-Klinik das Leben schwerzumachen.

Es gab mittlerweile etliche Kollegen, die mit Thomas Laufenberg sehr zufrieden waren – zu diesen gehörte auch Julia Martensen. Sie mied jedoch dieses Thema, wenn Adrian und sie zusammen Dienst hatten. Es war sinnlos, darüber mit ihm zu diskutieren, er konnte außerordentlich stur sein, wenn er einmal von etwas überzeugt war. Es würde ein Wunder geschehen müssen, um ihn dazu zu bringen, seine Meinung zu revidieren.

Bernd Schäfer hatte sich noch nicht entschieden, was er vom neuen Verwaltungsdirektor halten sollte. Er bewunderte Adrian sehr und schloß sich schon aus diesem Grund gelegentlich unbesehen dessen Meinung an. In diesem Fall aber hatte er eine vage Ahnung, daß sich der sonst so verehrte Notaufnahmechef vielleicht irrte.

Aber, wie gesagt, ganz entschieden war der junge Arzt noch nicht. Er brachte seine beachtlich vielen Pfunde jetzt eilig in Sicherheit – bei einer Auseinandersetzung zwischen Adrian Winter und Thomas Laufenberg wollte er nicht unbedingt in die Schußlinie geraten. Und zu einer Auseinandersetzung würde es sicher kommen, dachte er. Es wäre schließlich nicht das erste Mal.

Adrian machte eine spöttische Verbeugung. »Wir fühlen uns geehrt durch diesen hohen Besuch«, sagte er. Nichts an seinem gut geschnittenen Gesicht ließ erkennen, daß er normalerweise die Freundlichkeit in Person war. Jetzt blickten sogar seine sonst so warmen braunen Augen kühl.

»Nicht nötig«, gab Thomas Laufenberg nicht minder kühl zurück. Er begann sich schon wieder über den anderen zu ärgern. Was wollte dieser Dr. Winter eigentlich von ihm? Konnte man diese kindischen Kämpfe nicht einfach sein lassen und gemeinsam daran arbeiten, daß das, was verbesserungsbedürftig an der Kurfürsten-Klinik war, tatsächlich besser wurde? Das konnte doch eigentlich nicht so schwer sein.

»Ich bin wegen Frau Willbrandt hier«, fuhr er fort. »Außer ihrem Namen wissen wir offenbar nichts von ihr, und da Sie sie aufgenommen haben, Herr Dr. Winter…«

»… bin ich natürlich auch dafür verantwortlich, daß ihre Personalangaben vollständig vorliegen«, unterbrach ihn Adrian. »Wir haben auch noch andere Dinge zu tun, als Patienten, die durcheinander sind, ständig nach ihrer Krankenversicherungsnummer zu fragen, Herr Laufenberg.«

»Durchaus verständlich«, meinte der Verwaltungsdirektor. »Zufällig ist es so, daß wir in der Verwaltung ebenfalls noch andere Dinge zu tun haben, als hinter Informationen herzulaufen, die uns eigentlich selbstverständlich von den Stationen oder den Patienten bei der Aufnahme direkt geliefert werden sollten.«

Adrian biß sich auf die Lippen, um eine überaus heftige Antwort zu unterdrücken. »Frau Willbrandt hat die Angaben heute morgen gemacht. Die Akten sind schon auf dem Weg zu Ihnen. War das dann alles?«

Er machte Anstalten, sich umzudrehen und einfach wegzugehen, aber Thomas kam ihm zuvor. »Nein, das war es nicht«, sagte er schärfer als beabsichtigt.

Adrian zog die Augenbrauen hoch und wartete, ohne ein Wort zu sagen.

»Ich wußte ja nicht«, fuhr Thomas bissig fort, »daß mittlerweile das Gedächtnis der Patientin zurückgekehrt ist. Und deshalb habe ich mir die Mühe gemacht, ein wenig nachzuforschen. Es gibt keine Doris Willbrandt in Hamburg.«

Adrian starrte ihn an. »Woher wissen Sie das?«

»Aus dem Internet. In Hamburg wohnen mehrere Leute, die Willbrandt heißen, aber niemand mit dem Vornamen Doris«, gab der Verwaltungsdirektor zurück.

»Vielleicht hat sie kein Telefon. Oder sie wohnt bei ihren Eltern und ist nicht eigens aufgeführt«, entgegnete Adrian. »Vielleicht ist sie auch verheiratet, und nur ihr Mann ist namentlich aufgeführt. Auch das Internet ist nicht unfehlbar.«

»Sicher nicht«, gab Thomas Laufenberg mit erzwungener Freundlichkeit zu. Seine Augen blickten weiterhin kühl. »Aber es ist immerhin denkbar, daß Frau Willbrandt falsche Angaben gemacht hat, und ich erwarte von Ihnen, daß Sie dieser Information nachgehen. Ich meine damit nicht Sie persönlich – es ist mir völlig egal, wer sich darum kümmert, aber ich werde es nicht mehr sein. Wenn Sie jetzt alle anderen Angaben von ihr haben, dann wird es ja nicht allzu schwierig sein, sich mit ihrer Versicherung in Verbindung zu setzen. Ich warte also darauf, von Ihnen zu hören. Auf Wiedersehen, Herr Dr. Winter.« Er drehte sich um und ging ohne ein weitere Wort davon.

Adrian mußte an sich halten, um nicht laut zu fluchen. »Was bildet der sich eigentlich ein?« schimpfte er leise vor sich hin. »Ich bin doch nicht da, um die Verwaltung zu entlasten. Brauche ich etwa die Versicherungsnummer von unserer Patientin – oder braucht er sie?«

»Adrian, reg dich ab«, sagte Bernd Schäfer. Er hatte sich nicht ein Wort der Auseinandersetzung entgehen lassen, war aber froh gewesen, daß er sich unsichtbar gemacht hatte. »Der Mann hat recht: Ein Telefonat mit ihrer Versicherung, und die Sache ist geklärt. Wenn du willst, rufe ich dort an.«

Das brachte Adrian Winter schlagartig wieder auf den Boden der Tatsachen. »Danke, Bernd, aber das mache ich schon selbst. Ich weiß auch nicht, warum mich dieser Laufenberg immer so aufregt. Aber etwas an seiner Art geht mir einfach auf die Nerven.«

»Darüber kannst du nachdenken, wenn du mal nichts anderes zu tun hast!« schlug Bernd Schäfer vor. »Und vielleicht solltest du dir ein etwas dickeres Fell anschaffen, dann wärst du gelassener.«

Freundschaftlich schlug Adrian ihm auf den runden Bauch. »So wie du, ja? Ich fürchte, Bernd, das ist für mich keine Lösung. Aber ich danke dir, daß du mir helfen wolltest. Ich ruf’ nachher bei dieser Versicherung an, und danach vergesse ich Thomas Laufenberg.«

»Vielleicht solltest du ihn nicht vergessen, sondern ihn statt dessen unvoreingenommen betrachten«, schlug Bernd vor. »Ich glaube nämlich, er ist gar nicht so übel, wie du denkst.«

Adrian Winter sah ihn mit einem langen Blick an. »Du also auch?« fragte er. »Julia ist ja schon längst auf seiner Seite.«

Bernd schüttelte verzweifelt den Kopf. »Was ich nicht verstehe, Adrian, ist folgendes: Warum gehst du davon aus, daß ihr beide auf verschiedenen Seiten steht? Verfolgt ihr denn nicht die gleichen Interessen – nämlich, daß diese Klinik so gut funktioniert wie irgend möglich?«

»Das habe ich doch schon mal irgendwo gehört!« murmelte Adrian und tat so, als würde er heftig nachdenken. Dann rief er voll gespielter Überraschung: »Ja, jetzt fällt’s mir auch ein, wo! Es war der neue Verwaltungsdirektor höchstpersönlich, der genau das gleiche gesagt hat!«

»Ich geb’s auf!« sagte Bernd seufzend. »Du willst ihn nicht mögen, so ist das nämlich.«

Sie kamen nicht dazu, ihre Unterhaltung fortzusetzen, weil ein junger Mann gebracht wurde, der mit seinem Motorrad von der Straße abgekommen war und sich auf einer Wiese mehrfach überschlagen hatte.

Adrian war insgeheim froh, daß er nicht länger über Thomas Laufenberg reden mußte, denn er hatte den schrecklichen Verdacht, daß Bernd Schäfer vielleicht recht hatte mit seiner Ansicht, und er fühlte sich noch längst nicht imstande, das zuzugeben.

*

Feli war nirgends aufzutreiben. Niemand hatte sie gesehen, niemand hatte mit ihr gesprochen an dem Tag, als Lukas in Frankfurt gewesen war – und danach auch nicht. Außerdem war niemandem an den Tagen davor etwas Besonderes an ihr aufgefallen, auch Lukas nicht, wie er sich selbst eingestehen mußte. Er zerbrach sich den Kopf, ob er irgend etwas übersehen haben könnte, aber ihm fiel nichts ein. Feli war wie immer gewesen. Es hätte keinerlei Irritation gegeben.

Je mehr Lukas telefonierte, desto nervöser wurde er, und desto mehr verdichtete sich die Ahnung, daß tatsächlich etwas passiert sein mußte. Feli war wie vom Erdboden verschwunden, und irgendwann kam der Zeitpunkt, wo es unmöglich war, sich mit harmlosen Erklärungen zu beruhigen.

»Wir müssen die Polizei verständigen«, sagte Lukas am späten Nachmittag zu Marianne und Gerd Markwart. Er war vor wenigen Minuten bei seinen zukünftigen Schwiegereltern eingetroffen, um mit ihnen zu besprechen, was als nächstes unternommen werden sollte.

Felis Vater war sehr blaß, er hatte bereits Medikamente für sein Herz eingenommen. Aufregung war Gift für ihn, aber es war nicht möglich gewesen, die Tatsache, daß seine Tochter verschwunden war, noch länger vor ihm geheimzuhalten.

»Wirklich, ich sehe keine andere Möglichkeit mehr«, fuhr Lukas eindringlich fort. »Wir haben alles versucht, ohne Erfolg. Wenn ich das richtig sehe, habe ich vorgestern abend zum letzten Mal mit ihr telefoniert. Gestern war ich in Frankfurt und habe sie nicht erreicht, heute ebenfalls nicht. Ich habe niemanden gefunden, der nach vorgestern abend noch Kontakt mit ihr hatte.«

»Ich verstehe das alles nicht«, sagte Gerd Markwart mühsam. Er war ein großer, schlanker Mann mit grauem Haar und dunklen Augen, in denen jetzt die Angst zu lesen war, die er um seine Tochter hatte. Er war so nervös, daß er nicht ruhig sitzenbleiben konnte. Unablässig wanderte er in dem großen Zimmer umher, den Rücken leicht gebeugt.

»Kein Mensch kann einfach so verschwinden, Lukas«, fuhr Gerd Markwart fort. »Wenn wir auch nur geahnt hätten, daß du sie gestern gar nicht erreicht hast…«

»Das hilft uns jetzt nicht weiter, Gerd.« Lukas unterbrach seinen zukünftigen Schwiegervater, so höflich er konnte. »Feli ist weg – daran gibt es keinen Zweifel mehr. Ihre Kollegen im Büro haben geschworen, daß sie keinen auswärtigen Termin hatte. Und sie halten es für ausgeschlossen, daß sie einen Termin hatte, von dem niemand anders etwas wußte. Es war sogar so, daß für heute vormittag eine wichtige Besprechung angesetzt war – und diese Besprechung war auch in Felis Terminkalender eingetragen. Ich habe die Eintragung mit eigenen Augen gesehen. Und ich bin auch in ihrer Wohnung gewesen. Dort sieht es so aus wie immer, man denkt, sie müsse jeden Augenblick zur Tür hereinkommen. Es muß also etwas passiert sein.«

»Laß uns die Polizei verständigen, Gerd«, bat Marianne Markwart mit zitternder Stimme. »Damit wir wenigstens das Gefühl haben, etwas zu tun. Es macht mich ganz krank, hier zu sitzen und zu warten.«

Lukas nickte ihr dankbar zu. »Ganz meine Meinung, Marianne. Soll ich allein gehen, oder wollt ihr mich begleiten?«

»Wir kommen mit«, entschied Gerd Markwart, und seine Frau nickte.

»Gut, dann laßt uns bitte sofort gehen«, erwiderte Lukas und sprang auf. »Je eher etwas unternommen wird, desto besser!«

Eine Viertelstunde später erschienen sie auf einem Polizeirevier und gaben Felis Verschwinden zu Protokoll.

*

»Ja, ganz richtig!« Adrian Winter verzog das Gesicht, aber das konnte die Dame am anderen Ende der Leitung nicht sehen. Sie machte ihn wahnsinnig mit ihrer überaus gründlichen Art und den ständigen Nachfragen. Er hatte sich nach Doris Willbrandt erkundigt, und sie hatte sich zunächst mehrfach rückversichert, daß er überhaupt das Recht hatte, sie um Auskünfte zu bitten. Aber offenbar war es ihm jetzt gelungen, sie zu überzeugen, daß er tatsächlich Arzt an einer renommierten Berliner Klinik sei, denn sie schien nun doch geneigt zu sein, ihm zu helfen.

»Wie heißt Ihre Patientin?«

»Doris Willbrandt!« sagte er und unterdrückte einen Seufzer. Das hatte er ihr bestimmt schon dreimal gesagt. Er wiederholte auch noch einmal ihre Adresse und ihre Versicherungsnummer und wartete.

Diesmal kam die Antwort erstaunlich schnell. »Da muß ein Irrtum vorliegen, Herr Dr. Winter. Eine Doris Willbrandt ist bei uns nicht versichert. Und die Versicherungsnummer kann ohnehin nicht stimmen – die ist auf keinen Fall von uns.«

»Was heißt das?« fragte er. Tief unten in seinem Magen fühlte er Übelkeit aufsteigen. Wenn Thomas Laufenberg recht hatte mit seiner Vermutung, daß die Patientin falsche Angaben gemacht hatte…

»Sie hat zwei Stellen zu wenig – unsere Nummern sind neunstellig«, erklärte sie ihm freundlich. »Ich fürchte also, ich kann Ihnen nicht helfen. Vielleicht liegt eine Verwechslung vor?«

»Wahrscheinlich«, murmelte er. »Vielen Dank für Ihre Mühe. Auf Wiederhören.« Er legte hastig auf und erinnerte sich plötzlich wieder sehr deutlich daran, daß er von Anfang an das Gefühl gehabt hatte, mit Frau Willbrandt würde etwas nicht stimmen. Er würde sie fragen müssen, warum sie falsche Angaben gemacht hatte. Normalerweise wäre das nicht tragisch gewesen, so etwas kam immer mal wieder vor. Aber in diesem ganz besonderen Fall paßte es ihm nicht – und der Grund dafür war der neue Verwaltungsdirektor.

Er schüttelte den Kopf über sich, als er sich bei diesem Gedanken ertappte. Sonst benahm er sich doch eigentlich nicht so kindisch. Es wäre wirklich besser, sich mit dem Mann endlich zu arrangieren, die meisten anderen taten es schließlich auch. Und einige schätzten Thomas Laufenberg sogar – er mußte also auch seine Qualitäten haben, wenn ihm selbst diese bisher auch verborgen geblieben waren.

»Probleme?« fragte dann eine freundliche Männerstimme, und Adrian sah auf.

»Hallo, Werner. Ja, könnte man so sagen.«

»Erzähl sie mir, vielleicht kann ich dir helfen. Zufällig habe ich gerade ein paar freie Minuten, bevor ich den nächsten Patienten in Tiefschlaf versetzen darf. Oder möchtest du lieber allein sein und weiter grübeln?«

Adrian erwiderte das Lächeln seines Kollegen Werner Roloff und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich war gerade in Gedanken so weit, mir einzugestehen, daß ich mich wie ein Idiot benehme.«

»Hört sich interessant an«, meinte Werner Roloff. »Also?«

Adrian erstattete kurz Bericht. Werner Roloff hörte ihm aufmerksam zu. Er war viel älter als Adrian, aber trotz des Altersunterschieds war das Verhältnis der beiden fast freundschaftlich. Werner Roloff war Anästhesist, und schon oft war Adrian froh gewesen, den erfahrenen Kollegen an seiner Seite zu haben.

