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Über schwarze Kater und pinke Panther

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Sarah lebte mit ihrem schwarzen, etwas zu pummelig gewordenen Perserkater Tim in einer kleinen, aber gemütlichen Zweizimmerwohnung in Heidelberg. Sie arbeitete in einer von der Stadt subventionierten Kindertagesstätte und betreute dort Kinder, welche ihr sehr ans Herz gewachsen sind.

Schon seit Sarah klein war, wünschte sie sich eine eigene Großfamilie. Sie träumte von einem modernen Haus in einer Großstadt, einem kleinen Hund, einem gut aussehenden Mann und ganz vielen Kindern. Und das alles noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag. Jetzt war sie siebenundzwanzig und ihr Traum noch meilenweit entfernt von der Realität. Ihr kleiner Hund war derzeitig noch ihr fetter Kater, ihr modernes Großstadthaus war ihre kleine Zweizimmerwohnung mitten in Heidelberg, und der gut aussehende Traummann hatte sie zwar bereits im Visier, nur wusste er noch nichts von seinem Glück. Und, na ja, Kinder hatte sie auch, aber es waren nicht ihre eigenen.

Es war sechzehn Uhr und die Eltern der Kinder in der KiTa würden in rund einer Stunde kommen, um ihre Sprösslinge abzuholen. Sarah schaute nachdenklich der kleinen Jessica zu, wie sie verzweifelt versuchte den grünen viereckigen Bauklotz in eine dreieckige Öffnung zu zwängen. Sarah musste schmunzeln.

Sarah war eigentlich keine ausgebildete Erzieherin. Es war eher Zufall, dass sie diesen Job ausüben durfte. Als sie vor ein paar Jahren ihre Ausbildung als Betriebswirtin an der Hotelfachschule begann, jobbte sie für einen kleinen finanziellen Zuschuss nebenher über Mittag in der Kindertagesstätte und half dort in der Küche aus. Sie hatte bereits damals schnell einen guten Draht zu den Kindern und diese freuten sich jedes Mal riesige, wenn Sarah nach getaner Arbeit in der Küche noch kurz eine Viertelstunde zu den Kindern in die Gruppe kam und eine Geschichte vorlas. Einestages ist eine Erzieherin krankheitshalber ausgefallen und da die Leitung der KiTa auf die Schnelle keinen Ersatz gefunden hatte, wurde Sarah kurzerhand gefragt, ob sie bei der Betreuung der Kinder die anderen Erzieher ein paar Tage unterstützen könnte. Sarah hatte damals gerade unterrichtsfreie Zeit und freute sich über die Arbeit mit den Kindern und die etwas höheren Einnahmen. Die krank gewordene Erzieherin fiel dann doch länger aus als gedacht und Sarah ging in ihrer Rolle als Kinderbetreuerin so sehr auf, dass die Leitung ihr anbot weiter zu bleiben. Und so kam es, dass Sarah neben ihrer Ausbildung als Betriebswirtin Teilzeit in der KiTa arbeitete und sich um das Wohl der Kinder sorgte. Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung in der Hotelfachschule hatte sie sich dann so sehr an die Kinder und die Arbeit in der Tagesstätte gewöhnt, dass sie die Hotelbranche an den Nagel hing und weiter in der Tagesstätte arbeitete. Die Entlohnung war zwar nicht gerade üppig, doch es reichte Sarah zum Leben und die Arbeit macht sie glücklich.

»Frau Sarah, wieso darf Samuel an die Wand malen und ich nicht?«, fragte Timo mit großem Unverständnis und riss Sarah aus ihren Gedanken.

»Samuel!« Sarah schoss hoch und eilte zum vierjährigen Jungen, dessen Mutter gerade mal sechzehn war, als sie ihn zur Welt brachte.

