Читать книгу Viele Frösche musst du küssen, Tinderella! - Nina Ponath - Страница 8
5 Falsche Erwartungen
ОглавлениеWer weiß, wofür es gut ist, dass das mit Alex nichts geworden ist. Wenn er schon gleich am Anfang Multiple-Dating macht, möchte ich nicht wissen, wie das bei ihm später läuft, wenn man fünf Jahre zusammen ist und sich so richtig langweilt. Da bin ich doch eher für jemand Solides. So jemanden wie Johannes B. Kerner oder Günther Jauch und wie diese ganzen netten Männer ohne Sex-Appeal, die Mama und Oma alle »nett« finden, noch so heißen. Solche gibt es auf Tinder auch, wie zum Beispiel Conschi, 31. Auf seinem Profilbild sieht er echt sympathisch aus und hat trotzdem auch ein bisschen Sex-Appeal. Vielleicht nicht so viel wie Alex, aber am Ende zählt halt doch der Charakter. Außerdem finde ich es super, dass er gleich den ersten Schritt macht. Das ist hier ja selten genug, dass einer nicht nur Matches sammelt. Gut finde ich vor allem die Ansage in seiner dritten Nachricht:
»Du, eigentlich finde ich es ganz gut, sich schnell zu treffen. Dann weiß man, ob es sich auch wirklich lohnt, sich zu schreiben.«
Würde ich so absolut unterschreiben, weil ich Tinder zum einen ziemlich zeitaufwändig finde und es zum anderen auch komisch ist, jemand komplett Fremdem, den ich eventuell nie kennenlernen werde, alles aus meinem Alltag zu erzählen. So à la: »Hey. Ich war heute Morgen beim Sport, dann kurz arbeiten und jetzt lackiere ich mir gerade die Nägel. Danke, dass du mein neues virtuelles Tagebuch bist und ich die ganze uninteressante Scheiße aus meinem Leben mit dir teilen darf!« Das wäre ja gar nicht so schlimm, wenn nicht die Gefahr bestünde, dass man – wenn man Pech hat – die ganze Zeit mit jemandem hin- und herschreibt, den man in Wirklichkeit gar nicht ausstehen kann. Ich meine, ganz ehrlich, wie unangenehm ist es bitte, wenn man erst nach einem Monat Tinder-Chat bemerkt, dass der andere den IQ von Lothar Matthäus hat? Da ist es doch besser, so etwas vorher kurz abzuchecken. Was ich jetzt mit Conschi machen werde. In einer halben Stunde wollen wir uns vor dem Cliff an der Alster treffen.
*
Ein bisschen nervös bin ich schon, dass ich Zoe jetzt tatsächlich treffen werde. So lange, wie wir schon schreiben, und mit unseren ganzen Beinahe-Dates, die sie immer in letzter Sekunde abgesagt hat, kommt es mir fast vor, als würden wir uns schon kennen. Ich bin echt unheimlich gespannt auf sie. Vielleicht sollte ich mir aber auch nicht zu viele Hoffnungen machen. So richtig überragend waren meine Erfahrungen mit Tinder bisher nämlich alle nicht. 251 Matches hin oder her, die Mädels, mit denen ich wirklich mal ein bisschen länger hin- und hergeschrieben habe, hatten alle irgendeinen Haken. Und diejenigen, mit denen ich mich wirklich getroffen habe, waren echt schon fast ein bisschen beängstigend. Also, mit denen willst du nachts auf keinen Fall irgendwo allein im Bett liegen. Höchstens in einer Jugendherberge oder so, da hört man deine Schreie, wenn sie das Messer auspacken.
Neulich zum Beispiel, Tatjana. Die studierte Philosophie und erzählte mir erst einmal, dass sie, die alte Hobby-Anthropologin, Männer nach Arten von Tierhaltung kategorisiere: in »Kette« (lassen sich gern an der Leine führen und dominieren), »Aquarium« (für Kerle, die nichts zu sagen haben) und »Käfig« (für lustige Mitmenschen, die man lieber einsperren sollte). Liebes Dr. Sommer-Team, könnt ihr der Frau bitte helfen? Ich habe mich selbst schnell als freilebendes Wildtier eingeordnet und bin nichts wie weg.