Auch jetzt erleichterte es ihn, über Doris Willbrandt und den neuen Verwaltungsdirektor zu reden, denn er wußte, daß alles, was er sagte, bei Werner Roloff gut aufgehoben war.

Als er geendet hatte, fuhr sich der andere mit beiden Händen durch die wilde graue Mähne, die so etwas wie sein Markenzeichen war. Außerdem war der Anästhesist sehr groß und überschlank – in jeder Hinsicht eine auffallende Erscheinung. Er richtete seine freundlichen braunen Augen auf Adrian und sagte milde: »Was ist los mit dir, Adrian? Du bist doch sonst ein so besonnener und ruhiger Mann! Was regt dich an Thomas Laufenberg so auf? Denn eigentlich regst du dich ja über ihn auf und nicht etwa darüber, daß die Patientin falsche Angaben gemacht hat, oder?«

Daß er so schnell durchschaut worden war, versetzte Adrian in Verlegenheit. »Ja, wahrscheinlich hast du recht«, gab er zu. »Aber der Kerl geht mir einfach auf die Nerven.«

Werner Roloff konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Wenn eine Frau im Spiel wäre, würde ich sagen, du bist eifersüchtig, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Aber vielleicht ist es so, daß ihr euch ziemlich ähnlich seid, Tom Laufenberg und du.«

»Tom?« fragte Adrian fassungslos und auch ein wenig gekränkt. »Ihr scheint euch ja bereits gut zu kennen.«

»Stimmt, und ich finde ihn außerordentlich sympathisch. Genau wie dich.«

Die Nachricht, daß sich der von ihm so sehr geschätzte Kollege Roloff mit dem neuen Verwaltungsdirektor angefreundet hatte, mußte Adrian erst einmal verdauen. Eine ganze Zeitlang sagte er kein Wort, und sein Kollege ließ ihn in Ruhe nachdenken. Um Werner Roloffs Lippen spielte noch immer ein kleines Lächeln.

Schließlich fragte Adrian, wobei er sich bemühte, nicht durchklingen zu lassen, daß ihn die Worte des anderen getroffen hatten: »Und wieso sind wir uns ähnlich?«

»Oh, ihr seid beide absolute Perfektionisten, geht in eurer Arbeit auf, sucht immer nach einem Weg, etwas noch besser zu machen. Fehler ertragt ihr schlecht, weder bei euch selbst noch bei anderen – das macht euch manchmal ein bißchen unduldsam. Aber auf eurem jeweiligen Gebiet seid ihr Spitzenklasse.«

Jetzt war Adrian sprachlos. Das waren so viele Komplimente auf einmal gewesen, daß er darüber fast vergessen hatte, daß sie nicht nur ihm, sondern auch Thomas Laufenberg galten. »Du übertreibst aber«, entgegnete er schließlich matt.

»Tue ich nicht, aber ich sehe schon, daß du noch eine Weile brauchst, bis du dich von deinen Vorurteilen gegenüber unserem Verwaltungsdirektor befreien kannst. Das macht auch nichts, er bleibt bestimmt lange genug hier, daß ich das noch erlebe. Und was die Geschichte mit deiner Patientin angeht: Das kommt doch öfter vor, wo ist das Problem? Geh zu ihr, sag ihr auf den Kopf zu, daß sie gelogen hat, und sieh zu, daß sie endlich die Wahrheit sagt. Vermutlich verbirgt sich ein privates Drama dahinter, das ist doch meistens so. Niemand lügt ohne Grund.«

Das war wieder einmal typisch für Werner Roloff. Er ging immer vom Guten im Menschen aus, das machte ihn ja so liebenswert. Adrian entspannte sich endlich. »Danke, Werner. Es war gut, daß ich mir dir reden konnte. Und wahrscheinlich hast du mit allem recht, was du gesagt hast. Ich werde versuchen, es mir zu Herzen zu nehmen.«

Der Anästhesist stand auf. »Mehr habe ich auch nicht zu hoffen gewagt, Adrian. Ich muß wieder los. Bis später!«

»Bis später. Und nochmals vielen Dank.«

»Das nächste Mal gibst du mir einen guten Rat, dann sind wir wieder quitt!«

*

Schwungvoll betrat Dr. Julia Martensen Doris Willbrandts Zimmer, um sie zum Computertomographen zu begleiten. Dann blieb sie stehen und sah erstaunt auf das leere Bett. »Nanu?« sagte sie laut und ging zurück auf den Flur, in der Erwartung, die Patientin dort zu finden. Doch das war ein Irrtum.

Julias Erstaunen wuchs, denn bisher hatte Doris Willbrandt ihr Zimmer noch nicht ein einziges Mal verlassen. Es mußte ihr also deutlich bessergehen, wenn sie auf einmal größere Spaziergänge innerhalb der Klinik unternahm.

»Haben Sie Frau Willbrandt gesehen?« fragte sie eine der vorübereilenden Schwestern. »Sie ist nicht in ihrem Zimmer.«

Die Schwester blieb stehen, sah Julia an, betrat das Zimmer, sah das leere Bett und schüttelte den Kopf. Mit zwei schnellen Schritten ging sie zum Schrank und öffnete ihn. »Ihre Sachen sind weg«, stellte sie fest. »Viel war es ja nicht, aber alles, was sie hatte, ist weg. Die ist abgehauen, Frau Dr. Martensen!«

Das konnte und wollte Julia nicht glauben, und so sah auch sie in den Schrank, aber die Schwester hatte recht: Er war leer. Rasch ging sie zu dem kleinen Nachtschränkchen, doch als sie die Schubladen aufzog, sagte die Schwester: »Da hatte sie sowieso nichts drin. Die Sachen, die sie anhatte, hingen im Schrank – mehr gab es nicht. Außer dem Schlüssel, den sie an einer Kette um den Hals trug.«

»Aber sie kann doch nicht so einfach weggegangen sein!« sagte Julia fassungslos. »Wir wollten ein CT machen lassen heute, gestern hat sie endlich eingewilligt. Sie hat sich nämlich zuerst geweigert, weil sie Angst vor der Untersuchung hatte.«

»Sie war sowieso etwas komisch«, stellte die Schwester fest. »Sie war nett, aber sie hat kaum geredet und wollte immer allein sein. Wenn ich ehrlich sein soll: Ich hab’ geahnt, daß sie sowas vorhat!« Sie verließ das Zimmer wieder, da draußen auf dem Gang nach ihr gerufen wurde, bevor Julia sie fragen konnte, was zu dieser Ahnung Anlaß gegeben hatte.

Die Ärztin fühlte sich wie betäubt. Was hatte das zu bedeuten? Aber vielleicht irrte sich die Schwester auch. Es wurde immer viel geredet, und wenn etwas passierte, dann gab es stets jemanden, der behauptete, es vorher geahnt zu haben. Sie beschloß, sich auf die Suche nach der Patientin zu machen.

Zwar setzte Julia ihre Suche noch eine ganze Weile fort, doch tief im Inneren wußte sie bereits, daß die Schwester recht gehabt hatte: Die Patientin hatte die Klinik verlassen, ohne jemandem etwas davon zu sagen.

*

»Du mußt keine Angst haben, Patrick«, sagte Dr. Adrian Winter freundlich zu dem kleinen Jungen, der weinend auf dem Schoß seiner Mutter saß. Er hatte seine Hand an einer Autotür eingeklemmt und schlimme Quetschungen davongetragen. Ganz blaß war er, und ihm war schlecht vor Schmerzen.

»Wir spielen jetzt ein kleines Spiel«, sagte Adrian. »Und das geht so: Du zählst ganz langsam bis zehn, und wenn du bei zehn angekommen bist und deine Hand nicht mehr weh tut, dann haben wir beide gewonnen, und jeder von uns bekommt ein dickes Stück Schokolade. Wie findest du das?«

Der Kleine weinte immer noch, aber in seinen Augen glomm Interesse auf. Er sah Adrian an, und dieser sprach rasch weiter. »Ich muß dich nur vorher ein kleines bißchen pieksen. Ungefähr so lange, wie es dauert, schnell von eins bis vier zu zählen. Sollen wir das mal versuchen?«

Der Junge nickte, und allmählich versiegten die Tränen.

»Wir zählen zusammen, Patrick – also los! Eins, zwei…«

Als der Junge merkte, daß er eine Spritze bekommen hatte, wollte er erneut anfangen zu weinen, doch Adrian sagte: »Nun fang an, bis zehn zu zählen! Ich will nämlich schrecklich gern Schokolade essen, aber das geht ja nur, wenn wir beide gewonnen haben!«

Gehorsam begann Patrick zu zählen, und Adrian lächelte der Mutter, die selbst ganz blaß vor Aufregung war, beruhigend zu. Das Schlimmste war überstanden. Gleich würden die Schmerzen nachlassen, und er konnte die Hand behandeln, ohne daß der Junge überhaupt etwas spüren würde. Er suchte nach der Schokolade, die er sich schon vorher in die Tasche seines Kittels gesteckt hatte.

»Zehn!« sagte Patrick, und seine Stimme klang längst nicht mehr so kläglich wie zuvor.

»Und? Spürst du noch was?« fragte Adrian.

»Nein!« Patrick schüttelte heftig den Kopf. »Krieg’ ich jetzt Schokolade?«

»Wir beide!« sagte Adrian, holte sie aus der Tasche und teilte sie auf, wobei der Junge ein großes Stück bekam, während er sich mit einem sehr kleinen begnügte. »Jetzt kümmern wir uns um deine Hand – und stell dir mal vor, du wirst gar nichts davon spüren. Das ist ein richtiges Wunder!«

Wunder fand Patrick interessant, und so beobachtete er tapfer, was der Arzt mit seiner Hand anstellte. Er würde es später in der Schule als Heldentat schildern – wie er, ohne zu weinen, die Behandlung des Arztes ertragen hatte. Langsam schmolz die köstliche Schokolade in seinem Mund, und auf einmal war es im Krankenhaus gar nicht mehr so schlimm.

»Vielen, vielen Dank, Herr Doktor!« sagte die Mutter, als sie sich von Adrian verabschiedete. »Ich weiß gar nicht, wie Sie das gemacht haben! Normalerweise hat er panische Angst vor Spritzen.«

»Ab jetzt vielleicht nicht mehr«, erwiderte Adrian lächelnd und winkte Patrick nach, der seine verbundene Hand stolz wie eine Jagdtrophäe vor sich hertrug.

Adrian streckte seine müden Glieder und beschloß, ein Glas Wasser zu trinken. Seine Kehle fühlte sich trocken an, und er hatte beschlossen, seinen Kaffeekonsum einzuschränken. Also Wasser – obwohl die Aussicht, wie er sich eingestand, nicht besonders verlockend war. Während der Gedanke an eine Tasse duftenden Kaffees…

»Kann ich dich einen Augenblick sprechen?« fragte eine seltsam gepreßt klingende Stimme hinter ihm.

Er drehte sich um und sagte erstaunt: »Julia! Du klingst, als sei etwas Schreckliches passiert.«

»Es ist etwas Schreckliches passiert«, erwiderte Julia mit unbewegtem Gesicht, und nun wandte er ihr seine volle Aufmerksamkeit zu. »Unsere Patientin Doris Willbrandt ist verschwunden.«

Er verstand die Tragweite dessen, was sie sagte, nicht sofort. »Was heißt das: Sie ist verschwunden? Was willst du damit sagen?«

»Sie hat das Krankenhaus verlassen, Adrian. Ihre Sachen sind weg, und sie ist auch weg.«

Er schluckte, dann sagte er müde: »Ich habe vorhin bei ihrer Versicherung angerufen, die kannten sie überhaupt nicht. Ihre Versicherungsnummer war falsch, und die Verwaltung hat herausgefunden, daß es in Hamburg gar keine Doris Willbrandt gibt.«

»Was?« fragte Julia entgeistert. »Davon wußte ich ja überhaupt nichts!«

»Herr Laufenberg war höchstpersönlich hier, um mir das mitzuteilen und mich aufzufordern, dieser Information gefälligst nachzugehen. Er deutete an, daß Frau Willbrandt insgesamt falsche Angaben gemacht haben könnte.«

»Damit hat er ja offenbar recht gehabt«, stellte Julia fest. Sie beruhigte sich allmählich. »Es ging Frau Willbrandt schon wieder besser, von daher müssen wir uns keine Sorgen machen. Nur das CT hätte ich gerne noch gemacht, um sicherzugehen, daß wirklich alles in Ordnung war.«

»Aber warum?« murmelte Adrian. »Ich verstehe das nicht, Julia. Warum lügt sie uns an und verschwindet dann auf einmal? Dafür muß es doch einen Grund geben!«

Julia hatte sich zwar zunächst sehr aufgeregt, aber schließlich nützte das niemandem, und so kehrte sie zu ihrer üblichen Gelassenheit zurück. »Sicher«, sagte sie nüchtern. »Sie hat ganz bestimmt einen Grund gehabt, sich so zu verhalten, wie sie es getan hat, aber wir werden ihn nie erfahren. Freiwillig kommt sie bestimmt nicht zurück. Das einzige, was wir jetzt noch tun müssen, ist, die Verwaltung zu informieren. Soll ich das übelnehmen?«

»Du bist heute schon der zweite Mensch, der mir anbietet, etwas Unangenehmes für mich zu übernehmen. Vielen Dank, Julia, aber wenn ich mich sehr anstrenge, dann schaffe ich es sicher, mit Herrn Direktor Laufenberg ein Gespräch zu führen, bei dem wir nicht sofort aufeinander losgehen.«

»Um so besser«, versetzte Julia lächelnd. »Aber bevor du das tust, haben wir noch eine Menge Arbeit. Das Wartezimmer ist voll!«

Sie sprachen nicht mehr über Doris Willbrandt, aber Adrian schaffte es nicht, die junge Frau völlig aus seinen Gedanken zu verbannen. Immer wieder fragte er sich, was wohl der Grund für ihr Handeln gewesen war. Doch so sehr er sich auch den Kopf darüber zerbrach, eine auch nur halbwegs vernünftige Erklärung wollte ihm nicht einfallen.

*

Feli war als vermißt gemeldet worden, und die Polizei hatte eine Fahndung eingeleitet. Felis Eltern hofften noch immer, daß ihre Tochter plötzlich wieder auftauchen werde, doch ihre Verzweiflung wuchs. Je länger Feli verschwunden blieb, desto unwahrscheinlicher wurde es, daß sie unvermutet zurückkehrte.

Auch Lukas Bromberger verlor allmählich das letzte Fünkchen Hoffnung auf eine ganz einfache Erklärung für das rätselhafte Verschwinden seiner Verlobten. Er war nervös und fahrig, konnte nachts nicht schlafen und fragte sich, wie er unter diesen Umständen imstande sein sollte, seiner Arbeit nachzugehen.

Müde stolperte der an diesem Morgen ins Bad, und erst nach einer eiskalten Dusche fühlte er sich ein bißchen besser. Er beschloß, richtig zu frühstücken und ein wenig später in die Agentur zu gehen. Er würde seine Kräfte noch brauchen in den nächsten Tagen. Er mußte sich vernünftig ernähren und versuchen, genug Schlaf zu bekommen. Wie er letzteres anstellen sollte, war ihm allerdings völlig unklar, aber seine Ernährung konnte er zumindest beeinflussen.

Also kaufte er sich frische Brötchen, bereitete sich außerdem ein Müsli zu und kochte sich Kräutertee statt Kaffee. Er zwang sich, langsam zu essen, und versuchte dabei nachzudenken. Flüchtig überflog er die Zeitung, aber er konnte sich nicht auf die Weltpolitik konzentrieren – jetzt, wo seine eigene kleine Welt gerade drohte, in Trümmer zu fallen.

Als er den Briefträger an den Kästen klappern hörte, stand er auf, um nachzusehen, ob etwas für ihn dabei war. In der Tat hatte er einen ganzen Stapel Post bekommen, den er durchsah, als er wieder am Frühstückstisch saß. Es schienen wieder einmal nur Rechnungen zu sein, dachte er, doch dann stieß er auf einen Brief, der anders aussah als die anderen – und im nächsten Augenblick erkannte er die runden Schriftzüge. Es war ein Brief von Feli. Er fühlte einen scharfen Stich in der Herzgegend, und dann fing sein Puls an zu rasen.

