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Von Falken und Gauklern

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Sich Nelas Willen vorläufig beugend, verschaffte Jarick sich einen Überblick über die Sicherheit der Villa.

Besonders die Nachricht über Armin Falks Flucht beunruhigte ihn sehr. Selbst wenn Nela Recht hatte und Armin das Opfer einer perfiden Intrige war, gab es dennoch Grund zur Sorge. Wer verbarg sich hinter den Initialen A. F.? Möglichst bald musste er eine Antwort finden, denn die Unwissenheit war ein starker Verbündeter des Feindes.

Jedoch bedeuteten ein massiver Zaun, der in Windeseile um das Anwesen errichtet wurde, und nur ein vertrauenswürdiger Huscarl, der diese Einfriedung bewachte, keine ausreichende Sicherheit. Nicht für seine Minamia!

Gerade demonstrierte Till ihm in dem neu eingerichteten Überwachungsraum das aktuelle Sicherheitssystem.

Aufmerksam schaute der Lysane auf einen Monitor, auf dem die Auffahrt des Anwesens erschien. Ein befestigter Weg bahnte sich durch die Rasenfläche zum Haus. Davor parkte Tills Sportwagen neben Tristans Scirocco.

„Jeder Winkel des Grundstückes kann eingesehen werden“, erklärte Till monoton, während er die Tastatur betätigte. Die einzelnen Bereiche des Anwesens tauchten auf den Bildschirmen auf: der Hauseingang, die Garage, verschiedene Blickwinkel des Gartens.

Plötzlich erschien Nela im Bild, die mit zügigen Schritten die Auffahrt Richtung Straße entlangging.

„Und im Gebäude?“, fragte Jarick abwesend, als sein Blick sich starr auf seine Nela richtete. Genau nahmen seine lysanischen Augen sie unter die Lupe. Ihr weißes Sommerkleid mit einem dezenten Blümchenaufdruck schmeichelte ihrer Figur, ihre zarten Füße steckten in weißen Ballerinas, und ihre langen dunkelblonden Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. Ihr aufrechter Gang war beschwingt, strahlte Zuversicht aus, ihre Arme schwangen locker mit. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er den verführerischen Schwung ihrer Hüften bemerkte. Im nächsten Moment fiel sein Blick auf ihre geraden Schultern, dann auf ihren entblößten Hals, der ein ungewohnt heftiges Verlangen nach ihrem Lebenssaft weckte. Unweigerlich bahnten sich die magischen Eindrücke ihres letzten Zusammenseins ihren Weg zurück in seine Gedanken, immer noch ihren unverwechselbar, köstlichen Lebenssaft auf der Zunge schmeckend. Sein lysanisches Ich schwelgte in süßen Erinnerungen, während er sich doch eigentlich auf das Gespräch mit Till einlassen sollte.

„Nein. Nela bestand darauf, dass es innerhalb des Hauses keine Videoüberwachung gibt“, antwortete Till kaum Verständnis aufbringend, der eine längere Diskussion mit der Herrin dieser Villa geführt hatte. „Sie legt sehr viel Wert auf ihre Privatsphäre.“

„Mmh“, stimmte Jarick wortkarg zu. Die Erinnerung an Nelas süßen Lebenssaft beherrschte fortwährend seine Aufmerksamkeit.

„Aber in den gemeinschaftlichen Räumen wäre es sehr hilfreich“, warf Till beharrend ein.

„Mmh.“ Am Tor angelangt, stellte Nela sich neben den rustikalen Briefkasten, um ihn mit dem Schlüssel zu öffnen. Jaricks Gedanken wanderten zu seinem unverzeihlichen Kontrollverlust, obwohl er sich zwang, seine Konzentration im Hier und Jetzt zu halten. Unerklärlich war sein triebhaftes Verhalten während ihrer Zweisamkeit. Wie ein drauganischer Jüngling hatte er sich benommen, der noch lernte, seine unterschiedlichen Seiten in Einklang zu bringen; sein lysanisches Ich zu beherrschen. Unverantwortlich gegenüber seiner Nela, zumal die Erinnerung und die Wunde des schmerzhaften Bisses des frevlerischen Draugers noch nicht verblasst waren. Rücksichtslos, seinen egoistischen Gefühlen folgend, nutzte er ihr unschuldiges Vertrauen in einer äußerst intimen Situation aus.