Die danach war auch gut. Isa-bel, die mir ganz stolz erzählte, dass sie diesen spanischen Namen habe, weil sie in Spanien gezeugt wurde und per Beckenendlage (bel) zur Welt kam. What the fuck? Danach kam irgendwie nicht mehr so viel Stimmung auf, was vielleicht auch daran lag, dass sie gleich nach ihrer Namens-Anekdote den eigenen Kinderwunsch mit einbaute. So richtig gut sieht die BiIanz meiner Tinder-Dates also nicht aus.
»Vielleicht hat sie ja im letzten Moment immer Angst bekommen«, schlägt Justus vor, dem ich gerade die ganze Zoe-Sache inklusive spontaner Absagen erzählt habe.
Ich sitze mit ihm und Conschi, einem alten Bekannten von Justus, im Zwick und trinke noch kurz ein Bier, bevor Zoe kommt und die beiden anderen zu ihren Tinder-Dates weitergehen. Seit wir hier sind, reden wir – beziehungsweise Justus, der uns andere gar nicht erst zu Wort kommen lässt – wieder mal nur über Frauen und Tinder, als gäbe es so nebensächliche Dinge wie Krieg, Steuern oder den neuen Porsche Macan gar nicht.
»Ich weiß nicht, ich glaube, die hat echt eher ein Rad ab«, sage ich und meine es ernst. So richtig normal kam Zoe in ihren Nachrichten nicht rüber – was das Ganze aber auch wieder so interessant macht.
Justus hat da wohl dasselbe Faible.
»Krass, die sieht echt irre aus«, sagt er, als er sich durch Zoes Tinder-Profil geklickt hat. »Geil. Angelina Jolie hat auch was Irres und ich würde die mit nach Hause nehmen. Hast du mal Girl Interrupted gesehen? Da ist die so was von durch und trotzdem hat man den ganzen Film lang einen Ständer.«
Absolut verständlich. Deshalb treffe ich mich ja auch mit ihr. Und das, obwohl sie wirklich so ein paar Eigenarten hat:
»Ich finde es halt nur komisch, dass sie mir jetzt schon Gute-Nacht-Nachrichten schickt und Kuss-Emojis. Ich meine, wir haben uns noch nie gesehen. Das hat so ein bisschen was Fanatisches«, sage ich zweifelnd. Wenn sie weiter so ein Tempo vorlegt, bin ich nach drei Dates schon verlobt. Und noch zwei weitere Dates und ich muss heiraten. Dass sie mir in der zweiten Nachricht »Danke für das Match« geschrieben hat, fand ich auch ein bisschen merkwürdig. Müsste sie doch eigentlich gewohnt sein, dass Männer sie gut finden, so wie sie aussieht. Oder ist sie etwa so eine, die nur total fotogen ist und in Wirklichkeit wie eine Vogelscheuche herumläuft? Ich werde es gleich sehen.
»So Leute, ich muss los«, sagt Conschi und verabschiedet sich von uns. »Ich treffe jetzt auch ein Mädchen.«
So nervös, wie er grinst, hat er wohl nicht allzu oft ein Date.
»Komischer Typ«, sage ich, als er außer Hörweite ist.
»Absolut.« Justus nickt zustimmend. »Der war schon immer ein bisschen durchgedreht, aber im Grunde ist das ein ganz Netter!«
»Woher kanntest du den noch mal?«, frage ich.
»Hab mit dem mal kurz studiert. Bevor er seine zwölf weiteren Studiengänge angefangen hat.« Justus grinst. »Die arme Frau, die den gleich trifft. Ich meine, Conschi ist echt nett, da kannst du nichts sagen. Aber du hast ja selbst bemerkt, so super unterhaltsam ist er nicht.«
Das kann er wohl laut sagen. Andererseits, vielleicht bin ich ja auch nicht so die Stimmungsbombe für die Mädels? So etwas sagt einem ja keiner.
»Na ja. Ich mache mich auch mal besser auf die Socken«, sagt Justus und trinkt sein Bier in einem Schluck aus. »Ich will ja nicht deine Zoe verunsichern. Nicht, dass die noch denkt, wir haben zu dritt was mit ihr vor.«
*
Ich muss nicht lange überlegen, was ich anziehen soll. Mantel, was sonst? Es ist ja auch erst März und da gehen Temperaturen um den Gefrierpunkt in Hamburg schon fast als »gutes Wetter« durch. Eigentlich kann man es sich hier sparen, überhaupt in so etwas wie Sommerkleidung zu investieren; am Ende läuft man eh nur das ganze Jahr konsequent in Mantel und Stiefeln herum. Besonders Wagemutige ziehen unter den Mantel ein Kleid und Strumpfhosen. So wie ich. Beim Date möchte ich schließlich einigermaßen gut aussehen und ich schätze mal, dass wir eh direkt ins Cliff gehen werden.