Fassungslos starrte er auf den Brief, sah sich den Poststempel an und riß den Umschlag dann hastig auf. Seine Augen überflogen den eng beschriebenen Bogen, und sein Gesichtsausdruck wurde immer ungläubiger. Mehrfach schüttelte er den Kopf, seine Lippen bewegten sich lautlos. Als er zuende gelesen hatte, ließ er den Brief sinken und starrte eine Weile ins Leere. Dann fing er erneut an zu lesen, als bestünde die Möglichkeit, daß er sich beim ersten Mal nur getäuscht habe.

Schließlich stand er auf, den Brief noch immer in der Hand haltend, und ging zum Fenster. Lange sah er nach draußen auf die Straße, ohne etwas wahrzunehmen. Wenn es stimmte, was sie geschrieben hatte, dann lag seine kleine Welt bereits in Trümmern – allerdings anders, als er bisher gedacht hatte.

*

Dr. Adrian Winter klopfte nur kurz, während er noch einmal tief durchatmete. Es war nicht gerade angenehm, was ihm jetzt bevorstand, aber er hatte schon schlimmere Situationen durchgestanden. Von drinnen hörte er: »Ja, bitte?« und öffnete die Tür.

»Kann ich Sie kurz sprechen, Herr Laufenberg?« Er zwang sich, seine Stimme völlig neutral klingen zu lassen.

Wenn der Verwaltungsdirektor über diesen Besuch erstaunt war, so ließ er sich jedenfalls nichts davon anmerken. »Sicher, Herr Dr. Winter, kommen Sie herein und nehmen Sie Platz.« Seine Stimme war freundlich, nichts erinnerte daran, daß es vor kurzem in der Notaufnahme zu einem unfreundlichen Wortwechsel zwischen ihnen gekommen war.

Adrian setzte sich und beschloß, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Was nützten alle Vorreden, wenn er schließlich doch zu unfreundlichen Kern kommen mußte? »Sie haben leider recht mit Ihrer Vermutung, daß die Patientin Doris Willbrandt uns gegenüber falsche Angaben gemacht hat.«

Der Verwaltungsdirektor war jetzt sehr aufmerksam. »Ihre Versicherungsnummer war falsch?«

Er wirkte nicht triumphierend, weil er recht behalten hatte, und Adrian rechnete ihm das insgeheim hoch an. »Die war falsch – und die Versicherung, die sie uns genannt hat, kannte niemanden mit dem Namen Doris Willbrandt.« Nach kurzer Pause setzte er hinzu: »Tut mir leid.«

Thomas Laufenberg schien es gar nicht zu hören. »Der Name ist wahrscheinlich auch falsch«, murmelte er vor sich hin.

Auf diese Idee war Adrian noch gar nicht gekommen. »Glauben Sie?« fragte er überrascht.

»Sie will doch offensichtlich nicht, daß man herausbekommt, wer sie ist – wozu sonst die Mühe mit den falschen Angaben? Und warum sollte sie ausgerechnet bei ihrem Namen die Wahrheit gesagt haben? Dann bestünde ja die Gefahr, sie vielleicht doch noch ausfindig zu machen.«

»Da ist was dran«, gab Adrian zu. »Die ganze Geschichte dieser Patientin ist rätselhaft – das war sie von Anfang an. Sie war ohne Bewußtsein, als sie gefunden wurde, und wir haben uns das mit ihrer Unterkühlung erklärt und damit, daß sie offenbar längere Zeit nichts zu sich genommen hatte. Aber ganz zufriedenstellend fand ich diese Erklärung von vornherein nicht.«

»Hatten Sie etwas anderes vermutet?« fragte Thomas Laufenberg.

»Vermutet wäre zuviel gesagt, aber wir wollten eine Computertomographie machen lassen, um ganz sicherzugehen, daß wir nichts übersehen haben. Sie hat sich geweigert. Angeblich hatte sie Platzangst, sie wollte nicht in eine Röhre geschoben werden.«

»Mhm. Sie wird nicht wieder auftauchen, denke ich. Glauben Sie, daß sie ernsthaft krank ist?«

»Das wäre möglich, und es würde zumindest einiges erklären. Allerdings frage ich mich immer noch, warum sie auf einer Parkbank gelegen hat. Und warum sie nichts gegessen und getrunken hat. Irgendwie paßt das alles nicht zusammen.« Adrian erhob sich. »Ich komme für die Kosten auf, das wollte ich Ihnen nur sagen.«

Überrascht hob der andere den Kopf. »Wie kommen Sie denn auf die Idee? Das kommt überhaupt nicht in Frage.«

Adrian lächelte ein wenig schief. »Ich möchte mir nicht nachsagen lassen, daß meine Nachlässigkeit bei der Beschaffung von Patientendaten dazu geführt hat, daß der Klinik ein Schaden entstanden ist.«

Thomas Laufenberg grinste auf einmal über das ganze Gesicht, und Adrian stellte zu seiner größten Überraschung fest, daß er aussah wie ein Junge, der gerade jemandem einen gelungenen Streich gespielt hat. »Gute Idee, Herr Dr. Winter. Ich glaube, das sollte ich allgemein einführen. Jeder haftet persönlich für die Fehler, die er macht. Innerhalb eines Jahres ist die Kurfürsten-Klinik eines der reichsten Krankenhäuser dieser Republik, das garantiere ich Ihnen. Gleichzeitig wird allerdings das Personal völlig verarmt sein.«

Er wurde wieder ernst. »Ich danke für Ihr Angebot, aber ich muß es ablehnen. So etwas kommt nun einmal vor, und es wird die Klinik nicht ruinieren, das können Sie mir glauben.«

Adrian biß sich auf die Lippen. Es paßte ihm nicht, daß der andere ihm gegenüber Großzügigkeit demonstrierte, aber er wollte das Gespräch nicht dadurch verlängern, daß er widersprach. Also nickte er nur kurz und sagte: »Wie Sie wollen. Auf Wiedersehen .«

»Auf Wiedersehen«, erwiderte Thomas Laufenberg freundlich.

Und was war das jetzt? fragte sich Adrian, als er zurück zur Notaufnahme eilte. Wieso war er jetzt stinkfreundlich, wo er doch vorher so den Direktor hatte raushängen lassen? Er wurde aus dem Mann nicht klug, aber zumindest konnte er ihm, was Doris Willbrandt betraf, keinen Vorwurf mehr machen. Er hatte sich fair verhalten, anders konnte man es nicht ausdrücken.

*

So, die Klinik hatte sie verlassen, niemand hatte sie aufgehalten. Das war also erst einmal geschafft. Nun mußte sie nur noch ihre Sachen aus dem Schließfach holen. Das Geld, das sie bei sich gehabt hatte, war natürlich weg – wahrscheinlich hatte es ihr jemand geklaut, als sie auf dieser Parkbank eingeschlafen war. Egal, sie hatte genug.

Sie fragte sich mittlerweile, warum sie ihre Sachen eigentlich in dieses Schließfach gebracht hatte, statt sich sofort ein Hotelzimmer zu suchen? In der Klinik hatte sie jede Menge Zeit zum Nachdenken gehabt, und da war ihr aufgefallen, wie dumm sie sich verhalten hatte. Kopflos war sie gewesen! Ohne richtig nachzudenken war sie aufgebrochen, und dann, als sie hier angekommen war, hatte sie zunächst einmal nicht weitergewußt.

Sie erinnerte sich daran, wie sie durch Berlins Straßen gelaufen war, stundenlang. Das Gepäck hatte sie deponiert, so hatte nichts sie behindert. Sie mußte viele Kilometer zurückgelegt haben, den Kopf voll wirrer Gedanken und so unglücklich wie niemals zuvor in ihrem Leben.

Unglücklich – ja, das war sie immer noch. Sie verbot sich jeden Gedanken an das, was sie zurückgelassen hatte. Denn wenn sie das tat, wenn sie anfing, sich zu erinnern, dann würde sie das, was sie sich vorgenommen hatte, nicht durchstehen.

Jetzt war es erst einmal wichtig, an ihre Sachen zu kommen, sich irgendwo umzuziehen und sich ein anständiges Hotel zu suchen. Und dann erst würde sie weitersehen. Sie hatte noch immer keinen Plan, aber zumindest würde sie nicht noch einmal so dumm sein, nichts zu essen und zu trinken und in einer kühlen Nacht auf einer Parkbank einzuschlafen.

Daran allein, dachte sie selbstkritisch, kann man sehen, wie durcheinander ich bin. Noch nie zuvor habe ich eine solche Dummheit gemacht. Ich muß vernünftig nachdenken und planen von jetzt an.

Sie hatte den Bahnhof erreicht und ging eilig auf die Schließfächer zu. Gleich darauf hatte sie ihre Reisetasche in der Hand und sah sich suchend um. Sie würde in eines der Cafés gehen und sich dort auf der Toilette umziehen. Und dann würde sie sich mit einem Taxi in eines der besten Hotels am Platze fahren lassen. Sie freute sich schon auf ein ausführliches Bad. Niemand würde ihr von nun an mehr Fragen nach Versicherungsnummern und Angehörigen stellen, die benachrichtigt werden sollten…

*

»Guten Morgen, Marianne«, sagte Lukas Bromberger mit belegter Stimme, als sich seine zukünftige Schwiegermutter am Telefon meldete. »Ich wollte nur hören, ob ihr beide zu Hause seid.«

»Ja, sicher«, antwortete sie hilflos. »Wo sollen wir sonst sein? Gerd ist krankgeschrieben, es geht ihm gar nicht gut. Gibt es etwas Neues?«

»Ja, deshalb rufe ich an. Kann ich gleich bei euch vorbeikommen? Ich möchte euch etwas zeigen.«

»Was denn, Lukas?« fragte Marianne Markwart ängstlich. »Etwas Schlimmes?«

»Wie man’s nimmt. Es ist ein Brief von Feli. Er ist heute morgen angekommen. Und sie schreibt, daß sie euch auch einen geschickt hat.«

»Einen Brief? Das heißt, es geht ihr gut? Sie ist nicht verletzt oder entführt oder…?«

»Nein, ist sie nicht«, antwortete Lukas hastig. »Habt ihr ihren Brief noch nicht bekommen?«

»Die Post war noch nicht da. Aber, Lukas…«

»Ich komme jetzt, ja? Alles andere besprechen wir dann.« Er legte rasch auf, rief in der Agentur an, daß er später kommen werde, und verließ die Wohnung.

Zehn Minuten später parkte er das Auto bereits vor dem Haus seiner Schwiegereltern. Marianne Markwart empfing ihn an der Haustür. Ihre sonst so rosigen Wangen waren diesmal blaß, und sie sagte mit seltsam ausdrucksloser Stimme: »Wir haben ihren Brief gerade gelesen. Als du aufgelegt hattest, kam der Briefträger.«

Er folgte ihr ins Haus und begrüßte Gerd Markwart wortlos, nur mit einem festen Händedruck.

Sie gingen ins Wohnzimmer und ließen sich in die großen weichen Sessel sinken. Lukas reichte seinen Schwiegereltern den Brief, den er bekommen hatte – und er nahm den in Empfang, den Feli ihnen geschrieben hatte. Sie lasen, und drückende Stille legte sich über den Raum. Schließlich landeten beide Briefe auf dem Tisch, der vor ihnen stand, und sie sahen einander an. Zunächst sprach niemand ein Wort.

Gerd Markwart war es schließlich, der das Schweigen brach: »Ich kann das nicht glauben, Lukas. Jemand muß sie gezwungen haben, das zu schreiben. Das kann nicht Felis freier Entschluß gewesen sein.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Lukas, der sich so elend fühlte wie noch nie in seinem Leben. »Wenn sie mich wirklich nicht liebt und keinen anderen Ausweg gesehen hat, als einfach wegzugehen, hier alles zu verlassen und…«

»Aber gerade das glaube ich nicht!« beharrte Felis Vater. »Sie hätte mit dir gesprochen oder mit uns! Sie wäre nicht einfach auf und davon gegangen wie eine Diebin! Du kennst Feli doch, sie sagt immer geradeheraus, was sie denkt. Sich bei Nacht und Nebel aus ihrem und unserem Leben wegzuschleichen, das paßt einfach nicht zu ihr.«

Gegen seinen Willen erwachte in Lukas erneut so etwas wie Hoffnung. Dabei hatte Feli ihm in ihrem Brief ganz klar geschrieben, daß ihre Gefühle für ihn nicht ausreichten, um ihr ganzes Leben mit ihm zu verbringen, und daß ihr das erst ganz allmählich bewußt geworden sei. Sie entschuldigte sich ausdrücklich für die Form ihres Abschieds, schrieb aber, sie hoffe, so sei es für alle Beteiligten am wenigsten schmerzhaft. Außerdem hatte sie noch darum gebeten, nicht nach ihr zu suchen. Sie gehe weit fort, schrieb sie, und werde erst zurückkehren, wenn die Gemüter sich wieder beruhigt hätten.

Gerd Markwart hatte recht: Es sah Feli nicht ähnlich, sich so zu verhalten. Sie war eine kluge junge Frau, die bisher nur sehr selten etwas Unüberlegtes getan hatte. Und sie war verantwortungsbewußt, sie ließ Menschen, die sie gern hatte, nicht einfach im Stich. Und selbst wenn es so war, daß sie ihn, Lukas, nicht liebte, so liebte sie doch ihre Eltern. Und sie mußte gewußt haben, was sie ihnen mit diesem Schritt antat.

Aber andererseits wirkten die Brief keinesfalls so, fand Lukas, als habe sie sie unter Druck geschrieben. Es war ihre Art, sich auszudrücken, ganz ohne Zweifel. Sie hatte am Schluß sogar versucht, einen kleinen Scherz zu machen. Tat das jemand, der gezwungen wurde, einen Brief zu schreiben? Er konnte es sich nicht vorstellen. Was aber steckte dann hinter den Briefen? Ihm fiel keine vernünftige Erklärung ein.

Marianne Markwart weinte still vor sich hin, aber sie sagte nichts. Auch ihr Mann verstummte jetzt. Er sah elend aus, und Lukas fragte sich unwillkürlich, ob Feli nicht an sein schwaches Herz gedacht hatte. Hatte sie vergessen, daß jegliche Aufregung für ihren Vater Gift war?

»Ich weiß nicht, was ich denken soll«, sagte Lukas in die Stille hinein. »Es ist ihre Schrift, es ist ihre Sprache – und dennoch habe ich das Gefühl, daß aus diesen Briefen ein Mensch spricht, den ich nicht kenne.«

»Du bist doch in ihrer Wohnung gewesen«, sagte Marianne Markwart jetzt schluchzend. »Sie muß doch etwas mitgekommen haben, wenn sie geplant hat wegzugehen. Aber du hast gesagt, es sah aus wie immer!«

»Ja«, erwiderte Lukas überrascht. »So war es auch. Ich habe nicht gezählt, ob ihre Kleidung vollständig war – das hätte ich sowieso nicht gekonnt, weil ich keinen genauen Überblick darüber habe. Aber nichts wirkte so, als hätte sie die Absicht, nicht wiederzukommen. Seid ihr denn nicht auch dort gewesen?«

Sie schüttelte den Kopf und fing erneut heftig an zu schluchzen. »Wir haben es nicht fertiggebracht«, sagte sie leise. »Du weißt, wie wichtig ihr ihre Wohnung ist, wir wollten dort nicht eindringen. So etwas tut man doch eigentlich nur, wenn… wenn…«

Das Telefon klingelte, und alle drei fuhren erschrocken zusammen. Gerd Markwart warf seiner Frau einen Blick zu und erhob sich dann. Er kam bald darauf zurück. »Sie hat auch einen Brief an ihre Kollegen geschrieben und sich entschuldigt, daß sie ohne ordentliche Kündigung ihren Arbeitsplatz aufgibt. Dort hat sie private Gründe angegeben, ohne sie näher zu benennen. Es war einer ihrer Kollegen, der wissen wollte, was los ist.«

»Und was hast du gesagt?«

»Daß wir auch nicht viel mehr wissen – was sollte ich sonst sagen?« Er blieb in der Tür stehen. »Am besten geben wir zuerst einmal der Polizei Bescheid, daß sie die Fahndung stoppen kann.«

Daran hatte Lukas noch nicht gedacht. Er stand auf. »Laß uns die Briefe mitnehmen. Vielleicht gibt es da Experten, die feststellen können, ob sie die Briefe unter Zwang geschrieben hat.«

»Kannst du hierbleiben, Marianne?« fragte Gerd Markwart seine Frau. »Falls… ich meine, es könnte ja sein, daß ein wichtiger Anruf kommt.« Hilflos brach er ab. Er wußte so gut wie die beiden anderen, daß Feli nicht anrufen würde.

