Читать книгу Auch ein Pechvogel findet mal ein Korn - Noemi Wüthrich - Страница 6

Doppelte Überraschung

Оглавление

Der neue Junge saß alleine auf einem winzigen Stuhl, an einem winzigen Tisch.

»Hallo, ich bin Sarah. Du bist der Lukas, nicht wahr?«, begrüßte Sarah den Jungen freundlich und quetschte sich neben ihn auf einen kleinen, blauen Kinderstuhl.

Der Junge starrte, ohne kurz hochzuschauen, auf sein angefangenes Puzzle und versuchte vergebens ein falsches Teil einzufügen. Nach einer Weile war seine Geduld am Ende und er schleuderte das Puzzle quer durch den Raum.

»Ich will zu Mami!«, kreischte er laut und Sarah, die direkt neben ihm saß, wurde auf ihrem rechten Ohr fast taub. Sie rieb kurz ihr Ohr, in der Hoffnung, dass das grelle Läuten bald wieder nachlassen würde und versuchte dann das Vertrauen des Jungen zu gewinnen.

»Ach, Schätzchen, das kann ich gut verstehen«, meinte Sarah einfühlsam. »Aber hier ist es doch auch ganz nett. Hier gibt es viele andere Kinder, mit denen du spielen und Spaß haben kannst. Und ich verspreche dir, wenn dich deine Eltern dann wieder abholen kommen, möchtest du gar nicht mehr nach Hause«, versuchte Sarah den aufgebrachten Jungen zu beruhigen. Doch Lukas schien Sarahs Antwort nicht zu gefallen, denn einen Augenblick später zog er völlig unerwartet an Sarahs geflochtenem Zopf, spuckte ihr ins Gesicht und rannte anschließend davon. Vor lauter Schock war Sarah einen Moment lang wie gelähmt, sie saß nur wie angewurzelt da, starrte ins Nichts und die Spucke lief ihr langsam über die Wange in Richtung Mund. Dann rieb sich Sarah mit dem Pulliärmel übers Gesicht und versuchte sich mühsam aus dem kleinen Stuhl zu schälen, was ihr allerdings nicht gelang. Deshalb hüpfte sie mit dem Kinderstuhl am Hinterteil hängend durch den Raum und versuchte den kleinen Jungen zu erwischen. Doch Lukas war schnell und flink und Sarah hatte große Mühe ihn (mit dem Stuhl am Po) zu fassen. Aber nach kurzer Zeit hatte sie es dann doch noch geschafft und packte ihn am Ärmel.

»Was sollte das eben, junger Mann?!«, fragte sie ihn und versuchte dabei ruhig zu bleiben. »Man spuckt niemandem ins Gesicht. Ich weiß nicht was du dir dabei gedacht hast, aber …«

»Gibt es irgendwelche Probleme?«, wurde Sarah von einer tiefen Männerstimme unterbrochen. Sie wollte schon anfangen loszuwettern, doch als sie hochsah, traf sie fast der Schlag.

»Daniel!?«, entfuhr es Sarah. Vor ihr stand ihr Traummann, der, den sie schon seit geraumer Zeit im Kaffeehaus beobachtete. Der, mit dem sie bis anhin noch kein Wort gewechselt hatte.

Sarahs Entsetzen und ihre Wut auf Lukas waren wie verflogen und wurden durch Überraschung und aufsteigender Röte im Gesicht ersetzt.

»Ich, ähm … Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr …« Sarah streckte ihm reflexartig ihre Hand zur Begrüßung entgegen.

»Maurer.« Er schüttelte ihr die Hand. »Meinen Vornamen kennen Sie offensichtlich schon.« Er lächelte.

»Ach, ja …«, sie kratzte sich am Hinterkopf, in der Hoffnung, dass ihr möglichst schnell eine schlaue Ausrede einfiel. »Ich war immer schon gut im Namen raten!« Oh mein Gott, dachte Sarah, halt einfach dein Klappe, du machst es nur noch schlimmer!

Seinen Namen hatte sie von einer Bedienung im Nanni’s Kaffeehaus erfahren, welche bei der Bestellung jeweils die Namen ihrer Kunden auf die Take-Away Kaffeebecher schrieb.

»Was ist denn eben vorgefallen?« Daniel riss Sarah aus ihren Gedanken und schaute verwundert auf ihre gerötete Wange, wo noch immer der Rest von Lukas` Spucke klebte. Anschließend deutete er zögernd auf den Kinderstuhl an ihrem Allerwertesten und zog seine Augenbrauen hoch. Den Stuhl hatte sie vor lauter Aufregung völlig vergessen. Sarah versank fast im Boden vor Scham und wischte sich mit dem Ärmel ihres roten Lieblingspullover (ihr Gesicht hatte mittlerweile die gleiche Farbe angenommen) den Rest des Speichels weg. Viel peinlicher kann es gar nicht mehr werden, sagte sich Sarah in Gedanken. Es ist jetzt absolut egal was ich tue oder sage, er wird mich ohnehin hassen.