Der Wind ist ganz schön kalt, aber Conschi wird ja wohl hoffentlich pünktlich sein. Inzwischen müsste er sogar nicht mal mehr wirklich pünktlich sein, weil ich – wie sollte es auch anders sein – schon wieder zu spät bin. Als der Bus endlich an der Alster anhält, ist es schon 20.12 Uhr. Und von Conschi keine Spur! Na toll. Und dafür hetze ich mich so ab. Ich hoffe, er kommt noch. Vielleicht sollte ich mich ein bisschen bewegen. Davon soll einem ja angeblich warm werden und vor allem stehe ich dann nicht ganz so verloren herum, wenn er auftaucht. Dort hinten steht ein Typ, aber das wird ja wohl nicht Conschi sein, oder? Ich meine, von der Größe her könnte es passen. Aber auf dem Foto hatte Conschi nicht so lange Haare. Und auch nicht so ein langes Gesicht. Das mich jetzt von Weitem angrinst. Scheiße, doch, das ist er.
*
Wie komme ich hier ganz schnell unauffällig wieder weg?
Das frage ich mich, während ich die Bar nach Fluchtmöglichkeiten scanne. Keine Chance. Ich sitze hier mit Zoe fest. Als sie reinkam, hätte ich sie zuerst fast nicht erkannt. Erst, als sie sich direkt vor meinen Tisch stellte, ist mir dann aufgefallen, dass dieses Mädchen da mit dem runden Gesicht, den langen blonden Haaren und den ziemlich großen Brüsten, ganz entfernt an die Zoe auf ihrem Tinder-Profilbild erinnert. Eigentlich voll die Frechheit, nicht das Profilbild zu wechseln, wenn man mal eben gut zwölf Kilo zugenommen hat. Ich meine, dazwischen liegen Welten! Das ist, wie wenn man Leonardo DiCaprio zu einem Date mit Taylor Swift, oder welche Blondine auch immer er noch nicht hatte, schickt und dann kommt Beth Ditto um die Ecke. Das wäre alles aber gar nicht mal so schlimm, wäre Zoe dazu nicht auch noch so merkwürdig. Kaum dass wir uns vorgestellt hatten, fing sie schon an, mir etwas von schlechten Schwingungen in der Bar zu erzählen. Sie sei Feng-Shui-Expertin und würde sich deshalb damit auskennen. Da wäre ich am liebsten schon gleich aufgestanden und wieder gegangen, aber ich hatte ja nichts Besseres vor und während einem das Tinder-Date gegenübersitzt, kann man ja schlecht zum Handy greifen, um nach alternativen Tinder-Dates zu suchen. Da dachte ich mir dann halt: Augen zu und durch. Mit so ein paar Gin Tonics geht es dann ja auch wirklich leichter.
»Du hast eine tolle Aura«, meint Zoe nach dem zweiten Gin Tonic zu mir. Dabei starrt sie mich mit ihren glubschigen, leicht verrückten Augen hypnotisierend an. Erinnert mich schwer an die Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch. Die ist bestimmt so eine, die regelmäßig solche YouTube-Tutorials anguckt zu Themen wie: »Wie erreiche ich im Leben alles, was ich will?« Oder sie hat das direkt von ihrer Therapeutin gehört, dass man Leuten beim Reden in die Augen schauen soll.
»Danke.« Mal abgesehen davon, dass ich mir leicht verarscht vorkomme – meine Aura dürfte momentan ziemlich promillehaltig sein –, hasse ich diese ganzen esoterischen Frauen. Mädels, die zum Yoga gehen und einem vor Prüfungen so pseudoaufbauende Dinge wie »Der Weg ist das Ziel«, »Du bist gut« oder »Hakuna Matata« sagen, sich beim nächsten Kabbala-Trend ein rotes Band ums Handgelenk wickeln und gesegnetes Wasser trinken. Das ist irgendwie nichts für mich.