*

»Selbstverständlich, Frau Markwart«, sagte die Rezeptionistin im King’s Palace freundlich. »Unsere Zimmer sind alle ruhig. Ihres hat einen Blick auf unseren Garten, Sie haben sogar einen Balkon.«

»Sehr schön«, sagte Felicitas Markwart ohne zu lächeln. »Und noch etwas: Ich möchte hier nicht angerufen werden. Ich möchte überhaupt nicht, daß jemand weiß, wo ich zu finden bin. Läßt sich das machen?«

»Natürlich, wie Sie wünschen.« Die Rezeptionistin verlor nichts von ihrer gleichbleibenden Freundlichkeit. Sie war Sonderwünsche gewohnt. Diese waren dazu da, erfüllt zu werden, wenn sie sich mit dem Selbstverständnis des Hotels vertrugen. Daß Gäste unerkannt zu bleiben wünschten, kam relativ häufig vor, es gab also keinen Grund, sich darüber zu wundern.

Die blasse, sehr hübsche junge Frau im eleganten Kostüm nickte zufrieden, nahm ihren Schlüssel in Empfang und machte sich auf den Weg zu den Fahrstühlen. Geschafft, dachte sie. Hier bin ich erst einmal in Sicherheit. Und ich kann mich ausruhen.

Nachdenklich betrachtete sie gleich darauf in dem völlig verspiegelten Fahrstuhl ihr Gesicht. Dünn und spitz war es geworden, seit sie… nun ja, seit sie unterwegs war. Aber das war ja auch kein Wunder. Abrupt wandte sie sich von ihrem Spiegelbild ab. Kein Selbstmitleid, Feli, schärfte sie sich ein, und vor allem kein Blick zurück!

Aber das war leichter gesagt als getan. Erinnerungen schienen überall zu lauern, das hatte sie schon in den letzten Tagen festgestellt. Sie konnten genauso durch Musikfetzen ausgelöst werden wie durch einen bestimmten Geruch oder das Gesicht eines Menschen, das einem vertraut vorkam, obwohl man ihn nicht kannte.

Erinnerungen waren im Augenblick ihre schlimmsten Feinde, und sie wußte noch nicht, wie sie es schaffen sollte, sie zu besiegen.

*

Als Adrian an diesem Abend nach Hause kam, fühlte er sich erbärmlich. Zum Glück kam das nicht allzu oft vor, doch heute war einer jener Tage, an denen er an allem zweifelte, was er tat. Doris Willbrandt ging ihm nicht aus dem Kopf, und das Wissen, daß sie es vorgezogen hatte, die Klinik zu verlassen, statt sich den behandelnden Ärzten anzuvertrauen, nagte an ihm. Wir müssen etwas falsch gemacht haben, dachte er, sonst wäre sie geblieben. Und sie muß ein Problem gehabt haben, das wir nicht erkannt haben.

An seiner Wohnungstür hing ein Zettel, der nur mit Zeichen bedeckt war, nicht mit Wörtern. Seine Nachbarin Carola Senftleben hatte unter anderem ein saftiges Brathähnchen gemalt und einen dampfenden Suppentopf – unwillkürlich lächelte er. Wenn Frau Senftleben nicht gewesen wäre, dann hätte er manche kritische Situation der vergangenen Zeit bedeutend schlechter überstanden…

Er betrat seine Wohnung, ging unter die Dusche, zog sich Jeans und ein T-Shirt an und klingelte danach an der Nachbarwohnung.

Frau Senftleben erschien gleich darauf, rief fröhlich: »Na, endlich, ich dachte schon, Sie arbeiten heute auch wieder bis spät in die Nacht!« und verschwand erneut in ihrer Küche. Er folgte ihr, und schon auf dem Weg dorthin spürte er, wie ein Teil seiner Sorgen von ihm abfiel. Diese Wirkung hatte Frau Senftlebens Küche mit ihren wunderbaren Düften fast immer auf ihn.

Carola Senftleben war eine zierliche grauhaarige ältere Dame mit unschuldigen blauen Augen, die oft genug über ihren scharfen Verstand hinwegtäuschten. Adrian und sie hatten sich schnell miteinander angefreundet, und im Laufe der Zeit hatte Frau Senftleben angefangen, den unverheirateten Arzt ein wenig zu bemuttern – auf eine Weise allerdings, die er sich gern gefallen ließ. Sie bedrängte ihn niemals, und wenn er sagte, er wolle allein sein, dann akzeptierte sie das völlig selbstverständlich.

Sie war eine leidenschaftliche Köchin und liebte es, in Gesellschaft zu essen. Am Anfang hatte sie noch förmliche Einladungen ausgesprochen, doch dieses Stadium hatten Adrian und sie längst hinter sich. Mittlerweile war es so, daß sie häufig zusammen aßen, und immer war es ganz zwanglos.

Sie schien im Laufe der Zeit eine Art sechsten Sinn dafür entwickelt zu haben, wann er hungrig und erschöpft aus der Klinik nach Hause kam, und er ertappte sich gelegentlich dabei, daß er enttäuscht war, wenn Carola Senftleben einmal nicht gekocht hatte. Das kam gar nicht mal so selten vor, denn sie war eine richtige Nachteule und ging öfter aus – mal in die Oper, mal ins Kino oder ein Konzert.

Adrians Zwillingsschwester Esther beneidete ihren Bruder glühend um diese Nachbarin, was Frau Senftleben natürlich außerordentlich gut gefiel. Zur Belohnung lud sie auch Esther gelegentlich zum Essen ein und ließ sich erzählen, daß es in der Charité, wo Esther als Kinderärztin arbeitete, auch keine humaneren Arbeitszeiten gab als in der Kurfürsten-Klinik.

»Brathähnchen?« fragte Adrian und bemühte sich, seine Stimme nicht allzu gierig klingen zu lassen. »Jedenfalls habe ich das Ihrer Zeichnung entnommen, Frau Senftleben.«

»Zeichnen kann ich nicht so gut wie kochen«, stellte seine Nachbarin sachlich fest, doch ihre blauen Augen blitzten vergnügt. »Es ist gefüllt Poularde. Und vorher gibt es eine Endiviencremesuppe.«

»Ich dachte immer, daraus macht man Salat. Aus Endivien, meine ich.«

»Normalerweise schon. Aber Sie wissen ja, daß ich gern etwas Neues ausprobiere. Wir können gleich anfangen zu essen. Wein bekommen Sie heute nicht. Ich habe mir eine Woche ohne Wein verordnet – nur mal so, um zu sehen, ob es mir schwerfällt. Und wenn Sie trinken und ich nicht, dann fällt es mir garantiert zu schwer.«

Sie verblüffte ihn immer wieder. »Ich mache mit«, sagte er sofort. »Gute Idee, Frau Senftleben.«

»Also, was gab’s heute so Schlimmes?« erkundigte sie sich, während sie ihre Teller mit Suppe füllte.

Er erzählte ihr ohne zu zögern die ganze Geschichte und sparte auch den Fast-Zusammenstoß mit Thomas Laufenberg nicht aus. Sie hörte ihm wie immer aufmerksam zu.

»Lecker, die Suppe«, sagte er, als er seinen Bericht beendet hatte.

»Finde ich auch. Und Sie machen sich jetzt also Sorgen um diese junge Frau, die sich einfach selbst entlassen hat?«

»Ja, das tue ich«, gab er zu.

»Verständlich«, meinte sie nachdenklich. »Sie hat Ihnen etwas verheimlicht.«

»Das ist eine sehr vornehme Art auszudrücken, daß sie uns nur Lügen aufgetischt hat, Frau Senftleben.«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Das meine ich nicht, Adrian. Sehen Sie denn nicht, daß da noch etwas anderes dahinterstecken muß?«

»Doch, das sehe ich sehr wohl – aber ich bin nun mal kein Hellseher. Ich kann nicht die Gedanken meiner Patienten lesen. Wenn sie sich mir nicht anvertrauen, dann kann ich ihnen auch nicht helfen. Und Frau Willbrandt hat sich niemandem anvertraut. Sie hat sich von Anfang an sehr zurückgezogen.«

»Sie hat sicher ihre Gründe gehabt«, erwiderte Frau Senftleben gelassen. »Ich verstehe, daß die Sache Ihnen nahegeht, aber jetzt denken Sie bitte einmal logisch: Die Frau steckt in Schwierigkeiten, aber sie wollte nicht erzählen, was ihr Problem ist. Das müssen Sie zunächst einmal akzeptieren. Sie haben keinen Fehler gemacht. Es war die Entscheidung der Patientin, keinen Arzt zu Rate zu ziehen und sich selbst zu entlassen. Das ist nicht schön für Sie – aber nicht zu ändern.«

»Sie haben natürlich recht«, gab er zu. »Aber sie geht mir trotzdem nicht aus dem Kopf. Ich will wissen, was mit ihr los ist.«

»Gut, das verstehe ich. Es würde mir genauso gehen, glaube ich. Aber Sie sollten zumindest aufhören, sich Vorwürfe zu machen – denn das tun Sie doch, oder nicht?«

»Ja, das tue ich.«

Sie räumte die leeren Suppenteller ab und holte die Poularde aus dem Backofen. Sofort verstärkte sich der köstliche Duft in der Küche, und Adrian sagte reumütig: »Ein Jammer um das wunderbare Essen, daß wir dabei kein angenehmeres Gesprächsthema haben!«

»Reden Sie keinen Unsinn!« Frau Senftleben machte ein strenges Gesicht, während sie das Fleisch schnell und geschickt tranchierte und auf zwei vorbereitete Teller legte. »Man muß über das reden, was einen bewegt, sonst erstickt man daran. Jedenfalls ist das meine Meinung.«

»Und Sie haben wie immer recht. Also, was soll ich jetzt tun in dieser Angelegenheit?«

»Die Angelegenheit hat ja mehrere Seiten, und über eine ganz bestimmte haben wir noch gar nicht gesprochen. Nämlich über Ihren Verwaltungsdirektor. Schließen Sie endlich Ihren Frieden mit ihm, Adrian! Mir scheint, Sie haben den Mann falsch eingeschätzt.«

Er machte ein verschlossenes Gesicht. »Aber deshalb muß ich mich ja nicht gleich mit ihm verbrüdern, oder?«

»Wer spricht von verbrüdern?« Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind doch sonst ein so liebenswürdiger Mensch. Was fährt nur jedesmal in Sie, wenn die Rede auf ihn kommt?«

»Ich weiß es auch nicht.« Hastig wechselte er das Thema. »Was mache ich nun mit Frau Willbrandt?«

»Wenn ich Sie recht verstehe, würden Sie sie am liebsten suchen – aber ich glaube kaum, daß Sie dazu die Zeit haben«, stellte Frau Senftleben fest.

»Stimmt.«

»Dann kann ich Ihnen nur raten, sich wieder auf diejenigen Patienten zu konzentrieren, die ihre Hilfe brauchen und sie auch haben wollen. Und wenn Ihnen Frau Willbrandt erneut begegnet, dann halten Sie sie beim nächsten Mal so lange fest, bis sie Ihnen die ganze Geschichte erzählt hat.«

Verblüfft sah er in ihre unschuldigen blauen Augen. »Wenn sie mir das nächste Mal begegnet, Frau Senftleben? Ich werde der Frau nie wieder begegnen!«

»Da wäre ich an Ihrer Stelle nicht so sicher«, erwiderte seine Nachbarin lächelnd.

»Und woher wollen Sie das wissen?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Meine innere Stimme sagt mir das.«

Darauf schwieg er und widmete sich dem Essen. Je mehr sich sein Magen füllte, desto träger und zufriedener fühlte er sich. Ganz langsam rückten Doris Willbrandt und Thomas Laufenberg in die Ferne, und seine Gedanken kamen endlich zur Ruhe.

Carola Senftleben beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und freute sich, als sie sah, daß sein Gesicht endlich wieder den entspannten Ausdruck annahm, den sie kannte. Ihr lag sehr viel an Dr. Adrian Winter, und es tat ihr weh zu sehen, wenn ihn etwas quälte. Doch jetzt schien es ihr, als sei die Krise überwunden, zumindest für diesen Abend.

*

Stefanie Wagner fegte wieder einmal in ihrem üblichen Tempo durch das King’s Palace, wo sie als Assistentin des Direktors arbeitete. In Wirklichkeit war sie so etwas wie die heimliche Chefin, obwohl sie erst einunddreißig Jahre alt war, denn Direktor Wingensiefen war sehr oft unterwegs und überließ Stefanie dann »den Laden«, wie er sich gelegentlich ausdrückte.

Sie war eine sehr attraktive Blondine, immer äußerst elegant gekleidet – allerdings nicht unbedingt freiwillig. Sie selbst hätte bei der Arbeit lieber Jeans und Turnschuhe getragen, weil sie tatsächlich oft im Hotel unterwegs war. Und wenn sie es besonders eilig hatte, dann verwünschte sie regelmäßig ihre Schuhe mit den hohen Absätzen und die engen Röcke, weil sie sie zwangen, ihr Tempo zu drosseln.

Aber sie hatte sich allmählich daran gewöhnt, und in einem so teuren Hotel wie dem King’s Palace erwarteten die Gäste von den Angestellten elegante Kleidung, das war selbstverständlich. Also hielt sich Stefanie daran. Mittlerweile war sie in Pumps und engen Röcken fast so schnell wie in Jeans und Turnschuhen.

An diesem Morgen gab es Probleme in der Küche, und diese mußten dringend behoben werden. Sie fragte sich, ob sie sich in diesem Hotel eigentlich um jede Kleinigkeit selbst kümmern mußte, aber diese Frage hatte sie sich schon tausendmal mit »Ja« beantwortet. Es lief sonst einfach nicht.

Sie steuerte auf einen der Aufzüge zu, dessen Türen sich genau in diesem Augenblick öffneten. »Glück gehabt!« murmelte sie. Das sparte ihr kostbare Wartezeit. Sie wollte den Aufzug gerade betreten, als sie sich unvermutet einer jungen Frau gegenüber sah, die darin stand und sich gegen eine der Wände lehnte. Sie wirkte sehr bleich.

Stefanie war erschrocken und blockierte sofort die Fahrstuhltüren. Sie trat auf die Frau zu und fragte: »Geht es Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen helfen?«

»Geht schon, danke«, sagte die Angesprochene stockend. »Mir ist – nur ein bißchen schwindelig.«

Unwillkürlich dachte Stefanie, daß sie Schwestern hätten sein können, beide waren sie schlank und hatten lange blonde Locken. »Sie sind Gast hier bei uns, nicht wahr?« fragte sie behutsam, um der anderen Zeit zu geben. Vergessen waren die Probleme in der Küche – ein Gast ging vor.

»Ich habe Sie schon gesehen, meine ich. Mein Name ist übrigens Stefanie Wagner, ich vertrete zur Zeit unseren Direktor.«

»Felicitas Markwart«, stellte sich die Frau vor. Sie sprach noch immer mühsam. »Ich wollte zurück auf mein Zimmer, und dann wurde mir plötzlich schwindelig.« Sie versuchte ein Lächeln, aber es gelang ihr nicht. »Niedriger Blutdruck. Kein Grund zur Sorge.«

Davon war Stefanie durchaus nicht überzeugt, aber sie wollte Frau Markwart nicht widersprechen. »Ich begleite Sie auf Ihr Zimmer, Frau Markwart. Welche Nummer?«

»Vierhundertunddrei.«

Schweigend drückte Stefanie auf den Knopf, die Fahrstuhltüren schlossen sich, und sie fuhren nach oben. Nachdenklich betrachtete sie die junge Frau, deren Wangen allmählich wieder etwas Farbe annahmen. Nie im Leben sind das nur Kreislaufprobleme, dachte sie und sagte laut: »Soll ich einen Arzt rufen, Frau Markwart? Ich mache mir Sorgen um Sie.«

Täuschte sie sich, oder erschrak die andere wirklich über diesen Vorschlag?