„Vielleicht ändert sie ihre Meinung, wenn du mit ihr redest.“

„Mmh“, brummte Jarick, als Nela einen Stapel Briefe aus dem Kasten hervorholte. Sein schlechtes Gewissen nagte an ihm, während der Lysane in ihm stolz seine Minamia beobachtete. Der Lysane holte sich, wen er begehrte. Jaricks menschliche Seite konnte dieses Begehren nicht leugnen, auch er verlangte nach Nela, aber nicht auf diese unehrenhafte Weise.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

„Mmh.“ Langsam, den Blick auf die Briefumschläge gerichtet, kehrte Nela zurück zur Villa.

„Ich habe Nela geküsst!“, forderte Till seinen Freund heraus, dabei lag ein schelmisches Grinsen auf seinen Lippen.

„Mmh.“ Immer noch in Nelas Bann gefangen, realisierte Jarick erst verzögert Tills unverschämte Behauptung. „Wie bitte?“, entfuhr es dem Lysanen, sogleich sprang er unbeherrscht von seinem Stuhl auf, doch Till lachte herzhaft.

„Endlich hörst du mir zu! Was ist los mit dir?“

Tills Frage traf den Nagel auf den Kopf. Welcher verhexten Macht war er unterlegen, dass er die Kontrolle über sich verlor? Verdammt, er war ein Ase, ein Gott! Wieso verhielt er sich so... so menschlich?

„Nichts!“, stieß er fahrig aus.

„Nichts?! So wirkst du aber nicht, Jarick!“

„Verdammt, Till, das geht dich nichts an!“, fuhr Jarick ihn verdrossen an, als Nela den Raum betrat.

„Für dich“, streckte sie ihm einen Umschlag entgegen, dabei sah sie ihn fragend an. Die angespannte Stimmung war regelrecht greifbar.

„Danke“, sagte er tonlos, während er den Brief entgegennahm. Tunlichst vermied er, sie direkt anzusehen, denn er wollte nicht, dass sie sein Verlangen bemerkte. Daher wanderte sein Blick über den gedruckten Absender des Briefes in seinen Händen. Wigald Rabe. Erst seit gestern verweilte Jarick wieder in Lüneburg, deshalb verwunderte es ihn, Post vom hiesigen Obermeister der Alvaren zu erhalten.

Jarick schaute von Nela zu dem Brief in seiner Hand. Zögernd verließ seine Minamia den Raum. Vorerst zog er es vor, das Gespräch mit Nela über den Biss noch ein wenig hinauszuschieben, sich selbst eine Galgenfirst gebend. Eilends öffnete er den Umschlag.

Fassungslos starrte Jarick auf die wenigen maschinell geschriebenen Zeilen. Langsam stieg Zorn in ihm auf, als er den Sinn realisierte. Ihm, Gervarus Balderson von Asgard, wurde befohlen, schon heute Abend das Twinning-Bündnis der Alvaren mit Tristan Paladin einzugehen. Bei Zuwiderhandlung erfolgte unverzüglich die Bestrafung für die Missachtung des Befehls: der Tod seines zukünftigen Schülers.

Was bildeten sich diese Midgardbewohner eigentlich ein?

Jarick holte tief Luft, um seine Wut und Empörung im Zaum zu halten. Es war schwer vorstellbar, dass Wigald Rabe dieses Schreiben aus eigenem Antrieb aufgesetzt hatte. Dringend musste Jarick sich mit den derzeitigen gesellschaftlichen Regeln und Machtverhältnissen in seiner einstigen Heimat beschäftigen, denn das Machtgefüge war doch sehr aus den Fugen geraten. Nicht nur die unwissende Gesellschaft veränderte sich in den letzten Jahrhunderten sehr, sondern auch die eingeweihte.