»Nein, wirklich«, sagt Zoe, die meine Zweifel zu spüren scheint. »Ich sage das nicht so. Eigentlich hatte ich ja auch wirklich Angst, dich zu treffen, aber du machst einen total netten Eindruck.«
Oh Mann. Wenn die wüsste.
»Soll ich dir mal verraten, warum ich die letzten beiden Male abgesagt hab?«, fragt sie flüsternd und lehnt sich zu mir herüber.
Ich würde ja gern Nein sagen, aber ich schätze mal, das wäre jetzt nicht so angemessen, deshalb nicke ich. Los.
»Ich hatte Angst vor dir, weil meine letzte Trennung so schlecht verlaufen ist. Ich komme nicht so gut mit Zurückweisung zurecht. Ich bin nämlich ein Scheidungskind, weißt du.«
Okay. Ich glaube, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um zu gehen.
»Du, ich muss dann auch demnächst mal los«, sage ich und stürze den Rest meines Drinks herunter.
»Super Idee, ich bin auch schon ziemlich müde«, sagt Zoe und tut so, als müsse sie gähnen. »Ich bin auch schon ganz schön betrunken.« Dabei zwinkert sie mir vielsagend zu.
Bei jeder anderen Frau freue ich mich ja, wenn sie betrunken ist, und sehe das grundsätzlich als Einladung, es zumindest bei ihr zu versuchen. Aber an dieser Zoe finde ich einfach so gar nichts sexy. Die ist nicht mal Angelina-Jolie-durchgeknallt-sexy, sondern einfach nur merkwürdig mit ihren komischen alternativen Wanderstiefeln, dem wirren Blick und diesen Kindergarten-Holzketten um den Hals.
»Ja, ähm, dann zahle ich mal kurz«, sage ich und stiefele zur Bar.
Schnell weg hier, bevor sie noch hinterherkommt.
»Du musst mich doch nicht einladen«, höre ich Zoe hinter mir.
Mist.
»Nicht?«
Dass ich sie eh nur eingeladen hätte, damit ich danach klammheimlich im Taxi flüchten kann, brauche ich ihr ja nicht zu sagen, oder?
»Nein, ich bin doch emanzipiert.«
Zoe kichert, was wahrscheinlich niedlich und mädchenhaft wirken soll. Kommt leider nur unfassbar dümmlich rüber.
Na gut. Immerhin zwanzig Euro gespart, denke ich, als wir draußen stehen, und überlege, wie ich mich jetzt am besten unauffällig verabschiede. Einfach umdrehen und gehen? Sagen, dass das wohl nix war, und ihr ein schönes Leben wünschen? Mist! Ich bin einfach nicht gut im Abfuhren-Verteilen.
»Ich nehme das mal«, sage ich und zeige auf das Taxi, das vor uns zum Halten kommt.
»In welche Richtung musst du denn?«, fragt Zoe. Dabei starrt sie mich schon wieder so irre an. Die Kleine ist echt ein bisschen unheimlich.
»Richtung St. Georg«, sage ich und hoffe, dass sie mir nicht heimlich irgendwelche Ortungssender angebaut hat.
Mit einem »Perfekt, in die Richtung muss ich auch« lässt sich Zoe neben mir auf die Bank fallen. Und ich fahre munter ins Verderben.
*
Eigentlich müsste ich sofort gehen. So viel kann ich nämlich sagen: Auf Aknenarben, gelbe Zähne und fehlenden Bartwuchs stehe ich nun mal nicht. Von wegen, Tinder sei so oberflächlich. Wenn es nach mir geht, ist die App noch lange nicht oberflächlich genug! Mit dem richtigen Insta-Filter und Sonnenbrille kann man da echt über Einiges hinwegtäuschen. Ist ja nicht so, dass Schönheitsprobleme nicht alle ihre Existenzberechtigung hätten, aber ich habe halt echt jemand komplett anderes erwartet. Mit Tinder hat Conschi aber wenigstens noch ein bisschen Erfolgsaussichten – im echten Leben kann das nicht mal das diesige Hamburger Märzwetter richten. So ein Mist. Ich hätte schon bei der Reihe der Sonnenbrillenbilder Verdacht schöpfen müssen, ganz wie Kathi immer sagt. Na gut, was soll’s? Trinke ich jetzt halt schnell einen Kaffee und nix wie weg.