»Nicht nötig«, versicherte Felicitas Markwart eilig. »Es geht mir schon wieder gut, vielen Dank, Frau Wagner. Ich ruhe mich jetzt ein bißchen aus, dann geht es sicher wieder.«

»Wie Sie wünschen. Aber wenn Sie Hilfe brauchen, dann melden Sie sich bitte – entweder bei mir oder bei unserem Zimmerservice.«

»Ja, das mache ich.«

Sanft blieb der Fahrstuhl stehen, und die Türen öffneten sich geräuschlos. Felicitas Markwart schwankte erneut, als sie die stützende Wand verließ und den ersten zögernden Schritt tat. Unauffällig griff Stefanie nach ihrem Ellbogen und geleitete sie zu ihrem Zimmer. Dort wartete sie, bis die junge Frau aufgeschlossen hatte, und wiederholte: »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, Frau Markwart…«

Doch die andere ließ sie nicht ausreden. »Danke, es ist jetzt wirklich alles in Ordnung. Ich lege mich gleich ins Bett.«

»Gute Besserung«, war alles, was Stefanie noch sagen konnte, dann hatte sich die Tür bereits geschlossen. Nachdenklich kehrte sie zum Fahrstuhl zurück. Die Frau war krank, daran hatte sie keinen Zweifel. Doch warum wollte sie sich nicht helfen lassen?

*

Lukas Bromberger saß ganz allein in seiner Wohnung und betrank sich. Das tat er nur selten, aber wenn er es tat, dann gründlich. Und an diesem Abend war er der Ansicht, daß er die Gedanken in seinem Kopf irgendwie zum Schweigen bringen mußte, wenn er nicht verrückt werden wollte.

Feli hatte ihn verlassen. Sie liebte ihn nicht genug, um ihn zu heiraten. Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, hatte sie es ihm auch noch durch einen Brief mitgeteilt, statt ein Gespräch mit ihm zu führen, wie es unter erwachsenen Menschen üblich war. Wie lange hatte sie schon gewußt, daß sie ihn nicht liebte? Wie lange hatte sie ihm schon Theater vorgespielt?

Er öffnete eine neue Flasche Wein.

Bisher hatte der Alkohol leider nicht die gewünschte Wirkung gehabt, denn er dachte immer noch über Feli nach. Über Feli und sich.

Das Telefon klingelte, und er beschloß, nicht abzunehmen. Dann fiel ihm ein, daß es vielleicht Feli war, die von Reue geplagt wurde und ihn anrief, um ihm zu sagen, daß alles ein schrecklicher Irrtum sei. »Bromberger«, nuschelte er.

»Was ist denn jetzt mit dir los?« fragte sein Freund Wolfgang Ostermann. »Du klingst, als wärst du betrunken, Lukas.«

»Bin ich leider noch nicht genug«, teilte Lukas ihm undeutlich mit.

»Was ist los? Ich bin gerade erst zurückgekommen und wollte nur schnell hören, wie’s dir geht. Wir haben uns immerhin seit einer Woche nicht gesprochen.« Wolfgang war auf einer Dienstreise in New York gewesen.

»Feli is’ weg«, berichtete Lukas, und beinahe hätte er angefangen zu weinen, als ihm erneut das ganze Ausmaß seines Unglücks bewußt wurde.

»Weg?« fragte Wolfgang verwirrt. »Wohin?«

»Weiß ich nicht«, antwortete Lukas. »Sie hat mich verlassen.«

»Jetzt? Kurz vor der Hochzeit?« Es war Wolfgangs Stimme deutlich anzuhören, daß er nicht glaubte, was Lukas sagte. »Komm schon, Lukas. Ihr habt euch gestritten, und jetzt denkst du, daß alles zuende ist. Das kommt kurz vor der Hochzeit öfter vor – so eine Art Panik vor dem endgültigen Schritt.«

»Sie ist weg, hab’ ich dir doch gesagt. Sie ist abgehauen, weg aus München. Und sie hat nicht nur mir geschrieben, sondern auch ihren Eltern. Und in ihrem Büro hat sie gekündigt.«

Nach diesen Auskünften schwieg Wolfgang zunächst einmal. Die Sache schien doch ernster zu sein, als er zuerst angenommen hatte. Dabei hörte sich das, was Lukas sagte, völlig unglaubwürdig an, schließlich kannte er Feli und wußte, zu welchen Handlungen sie fähig war und zu welchen nicht. Sie war jedenfalls nicht der Typ, der Briefe schrieb und dann sein ganzes Leben einfach hinter sich zurückließ. Irgend etwas mußte Lukas ihm verschweigen – etwas, das Licht in diese Angelegenheit hätte bringen können.

Nach einigen Sekunden des Nachdenkens sagte er ruhig: »In einer halben Stunde bin ich bei dir. Versuch in dieser Zeit nicht weiter zu trinken, okay? Sonst kannst du nämlich gar nicht mehr reden.« Dann legte er auf.

Lukas starrte auf die gerade geöffnete Flasche Wein, die vor ihm stand. Dann murmelte er: »Bitte schön, warte ich eben mit dem Trinken. Aber nicht lange, Wolfgang. Nicht lange!«

*

Adrian erwachte am nächsten Morgen frisch und ausgeruht und widmete Carola Senftleben ein paar Gedanken voller Zuneigung. Der Aufenthalt in ihrer Küche war wieder einmal ideal für ihn gewesen. Wie immer hatte sie recht gehabt mit dem, was sie gesagt hatte – und als er sich an die gefüllte Poularde erinnerte, lächelte er unwillkürlich. Köstlich war sie gewesen, einfach köstlich.

Er machte am offenen Fenster ein paar Dehn- und Streckübungen, duschte ausgiebig und leistete sich dann, weil es noch recht früh war, ein üppiges Frühstück. Kurze Zeit später betrat er leise pfeifend die Notaufnahme. Es war nicht so, daß er nicht mehr an die rätselhafte Doris Willbrandt gedacht hätte, aber er fand sich allmählich mit dem ab, was passiert war. Es war ohnehin nicht mehr zu ändern.

Ihm fiel ein, daß Monika Ullmann Urlaub genommen hatte, und er fragte sich, wen man ihm an ihrer Stelle zugeteilt hatte. Gleich darauf stellte er fest, daß er keinen Grund hatte, sich zu beklagen, denn Oberschwester Walli hatte Dienst. Darüber freute er sich aufrichtig.

Walli war eine hübsche, etwas füllige Brünette, die schon öfter versucht hatte, sich einen neuen Vornamen zuzulegen. Sie hieß nicht etwa Waltraud, sondern – noch schlimmer, fand sie – Walburga. Das war ein Name, der in heutiger Zeit eindeutig Seltenheitswert hatte und gelegentlich auch ungläubige Nachfragen hervorrief. Sie konnte ihn deshalb nicht leiden und bat ihre Kolleginnen und Kollegen von Zeit zu Zeit, sie doch bitte »Katrin« zu nennen – so hätte sie nämlich gern geheißen. Aber selbst die Gutmütigsten gaben es nach drei Versuchen auf, weil sie sich ständig versprachen. Walli blieb Walli, auch wenn ihr das nicht gefiel.

Sie stammte aus Bayern, hatte sich aber in einen Musiker verliebt und war ihm nach Berlin gefolgt. Hier lebte sie nun seit mehreren Jahren, gelegentlich von Heimweh nach den Bergen geplagt, aber andererseits auch schon eine halbe Berlinerin. Walli war gerade neunundzwanzig geworden, sie trug einen modischen Pagenkopf und war in jeder Hinsicht eine Bereicherung des Teams der Notaufnahme.

»Willkommen, Oberschwester!« begrüßte Adrian sie mit ernstem Gesicht.

»Danke, Notaufnahmechef«, erwiderte sie mit frommem Augenaufschlag. Dann lachte sie vergnügt und sagte: »Ich freue mich, mal wieder hier zu arbeiten. Fast könnte man sagen, daß ich euch vermißt habe.«

»Das hören wir aber gern«, sagte Bernd Schäfer, der auch gerade eintraf. »Die meisten sind froh, wenn sie mit uns möglichst wenig zu tun haben. Oh, da kommt ja auch die jüngste Mitarbeiterin der Notaufnahme. Guten Morgen, Schwester Bea!« Er strahlte über das ganze Gesicht bei ihrem Anblick.

Die sonst so freche junge Lernschwester errötete heftig. Ihre kurzen blonden Haare standen ihr ausgezeichnet, und sie wußte sehr genau, wie hübsch sie war. Aber die offene Bewunderung von Dr. Schäfer brachte sie immer wieder in Verlegenheit. Sie hatte ihn wirklich gern, so wie man einen viel älteren Bruder gern hat. Bei Männern, die sie nicht mochte, konnte sie sehr kratzbürstig sein, wenn sie das Gefühl hatte, daß sie ihr zu nahetraten – aber der runde und gutmütige Dr. Schäfer, das war etwas anderes. Bei ihm versagte ihr freches Mundwerk.

Adrian bemerkte ihre Verlegenheit und sprang schnell ein. »Du sollst nicht flirten, Bernd, schon gar nicht mit Schwester Bea, denn die ist viel zu jung für dich. Du sollst arbeiten. Haben wir nichts zu tun hier?«

»Jede Menge!« rief Walli. »In der ›1‹ wartet schon eine ältere Dame auf dich, Adrian. Und du kannst gleich mit mir kommen, Bernd. Ich brauche deine Hilfe.«

Schwester Bea war erst achtzehn, aber sie hatte durchaus gemerkt, daß Adrian ihr hatte helfen wollen. Sie sandte ihm einen dankbaren Blick zu und folgte ihm in Kabine 1.

*

Es war bisher ein überaus hektischer Tag gewesen, und wenn Stefanie das richtig beurteilte, dann würde es auch so weiter gehen. Das Hotel King’s Palace war voll ausgebucht, und einige Angestellte waren zur Zeit krank. Gerade jetzt machte sich das stark bemerkbar.

Sie hatte noch nicht einmal eine Kleinigkeit essen können zwischendurch, und mittlerweile war ihr richtig flau im Magen. Sie beschloß, im Restaurant zu fragen, ob man ihr etwas zubereiten könnte. Sie griff schon nach dem Telefon, um ihre Sekretärin zu bitten, sich darum zu kümmern, doch dann überlegte sie es sich anders. Es konnte nicht schaden, selbst nach unten zu gehen und zu sehen, ob die Küche die Probleme jetzt im Griff hatte.

Sie machte sich auf den Weg, und zum zweiten Mal an diesem Tag begegnete sie Felicitas Markwart. Die junge Frau hatte wohl die Absicht gehabt, das Hotel zu verlassen. Unwillkürlich fragte sich Stefanie, warum sie das tat, wo es ihr doch ganz offensichtlich noch immer nicht gutging.

Stefanie sah gerade noch, wie die andere einige unsichere Schritte in Richtung Ausgang tat, dann blieb sie abrupt stehen. Sie wandte sich einer der Sitzgruppen zu und ließ sich in einen Sessel sinken. Dort blieb sie mit geschlossenen Augen sitzen, während sie versuchte, gleichmäßig und tief durchzuatmen.

Stefanie zögerte. Sie wollte nicht aufdringlich sein, aber die Frau brauchte ganz sicher Hilfe, auch wenn sie sie bis jetzt abgelehnt hatte. Mit raschen Schritten ging sie auf sie zu und sagte mit leiser Stimme: »Frau Markwart, es geht Ihnen ja immer noch nicht besser.«

Felicitas Markwart öffnete die Augen und sah sie an. Diesmal versuchte sie gar nicht erst zu widersprechen. »Sieht so aus«, gab sie zu. »Ich dachte, ein kleiner Spaziergang würde mir guttun bei dem schönen Wetter. Aber ich habe meine Kräfte wohl überschätzt.«

»Ich bringe Sie jetzt zurück auf Ihr Zimmer, und dann rufe ich einen Arzt«, sagte Stefanie energisch.

»Aber…« begann die junge Frau.

»Kein Aber, Frau Markwart! Ich kenne privat einen sehr guten Arzt und werde ihn bitten, nach seinem Dienst hier vorbeizukommen.«

Aus irgendeinem Grund schien diese Auskunft Felicitas Markwart zu beruhigen. »Ein Freund von Ihnen?«

»Ja!« behauptete Stefanie, obwohl das leider übertrieben war. War Dr. Adrian Winter ein Freund von ihr? Sie fühlte sich sehr zu ihm hingezogen, und schon öfter hatte sie den Eindruck gehabt, daß es ihm ebenso ging, aber dennoch schien etwas zwischen ihnen zu stehen. Jedenfalls sahen sie sich nur äußerst selten, was sie, wie sie sich selbst eingestand, sehr bedauerte.

Und jetzt also ergab sich die Gelegenheit, ihn anzurufen – und das auch noch mit gutem Grund. Sie schämte sich ein bißchen, daß sie nicht nur Frau Markwart helfen wollte, sondern auch einen durchaus eigennützigen Zweck verfolgte, aber schließlich wußte das niemand außer ihr. Und sie richtete damit ja auch keinen Schaden an.

Langsam gingen die beiden Frauen zum Fahrstuhl. Immer wieder blieb Felicitas Markwart stehen und griff sich an den Kopf. »Tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen.«

»Ich bitte Sie, Frau Markwart – es ist selbstverständlich, daß wir uns um Sie kümmern, wenn es Ihnen nicht gutgeht.«

»Ehrlich gesagt, ich bin froh, daß gerade Sie es sind, die mir hilft«, gestand die junge Frau mit schüchternem Lächeln. »Sie sind so einfühlsam, Frau Wagner.«

Nun schämte sich Stefanie doch. Wenn du wüßtest, dachte sie. Ich bin ziemlich egoistisch, das kann ich dir sagen.

Aber das behielt sie für sich. Sie begleitete Felicitas Markwart zum zweiten Mal an diesem Tag auf ihr Zimmer, half ihr, sich auf dem Bett auszustrecken, und tippte dann sehr schnell eine Zahlenkombination, die sie auswendig wußte, obwohl sie die Nummer bisher nur sehr selten gewählt hatte.

*

Es war die hübsche Bea, die den Anruf entgegennahm. Mit gerunzelter Stirn lauschte sie den Worten der Anruferin, dann sagte sie: »Augenblick mal bitte«, und machte sich auf die Suche nach Dr. Winter.

»Herr Dr. Winter, da ist eine Frau am Telefon, die Sie sprechen will.« Sie machte eine kurze Pause und fügte dann etwas leiser hinzu: »Sie hat gesagt, Sie kennen sie, Frau Wagner heißt sie, Stefanie Wagner. Und es sei dringend.«

Adrian zuckte zusammen, als sie den Namen nannte, aber sie ließ sich nicht anmerken, ob sie seine Reaktion mitbekommen hatte. »Sagen Sie ihr bitte, daß sie noch zwei Minuten warten muß. Dann bin ich hier fertig und kann mit ihr sprechen. Wenn ich zurückrufen soll, lassen Sie sich bitte die Nummer geben.«

Bea nickte nur und verschwand wieder. Als sie zurückkam, sagte sie nur: »Sie ist noch dran. Sie wollte lieber warten.«

Adrian verschloß die Wunde eines Jungen, der sich mit einer Glasscherbe im Gesicht verletzt hatte, mit einem Klammerpflaster und sagte zu seiner Mutter: »So, Sie müssen sich keine Sorgen mehr machen um Ihren Sohn. Lassen Sie Ihren Hausarzt nach zwei Tagen mal einen Blick auf die Wunde werfen, aber normalerweise dürfte sie glatt verheilen.«

»Vielen Dank, Herr Doktor«, sagte die erleichterte Frau und verließ mit dem Kind die Notaufnahme.