»Ich hatte eben eine äußerst nette Bekanntschaft mit diesem Jungen.« Sie deutet auf Lukas. »Er hat mich zur Begrüßung an den Haaren gezogen und mir anschließend ins Gesicht gespuckt. Wirklich allerliebst!«, meinte Sarah, zerrte an dem Kinderstuhl und konnte schließlich ihr Hintern davon befreien. Sie stellte den Stuhl vorsichtshalber weit weg von sich und wandte sich dann wieder an Daniel.

»Ich wollte ihn in der KiTa begrüßen und mich mit ihm unterhalten. Offensichtlich versteht der Junge etwas anderes unter Unterhaltung.« Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und setzte eine bitte-nimm-mich-ernst Miene auf. Ihre Selbstachtung ist wieder ein bisschen gestiegen und sie fühlte sich ein wenig sicherer und mutiger.

»Lukas, was ist bloß los?« Daniel kniete sich zu dem Jungen hinunter und schaute ihm tief in die Augen. »Ich bin extra früher aus der Arbeit gekommen, um zu sehen, wie es dir hier geht, und dann muss ich erfahren, dass du bereits am ersten Tag solche Sachen machst. Ich habe deiner Mutter doch versprochen, dass ich dafür Sorge, dass du dich benimmst, und jetzt das hier! Was soll ich denn bloß Mami erzählen?«

Und das war es auch schon wieder mit Sarahs Selbstachtung. Sie kam sich vor wie ein Häufchen Elend. Das ist sein Kind, dachte sie geschockt. Er hat ein Kind, und dann erst noch so ein Balg. Und offensichtlich hat er auch eine Frau. Mein Traummann ist ein verheirateter Mann.

Sarah fiel wieder Fionas Rat mit dem Ehering ein und so schaute sie auf Daniels Hände, konnte jedoch an keinem seiner Finger einen Ring entdecken.

»Und ihr Name war nochmal Frau …?!«, fragte Daniel und schaute Sarah an.

»… Neumann.« Sarah reichte ihm nochmals die Hand. Einerseits aus Anstand, andererseits um genauer zu checken, ob der auch wirklich kein Ehering trug.

»Frau Neumann, es tut mir wirklich leid, was eben mit Lukas vorgefallen ist. Ich hoffe, dass das nicht wieder vorkommen wird. Lukas wird auch ausreichend dafür bestraft.« Er schaute zu Lukas, welcher neben ihm stand und beleidigt eine Schnute zog. Daniel sah wieder zu Sarah.

»Wollen Sie sich eine Strafe für ihn ausdenken? Schließlich, waren es ja Sie, die von ihm attackiert wurde.«

Na super, jetzt darf ich auch noch die böse Tante spielen, dachte Sarah.

»Ich denke es ist genug Strafe für ihn, wenn er weiterhin hier in die KiTa kommen muss«, witzelte Sarah und lächelte gequält. Und für mich ist es genauso eine Strafe, mahnte sie sich im Stillen selbst.

»Nun gut, wenn Sie sich das unbedingt antun wollen«, witzelte Daniel zurück. »Dann bringe ich ihn morgen wieder hierher.«

»Morgen werden wir sicher eine Menge Spaß haben. Wir wollen mit den Kindern einen Zoobesuch unternehmen.« Na ja, einen Versuch hat der Junge wahrscheinlich noch verdient, dachte Sarah lahm, und wenn ich dadurch seinen Vater wieder sehen konnte, machte das die ganze Sache fast wieder wett.

»Sehr schön. Also, dann bis morgen. Und nochmals Entschuldigung wegen dem unangenehmen Zwischenfall«, sagte Daniel. »Lukas, sag’ der netten Frau Neumann auf Wiedersehen.«

Lukas sah zu Boden und bekam nur ein missmutiges »Tschüss« zustande. Als Daniel ihn dann an der Hand nahm und mit ihm davonlief, drehte sich der Junge nochmals um und streckte Sarah seine vom Kaubonbon blau gefärbte Zunge raus.

»Na, das kann ja heiter werden«, murmelte Sarah vor sich hin und schaute den beiden nach. Dann ging sie zurück zu den anderen Kindern in der Tagesstätte und wappnete sich gedanklich bereits für den morgigen Tag.

Auch ein Pechvogel findet mal ein Korn

Подняться наверх