»Wollen wir rein?«, frage ich, nachdem ich seine Begrüßungsküsschen links und rechts regungslos über mich ergehen lassen habe.
»Rein?« Conschi zuckt mit den Schultern. »Ich dachte, wir gehen ein Stück.«
Okay. Von mir aus. Kann ich zur Not, falls es richtig schlimm wird, immer noch weglaufen. Im Prinzip könnte ich das sofort jetzt machen. Nicht nur, weil ich Conschi optisch ähnlich ansprechend wie Fußpilz finde – er schafft es ja nicht mal, den Mund aufzukriegen. Auf meine Frage, ob er schon lange gewartet hat, hat er nur knapp mit »Ja, passt schon, ging« geantwortet. Und seitdem schweigen wir uns an.
»Du arbeitest schon, oder?« Oh, wie nett. Endlich ein Small-Talk-Versuch, obwohl der kaum schlechter sein könnte. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass wir irgendwo, ganz oben im Tinder-Chatverlauf, darüber geschrieben haben. Das ist hier halt Standard: »Hey, was machst du?« – »Jetzt gerade oder so allgemein im Leben?« – »Beides.« Und damit wäre die Lage erst mal abgecheckt. Sich so etwas dann nicht zu merken, finde ich echt unaufmerksam.
»Schon?«, antworte ich deshalb nicht ganz höflich. »Ich meine, ich bin 26. Da kann man schon mal langsam Geld verdienen, oder?«
»Na ja, klar … schon«, sagt Conschi und erst jetzt fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, was er so macht. »Ich studiere«, antwortet er, als ich ihn frage, »das hat bei mir alles ein bisschen länger gedauert.«
Okay. Ich nicke verständnisvoll. Ist ja in Ordnung, ich habe auch mein Kunststudium nach einem Semester geschmissen und sitze selbst noch an meiner Masterthesis. Das kann ja passieren.
»Ich wusste irgendwie einfach nicht so wirklich, was ich machen möchte«, erzählt Conschi weiter. »Ich habe echt alles durch. Jura, BWL, Kunstwissenschaften. Ich bin jetzt an der Macromedia. Da hat man ein bisschen mehr Druck, das auch wirklich durchzuziehen.«
Glaube ich gern, bei den Studiengebühren. Gut, ist ja ganz nett, dass mir Conschi sein Herz ausschüttet und mich spontan als neue beste Freundin missbraucht, aber von mir aus könnte das Date jetzt bald auch mal zu Ende sein. Seit zehn Minuten schlendern wir hier schon durch die Kälte und allmählich dämmert es. Echtes Fernseh-Wetter also.
»Ich war auch, um ehrlich zu sein, ein bisschen krank. Also, krank im Sinne von neben der Spur.«
Puh, so einen Redefluss hätte ich Conschi gar nicht zugetraut. Kann er jetzt mal bitte endlich wieder die Klappe halten? Ich sehe es schon kommen, das wird noch richtig peinlich für ihn. Irgendwie ziehe ich das immer an, dass wildfremde Menschen bei mir ihre persönlichen Schicksale abladen. Ist mir neulich Abend erst passiert, als Kathi und ich vom Kiez nach Hause fuhren. Wo setzt sich der ADHS-Patient, der nachts immer aufsteht und Bahn fährt, weil er nicht schlafen kann, wohl hin? Richtig, direkt zu mir und erzählt mir laut von seinen Schlafproblemen. Ist ja nicht so, als seien nicht noch dreißig bis vierzig weitere potenzielle Zuhörer dagewesen.