Adrian eilte zum Telefon. Warum rief Stefanie Wagner, die er seit Wochen nicht gesehen hatte, ihn an? Wie gern hätte er sie öfter getroffen, hätte sie näher kennengelernt, aber unglücklicherweise wußte er, daß sie einen Freund hatte…

»Frau Wagner? Adrian Winter hier. Sind Sie krank?«

»Nein, nicht ich«, antwortete sie, und er sah sie vor sich mit ihren schönen blonden Locken und diesen unglaublichen Augen, deren Farbe ihn an die von Veilchen erinnerte. »Aber ich habe einen Gast hier im Hotel, eine junge Frau, die mir Sorgen bereitet. Ihr ist immer schwindlig, und sie fühlt sich ganz offensichtlich elend.«

»Fieber? Übelkeit? Erbrechen?« fragte er.

»Nein, nichts von alledem – das heißt, Fieber habe ich nicht gemessen, aber sie macht mir nicht den Eindruck. Und sie wollte auch gar nicht, daß ich überhaupt einen Arzt anrufe, obwohl ich es eindeutig finde, daß ihr etwas fehlt. Sie hat nur eingewilligt, daß ich Sie anrufe, weil ich gesagt habe, daß ich Sie privat kenne. Ich weiß, daß das nicht zu Ihren Aufgaben gehört, schließlich sind Sie kein Notarzt, aber ich wußte nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte.«

»Wo ist die Frau jetzt?« fragte er.

»Hier in ihrem Hotelzimmer. Sie liegt auf dem Bett. Sie ist sehr blaß, aber wenn sie sich ruhig verhält, scheint es ihr besserzugehen. Nur laufen kann sie offenbar nicht.«

»Ich kann jetzt nicht sofort hier weg, aber ich habe in einer Stunde ohnehin Pause. Dann könnte ich bei Ihnen vorbeikommen. Aber wenn sich der Zustand der Frau verschlechtert, sollten Sie unbedingt einen Notarzt anrufen, Frau Wagner. Können Sie bei ihr bleiben, bis ich komme?«

»Ja, das mache ich auf jeden Fall. Sie kommen wirklich?« Er hörte die Wärme in ihrer Stimme und freute sich darüber. Natürlich gehörte ein solcher Fall nicht zu seinen Aufgaben, aber wenn sich ihm dadurch die Gelegenheit bot, Stefanie Wagner wiederzusehen… Du solltest dich schämen, Adrian Winter, sagte er sich, aber er tat es nicht.

»Ja, natürlich, sobald ich kann. Vielleicht komme ich auch schon früher hier weg.«

»Zimmer 403«, sagte Stefanie. »Ich warte dann also auf Sie. Bis gleich – und vielen, vielen Dank. Sie haben einen Wunsch frei bei mir.«

»Bis dann«, sagte er und legte eilig auf, bevor er redselig wurde und ihr womöglich noch verriet, welches sein sehnlichster Wunsch war.

*

Lukas zwang sich dazu, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Sein Freund Wolfgang Ostermann hatte recht gehabt mit dem, was er am vergangenen Abend gesagt hatte. Er konnte nicht erwarten, daß die ganze Welt zum Stillstand kam, weil Feli ihn verlassen hatte. Die Geschäfte mußten weiterlaufen, und Liebeskummer war kein Grund, seine Partner dauerhaft zu vergrätzen.

Das sah er ein, und so arbeitete er nun also.

Zu seiner Verblüffung hatte er recht bald festgestellt, daß ihm die Arbeit sogar half, denn sie lenkte ihn von seinem Kummer ab. Er dachte bereits daran, von jetzt an nur noch zu arbeiten, wenn es ihm dadurch gelang, nicht mehr über das nachzudenken, was Feli ihm geschrieben hatte.

Das Telefon klingelte, und er meldete sich, wobei er darauf achtete, daß seine Stimme ruhig und gelassen klang und nicht, als sei er gerade im Begriff, auf eine Beerdigung zu gehen.

»Wie geht’s dir?« fragte Wolfgang. »Hast du den gestrigen Abend gut überstanden?«

»Danke, ja. Ich fühle mich ganz gut, es ist besser zu arbeiten als zu grübeln.«

»Hab’ ich dir ja gleich gesagt.«

»Und wie geht’s dir? Wir beide haben ganz schön viel getrunken gestern abend.«

»Ich bin noch ziemlich durcheinander wegen der Zeitumstellung, aber den vielen Wein habe ich erstaunlich gut verkraftet. Ich wollte dir noch etwas sagen, Lukas, und ich habe mir das wirklich alles noch einmal gut durch den Kopf gehen lassen, was du mir gestern erzählt hast. Ich glaube das nicht. Ich glaube nicht, daß Feli doch nicht liebt, schließlich habe ich euch oft genug zusammen erlebt. Es muß etwas anderes dahinterstecken, und du solltest herausfinden, was.«

»Und wie soll ich das anstellen? Mal angenommen, du hättest recht – ich wünschte wirklich, es wäre so, das kannst du mir glauben – mal angenommen also, du hättest recht: Wo soll ich denn anfangen, nach ihr zu suchen?«

»Was ist mit ihrer Wohnung? Sie hat doch alles dagelassen, oder? Was ist mit ihren Konten? Ihren Versicherungen? War sie in letzter Zeit mal beim Arzt? Es gibt tausend Möglichkeiten, Erkundigungen einzuziehen, wenn ein Mensch verschwindet. Engagiere einen Detektiv, denn es ist sicher sehr zeitaufwendig, jemanden zu suchen, der nicht gefunden werden will – aber versuch es wenigstens.«

»Mensch, Wolfgang«, rief Lukas aus, »du hast vielleicht Ideen!«

»Ja, habe ich. Einer muß sie ja haben, wenn du so gelähmt vor Kummer bist, daß du offenbar gar keine mehr hast.«

»Ich rufe sofort in einer Detektei an«, sagte Lukas und hatte schon aufgelegt, bevor sein Freund etwas erwidern konnte.

*

Julia Martensen hatte Adrian Winter mit einem wissenden Lächeln angesehen, als er ihr gesagt hatte, er werde seine Pause außerhalb verbringen. Kurz war er in Versuchung gewesen, ihr zu sagen, was er vorhatte, aber er hatte es dann doch lieber für sich behalten.

Und nun stand er in einem der Fahrstühle des King’s Palace und ließ sich in den vierten Stock hinauffahren. Sein Herz klopfte viel schneller als sonst, aber das sah man ihm zum Glück nicht an. Und hören konnte es auch niemand außer ihm selbst.

Der Fahrstuhl hielt, seine Füße versanken fast in dem dicken, weichen Teppichboden, und schon stand er vor der Tür von Zimmer 403. Noch ein letztes Mal holte er tief Luft, wischte seine feuchten Handflächen unauffällig an seiner Hose ab und klopfte.

Leise Schritte waren von drinnen zu hören. Im nächsten Augenblick wurde geöffnet, und Stefanie Wagner stand vor ihm. »Bin ich froh, daß Sie da sind, Herr Dr. Winter«, sagte sie leise und gab ihm die Hand. Dann drehte sie sich um und kehrte ins Zimmer zurück.

Er folgte ihr zu dem Bett, auf dem die Frau lag, die er untersuchen sollte. Sie rührte sich nicht, ihre Augen waren geschlossen, das Gesicht war abgewandt.

»Sie schläft jetzt, glaube ich«, sagte Stefanie Wagner leise. »Ich weiß auch nicht, warum sie nicht wollte, daß ich einen Arzt rufe – so etwas Unvernünftiges! Wenn man krank ist, soll man sich helfen lassen.«

»Ganz meine Meinung. Wie heißt sie?«

»Felicitas Markwart. Sie ist erst gestern gekommen. Und da ist noch etwas Merkwürdiges. Sie hat gebeten, keinerlei Gespräche zu ihr durchzustellen. Oder, um es noch deutlicher zu sagen, sie wollte nicht, daß irgend jemand ihren Aufenthaltsort erfährt.«

»Merkwürdig«, murmelte Adrian und ging um das Bett herum, um das Gesicht der Frau zu sehen. Als er sich über sie beugte, stutzte er. Zuerst glaubte er, sich getäuscht zu haben, aber als er vorsichtig eine Haarsträhne zurückstrich, die ihr über die Wange gefallen war, wußte er, daß es nicht so war.

Unwillkürlich rief er aus: »Frau Willbrandt!«

Erschrocken öffnete sie die Augen. Es dauerte einige Sekunden, bis sie ihn erkannte, dann seufzte sie und sagte resigniert: »Ausgerechnet Sie!«

»Sie kennen sich?« fragte Stefanie höchst erstaunt. »Aber da muß ein Irrtum vorliegen, Herr Dr. Winter, dies ist Frau Markwart, nicht Frau Willbrandt!«

»Schon gut, Frau Wagner«, sagte die junge Frau auf dem Bett mit müdem Lächeln. »Herr Dr. Winter kennt mich unter den Namen Willbrandt, und er hat allen Grund, nicht gut auf mich zu sprechen zu sein.«

Ratlos sah Stefanie von ihr zu dem Arzt. »Ehrlich gesagt, ich verstehe überhaupt nicht, wovon die Rede ist.«

»Kann ich es Ihnen später erklären?« bat Adrian. »Ich würde Frau… äh, Markwart gern untersuchen, und danach komme ich zu Ihnen, wenn es Ihnen recht ist.«

Stefanie zögerte noch einen Augenblick, dann nickte sie. »Gut, bis später.«

Als sie das Zimmer verlassen hatte, wandte sich Adrian der Patientin zu. »Also, wie heißen Sie nun wirklich?« fragte er.

»Felicitas Markwart«, antwortete sie leise. »Der Aufenthalt in Ihrer Klinik war nicht geplant – ein Betriebsunfall, wenn Sie so wollen.«

»Ich schlage vor, Frau Markwart, daß Sie mir jetzt die Wahrheit sagen – und zwar die volle Wahrheit, ohne irgendwelche Auslassungen. Ich bin Arzt und unterliege der Schweigepflicht. Wenn Sie also wollen, daß alles, was Sie mir sagen, unter uns bleibt, dann werde ich mit niemandem darüber reden. Aber wenn ich Ihnen helfen soll, muß ich wissen, was mit Ihnen los ist.«

»Mir kann niemand helfen«, sagte sie still. Es lag soviel Verzweiflung in ihrer Stimme, daß es ihm einen Stich versetzte.

»Wer weiß«, sagte er ruhig. Dann wartete er. Es dauerte nur einige Augenblicke, bis sie anfing zu sprechen.

*

Stefanie sah nervös auf die Uhr. Er war schon seit über einer halben Stunde bei Frau Markwart – was hatte das zu bedeuten? So lange dauerte doch eine Untersuchung eigentlich nicht? Sie konnte sich das alles nicht erklären. Auch daß die beiden sich bereits kannten, war merkwürdig. Allerdings hatte Dr. Winter Frau Markwart offenbar unter einem anderen Namen kennengelernt. War sie eine Hochstaplerin?

Sie schüttelte unwillig den Kopf. Sie hatte sich etwas Schönes eingebrockt mit dieser Geschichte, denn jetzt saß sie hier und vernachlässigte wichtige Arbeiten, weil sie insgeheim auf Dr. Winter wartete. Auf nichts konnte sie sich richtig konzentrieren, weil ihre Gedanken ständig zum Zimmer 403 wanderten.

Sie hörte eine Sirene und sah unwillkürlich aus dem Fenster. Zu ihrem größten Erstaunen hielt ein Rettungswagen direkt vor dem Hotel, und jetzt sah sie zwei Sanitäter mit einer Trage auf den Eingang zulaufen. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Ließ Dr. Winter Frau Markwart ins Krankenhaus bringen? Und wenn es so war, warum teilte er ihr das nicht mit?

Vielleicht stand es so schlimm um die Frau, daß er völlig vergessen hatte, sich noch einmal bei ihr zu melden.

Doch noch während sie darüber nachdachte, klopfte es kurz und energisch an ihre Tür, und bevor sie etwas gesagt hatte, tauchte der Kopf von Dr. Winter auf. Er sagte: »Ich habe Sie nicht vergessen, Frau Wagner, aber das mit Frau Markwart ist eine höchst komplizierte und auch tragische Geschichte. Sie wird jetzt in die Kurfürsten-Klinik gebracht, dort werden wir sofort einige Untersuchungen vornehmen. Gehen Sie heute abend mit mir essen?«

»Welche Chance hätte ich, ›nein‹ zu sagen?« fragte sie lächelnd.

»Keine«, gab er zu. »Es sei denn, Sie wollen mich unglücklich machen.«

»Will ich nicht«, versicherte sie. »Aber ich will dann alles wissen, machen Sie sich darauf gefaßt.«

»Über Frau Markwart?« fragte er.

»Natürlich, was dachten Sie denn?«

»Ich werde sie fragen, ob ich es Ihnen erzählen darf. Ärzte unterliegen nämlich der Schweigepflicht, wissen Sie.«

Sie lächelte. »Ja, das habe ich schon gehört.«

Einen wundervollen Augenblick lang verlor er sich in diesem Lächeln, dann riß er sich zusammen. »Bis heute abend also, Frau Wagner! Ich ruf Sie vorher an.«

Weg war er, und Stefanie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken. War sie tatsächlich der Ansicht gewesen, daß dies ein furchtbarer Tag war? Es war der schönste Tag seit langem, wenn sie es sich ganz genau überlegte. Sie hoffte nur, daß Frau Markwart nichts Ernstes fehlte, denn sie fand sie sehr sympathisch.

*

»Herr Dr. Winter hat gerade angerufen«, meldete Bea. »Wir bekommen eine Patientin, die über Schwindelgefühle und Kopfschmerzen klagt. Sie hat im King’s Palace gewohnt und ist dort einer Hotelangestellten aufgefallen. Er selbst kommt nach.«

»King’s Palace, soso!« Bernd Schäfer schnalzte mit der Zunge. »Soviel Geld möchte ich auch mal haben, daß ich es mir leisten könnte, dort zu wohnen.«

»Würde mich nicht interessieren«, behauptete Julia Martensen. »Ein paar hundert Mark dafür bezahlen, daß ich schlafe? Also, das finde ich wirklich übertrieben, da fielen mir bessere Dinge ein, die ich mit meinem Geld machen könnte.«

»Vielleicht ist der Frau von den Preisen dort schwindelig geworden«, ulkte Oberschwester Walli, und Bea kicherte vergnügt. Doch sie hörten sofort auf zu scherzen, als sich die Flügeltüren der Notaufnahme öffneten und die Sanitäter mit der angekündigten Patientin hereinkamen.

»Na, dann mal los«, murmelte Julia und wollte den Männern gerade die erste Frage stellen, als ihre Augen groß wurden. »Das ist ja Frau Willbrandt!« rief sie aus. »Davon hat Dr. Winter überhaupt nichts gesagt! Oder, Bea?«

»Einen Namen hat er nicht genannt«, antwortete Bea, die nichts verstand, weil sie in den letzten Tagen keinen Dienst in der Notaufnahme gehabt hatte.

Die Patientin öffnete die Augen und sah die Ärztin schuldbewußt an.

Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, stand auf einmal Adrian Winter neben seiner Kollegin.

Julia wandte sich ihm sofort zu und fragte leise: »Wo kommt sie denn jetzt plötzlich her? Hast du sie etwa gefunden? War das deine geheimnisvolle Verabredung für die Pause?«

Er antwortete ebenso leise: »Mal wieder falsche Vermutungen über das angestellt, was ich in meiner Freizeit mache, teure Kollegin, was?« Laut fuhr er fort: »Ich erklär’ dir alles später, Julia. Unsere Patientin heißt übrigens nicht Doris Willbrandt, sondern Felicitas Markwart – und sie ist auch nicht aus Hamburg, sondern aus München. Sie braucht eine Infusion, und wenn es ihr besser geht, lassen wir das CT machen.«

»Und dann erklärst du mir hoffentlich, was sich hier eigentlich abspielt!« sagte Julia ein wenig spitz. Sie konnte es nicht leiden, wenn man sie im unklaren ließ.

»Ja, du kannst dich darauf verlassen!« versprach er, und dann beugten sie sich über ihre schon wieder sehr blaß aussehende Patientin, die jetzt endlich dazu kam, die Ärztin anzusprechen.