„Ich muss umgehend mit Wigald Rabe sprechen“, ließ Jarick seinen Freund wissen, während er sich schon auf dem Weg nach draußen befand.

„Weshalb?“, rannte Till ihm alarmiert nach.

„Weil diese Midgardbewohner sich anmaßen, mir Befehle zu erteilen“, stieß Jarick verärgert aus.

„Wie lautet der Befehl?“

„Heute Abend soll ich das Bündnis mit Tristan eingehen.“ Jarick erreichte die Haustür.

„Vielleicht ist es ratsam, wenn du Tristan mitnimmst. Immerhin betrifft es auch ihn“, schlug Till vor.

Trotz dieser Anmaßung wollte Jarick den Alvaren sowie dem Großprior Ansgar Ferdinand seine Absicht demonstrieren, mit Tristan das Twinning-Bündnis einzugehen. Aber Jarick entschied zusammen mit Tristan, wann das Ritual stattfand. „Dann könnt ihr auch das Auto nehmen“, meinte Till belustigt, flüchtig schenkte Jarick ihm einen nicht ernst gemeinten bösen Blick.

Sobald wie möglich musste er lernen, dieses beliebte Gefährt zu lenken. Seine Unkenntnis machte ihn abhängig von einer Person, die diese Kunst beherrschte. Jarick verabscheute diese Art von Abhängigkeit. Natürlich blieb ihm stets die Möglichkeit, auf die Bequemlichkeit eines Autos zu verzichten und den Weg zu Fuß zu beschreiten. Leider fiel es auf, wenn er sich hoch zu Ross in Lüneburg fortbewegte.

Ungeduldig wartete Jarick mit seinem zukünftigen Schüler in dem kargen Arbeitszimmer des Obermeisters Wigald Rabe. Immer wieder musste er sich selbst an seine derzeitige Identität erinnern. Zurzeit war er Jarick Richter, ein niederer Jarl aus Asgard und nicht Forseti, der Gott des Rechts, den kein Gesetzeshüter warten ließ.

„Wigald Rabe lässt sich unverschämt viel Zeit“, brummte Jarick verstimmt, dabei sich in dem spartanisch eingerichteten Raum umblickend.

„Sicherlich hat er viel um die Ohren“, versuchte Tristan, ihn zu besänftigen. „Außerdem haben wir keinen Termin.“

„Trotzdem...“, stieß Jarick verärgert aus, aber schluckte den Rest des Satzes herunter. Wenn er sich schon erdreistete, einen Termin für die Bündniszeromonie festzulegen, dann muss er gefälligst auch pünktlich zu einem kurzfristigen Treffen erscheinen.

„Er kommt bestimmt bald“, versicherte der Walkür.

„Woher nimmst du nur diese Geduld?“, seufzte Jarick, als er sich ungalant in seinen Stuhl setzte.

„Wir warten noch nicht lange“, zuckte Tristan mit seinen Schultern.

„Nicht lange?“, wiederholte Jarick heftig. Unbedingt musste er seine Rage zügeln, denn nur sachliche Argumente behoben dieses unnötige Problem. Zumindest hoffte er, eine gewalttätige Auseinandersetzung zu vermeiden.

„Jarick, seit einer Viertelstunde sitzen wir in diesem Raum. Sonst warte ich stundenlang.“

Du vielleicht, aber ich nicht, schoss es Jarick ungehalten durch den Kopf. Die Vorstellung, stundenlang nutzlos herumzusitzen, gefangen in seinem Gefühlschaos, erschien ihm unerträglich.

„Entschuldigen Sie die lange Wartezeit“, kam Wigald Rabe in sein Büro. Zügig begab er sich zu seinem Schreibtischstuhl.