»Ich war deshalb sogar beim Psychologen«, fährt Conschi munter fort. »Der meinte aber, das sei nichts Schlimmes und ganz normal, dass man im Leben mal antriebslos ist.«
Ich nicke verständnisvoll, obwohl mich das alles in etwa so sehr interessiert wie die Wirtschaftspolitik Islands. Langeweile kenne ich sonst ja eigentlich nicht, außer vielleicht noch von früher im Matheunterricht, aber selbst bei Vektorenrechnungen und e-Funktion war ich gedanklich nicht so weit weg wie jetzt bei diesem einschläfernden Tinder-Date. Wahrscheinlich hat Timmi doch recht mit seiner Hopp-oder-Flop-Theorie. Mein liebenswertester aller Nachbarn behauptet nämlich, man merke es sofort, spätestens nach drei Sekunden, wenn jemand absolut nicht infrage komme als zukünftiger Partner. In solchen Fällen sagt Timmi angeblich gleich, was Sache ist. »Das ist kostbare Lebenszeit, die gibt dir kein Mensch wieder«, meint er immer. Klingt ja in der Theorie ganz nett. Aber um ehrlich zu sein, stelle ich es mir etwas schwierig vor in der Umsetzung, einfach so zu sagen: »Sorry, das wird nichts. Ich bin dann mal weg.« Ich meine, das ist doch ganz schön fies. Da kommt jemand frisch gestylt, erwartungsvoll und nervös zu einem Date und bekommt direkt einen Korb. Ohne überhaupt die Chance zu bekommen, wirklich etwas falsch zu machen. Das muss doch ganz schön am Selbstbewusstsein nagen. Und ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn solche Conschis, um ein Date mit mir aufzuarbeiten, noch mal zehn weitere Sitzungen bei ihrem Psychologen buchen müssen. Die sollen ja auch nicht gerade billig sein. Andererseits: So wie Conschi drauf ist, hat er doch bestimmt so etwas wie eine Flatrate bei der Therapie.
»Der Psychologe hat mir auch zu Tinder geraten«, erzählt Conschi derweil munter weiter.
Ach, jetzt wird es ja doch noch interessant.
»Er hat dir zu Tinder geraten?«, wiederhole ich ungläubig.
»Mhm.« Conschi nickt. »Also, eigentlich nicht direkt zu Tinder. Halt zu Partnerbörsen allgemein, weil es da leichter ist, Mädchen kennenzulernen. Ich bin da nämlich nicht so gut drin …« Was du nicht sagst. »… und mein Psychologe meinte, dass zwischenmenschliche Beziehungen aber total wichtig sind, damit man sich wohlfühlt.«
Was für eine Neuigkeit. Muss ein echter Experte sein, dieser Psychologen-Freund von Conschi. Das hätte ich ihm genauso gut sagen können, nur dass er dann ein paar Hunderter hätte sparen können.
»Ich war auch schon bei anderen Onlineportalen«, verrät Conschi mir. »Bei Parship und Elitepartner.«
Ich nicke verständnisvoll, obwohl das so gar nicht meine Welt ist. Im Prinzip ist ja nicht mal Tinder so wirklich meins und sollte ich mich hier tatsächlich verlieben, wüsste ich auch nicht, ob ich das dann offiziell so erzählen würde. Hat schon irgendwie etwas Peinliches, sich über eine App mit so Freaks wie Conschi zu verabreden. Wüsste ich es nicht besser, würde ich mich selbst für ziemlich verzweifelt halten.
»Bist du denn noch da, bei Parship und so?«, frage ich. Nicht, dass es mich wirklich interessieren würde, aber so ein bis zwei höfliche Fragen möchte ich schon noch stellen, ehe ich mich verabschiede und auf Nimmerwiedersehen verdrücke.
»Ne.« Conschi schüttelt den Kopf. »Das ist da so umständlich. Da schreibt man Frauen an, die am Ende doch gar nichts von einem wollen. Das finde ich so gut an Tinder, dass man da nur mit Frauen schreibt, die einen auch selbst gut finden. Wir haben ja gematcht und mögen uns beide.«
Mit diesen Worten kommt Conschis Gesicht, samt Adlernase und Aknenarben, in Zeitlupe auf mich zu. In letzter Sekunde drehe ich meinen Kopf zur Seite.
»Du«, sage ich verlegen, »nimm’s mir nicht übel, aber ich tindere da irgendwie … na ja, wie soll ich sagen … weniger zielorientiert als du. Ich bin da eher so rangegangen: Entweder es klappt oder halt nicht.«
Conschi nickt, obwohl er eigentlich nicht so aussieht, als würde er verstehen, was ich meine.
»Mir ist das auch nicht nur jetzt für den Moment zu schnell«, drücke ich mich deshalb noch eine Spur klarer aus, »sondern allgemein, glaube ich, passt das mit uns nicht so.«
»Okay.« Conschi sieht beleidigt aus. »Du bist ja ziemlich schnell mit deinen Urteilen.«
Was soll das denn heißen? Ich meine, selbst die vorbeilaufenden Hunde können die Antipathie zwischen uns beiden riechen. Was soll man sich da noch länger miteinander aufhalten?
