Читать книгу Nela Vanadis - Nina Lührs - Страница 13
Botschaft aus Asgard
ОглавлениеNela trat an den Kaminsims. Sogleich spürte der Lysane ihre Traurigkeit, die durch die Fotos ihrer geliebten Angehörigen wachgerufen wurde.
„Möchtest du darüber sprechen?“, fragte Jarick holprig. Zwar verlor auch er im Laufe seines Lebens geliebte Personen, doch die Gabe, anderen in ihrer Trauer beizustehen, war ihm nicht gegeben. Jeder ging auf seine Weise mit dem Verlust um, demnach war es stets eine Herausforderung, den richtigen, individuellen Beistand zu leisten. Diese Fähigkeit besaßen die Disen bis zur Perfektion, aber nicht die Asen und schon gar nicht er.
„Worüber?“ Bedächtig drehte sie sich zu ihm um.
„Über deinen großen Verlust.“
Mit Tränen in den Augen schüttelte Nela den Kopf. Innerhalb einer Sekunde überwand Jarick die Distanz vom Sessel zu seiner Minamia, die kurz zusammenzuckte, als er sie tröstend in den Arm nahm. Noch war sein plötzliches Erscheinen für sie ungewohnt, aber mit der Zeit würde sie sich an seine lysanischen Besonderheiten gewöhnen, ihn sogar rechtzeitig erahnen. Zärtlich drückte er ihr einen Kuss auf die salzige Wange. „Der Schmerz wird vergehen.“
Zuversichtlich nickte sie, dabei rieb ihr Gesicht an seinem Hemd. Tief atmete sie durch, ihre Emotionen in den Griff bekommend, bevor sie zu ihm hinauf schaute. „Schön, dass du hier und für mich da bist.“
„Immer.“
„Weißt du schon, wann du und Tristan das Bündnis der Alvaren eingeht?“
„Eigentlich muss Tristan noch erfahren, bevor wir das Ritual vollziehen, welche Verpflichtungen er als Alvare eingeht. Jedoch verlangen die äußeren Umstände regelrecht danach, dass es schon bald sein wird.“
„Wie läuft das Ritual ab?“ Erwartungsvoll auf eine detaillierte Beschreibung der Bündniszeremonie sah Nela ihn an.
Mit einem Räuspern machte Till sich bemerkbar. „Oswin steht vor dem Tor.“
„Oswin?“ Ungern, aber unvermeidlich löste er die Umarmung mit Nela. Zu seinem und gewiss auch zu Nelas Bedauern musste ihr Gespräch vorerst verschoben werden. Gerne hätte er sie weiter im Arm gehalten, dabei ihr die Welt der Alvaren erklärt, jedoch musste er sich nun Oswin und seinem Anliegen zuwenden.
„Lass ihn herein.“ Es musste etwas sehr Wichtiges sein, wenn Oswin ihn in seiner Auszeit aufsuchte. Was war in Asgard geschehen, dass Oswin den Palast Glitnir verließ, um Jarick darüber persönlich in Kenntnis zu setzen? Der Lysane ahnte nichts Gutes.
„Nela, lass uns bitte alleine.“ Widerstrebend kam sie seiner Aufforderung nach. Natürlich verstand Jarick ihre Neugierde, den Grund seines Kommens zu erfahren, aber zuerst musste Jarick mit Oswin unter vier Augen sprechen.
„Ansu“, verneigte Oswin sich ehrfürchtig, nachdem er von Till in das Wohnzimmer geführt worden war. „Ich habe eine überaus wichtige Botschaft vom Allvater.“ Oswin, dem man sein hohes Alter mittlerweile ansah, überreichte ihm die Schriftrolle, die mit Odins Wappen versiegelt war.
„Danke“, nahm Jarick die Nachricht zögernd entgegen. Augenblicklich zog Oswin sich zurück, aber wartete vor der Tür des Wohnzimmers auf Anweisungen, die sich oft ergaben, wenn hochgeborene Lysane Nachrichten erhielten.