Endlich, atmete der Lysane auf, während Tristan sich höflich von seinem Stuhl erhob. Jarick hingegen nicht. Das wäre ja noch schöner, wenn er, Forseti Gervarus Balderson von Asgard, diesem unverschämten Drauger eine göttliche Ehre zuteilkommen ließe. Abermals vergaß er seine Midgardidentität. Natürlich bemerkte Wigald Rabe Jaricks unhöfliches Verhalten, er überging jedoch diese Respektlosigkeit.

„Neuerdings benötigen die Alvaren andauernd meinen Rat. Was kann ich für Sie tun?“, setzte sich der Obermeister.

„Ihr Brief“, antwortete Jarick mit hochgezogenen Augenbrauen, obwohl der Alvare die Antwort kennen müsste. Höflicherweise verkniff der Lysane sich das Attribut anmaßend.

„Mein Brief?“, erwiderte Wigald Rabe verständnislos.

„Ja, in dem Sie mir befehlen, heute Nacht Tristan Paladin zu meinem Schüler zu erheben“, half Jarick ihm auf die Sprünge, woraufhin Wigald Rabe seine Stirn runzelte.

„Darf ich den Brief sehen?“ Der Alvare streckte seine Hand aus. Ohne Zögern übergab Jarick ihm das Schreiben. Schweigend studierte Wigald die wenigen Zeilen.

„Weder habe ich diesen Brief verfasst noch diesen dreisten Termin festgesetzt. Jemand hat sich meiner Identität bemächtigt“, empörte der Obermeister sich nach einer Weile verärgert.

Während Jarick in seinen Gedanken mögliche Kandidaten in Erwägung zog, warf Tristan einen Namen in den Raum. „Ansgar Ferdinand?“

„Ich denke nicht“, widersprach Wigald ihm. „Der Großprior der Elhazen möchte Ihren Tod, Herr Paladin. Es liegt ihm also fern, dass Sie das Bündnis mit Herrn Richter eingehen.“

„Bei Zuwiderhandlung wird abermals mit meinem Tod gedroht.“

„Ja, allerdings glaube ich, dass das nur ein Druckmittel ist, um dem Befehl nachzukommen“, überlegte der Obermeister.

„Demnach scheidet Ansgar Ferdinand aus“, stimmte Jarick zu.

„Wer sonst?“, hakte Tristan nach.

„Theo Frankus mag es gar nicht, wenn man seine uneingeschränkte Autorität als Oberhaupt des Draugerordens anzweifelt“, begann Wigald bedenkend. „Ich vermute, nachdem Theo Frankus seinem Lakai Fido Tanner den Befehl gegeben hatte, Ihnen eine Lektion zu erteilen, verfasste Fido eigenmächtig diesen Wisch. Getreu nach dem Motto: Gehorche oder stirb!“ Wigalds Ausführungen waren durchaus plausibel. Zumal Jarick Fido Tanners schändliche und Theo Frankus´ verwerfliche Charakterzüge kannte.

„Ist Fido Tanner nicht bewusst, dass er mit seiner unverschämten Forderung die Riten, Sitten und Gesetze der Alvaren mit Füßen tritt?“, stieß Jarick vergrämt aus, obwohl er die Antwort nur allzu gut kannte. „Den Ort und den Termin für die Bündniszeremonie lege ich fest. Nur der Allvater persönlich wäre in der Position, mir einen Zeitpunkt vorzuschlagen. Obermeister Rabe, lassen Sie die Eingeweihten von Midgard wissen, dass Tristan Paladin mein Schüler wird, aber nicht heute.“ Daraufhin erhob Jarick sich würdevoll.

„Fido Tanner wird Tristan töten lassen“, warnte Wigald.