»Tut mir leid, Frau Dr. Martensen«, sagte Felicitas leise. »Ich wollte Ihr Vertrauen nicht mißbrauchen.«

»Schon gut«, sagte Julia rasch. »Jetzt sorgen wir erst einmal dafür, daß es Ihnen bald besser geht. Und dann erfahre ich hoffentlich, was hinter der ganzen Geschichte steckt.«

Sie sprachen nur noch das Nötigste, während sie die Patientin gründlich untersuchten. Adrian gab seiner Kollegin währenddessen die notwendigen medizinischen Informationen, und immer wieder traf ihn ein erstaunter Blick. Auch Julia Martensen begann zu ahnen, daß sie es mit einer tragischen Geschichte zu tun hatten.

*

»Ja, bitte?« Es war später Nachmittag, und nichts hätte Thomas Laufenberg lieber getan, als seinen Arbeitsplatz endlich zu verlassen und irgendwo mit Freunden gemütlich essen zu gehen. Er sehnte sich nach unkomplizierten Gesprächen über alles, was ihn interessierte – nur sollte darin das Thema »Krankenhaus« möglichst keine Rolle spielen. Er war es leid – zumindest für heute.

Als sein Besucher eintrat, verbarg er sein Erstaunen nicht. »So oft haben wir uns in all den Wochen zuvor nicht gesehen wie jetzt innerhalb weniger Tage, Herr Dr. Winter.«

Adrian nickte. »Ich weiß. Aber ich habe Neuigkeiten für Sie – über Doris Willbrandt.«

»Setzen Sie sich. Einen Kaffee?«

»Ja, gern, ich kann etwas gebrauchen, was mich wieder munter macht. Das war ein harter Tag heute.«

»Für mich auch«, erwähnte der Verwaltungsdirektor beiläufig. »Erzählen Sie, was haben Sie herausgefunden?«

»Ich versuche, es kurz zu machen«, sagte Adrian sachlich. »Sie heißt in Wirklichkeit Felicitas Markwart, und sie leidet an einem Hirntumor. Diese Diagnose hat sie erst vor kurzem erfahren, und sie hat vollkommen panisch reagiert. Sie wollte in einigen Wochen heiraten, hatte aber nach dieser Diagnose das Gefühl, ihrem zukünftigen Mann keine kranke Frau zumuten zu dürfen. Und deshalb hat sie beschlossen, eine Heldin zu sein und ihn glauben zu lassen, daß sie ihn aus mangelnder Liebe nicht heiraten könne. Auf diese Weise, hoffte sie, würde er leichter über die Trennung hinwegkommen.«

Er schwieg, und einige Sekunden lang war es sehr still im Zimmer. Thomas Laufenberg rührte sich nicht, sondern wartete, bis Adrian weitersprach.

»Sie hat also ihrem Verlobten einen entsprechenden Brief geschrieben – aber das ist noch nicht alles, was sie getan hat. Sie hat beschlossen, für immer aus München wegzugehen, und hat also auch ihren Eltern geschrieben und ihren Job gekündigt. Und dann hat sie eine kleine Reisetasche gepackt und ist Hals über Kopf weggefahren.«

»Meine Güte«, murmelte Thomas Laufenberg.

»Ja«, sagte Adrian nachdenklich. »Eine richtige Kurzschlußhandlung. Sie ist überzeugt davon gewesen, daß nun alles zuende ist, und sie hat keinen Ausweg gewußt. Da ist sie erst einmal weggelaufen, ohne großen Plan. Sie hatte ihre Briefe geschrieben, ein paar Sachen eingepackt, aber mehr nicht. Erst als sie in Berlin war, ist ihr allmählich klargeworden, daß sie nicht besonders gründlich überlegt hatte. Und daß sie vermutlich nicht so einfach verschwinden konnte, wie sie sich das zunächst gedacht hatte. Aber noch immer war sie entschlossen durchzuhalten.«

Wieder machte Adrian eine Pause. Er dachte kurz nach und fuhr dann fort: »Sie hat ihr Gepäck in einem Schließfach deponiert und ist losgefahren. Vor Aufregung hatte sie während der gesamten Reise weder gegessen noch getrunken, und sie war ziemlich müde. Also hat sie sich auf eine Parkbank gesetzt und ist einfach eingeschlafen. Sie weiß selbst nicht, warum sie sich nicht sofort ein Hotelzimmer genommen hat. Es war eben so, daß sie ziemlich durcheinander war. Als sie aufwachte, war ihr schwindelig und schlecht vor Hunger, Durst und Kälte. Und da ist sie wohl ohnmächtig geworden. Genau in diesem Augenblick fand sie der Rentner, der dann den Rettungswagen gerufen hat. Nun war sie in einer schwierigen Situation, denn sie wollte ja nicht gefunden werden. Den Rest der Geschichte kennen wir alle.«

»Ist der Hirntumor operabel?« fragte der Verwaltungsdirektor.

»Deshalb bin ich hier«, antwortete Adrian. »Er ist schon ziemlich groß, es muß ein schnell wachsender Tumor sein, aber er ist operabel. Wir können Frau Markwart natürlich zurück nach München schicken, damit sie dort operiert wird…«

Thomas Laufenberg unterbrach ihn. »Will sie denn operiert werden?« fragte er mit hochgezogenen Brauen. »Ich hatte Sie so verstanden, daß sie das nicht will.«

Adrian schüttelte den Kopf. »Sie wußte gar nicht genau, was sie will, Herr Laufenberg. Sie hat nur gehört ›Tumor‹ – dann ist sie durchgedreht.«

»Wollen Sie sie operieren?«

»Nein, aber ich würde gern assistieren. Ich bin Unfallchirurg, kein Hirnspezialist. Immer vorausgesetzt, sie will sich hier operieren lassen. Sie möchte darüber nachdenken.«

»Es wird offenbar auch Zeit, daß sie nachdenkt!« brummte Thomas Laufenberg. »Und ihre Eltern? Ihr Verlobter? Die sollen doch sicher benachrichtigt werden, damit sie sich nicht länger Sorgen machen. Wenn ich mir vorstelle, was sie durchgemacht haben müssen, nachdem sie diese Briefe erhalten hatten!«

»Ich glaube, sie braucht noch ein bißchen Zeit«, sagte Adrian leise. »Sie schämt sich wohl und weiß noch nicht, wie sie ihnen gegenübertreten soll.«

»Hoffentlich tut sie es bald!«

»Ja, das hoffe ich auch, Herr Laufenberg.« Adrian erhob sich. »Das war’s, was ich Ihnen sagen wollte. Die Probleme der Verwaltung dürften damit jedenfalls gelöst sein – oder nicht?«

»Was?« fragte der andere überrascht. Dann erst verstand er, was Adrian gemeint hatte. »Ach so, ja, sicher. Daran hatte ich jetzt gar nicht mehr gedacht.«

»Aber ich!« versicherte Adrian. »Da können Sie mal sehen, wie sehr mir die Verwaltung am Herzen liegt. Auf Wiedersehen, Herr Direktor!«

Und schon zog er die Tür hinter sich zu. Thomas Laufenberg lächelte vor sich hin. Dr. Winter konnte es einfach nicht lassen zu sticheln – aber in diesem besonderen Fall hätte er es sicher genauso gemacht.

Dann dachte er noch einmal gründlich über das nach, was er soeben gehört hatte, und griff zum Telefon. Er führte zwei längere Gespräche, und als er danach den Hörer auflegte, huschte ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht.

*

»Nun, Frau Markwart, wie geht es Ihnen jetzt?« fragte Adrian, als er die Patientin nach seinem Gespräch mit Thomas Laufenberg noch einmal besuchte.

»Besser«, gestand sie, und zum ersten Mal sah er sie richtig lächeln. »Es hat mir gut getan, mir alles von der Seele zu reden, Herr Dr. Winter. Ich komme mir ziemlich dumm vor, muß ich sagen. Sonst bin ich nicht so, daß ich einfach ohne zu überlegen irgend etwas tue, das müssen Sie mir glauben.«

»Das tue ich«, versicherte er. »Sie vergessen, daß es eine ganz besondere Situation ist, in der Sie waren. Eine solche Diagnose ist schon dazu geeignet, einen zuerst einmal den Kopf verlieren zu lassen. Außerdem sind Sie krank, der Tumor bereitet Ihnen Probleme – Ihre Schwindelgefühle hängen eindeutig damit zusammen. Ich frage mich nur, warum er erst jetzt entdeckt worden ist. Sie müssen doch auch vorher schon Beschwerden gehabt haben!«

»Hatte ich auch«, gab sie zu. »Aber ich habe sie nicht ernst genommen. Sie wissen doch, wie das ist: Man hat immer so viel zu tun, daß man ein bißchen Kopfweh oder Schwindel nicht gleich so wichtig nimmt. Ich habe gedacht, das vergeht wieder, wenn ich mal weniger Streß habe.«

»Das war ein Irrtum.«

»Ja, war es. Und als ich dann die Diagnose hörte, war ich völlig außer mir.«

»Und warum haben Sie nicht wenigstens mit Ihrem Verlobten darüber gesprochen?«

Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, ehrlich, Herr Dr. Winter. Auf einmal dachte ich, er wird mich nie verlassen, selbst wenn er es möchte. Und ich werde niemals sicher sein können, daß er nicht aus Mitleid bei mir geblieben ist.«

»Aber hat man Ihnen denn nicht gesagt, daß der Tumor operabel ist? Daß Sie wieder ganz gesund werden können?«

»Doch. Aber man hört so viele Geschichten von Ärzten, die ihren Patienten nicht die volle Wahrheit sagen! Und dann habe ich gedacht, wenn Lukas mit einer kranken Frau leben muß, die er nicht verlassen kann, weil er zu anständig ist…« Den Rest des Satzes ließ sie unausgesprochen.

»Haben Sie ihn schon angerufen?« fragte Adrian.

»Nein, das mache ich morgen. Ich muß noch ein bißchen Mut sammeln«, gestand sie. »Vor diesem Gespräch fürchte ich mich sehr. Und vor dem Gespräch mit meinen Eltern auch. Ich habe mich unverzeihlich egoistisch und dumm benommen.«

»Dumm vielleicht«, meinte er lächelnd, »aber egoistisch wollten Sie doch gerade nicht sein.«

»Aber ich war es!« rief sie verzweifelt. »Das ist ja das Schlimme. Ich wollte den Menschen, die ich liebe, Schmerz ersparen und habe das genaue Gegenteil erreicht.«

»Sie werden Ihnen verzeihen, Frau Markwart.« Er blickte auf seine Uhr und erschrak. »So spät schon – ich muß Sie jetzt verlassen, Frau Markwart, ich habe eine Verabredung. Wir sehen uns morgen wieder. Schlafen Sie gut.«

»Ich versuch’s. Übrigens, Herr Dr. Winter – wenn Sie wollen, können Sie Frau Wagner die Wahrheit erzählen. Sie hat sich so nett um mich gekümmert, daß ich finde, sie hat ein Anrecht darauf.«

»Wie kommen Sie darauf, daß ich es ihr erzählen will?«

»Ich wußte nicht, ob Sie das wollen, aber Frau Wagner möchte bestimmt gern wissen, woher Sie mich kannten und was hinter meinen Schwindelanfällen steckt.«

»Gut«, sagte er, »ich werde es ihr erzählen.« Er nickte ihr noch einmal zu, dann verließ er das Zimmer.

Als er draußen auf dem Gang war, fing er an zu rennen. Schließlich wollte er zu einer seiner seltenen Verabredungen mit Stefanie Wagner nicht zu spät kommen.

*

Er sah in ihre veilchenfarbenen Augen und wünschte sich, für den Rest seines Lebens an diesem Tisch sitzenbleiben zu können und nichts anderes zu tun, als sie anzusehen. War er verrückt geworden? Ja, ganz sicher.

»Herr Dr. Winter?« fragte Stefanie besorgt. »Ist Ihnen nicht gut?«

Er fuhr auf und strich sich verlegen die kurzen dunkelblonden Haare aus dem Gesicht. »Alles in Ordnung«, versicherte er. »Wollen Sie jetzt die Geschichte von Frau Markwart hören?«

»Wenn Sie sie erzählen dürfen, gern.«

»Sie hat mich ausdrücklich autorisiert.«

»Fein, dann schießen Sie mal los.«

Das tat er, und sie hörte ihm voller Staunen zu. »Das glaube ich einfach nicht!« sagte sie, als er seinen Bericht beendet hatte. Ihr Gesicht sah bekümmert aus. »Soviel Leid! Was muß sie durchgemacht haben in den vergangenen Tagen, Herr Dr. Winter.«

»Könnten Sie nicht wenigstens den Doktor weglassen, wenn Sie meinen Namen nennen? Das klingt so…« Er suchte nach dem richtigen Wort.

Sie kam ihm zu Hilfe. »Unpersönlich?«

»Ja, genau. Es klingt unpersönlich.«

»Sehr gern, Herr Winter«, erwiderte Stefanie mit einem strahlenden Lächeln, das seinen Puls beschleunigte. »Und wie geht es jetzt weiter mit Ihrer Patientin?«

»Ich denke, sie wird zunächst ihre Angehörigen anrufen und sich mit ihnen noch einmal beraten. Und dann wird sie sich hoffentlich operieren lassen bei uns.«

»Hat sie Chancen?«

»Sicher, sonst würden wir die Operation nicht durchführen. Aber ein Risiko bleibt bestehen. Der Tumor ist schon ziemlich groß, sie hat sehr lange gewartet.«

»Ist es ein gutartiger oder ein bösartiger? Entschuldigen Sie, daß ich so dumm frage, aber ich verstehe von Medizin überhaupt nichts.«

»Es ist ein gutartiger Tumor, sonst sähen Frau Markwarts Chancen deutlich schlechter aus. Einen gutartigen Tumor erkennt man daran, daß er sauber abgekapselt ist.«

»Ach so.« Sie trank von ihrem Wein. »Ich mache mir Vorwürfe«, sagte sie nach einer Weile, »daß ich Sie nicht schon beim ersten Mal angerufen habe, als ich ihr begegnet bin. Da ging es ihr ja auch schon schlecht.« Sie erzählte Adrian von ihrem ersten Zusammentreffen mit Felicitas Markwart.

»Machen Sie sich nicht auch noch Vorwürfe«, erwiderte er. »Ich mache mir schon genug.«

»Sie?« fragte sie voller Erstaunen. »Aber Sie haben doch überhaupt keinen Grund dazu – im Gegenteil. Sie haben sogar Ihre Pause geopfert, um ins Hotel zu kommen.«

Er schüttelte den Kopf. Und bevor er es verhindern konnte, sagte er: »Da hat auch mitgespielt, daß ich Sie gerne wiedersehen wollte, Frau Wagner.« Sofort erschrak er heftig über sich, daß er das wirklich gesagt hatte. So deutlich hatte er sich ihr gegenüber bisher noch nie geäußert.

Sie errötete und senkte den Kopf, ging aber nicht direkt auf seine Worte ein. »Trotzdem!« beharrte sie. »Sie haben sich gegenüber Frau Markwart nichts vorzuwerfen, finde ich.«

Er widersprach ihr nicht mehr. Heftige Enttäuschung überkam ihn, weil sie auf seine Bemerkung nicht reagiert hatte, wenn man einmal von ihrem Erröten absah. Warum hatte er das überhaupt gesagt? Er wußte doch, daß sie einen Freund hatte. Schließlich hatte er sie einmal zusammen gesehen, und das war ganz eindeutig gewesen…

Das Essen war ihm verleidet, und er hatte Mühe, sie das nicht allzusehr merken zu lassen. Auf einmal wollte er nur noch nach Hause.

Aber irgendwie schaffte es Stefanie, ihn doch wieder aufzuheitern mit allerlei Geschichten aus dem Hotel, über die er lachen mußte. Und als er sie schließlich nach Hause brachte, hatte er nur den einen Wunsch, sie möglichst bald wiederzusehen.

*

Felicitas lag wach in ihrem Bett. Es war früher Morgen, und sie überlegte wieder und wieder, wie sie ihr Gespräch mit Lukas beginnen sollte. »Hallo, ich bin’s, Feli. Lukas, es tut mir leid…« So ungefähr? Es hörte sich ziemlich blöd an, fand sie. Aber wahrscheinlich hörte sich alles so an, weil sie sich eben blöd benommen hatte.