»Samuel, was machst du denn da?« Sie nahm ihm den mit Wasserfarbe verschmierten Pinsel aus seinen kleinen Händen. Mit glasigen Augen schaute er Sarah an und meinte: »Zuhause habe ich Mami auch geholfen, die Wände schön zu machen. Mami hat gesagt, dass ich das toll mache. Sie hat gesagt, dass ich später mal ein großer Künstler werde.« Samuel kullerte eine Träne über die Wange, welche schließlich in einer seiner Mundecken verschwand. Sarah schaute die Wand an, welche mit verschieden farbigen Kritzeleien verziert war.

»Samuel, ich verrate dir jetzt ein Geheimnis«, sagte sie tröstend. »Weißt du, die wirklich großen Künstler malen auf Leinwände.« Sie holte einen Stuhl und stellte darauf einen großen Papierblock. »Hier mein Süßer, das ist eine Leinwand für große Künstler.« Über Samuels kleines Gesicht huschte ein fröhliches Lächeln und kurze Zeit später wedelte er mit viel zu viel Farbe am Pinsel über die bald nicht mehr erkennbare weiße Fläche des Papierblocks.

Als Sarah am Abend nach Hause kam, hängte sie ihre Tasche in die Garderobe und schaute sich nach ihrem Kater um. Normalerweise kam er sie jedes Mal an der Wohnungstür begrüßen, wenn sie die Tür öffnete.

»Miez, miez, miez. Tim, wo steckst du?« Als Sarah in die Küche ging, musste sie feststellen, dass ihr dicker Kater wortwörtlich in der Katzenklappe in der Balkontür steckte. Alles was sie von ihrem Kater sah, waren seine gestreckten Hinterläufe und seinen Po. Sarah zog kräftig daran, während Tim wie wild miaute. Als sie den Kater aus seiner misslichen Lage befreit hatte, rannte er schnell ins Wohnzimmer und verkroch sich unter dem roten Sofa.

»Also entweder ist die Katzenklappe zu eng oder du bist zu dick!«, rief Sarah ihm hinterher. »Wobei das Letztere wohl eher zutrifft.« Sie seufzte und entschied sich ihrem Kater heute nur eine halbe Portion zu Fressen zu geben. Als Tim sein Fressen in den Futternapf rieseln hörte, kam er blitzschnell wieder unter dem Sofa hervorgekrochen und schoss in die Küche. Als er jedoch bemerkte, dass der Fressnapf nur halbvoll war, bestrafte der Sarah mit einem verachtenden Blick, als sie ihm über den Rücken streichelte. Sarah war jedoch zu müde für "Diskussionen" und wärmte sich hungrig und erschöpft die Reste vom gestrigen Abendessen in der Mikrowelle auf und setzte sich dann zum Essen vor den Fernseher.

Um ein Uhr in der Früh wachte sie vor dem Fernseher auf und musste entsetzt feststellen, dass auf dem Sender, auf welchem sie sich vorhin einen schnulzigen Spielfilm angeschaut hatte, nun ein schlechtgemachter Sexfilm flimmerte. Sie schaltete den Fernseher aus und schlenderte ins Schlafzimmer. Ihr Schlafzimmer war etwas Besonderes für sie. Es war ihre Entspannungsoase. Die Wand hinter dem kleinen Doppelbett, welches mit etlichen Plüschkissen dekoriert war, war in einem zarten Flieder gestrichen. Vor dem Fenster hingen lange halbtransparente Vorhänge und auf jeder einstmalig freien Fläche befanden sich duftende Kerzen und Fotos von Familie und Freunden. Neben dem Bett saß ein menschengroßer Pink Panther, welchen sie damals von ihrer nun verstorbenen Tante zur Konfirmation geschenkt bekommen hatte. Andere Kinder erhielten zur Konfirmation von ihren Verwandten Geld oder teure Geschenke, Sarah hingegen kriegte einen riesigen Pink Panther. Aber es kam noch besser, denn ihr etwas seniler Großvater schenkte ihr ein Zahnspangenreinigungsgerät. Dabei hatte sie nicht mal eine Zahnspange!

Müde schlüpfte Sarah unter die Bettdecke, streichelte ihrem Pink Panther über den Kopf und löschte das Licht.

Auch ein Pechvogel findet mal ein Korn

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