„Warum versteckt er sich hinter Ihrer Identität?“

„Das müssen Sie Fido Tanner fragen.“

„Bedauerlicherweise handelt es sich bei diesem Fido Tanner um einen außerordentlichen Feigling, daher wird er gewiss nicht selbst kommen, um sich meinem Schwert zu stellen. Aber eines Tages wird er mir über den Weg laufen“, drohte Jarick mit einer Kälte in der Stimme, die den Obermeister zusammenzucken ließ.

„Wenn es Probleme gibt, rufen Sie uns. Das ist immerhin die Aufgabe der Alvaren“, verabschiedete Wigald die beiden.

„Schicken Sie mir Ivo Lindbur mit seinem Bündnis“, forderte Jarick höflich.

„Natürlich“, verstand Wigald seine Bitte, die aber nach einer Anweisung klang. Stets zog es ein Ansu vor, Mitglieder seiner Sebjo in schwierigen Zeiten an seiner Seite zu wissen.

Schweigend verließen Jarick und Tristan das Alvarenhaus, das unweit des Gerichtsgebäudes lag. Mit einem Fingerzeig hatte er den Walkür darauf hingewiesen, keinen Ton von sich zu geben, denn zu viele fremde Ohren könnten ihr Gespräch belauschen. Schleunigst wollte der Lysane zurück zur Villa, um die nötigen Maßnahmen für den bevorstehenden Angriff zu ergreifen.

Hundertprozentig schickte Fido Tanner in der Nacht seine Schergen, um seine Drohung wahr werden zu lassen. Aber Jarick würde ihnen einen gebührenden Empfang bereiten.

Als sie den Hof zum Parkplatz überquerten, begegneten sie einer guten Bekannten, mit der Jarick an diesem Ort nicht gerechnet hätte. Schützend hielt sie sich die Hand gegen die abendlichen Sonnenstrahlen vor die Augen. Das Licht ließ ihre Haare glänzen, zauberte eine strahlende Aura um die Vanin, die im Gegensatz zu ihren gewohnten Gewändern in einer Jeans und einer enganliegenden Bluse gehüllt war.

„Gersimi“, begrüßte Jarick sie überrascht.

„Jarick, was für ein seltsamer Zufall“, erwiderte sie mit einem erfreuten Lächeln.

„Was führt dich hierher?“, wollte Jarick gleich wissen.

„Neugierde. Ich wollte mich persönlich erkunden, was der Orden Elhaz in Midgard treibt. Mutter ist immer noch über die merkwürdigen Zustände sehr besorgt.“

„Merkwürdig trifft es ganz gut“, stimmte Jarick ihr zu.

„Tristan, es freut mich, dich wiederzusehen. Wie geht es Lunela?“, bemerkte Gersimi den Walkür. Ehrfürchtig verneigte Tristan sich kurz, bevor er der Vanin antwortete. „Danke der Nachfrage. Lunela geht es gut.“

Suchend blickte sie sich um. „Wo ist sie? Ich möchte kurz mit ihr plaudern.“

„Sie studiert zu Hause die Gesetze des Ordens.“

„Schade, aber in der Tat muss sie viel lernen. Eine Schande, dass Gilbert Vanadis seiner Pflicht nicht folgte, seine Kinder standesgemäß zu erziehen. Allerdings ist er nicht der erste Vanadis, der seine Verpflichtung gegenüber dem Orden nicht erfüllt. Jarick, was machst du eigentlich in Midgard?“, fragte Gersimi beiläufig.

„Ich genieße meine Auszeit.“

„In Midgard?“, bezweifelte Gersimi höhnisch.

„Midgard hat sich sehr verändert. Es wird Zeit, diese Veränderungen kennen zu lernen“, gab der Lysane der Vanin eine Erklärung.

„In Lüneburg beim Orden Elhaz? Ich hörte von aufregenden Orten in dieser Welt“, glaubte sie ihm nicht.

„Du warst schon immer sehr neugierig“, schmunzelte Jarick.