Es klopfte leise. Bevor sie sich fragen konnte, wer zu dieser Zeit schon etwas von ihr wollte, wurde auch schon die Tür geöffnet. »Hallo, Feli!« sagte eine zärtliche Stimme, und für einen Augenblick dachte sie, nun sei sie endgültig verrückt geworden. Es war völlig unmöglich, daß Lukas, an den sie gerade eben gedacht hatte, jetzt auf einmal vor ihr stand – in voller Größe.

Aber er stand schon nicht mehr, sondern er hatte sich bereits über sie gebeugt und sie in die Arme genommen. Er küßte sie zärtlich auf jeden Zentimeter ihres Gesichts und murmelte dabei: »Warum hast du kein Vertrauen zu mir gehabt, Feli? Ich bin fast verrückt geworden vor Angst und Sorge! Ich hatte sogar schon einen Detektiv angeheuert, der dich finden sollte, als dieser Anruf kam…«

»Welcher Anruf, Lukas?« fragte sie, während sie gleichzeitig ganz fest ihre Arme um ihn schloß.

»Von einem Herrn Laufenberg«, berichtete er.

»Den kenne ich gar nicht«, wunderte sie sich.

»Er hat mir die ganze Geschichte erzählt – auf eine sehr nette und einfühlsame Weise, muß ich sagen. Zuvor hatte er deine Eltern angerufen und sie informiert. Dann hat er gefragt, ob sie mit mir sprechen wollen oder ob er das tun soll. Sie waren noch so erschüttert, daß sie ihm meine Nummer gegeben und ihn gebeten haben, das zu übernehmen.«

»Sind sie auch hier?«

Lukas nickte. »Sie warten draußen. Sie wollten uns beiden nur ein bißchen Zeit lassen.«

»Sie sollen hereinkommen«, bat Feli leise. »Ich habe euch soviel Kummer bereitet, das tut mir sehr leid.«

»Du hattest auch Kummer, Feli«, sagte er und strich ihr sanft über das Gesicht. »Man soll so etwas nicht allein mit sich herumtragen. ›In guten wie in schlechten Tagen‹ heißt es – das muß man ernst nehmen. Sonst braucht man nicht zu heiraten.«

Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. »Ich weiß«, flüsterte sie. »Jetzt weiß ich das alles, Lukas. Ich habe viel nachgedacht in den letzten Tagen, das kannst du mir glauben.«

»Ich auch«, versicherte er. »Willst du mich heiraten, Feli? Immer noch?«

»Klar«, antwortete sie. »Was dachtest du denn?«

Er küßte sie, dann stand er auf und ging zur Tür. Gleich darauf kam er mit Marianne und Gerd Markwart zurück. Mit Tränen in den Augen schlossen sie ihre Tochter in die Arme. In dem anschließenden Gespräch, das sehr lange dauerte, fiel kein Wort des Vorwurfs.

*

»Sollen Ihre Besuche bei mir zur Dauereinrichtung werden, Herr Dr. Winter?« erkundigte sich Thomas Laufenberg mit ernster Miene. »Allmählich finde ich das richtig beunruhigend, wie oft wir uns in letzter Zeit sehen.«

»Keine Sorge«, erwiderte Adrian. »Dies ist das letzte Mal für längere Zeit, Sie können sich darauf verlassen.«

»Haben Sie mir das nicht schon einmal versprochen?« erkundigte sich der Verwaltungsdirektor und tat, als würde er angestrengt nachdenken.

»Hab’ ich das? Daran kann ich mich nicht erinnern. Jedenfalls dachte ich mir, daß ich Ihnen zur Abwechslung ja auch einmal ein Lob aussprechen könnte – Ehre, wem Ehre gebührt.«

»Ein Lob?« Thomas Laufenberg war sichtlich verdutzt. »Nun sagen Sie bloß, eine meiner verwaltungstechnischen Maßnahmen findet Gnade vor Ihren Augen!«

»Eigentlich nicht«, gab Adrian zu.

»Oder habe ich Sie etwa überzeugen können, daß wir an einem Strang ziehen, was die Klinik betrifft? Das wäre wirklich ein völlig unerwarteter Erfolg.«

»Darum geht es überhaupt nicht«, entgegnete Adrian. »Ich rede von Ihren Anrufen bei den Eltern und dem Verlobten von Felicitas Markwart. Das fand ich ziemlich mutig – und gefallen hat es mir auch. Hätte direkt eine Idee von mir sein können.«

Es erschien jenes breite Lächeln auf dem Gesicht des Direktors, das ihm um Jahre verjüngte, das er aber nur äußerst selten sehen ließ – zumindest, wenn er im Dienst war. »Freut mich, daß Sie das so sehen. Ehrlich gesagt, ich war auch recht zufrieden mit mir.«

»Das war’s schon«, sagte Adrian und wandte sich zum Gehen. »Da ich bisher immer nur zu kritisieren hatte, wollte ich es jetzt einmal anders machen.«

»Vielen Dank«, erwiderte Thomas Laufenberg förmlich.

»Aber wenn ich schon einmal hier bin«, sagte Adrian listig, »dann kann ich Sie ja auch gleich daran erinnern, daß wir in der Notaufnahme nach wie vor chronisch unterbesetzt sind. Die Dienstpläne müßten meiner Meinung nach so geändert werden, daß uns pro Schicht mehr Leute zur Verfügung stehen. Wir häufen nämlich nach wie vor Überstunden an, Herr Direktor!«

Thomas Laufenberg seufzte lautlos. Dieser Dr. Winter war ein Nagel zu seinem Sarg mit seiner Hartnäckigkeit. Er bewunderte den anderen insgeheim, weil er so für seine Abteilung kämpfte, aber er fand ihn auch sehr anstrengend. Er holte zu einer wohlgesetzten Erwiderung aus, doch der Arzt kam ihm zuvor.

»Keine Sorge, Sie müssen jetzt nichts dazu sagen. Ich bin ja diesmal nur gekommen, um Ihnen ein Lob auszusprechen – da wollen wir über die anderen Sachen gar nicht reden! Auf Wiedersehen, Herr Laufenberg!«

»Aber bitte nicht so bald!« rief Thomas ihm nach. Immer sollte der Notaufnahmechef auch nicht das letzte Wort haben.

*

»Und morgen ist also die Operation?« fragte Carola Senftleben und setzte Adrian eine Portion gekochtes Rindfleisch mit Meerrettichsauce vor.

»Ja, morgen«, bestätigte er und begann zu essen. »Einer unserer Hirnspezialisten übernimmt sie, und ich assistiere. Auf diesem Gebiet arbeite ich sehr selten, deshalb bin ich froh, daß ich dabei sein kann. Hochinteressant ist das für mich. Und ich hoffe natürlich, daß alles gut geht für die Patientin.«

»Wie geht es ihr denn jetzt?«

»Sie scheint ein anderer Mensch geworden zu sein, seit sie sich die ganze Geschichte von der Seele geredet hat und seit ihr Verlobter und ihre Eltern da sind.«

»Ist der Verlobte der richtige Mann für sie?« Carola Senftlebens Stimme klang besorgt. »Nach allem, was sie durchgemacht hat, kann man ihr das nämlich nur wünschen.«

»Ganz sicher!« sagte Adrian voller Überzeugung. »Ich hatte auch Angst, was das angeht, aber er liebt sie, das sieht man sofort. Und sie liebt ihn auch. Sie sagt ja selbst, daß bei ihr eine Sicherung durchgebrannt ist, als sie die Diagnose gehört hat. Und dann hat es ein paar Kurzschlußhandlungen gegeben.«

»Hoffentlich geht alles gut aus«, meinte Frau Senftleben nachdenklich. »Komisch, Adrian, ich kenne die Frau ja gar nicht, aber Sie haben mir so anschaulich von ihr erzählt, daß ich das Gefühl habe, sie sei eine gute Bekannte von mir.«

»So revanchiere ich mich eben für die hervorragende Verpflegung«, sagte er und lächelte sie voller Zuneigung an. »Sonst kann ich ja nicht viel für Sie tun, Frau Senftleben.«

Sie strahlte vergnügt. »Müssen Sie auch nicht. Sie tun mehr als genug für mich, glauben Sie mir das. Heute gehen Sie wohl früh schlafen?«

Er nickte. »Muß ich unbedingt, ich will morgen fit sein. Das wird ein anstrengender Tag, der Tumor sitzt nämlich an einer Stelle, die nicht ganz einfach zu erreichen ist.«

»Ich werde an Sie denken«, versprach seine Nachbarin. »Und an die Patientin auch. Sehen Sie, daß ich recht hatte, als ich sagte, Sie würden sie wiedersehen?«

»Ja, das ist mir auch wieder eingefallen, Frau Senftleben. Sie haben eben doch so eine Art sechsten Sinn.«

Sie räumte die Teller ab, und er wollte ihr helfen. Doch sie hinderte ihn energisch daran. »Bleiben Sie bloß sitzen und kommen mir hier nicht in die Quere. Es gibt noch Nachtisch. Und danach verschwinden Sie in Ihrer Wohnung und legen sich ins Bett.«

»Ist gar nicht so gesund mit vollem Magen«, wagte er einzuwerfen.

»Ach was, voller Magen! Das war ein leicht bekömmliches Essen, und die Portionen waren klein!«

Er grinste und wartete brav, bis sie ihm ein Schüsselchen Schokoladencreme vorsetzte. Während er sie genußvoll in sich hineinlöffelte, überlegte er sich, daß er demnächst schon wieder einen Grund hatte, Stefanie Wagner anzurufen. Schließlich mußte er ihr berichten, wie die Operation verlaufen sein würde.

»Was ist los?« erkundigte sich Frau Senftleben. »Sie sehen so aus, als hätten sie gerade im Lotto gewonnen.«

»Das kommt von Ihrer Schokoladencreme, Frau Senftleben!« log Adrian hastig. »Sie macht mich einfach glücklich!«

Natürlich sagte er nicht die Wahrheit, doch das störte sie nicht. Was immer Adrian Winter glücklich machte, sie gönnte es ihm.

*

Im Operationssaal war nichts zu hören außer dem Summen der Geräte, dem leisen Klirren der Operationsbestecke und gelegentlichen Anweisungen, die der Operateur Dr. Gehlen gab. Adrian und er hatten den Tumor auf dem Monitor genau im Blick. Er saß, wie sie bereits vorher gewußt hatten, an einer schwierigen Stelle, aber Dr. Gehlen war nach wie vor optimistisch, daß sie es dennoch schaffen würden, ihn vollständig zu entfernen.

Das gesamte Operationsteam war sehr konzentriert. Dr. Gehlen gehörte zu jenen Operateuren, die Gespräche im OP nicht schätzen. Auch Musik hatte er sich verbeten. Deshalb war es ungewöhnlich ruhig, und unwillkürlich dämpfte jeder, der etwas zu sagen hatte, seine Stimme.

Die Patientin lag regungslos auf dem Operationstisch. Ihr Kreislauf war stabil, von daher rechnete niemand mit Komplikationen. Werner Roloff war der Anästhesist, Adrian und er hatten sich vor der Operation mit freundschaftlichem Schulterklopfen begrüßt. Sie freuten sich beide über die Zusammenarbeit. Bei der Gelegenheit hatte Werner seinem jüngeren Kollegen zugeflüstert: »Stimmt es, daß du beim Verwaltungsdirektor gewesen bist, um ihm ein Lob auszusprechen?« Er hatte bei dieser Frage ein ironisches Funkeln in den Augen gehabt.

»Woher hast du das denn schon wieder?« hatte Adrian völlig verblüfft zurückgefragt, doch sie waren nicht dazu gekommen, die Angelegenheit zu vertiefen, denn ihre Kollegen waren in diesem Augenblick gekommen, so daß eine Unterhaltung nicht mehr möglich gewesen war.

Leise erklärte Dr. Gehlen jetzt dem jungen Notaufnahmechef jeden seiner Schritte, und Adrian war froh über diese Gelegenheit, sein Wissen auf einem Gebiet aufzufrischen, mit dem er nicht allzu häufig zu tun hatte. Fasziniert beobachtete er die Präzision, mit der der Tumor aus seinem Versteck geschält wurde, und wieder einmal fand er, daß er den schönsten Beruf der Welt hatte.

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Lukas Bromberger war bleich vor Aufregung und Anspannung und Felis Eltern ging es nicht anders. Wie lange konnte denn eine solche Operation noch dauern? Es kam Lukas vor, als sitze er schon endlos hier, aber immer, wenn er einen Blick auf seine Uhr warf, war der Zeiger gerade mal wenige Minuten vorangekrochen.

Marianne Markwart zerknüllte nervös ein Taschentuch in ihren Händen, während ihr Mann still neben ihr saß, den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen.

Und dann endlich öffneten sich die Türen des OP, und mehrere Leute strömten heraus. Die drei wartenden Menschen sprangen auf und sahen ihnen entgegen, aber niemand würdigte sie eines Blickes. Dann aber kam Dr. Winter mit einem älteren Arzt auf sie zu. »Herr Dr. Gehlen, dies sind die Eltern der Patientin, Frau und Herr Markwart. Und ihr Verlobter, Herr Bromberger.«

»Wie geht es ihr?« fragte Marianne Markwart mit zitternden Lippen.

»Die Operation ist gut verlaufen, Frau Markwart«, sagte Dr. Gehlen mit ruhiger Stimme. »Wir haben den Tumor vollständig entfernen können, es hat keinerlei Komplikationen gegeben. Ich muß sagen, schon lange habe ichkeine Operation mehr durchgeführt, bei der alles so glatt verlaufen ist. Allerdings hatte ich auch einen erstklassigen Chirurgen an meiner Seite!« Er schlug Adrian Winter freundschaftlich auf die Schulter. »Wenn Sie sich jemals von der Unfallchirurgie verabschieden wollen, Herr Kollege, bei mir ist immer Platz für Sie.«

Er verabschiedete sich, und Adrian sagte: »Es stimmt, was Dr. Gehlen gesagt hat. Die Operation ist sehr gut verlaufen. Sie müssen sich keine Sorgen mehr machen.«

Marianne Markwart weinte leise in den Armen ihres Mannes, dem selbst die Tränen in den Augen standen. Auch Lukas Bromberger schämte sich seiner Rührung nicht. »Wann wird sie aufwachen?« fragte er. »Wann können wir sie sehen?«

»Lassen Sie ihr Zeit bis morgen, dann wird sie sogar schon wieder mit Ihnen sprechen«, antwortete Adrian. Er wußte, daß sich die Anspannung, unter der die drei gestanden hatten, erst ganz allmählich lösen würde, und so blieb er noch eine Zeitlang bei ihnen und wiederholte seine beruhigenden Aussagen. Er hatte das Gefühl, das sei er Felicitas Markwart schuldig.

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Felicitas schlug die Augen auf und sah Dr. Winter neben ihrem Bett sitzen. Er lächelte freundlich, und sie fragte: »Ist alles vorbei?«

»Ja«, antwortete er. »Und es ist alles gut gegangen, Frau Markwart. Der Tumor ist weg. Sie müssen sich zwar von jetzt an regelmäßig untersuchen lassen, aber im Augenblick ist alles in bester Ordnung. Haben Sie starke Schmerzen?«

»Ja, der Kopf tut ziemlich weh«, gestand sie. »Aber das macht nichts. Wenn ich nur weiß, daß ich noch einmal eine Chance habe…«

»Natürlich haben Sie eine Chance. Sie hatten immer eine«, sagte er sanft und erhob sich. »Hier sind noch andere, die mit Ihnen sprechen und sich mit eigenen Augen davon überzeugen möchten, daß es Ihnen gutgeht. Auf Wiedersehen, Frau Markwart, bis später.«

»Ich verdanke Ihnen so viel, Herr Dr. Winter, das weiß ich«, sagte sie. »Und ich werde es nie vergessen.«

»Nicht so wichtig«, meinte er. »Wichtiger ist, daß Sie heiraten und glücklich werden.« Er ging zur Tür und winkte die drei Menschen herein, die davor warteten.

Er sah noch, daß Lukas Bromberger sich über die Patientin beugte und ihr einen zärtlichen Kuß gab, dann schloß er leise die Tür hinter sich. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß es zwar nicht ganz passend sein würde, Stefanie Wagner jetzt schon anzurufen, aber er würde es trotzdem tun. Und er würde sie fragen, ob sie bald wieder einmal mit ihm ausgehen wolle…

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman

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