Читать книгу Auch ein Pechvogel findet mal ein Korn - Noemi Wüthrich - Страница 3
Unauffällig auffällig
ОглавлениеDa war er wieder, die Perfektion in Person. Er fuhr sich mit seinen langen Fingern lässig durch seine dunkelblonden Haare und lief mit großen Schritten zielstrebig durch die Cafeteria.
Sie saß versteckt hinter einer wuchtigen Zimmerpflanze an einem kleinen Tisch in der hinteren Ecke des Kaffeehauses. Unglücklicherweise hatte sie erst vor ein paar Sekunden gemerkt, dass sie auf das Grünzeug, das ihr als Sichtschutz dienen sollte, allergisch reagierte. Sie rieb sich ihre juckende Nase und versuchte ihre brennenden Augen zu ignorieren. Zu ihrem Pech musste sie immer wieder feststellen, dass sie auf ziemlich viele Sachen allergisch war. Sie dachte an all die verschiedenen Früchte, Nüsse, Pflanzen und Tiere, welche sie nicht vertrug, und alleine der Gedanke daran löste bei ihr einen Juckreiz aus. Sie kratzte sich am Hals und überlegte sich, ob es möglich sein konnte, dass sie zu allem Überfluss auch auf Männer allergisch war. Das wäre dann wohl die Krönung, dachte sie stirnrunzelnd und unterdrückte einen Nieser. Dann strich sie sich eine braune Haarsträhne aus ihrem Gesicht und widmete sich wieder der Observation ihres Traummannes. Sie musterte ihn von oben bis unten. Seine gerade Nase, sein kantiges Kinn, seine muskulösen Arme und seine kräftigen Wanden ließen ihn stark und männlich erscheinen. Sein Kleidungsstil war sportlich elegant und sah an ihm stets perfekt aus. Heute trug er ein hellblaues enganliegendes Polohemd, darüber ein marineblaues Sakko, dazu eine beige Stoffhose und weiße Sneakers. Einen Moment lang verharrte ihr Blick auf seinen Schuhen und kurz darauf fing sie an zu grinsen, denn ihr Traummann zog einen langen Streifen Klopapier hinter sich her. Das Papier klebte, wie eine Schleppe, auffällig unter der Sohle seines linken weißen Turnschuhes. Das ganze sah aus, als ob seine Schuhe Hochzeit feiern würden.
Bis jetzt hatte sie immer gedacht, dass so etwas Peinliches nur ihr passieren konnte, doch wie es aussah, war auch ihr Angebeteter vom Pech verfolgt. Das war also ihre erste Gemeinsamkeit. Wenn auch nicht unbedingt eine wünschenswerte, aber es war eine Gemeinsamkeit.
Sie wagte nochmals einen Blick auf den charismatischen Herr ich-führe-gerne-mein-Klopapier-Gassi und konnte sich das Lachen nun nicht mehr verkneifen, wobei ihr einen feinen, aber doch hörbaren Gluckser entschlüpfte. Sie zog schnell ein paar Blätter der Zimmerpflanze vor ihr Gesicht, damit ihr Angebeteter sie nicht sehen konnte. Doch dabei vergaß sie ein wichtiges Detail: Ihre Allergie. Ihre Nase fing an zu jucken und plötzlich katapultierte sie mit einem lauten Nieser der armen Pflanze ihren Rotz in die Äste.
Mist, hoffentlich hat das mein Traumprinz nicht gesehen, dachte sie hektisch. Sie warf einen schnellen Blick dorthin, wo er vor kurzem noch gestanden hatte, doch er war nicht mehr zu sehen. Einen Moment später bemerkte sie, wie er draußen vor dem Fenster des Kaffeehauses vorbeiging. Sie löste sich aus ihrer gekrümmten Versteckhaltung, streckte sich kurz und überlegte, ob sie nun erleichtert sein sollte, dass er sie nicht bemerkt hatte, oder ob sie genau aus demselben Grund enttäuscht sein sollte. Sie wollte ihm irgendwie auffallen, aber positiv, was ihr in ihrer Ungeschicktheit irgendwie nie gelang. Das war auch der Grund, dass sie sich in seiner Gegenwart immer versteckte, weil sie wusste, wenn sie ihn ansprechen würde, würde ihr bestimmt etwas schrecklich Peinliches passieren. Und da sie das unbedingt vermeiden wollte, versuchte sie ihm irgendwie unauffällig aufzufallen. Leider war das in sich schon ein Widerspruch.
Sie seufzte und schaute ihrem heimlichen Schwarm verträumt hinterher, wie er mit seinem Kaffeebecher in der Hand und dem Klopapier am Schuh die Straße hinunter schlenderte. Während sie am Schwärmen war bemerkte sie nicht, dass inzwischen die Bedienung an ihrem Tisch stand und sie kritisch mit gehobenen Augenbrauen beäugte.
»Kann ich einkassieren?!«, fragte die Kellnerin forsch. Obwohl es eigentlich keine Frage, sondern eher eine gereizte Aufforderung war.
»Moment bitte … « Sie kramte in ihrer grauen Umhängetasche herum. »Hier.« Dann streckte sie der schon äußerst genervten Kellnerin eine Hand voll Münzen hin und machte sie dadurch nur noch zorniger.
»Geht es noch kleiner?!«, fragte die Bedienung schnippisch und knallte das Kleingeld in ihre Geldbörse. Dann schaute sie wieder zu ihr.
»Und das nächste Mal rotzen Sie bitte nicht wieder in meinen Ficus, verstanden?!« Die Kellnerin deutete mit einer Kopfbewegung auf die Zimmerpflanze. »Der hat mich nämlich eine ganze Stange Geld gekostet!« Dann drehte sie sich um und sagte beim Weggehen beiläufig: »Ach, das ist noch was …«, sie grinste hämisch. »An ihrer Nase hängt ein wirklich ekliger Popel!«