„Ohne Neugierde wäre das Leben doch furchtbar langweilig. Immer derselbe alltägliche Trott. Da wäre man sehr schnell des Lebens überdrüssig. Ich fröne meine Neugierde und du deine Auszeiten“, erwiderte Gersimi mit einem koketten Zwinkern.

„Ich lasse Nela nicht gerne lange alleine“, drängte Tristan nach einem raschen Aufbruch, sofort erntete er für seine unaufgeforderte Äußerung einen missbilligenden Blick der Vanin.

„Ein gewissenhafter Wächter. Das ehrt dich. Aber unterbreche niemals ein Gespräch unter Göttern“, herrschte Gersimi ihn ungehalten an.

„Gersimi, nicht nur Lunela muss noch viel lernen, sondern auch mein zukünftiger Schüler im Umgang mit Asen und Vanen“, nahm Jarick den Walkür in Schutz.

„Du gehst ein Bündnis ein?“, wunderte Gersimi sich.

„Ja. Tristan und ich werden bald ein Bündnis bilden“, versetzte Jarick.

„Nur ein Twinning-Bündnis?“

Der Lysane nickte. „Gersimi, du solltest es nicht zu laut durch die Gegend posaunen, dass ich ein Gott bin. In Midgard bin ich der niedere Jarl Jarick Richter“, klärte er sie mit Nachdruck auf.

„Keine Angst. Ich gefährde deine Bündnis-Auszeit schon nicht. Ich weiß doch, wie viel dir deine Auszeiten bedeuten“, erwiderte Gersimi versöhnlich. „Außerdem warst du schon immer ein hervorragender Alvare. Freya mag es, wenn du dich mit ihren Walküren und Walkür verbündest. Sie achtet dich sehr. Wann und wo wird die Zeremonie stattfinden? Ein bedeutendes Fest, an dem Freya gerne zugegen ist.“

„Sobald der Termin feststeht, wird Freya rechtzeitig davon erfahren“, antwortete Jarick.

Freya sah es als persönliche Beleidigung an, wenn Jarick sie nicht zu dem Ritual als Zeugin einladen würde. Allerdings wollten Jarick und Tristan kein großes Fest.

„Auch wenn die Sonne schon tief steht, sollte ich in den Schatten gehen“, wechselte Gersimi das Thema, aber beendete nicht die Unterhaltung. Ihr Blick forderte ihn eindeutig auf, ihr in den Schatten unter den mächtigen Laubbäumen zu folgen. „Auch wenn du es gut überspielst, weiß ich, dass die warmen Strahlen dich schwächen.“

„Natürlich, tun sie das“, stimmte Jarick ihr zu, doch ihm war nicht danach, weiter mit Gersimi über Belanglosigkeiten zu plaudern, während es wesentlich Wichtigeres zu organisieren gab. Zudem musste er dringend mit Nela sprechen. „Deshalb werde ich jetzt auch aufbrechen. Möge das Schicksal dir wohl gesonnen sein.“

„Ebenso dir, Gaukler.“

Während Gersimi sich zu den alten Bäumen begab, gingen Jarick und Tristan zügig zu dem Scirocco. Bevor Jarick einstieg, streifte er Gersimi mit einem wachsamen Blick.

Erst als sie auf der Straße fuhren, gestattete Jarick seinem zukünftigen Schüler das Wort.

„Es tut mir leid. Ich wollte Gersimi nicht beleidigen“, brach es sogleich aus Tristan heraus.

„Mach dir darüber keine Gedanken. Gersimi hört sich gerne selbst reden und mag es allgemein nicht, unterbrochen zu werden“, beruhigte Jarick ihn.

„Ich vermute, dass sie auch bei der Zeremonie dabei sein möchte.“

„Ja. Doch wenn ich Gersimi einlade, muss ich den gesamten Adel der Asen und Vanen die Ehre erweisen. Dann ist sowohl meine Auszeit passé als auch unser Wunsch, die Feierlichkeiten klein zu halten.“

Nela Vanadis

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