Noch bevor Jarick den Inhalt kannte, wusste der Lysane, dass seine derzeitige Auszeit vorbei war. Gerne hätte Jarick seine Samana zu Nela innerhalb seiner Auszeit gefestigt. Wenn er den Pflichten als Richtergott nachging, wurde alles viel komplizierter. Denn Nela bereitete sich in Midgard auf ihre Rolle als Großpriorin vor, während er in Glitnir Recht sprach. Zudem verschob sich das Alvarenbündnis mit Tristan auf unbestimmte Zeit, damit er Nela nicht ihrem Wächter beraubte.
Gefasst brach Jarick das Siegel, entrollte das Stück Pergament und starrte auf die kurze Mitteilung. Seine Befürchtung bewahrheitete sich. Unverzüglich verlangte der Allvater seine Anwesenheit. Die typische Nachricht seines Großvaters, ihm mitzuteilen, dass seine Auszeit sich dem Ende neigte.
„Oswin“, rief er seinen Ambahta, als er das Pergament wieder aufrollte. „Ich möchte, dass du hier bleibst und dich um meinen zukünftigen Schüler Tristan Paladin und die Herrin dieser Villa Lunela Vanadis kümmerst.“ Mit einem kurzen Kopfnicken bestätigte Oswin seine erhaltene Aufgabe, abermals zog er sich zurück.
Tief atmete Jarick durch, während er schnell das weitere Vorgehen durchdachte. Er musste sich beeilen, sonst würde Odin ihm für seine Unpünktlichkeit zürnen. Niemals war es ratsam, den Zorn eines Gottes auf sich zu lenken, auch nicht wenn man selbst zu ihnen gehörte.
Zügig holte er die Weite Stimme aus seiner Hosentasche. Er sprach sofort, als der Angerufene das Gespräch annahm. „Ivo, komm mit treuen Mitgliedern deiner Sebjo. Du musst während meiner sofortigen Abwesenheit Till dabei unterstützen, meinen zukünftigen Schüler Tristan Paladin zu beschützen.“
„Ich bin unterwegs“, beendete Ivo das Telefonat.
Noch während Jarick die Weite Stimme verstaute, eilte er zu Nela, die er im Arbeitszimmer ihres Vaters vor einem Buch sitzend fand. Als sie ihn bemerkte, schaute sie auf. „Hier steht, dass die Mitglieder einer Sebjo ein Mal, also eine Arwa, von ihrem lysanischen Oberhaupt erhalten. Dieses Mal zeigt nicht nur eindeutig die Zugehörigkeit, sondern auch welche Position das Mitglied innerhalb der Sebjo bekleidet. Wo trägt Oswin seine Arwa?“
„Am Handgelenk“, gab Jarick ihr eine Antwort.
„Meine Arwa wird immer gut versteckt sein“, erwiderte Nela gedankenvoll.
„Nela, ich muss sofort nach Asgard. Odin verlangt meine Anwesenheit.“
„Ist etwas passiert?“, fragte sie alarmiert.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er ehrlich. „In der Nachricht stand nur, dass ich unverzüglich erscheinen muss.“
„Es dauert nicht lange, dann habe ich meine Sachen gepackt.“ Mit den Worten sprang sie von ihrem Stuhl auf. Natürlich ging sie davon aus, dass er beabsichtigte, sie und auch Tristan nach Asgard mitzunehmen. Unter anderen Umständen hätte es keine andere Alternative gegeben, aber zu Odin ging er besser alleine.
„Nela, du und Tristan bleibt hier. Ivo wird mit treuen Gefolgsleuten kommen, um mit Till für Tristans Schutz zu sorgen. Oswin wird sich um dich kümmern“, sagte Jarick nachdrücklich.
„Einverstanden, wenn du es für ratsam hältst.“ Nela kam auf ihn zu. In ihrem Gesicht erkannte der Lysane den inneren Kampf, den sie mit ihren Gefühlen ausfocht, ihn nicht anzuflehen, ihn doch zu begleiten. Er wusste, dass ihre Vernunft siegte.
„So schnell wie möglich komme ich zurück, dann sehen wir weiter.“ Innig küssten sich die beiden zum Abschied.
„Lass Odin nicht warten“, riet Nela ihm schweren Herzens. „Je schneller du herausfindest, was er von dir möchte, desto eher bist du wieder bei mir.“
„Ich beeile mich“, versprach Jarick, als er sie in dem Arbeitszimmer allein zurückließ.
