Читать книгу Viele Frösche musst du küssen, Tinderella! - Nina Ponath - Страница 7
4 »Hey …« – »Na …«:
Die Chroniken von Tinder
ОглавлениеDieser beschissene Alex! Wann hat er bitte diese andere, die anscheinend besser ist als ich, kennengelernt? Zwischen unserem ersten und dem zweiten Date? Oder am Dienstag?! Der Tag, an dem er offiziell keine Zeit hatte, weil er ja so beschäftigt damit war, zu packen und alles für Wien vorzubereiten? So ein Arschloch! Warum macht er erst einen auf schockverliebt, wenn er es am Ende gar nicht so gemeint hat? Wirklich! Ich habe ja absolut kein Problem damit, wenn jemand sich gegen mich entscheidet, denn, seien wir mal ganz realistisch: Irgendwo da draußen gibt es sie bestimmt, diese eine, die zwei Körbchengrößen mehr hat als ich, aber trotzdem dünner ist, deren Haare auch ohne zwei Stunden Glätteisen-Bearbeitung sitzen und die nicht mit der Synchronstimme von Marge Simpson spricht. Es gibt sie und das ist okay. Aber einen erst anzulocken, um einen dann doch wieder wegzuwerfen – das ist so was von unfair! Dabei war man nach drei Dates doch quasi schon auf der sicheren Seite. Ehrlich, in anderen Ländern stellen die Mädels den Kerl dann schon offiziell als neuen Freund vor.
Ich war, um ganz ehrlich zu sein, auch schon kurz davor. Als meine Mama, die noch aus der Generation stammt, wo man sich nur trennt, wenn schon der Nächste mit einem Ring wartet, und für die es so etwas wie »Singles« einfach nicht gibt, sich neulich wieder mal erkundigt hat, ob es für meinen Exfreund mittlerweile einen Ersatz gebe, hätte ich beinahe versehentlich Ja gesagt. Ich habe es mir dann nur verkniffen, weil meine Mama der neugierigste Mensch der Welt ist und sofort nach Alex’ Sternzeichen, seiner Lieblingsfarbe und seiner Blutgruppe gefragt hätte – alles Dinge, die ich nicht hätte beantworten können. Gott sei Dank habe ich meinen Eltern nichts von ihm erzählt, denn zwei Tage nach seiner Abfuhr grinst mich auch schon sein neues WhatsApp-Bild an: Alex im Himmel, mit einem blonden Mädel an seiner Seite, das, der Stellung seiner Hand nach zu urteilen, eher nicht seine Schwester ist. Gefunden auf Tinder, nicht bei Otto.de. Danke dafür. Wenigstens sieht sie nicht ganz so gut aus wie erwartet und hätte in ihrer Kindheit mal eine Zahnspange vertragen können. Was für eine Frechheit, dass er die mir vorzieht.
Wirklich, Tinder verdirbt einen nur. Während man selbst seinen Freunden und Eltern von der neuen Beziehung erzählt, befindet sich der andere noch mitten im Dating-Marathon, der einem öffentlichen Massencasting gleicht. Nur weil man ein paar nette Treffen hinter sich hat, gern Zeit miteinander verbringt und eigentlich ganz gut zusammenpasst, steuert man bei Tinder noch lange nicht auf eine Beziehung zu. Weit gefehlt! Wer sagt einem denn auch, dass man schon das Beste für sich rausgeholt hat? Vielleicht liegt man mit dem momentanen Match in so einer Art »Präferendum«, alle Umstände sind so weit okay, dass hier eine Beziehung entstehen könnte. Aber es könnte ja auch immer noch jemand Besseres kommen. Von Exklusivität keine Spur. Deshalb bedeuten bei der App drei gut gelaufene Dates auch gar nichts mehr. Ich frage mich langsam wirklich, was ich überhaupt hier suche.
Ganz allgemein ist Tinder nicht besonders stilvoll, nicht nur wegen der Sache mit Alex. Meistens kriegt man zum Einstieg ja nur diese ätzenden »Hey …«- und »Na …«-Nachrichten. Was das soll, verstehe ich wirklich nicht. Was soll man auf ein »Hey« großartig antworten? Auch »Hey«? Dann ist die Konversation sozusagen ja auch schon am Ende.
Noch abschreckender als so ein knapper Einstieg in ein Gespräch sind allerdings diese meterlangen ersten Nachrichten, von denen man ganz genau weiß, dass sie irgendwo als Notiz im iPhone abgespeichert sind und bei jedem Match erneut über Copy-and-Paste zum Einsatz kommen. Die Verfasser solcher Nachrichten geben sich dabei gern pseudo-intellektuell, emotional, total tiefgründig und gern auch ein bisschen verrückt. So was wie: »Hey. Stell dir vor, wir sind ein Paar, es regnet und wir kommen zusammen in den Regen. Was machst du? a) Du bekommst schlechte Laune und fängst an zu schimpfen. b) Du tanzt im Regen.« Sorry, ich nehme: c) Ich lösche unsere Tinder-Verbindung umgehend und weiß wieder ganz genau, was der Begriff »fremdschämen« bedeutet.