Als ich völlig durchgefroren in den Bus einsteige und mir Conschi mit traurigem Blick hinterherschaut, kommt mir kurz in den Sinn, dass es bei Tinder schnell mal passieren kann, dass man die Seiten wechselt und zu einem Alex wird. Die Gründe, aus denen sich die Leute hier anmelden, gehen einfach zu weit auseinander.
*
Wie konnte ich bitte so blöd sein, die Frau mit zu mir nach Hause zu nehmen? Die werde ich doch jetzt nie im Leben wieder los. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings sagen, dass sie es mir auch echt nicht leicht gemacht hat. Als das Taxi vor meiner Wohnung hielt, dachte ich eigentlich, ich sei jetzt raus aus der Nummer. Ich habe dem Fahrer einen Zwanziger in die Hand gedrückt und »Tschüss« gesagt. Und dann stand Zoe plötzlich neben mir auf dem Bürgersteig.
»Ich habe kein Bargeld mehr, sorry. Der Zwanziger für die Gins war mein letztes Geld.«
Ich weiß, warum ich sonst immer die Drinks zahle. Ich meinte daraufhin, das sei kein Problem, ich könne ihr Geld geben und wir würden ihr halt ein anderes Taxi rufen. Das wollte Zoe aber nicht. »Du kannst mir doch nicht einfach das Taxi bezahlen.« Der Vorschlag, mit raufzukommen und bei mir zu schlafen, sie sei auch »ganz pflegeleicht«, kam dann von ihr. Tja. Echt pflegeleicht, die Frau. Erst lässt sie mich nicht schlafen, weil sie ganz offensichtlich untervögelt ist, und jetzt macht sie keine Anstalten zu gehen. Das hätte ich mir echt sparen können. Vor allem ist sie garantiert so eine, die jetzt direkt denkt, dass wir zusammenkommen, uns verlieben und als erstes Tinder-Ehepaar in die Geschichte eingehen. Puh. Die muss ich nachher direkt aus meiner Tinder-Liste löschen. Das ist zwar fies, aber wenn es nach mir ginge, wäre sie jetzt überhaupt nicht hier. So wie sie sich gestern Nacht aufgedrängt hat. Jetzt kann sie auch echt mal abhauen.
Vielleicht sollte ich einfach den Fernseher anmachen. Frauen hassen es ja, wenn sie nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Weiß ich von meiner Schwester. Die kann man beschimpfen, anschreien und kritisieren, wie man will. Ist ihr alles egal. Wenn man Franzi aber ignoriert, verzeiht sie es einem ihr Leben lang nicht.
Scheint auch bei Zoe zu wirken.
»Du, ich würde ja gern noch länger bleiben«, sagt sie, »aber ich glaube, ich muss dann demnächst mal.«
»Okay.« Ein »Schade« hätte ich zu aufgesetzt gefunden. Man soll ja auch nicht so viel lügen, weil schlechtes Karma und so.
»Was meinst du – wir könnten ja jetzt von Tinder zu WhatsApp wechseln, oder?« Zoe zwinkert mir zu. »Ich gebe dir meine Nummer.«
»Ähm …«, sage ich, »du, mein Adressbuch ist voll.«
Mein Hirn ist offensichtlich noch nicht wieder nüchtern. Glückwunsch, Jannik, was für eine großartige Ausrede.
»Dein Adressbuch ist voll?« Einen ganz kurzen Augenblick hoffe ich, dass Zoe es geschnallt hat, aber nein: »Dann gib mir doch deine Nummer.«
Dass ich ihr erst eine falsche Nummer unterjubele, brauche ich nicht zu sagen, oder? Dass sie mich natürlich anklingelt, auch nicht, oder? Tja, und jetzt sitze ich hier, hatte mehr oder weniger freiwilligen Sex mit einer durchgeplanten Tinder-Braut und lese die ersten beiden Nachrichten von ihr. »Es war sooo schön mit dir« und »Will dich ganz bald wiedersehen«. Wenn ich aus der Nummer lebendig rauskommen will, brauche ich ganz dringend ein neues Handy. Oder noch besser jemanden, der mir eine neue Wohnung und seine Identität schenkt.