Übereilt verabschiedete er sich mit einigen raschen Anweisungen von Till. Tristan, der sich ebenfalls im Überwachungsraum befand, versprach seinem zukünftigen Meister: „Ich werde mich in der Kammer verborgen halten.“
Nachdem Jarick sein Schwert Billarehtu in seinem Futteral sowie ein paar Habseligkeiten geholt hatte, trat er durch die Haustür nach draußen. Kurz blickte er sich um, dann rief er mit einem Pfiff Winifred. Als der Vogel auf seiner Schulter landete, sagte er sanft mit einem wehmütigen Klang: „Es ist Zeit, nach Hause zu gehen.“
„U-Wee“, beschwerte der Kauz sich, denn es gefiel seiner weisen Beraterin in Midgard.
„Ich möchte auch nicht gehen.“ Ohne sich umzudrehen, eilte Jarick den Weg entlang. Im Schutz einer schattigen Ecke drückte er Winifred vorsichtig an seine Brust, schaute noch einmal zur Villa zurück, bevor er seine Geschwindigkeit beschleunigte. Wie ein Windhauch nahmen Passanten ihn wahr, als er an ihnen vorbeirannte. Ihm fehlte die Zeit, um gemächlich zum nächsten Schicksalstor zu gelangen.
Erst als er am Eingangstor des Hauptordenshauses, dem einstigen Vanadis-Anwesen, ankam, verlangsamte er seine Schritte. Möglichst ungesehen, im Schatten der Büsche überquerte er das Gelände zum Nebeneingang des Hauptordenshauses der Elhazen, der zum Schicksalstor führte.
Das einfache Symbol des Schicksalstors, ein Rundbogen, verriet ihm, dass er den richtigen Eingang gefunden hatte. Als er durch die Tür trat, gelangte er auf eine kleine Diele, an deren Steinwände künstliche Fackeln den Raum erhellten. In einer Ecke gab es einen kleinen, gemütlichen Wartebereich mit Sesseln, Lektüren und Erfrischungen.
„Guten Abend, wie kann ich Ihnen helfen?“, begrüßte ihn gähnend eine junge Walküre an ihrem Schreibpult.
„Unverzüglich möchte ich nach Asgard“, nannte Jarick sein Anliegen, während er zu ihr herantrat.
„Stammen Sie aus Asgard?“
„Ja.“
„Was halten Sie in Ihren Arm?“, fragte sie mit einem abgeneigten Gesichtsausdruck. Sofort erkannte Jarick, dass diese Frage nicht zu der eigentlichen Befragung gehörte.
„Einen Kauz.“
Mit rollenden Augen machte sie sich eine Notiz. „Nennen Sie mir bitte Ihren Namen“, führte die Walküre ihre Befragung gleichgültig weiter.
„Jarick Richter.“
„Sie dürfen gehen. Besuchen Sie Midgard bald wieder“, ordnete die Walküre gelangweilt an.
„Möge das Schicksal Ihnen wohlgesonnen sein.“ Jaricks Verabschiedung zauberte ein Erstaunen auf das hübsche Gesicht der jungen Eingeweihten. Ihre Augen öffneten sich weit.
„Euch ebenso“, erwiderte sie diesmal freundlich.
Jarick betrat den Schicksalsraum, in dem ihn ein Walkür erwartete, um ihm das Tor zu öffnen, das nach Asgard führte. Ein Widerwille nach Asgard zu gehen, durchfuhr Jarick. Doch er hatte keine Wahl. Odins Zorn durfte er nicht unterschätzen. Sein Vater hatte es getan, daraufhin verbannte Odin ihn nach Hel. Auf keinen Fall wollte er seinem Vater auf unbestimmte Zeit Gesellschaft leisten.
„Stammen Sie aus Asgard?“, wiederholte der Wächter des Tors die Frage der Empfangsdame. Wieder bestätigte Jarick die Frage geduldig.
„Sind Sie durch dieses Schicksalstor nach Midgard gekommen?“
„Nein.“
„Sie werden in Asenheim im Palast Folkwang ankommen“, teilte der Walkür ihm mit. „Angenehme Reise!“ Routiniert öffnete er die Tür des Schicksalstors. Mit gemischten Gefühlen trat Jarick hindurch. Eine Reise, die erneut sein Leben in eine andere Bahn lenkte.