Es gibt aber auch noch genug andere Möglichkeiten, sich das Tinder-Match sofort mit der ersten Nachricht zu verderben. Mir hat neulich zum Beispiel ein Kerl geschrieben, ich sehe »irre« aus. Na, vielen Dank auch. Oder der Typ von Kathi kürzlich, der ihr gleich in der ersten Nachricht schrieb, er würde total auf ihr »gebehr«-freudiges Becken stehen. Schon so ein etwas fragwürdiges Kompliment, aber wenn, dann soll er es doch bitte wenigstens richtig schreiben.
Wirklich, allmählich habe ich den Eindruck, die meisten meiner Tinder-Bekanntschaften scheitern noch vor dem ersten Treffen. Mit einem Typen, Lukas, schreibe ich ein bisschen länger hin und her. Er kommt eigentlich aus Bremen, aber anscheinend haben wir beide unseren Radius eine Spur zu weit eingestellt. Die eine Stunde Fahrt hält ihn aber nicht davon ab, mich besuchen zu wollen. Spricht ja eigentlich für ihn, oder?
»Wie sieht es am Wochenende bei dir aus?«, schreibt er mir gleich in der zweiten Nachricht. Auf seinen Bildern sieht er wirklich vielversprechend aus: dunkle Haare, blaue Augen, Sixpack und ziemlicher Bizeps, aber ich überprüfe das lieber noch mal bei Facebook. Man sollte die Photoshop-Kenntnisse der Männer von heute nicht unterschätzen. Da habe ich ihn. Oh doch, das kann man machen!
Lukas erinnert fast ein bisschen an einen dunkelhaarigen James Dean. Das ist für mich ja eh der schönste Mann der Welt. Die Schönlinge von heute, die Goslings, Laws und Pitts dieser Welt, haben einfach nicht mehr diese authentische »I don’t give a fuck«-Ausstrahlung. Vielleicht leben sie deshalb auch alle länger als Dean und man kann sie schon allein deshalb nicht so geil finden. Mit Bierbauch, grauen Haaren und Geheimratsecken wird man dann ja doch ein bisschen entzaubert. Bei Dean ist das Problem eher, dass man irgendwann wie eine Sugarmama wirkt, wenn man mit Mitte vierzig immer noch für einen 24-Jährigen schwärmt. Das kann mir mit Lukas nicht passieren. Der ist jetzt schon 29. Vielleicht würde ich für ihn sogar eine Fernbeziehung in Kauf nehmen. Auch wenn ich Bremen überhaupt nicht mag und eigentlich der Typ bin, der sich gern mal spontan und ungebeten aufdrängt. Habe ich mit meinen Exfreunden immer so gemacht. Ich bin halt nicht so der Typ, der Stille mag, beim Yoga entspannt und Spaß mit Räucherstäbchen und Klangschalen hat. Ich brauche immer jemanden, den ich zutexten kann – deshalb habe ich ja auch Poldi. Der antwortet zwar nicht, aber das tun die meisten anderen auch nicht, wenn ich erst mal im Redefluss bin. Muss man halt gucken, ob das mit Lukas auf Dauer geht. Wir müssen uns ja eh erst mal treffen. Kann ja auch genauso gut sein, dass man sich trifft und dann so gar nicht versteht. Oder aber sich auch gar nicht erst trifft. Am Freitag, drei Stunden bevor Lukas’ Zug aus Bremen eintreffen soll, schreibt er mir plötzlich eine ellenlange WhatsApp-Nachricht:
»Hey. Du klingst in deinen Nachrichten so nett, dass ich einfach ehrlich zu dir sein möchte. Ich habe dich gesehen und fand dich hot, aber mehr kann das im Moment bei mir eher nicht werden. Bin gerade total gern Single und will das ungern ändern. Falls das aber okay für dich ist, komme ich trotzdem echt gern und wir können Dinge machen, die Erwachsene halt so machen.«
Puh. Ich weiß nicht, was ich denken soll, als ich die Nachricht lese. Ich meine, im Prinzip ist an einem One-Night-Stand ja nichts verkehrt, vor allem nicht, wenn der Typ so aussieht wie Lukas. Was mich daran aber irgendwie stört, ist, dass man, wenn man sich bei Tinder trifft und beide ganz genau wissen, dass sie nur Sex wollen, irgendwie auf eine unangenehme Weise auch dazu verpflichtet ist. Ich gucke mir die Kerle, die meine – eh schon nicht mehr ganz so einwandfreie – Liste der Typen, mit denen ich Sex hatte, ergänzen sollen, schon gern erst mal an, bevor ich mich dazu entscheide, mit ihnen zu schlafen. Und auch falls Lukas wirklich so gut aussieht wie auf seinen Bildern, möchte ich doch zumindest die Option haben, spontan Nein sagen zu können. Ich weiß, theoretisch hat man die natürlich immer, aber wenn ihr mich fragt, sieht das praktisch ganz anders aus, sobald man erst mal neben jemandem sitzt und geküsst wird. Aus der Nummer kommt man dann manchmal nur mit elendig langen Diskussionen wieder raus. Zumal Lukas ja nicht mal von hier kommt und extra aus Bremen antanzt. Der lässt sich dann nach einem Date bestimmt nicht so einfach wieder abwimmeln. Ich antworte ihm deshalb ganz ehrlich:
»Du, keine Ahnung, ob mich das jetzt stört oder nicht, aber irgendwie ist das nicht meine Art, sich online One-Night-Stands klarzumachen. Ich finde es ja okay, wenn man da nach einem Treffen spontan Lust drauf hat, aber ich mag es einfach nicht, wenn man sich darauf vorher schon geeinigt hat, denn ich entscheide eigentlich nicht anhand irgendwelcher Fotos, mit wem ich schlafe …«
So. Und mal abgesehen davon finde ich es auch unromantisch, einer Sache von vornherein so gar keine Chance zu geben. Was ist denn, wenn man, sagen wir mal, den besten Sex seines bisherigen Lebens zusammen hat und sich aber vorher darauf geeinigt hat, dass aus der Sache nichts Festes werden soll?
Wahrscheinlich sollte man aber eh nicht davon ausgehen, dass auf Tinder irgendwer auf der Suche nach etwas Festem ist. Die meisten Nachrichten, die ich hier bekomme, sind irgendwelche One-Night-Stand-Anfragen oder Gang-Bang-Einladungen. Mein absoluter Favorit ist Christian, 28:
»Hey«, schreibt er in seiner ersten Nachricht, »das auf meinem Profilfoto bin nicht ich. Ich bin eigentlich in einer Beziehung und suche jemanden zum Betrügen, möchte aber nicht, dass meine Freundin davon erfährt.«
Alles klar.
»Du kannst aber beruhigt sein, ich sehe auch in Wirklichkeit gut aus und hätte wirklich gern Sex mit dir.«
Ach, das ehrt mich aber sehr.
Auch schön sind der »Lust auf einen kleinen Bundesliga-Fick?«-Typ und Torben, der auf seinem Profilfoto so harmlos aussieht:
»Wollen wir per WhatsApp schreiben?«, fragt er mich ziemlich schnell. Klar, warum nicht?
Antwort: Weil man dort private Nachrichten mit Bildern verschicken kann, was über Tinder direkt nicht geht. Weshalb man auf Tinder auch keine privaten Penis-Fotos zugeschickt bekommt, mit der Nachricht: »Hey, ich habe vor, mir heute Nachmittag einen runterzuholen, und möchte mir zwei Ladys zum Zugucken einladen. Hast du Lust, mit dabei zu sein?«
Gibt es hier denn eigentlich nur kranke Menschen?
*
Man kann ja sagen, was man will – bei Tinder folgt die Kommunikation ihren ganz eigenen Gesetzen. Frauen schreiben hier grundsätzlich nicht als Erstes, so als würde uns Männer das auch nur irgendwie jucken. Wir wollen ja eigentlich auch nur mal gucken, wen wir theoretisch so haben könnten. Wenn wir die Frauen denn daten würden. Sie anzuschreiben, wäre dafür ja schon mal der erste Schritt. Eigentlich kann man ein Gespräch gar nicht besser anfangen als hier. Die meisten Tinder-Mädels machen einem das Leben ja leicht, indem sie so unfassbar tiefsinnige Sprüche wie »Nordisch by Nature«, »Eigentlich bin ich ganz anders …« oder »Bitte nicht schubsen, ich habe einen Joghurt im Rucksack« unter ihren Fotos stehen haben. Egal, wie bekloppt, so ein Spruch ist immer die perfekte Vorlage für irgendeinen Konterspruch. Sind auf dem Profil weniger philosophische Aphorismen zu finden als vielmehr die knallharten Fakten (»1,65«, »Tanzen, Lesen, Mode«, »Tennis, Jurastudentin«), lassen sich auch diese aufgreifen und für einen Einstieg ins Gespräch nutzen: »Oh wow, Tennis? Ich spiele Hockey …«
Schwieriger wird es, wenn auf dem Profil gar nichts an persönlichen Angaben zu finden ist. Da hilft es meistens, sich die Bilder noch mal genauer anzugucken und sich auf irgendwas Belangloses zu beziehen, wie zum Beispiel wo denn das Strandbild mit der süßen Schildkröte aufgenommen wurde oder ob der Hund auf dem Bild der eigene ist. Oder man komplimentiert die krasse Figur. Das funktioniert auch meistens.
Die ultimative Tinder-Konversation kommt aber ganz ohne große Worte aus. Ich sage nur: der Emoji-Chat!
oder ?
oder ?
oder ?
Und spätestens bei der letzten Frage hat man dann ein Date, bei dem man sich bis zum Umfallen mit Entweder-Oder-Fragen bombardieren kann. So weit meine Theorie. Die muss ich jetzt nur noch testen. Zoe und ich sind mittlerweile schon bei der Antwort Wein statt Bier angekommen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie Freitag auch tatsächlich ins Zwick kommt und nicht wieder spontan abspringt.