Читать книгу ZwölfUhrTermin - Nora Adams - Страница 3
Bilanz
Оглавление»Einen Kaffee, bitte.«
Die Frau, die vor Marc an der Theke stand, zückte einen Schein aus ihrem Geldbeutel und sah verwundert auf, als sie keine Antwort erhielt.
»Einen normalen Kaffee?«, erkundigte sich der Verkäufer und stutzte dabei dämlich.
»Gibt es einen unnormalen Kaffee?«, entgegnete sie schlagfertig, stemmte eine Hand in ihre Seite.
Diese Frau hatte Temperament, dachte Marc und übte sich in Geduld. »Ist es denn so sonderbar, dass ich Filterkaffee ohne künstlich hinzugefügte Aromen und tonnenweise Sahne oder Milchschaum mag?« Marcs Mundwinkel zuckte. Wenn die mal keinen schlechten Tag hatte … Oder war sie immer so aggressiv? Im Grunde genommen war es ihm egal, denn was zählte, war, dass er einen Termin hatte, den er verpassen würde, sollte sie nicht gleich zum Ende kommen.
»Boah! Mom!« Der Junge, der neben ihr stand, rammte einen Ellbogen in ihre Seite. »Chill mal dein Gesicht! Aaalter, das geht ja gar nicht!«
Was zum Teufel?, fragte er sich in dem Moment, als sie sich ruckartig dem kleinen Möchtegern-Coolio zuwandte, sodass Marc die zarten Konturen ihres Gesichtes erblicken konnte. Winzige Sommersprossen schmeichelten ihren Wangenknochen, während sich ihre langen, roten, welligen Haare über ihre Schulter ergossen. Eine schwarze Brille stand im Kontrast zu ihrer hellen Haut. Das war mal eine extrem heiße Erscheinung, dachte er sich, während er ihren vorwurfsvollen Gesichtsausdruck beobachtete und sich dabei fast schon amüsierte.
»Marius, sprich nicht so mit mir. Wie oft soll ich dir das sagen?«, zischte sie dem Jungen leise zu, anscheinend darauf bedacht, dass nicht alle in der Schlange mitbekamen, wie sie ihren Sohn rügte. Augenrollend wendete dieser sich ab. »Voll LOL, Mom! Du bist so peinlich!«, sagte er in voller Lautstärke.
»Du spielst gerade um deine Playstation, mein lieber Freund!«, platzte es beherrscht aus ihr heraus.
Die Zeit rannte ihm davon, indes Marc wie angewurzelt hinter diesem Schauspiel stand und sich keinen Zentimeter vom Fleck bewegte. Er musste sich eingestehen, dass es ihm trotz des Termindrucks nicht so viel ausmachte, weil seine Gedanken momentan ein verfluchtes Eigenleben entwickelten.
Er stellte sich vor, wie sie nackt auf ihm saß und ihre sündhafte Muschi – er nahm an, dass sie bei diesem Erscheinungsbild eine mehr als nur appetitliche Spalte hatte – immer wieder über seine Erektion rieb. Ihre langen Haare fielen nach vorne, umschmeichelten ihre hübsche Figur, während ihre schmalen Finger sanft über seine Brust streichelten. Ihr Stöhnen glich einem leisen Hauchen. Doch das genervte Aufstöhnen vor ihm, brachte ihn in die Realität zurück. »Tall, grande oder venti?«, fragte er mit viel zu hoher Stimmlage und stemmte seine Hand in die Seite, während er mit hochgezogener Augenbraue auf sie blickte.
Mein Gott, hatte der Barista Schraubzwingen um seine Eier, oder warum piepte er so abartig? Shit! Ging ihm das hier auf die Nerven! »Geben Sie dieser Frau sofort ihren«, nach Worten suchend, gestikulierte Marc mit einer Hand in der Luft herum, »Retro-Kaffee«, forderte er stockend auf, während er sich an den beiden vorbeischob, die ihn erstaunt musterten. Er knallte einen Fünfzigeuroschein auf die Theke und tippte, untermalt von einem genervten Kopfschütteln, die Fingerspitzen ungeduldig auf die Holztheke. »Groß und einen Latte macchiato«, warf er etwas zu laut hinterher und warnte ihn mit einer ebenfalls provokant hochgezogenen Augenbraue – ja, er konnte das auch -, keine weiteren dummen Fragen zu stellen. »Und wenn das Ganze heute noch geschieht, wäre das ein glanzvoller Dienst an die Menschheit.«
Während er wartete, sah er sich das kleine Übel, was neben der Schönheit stand und schändlicherweise ebendiese Mutter nannte, etwas genauer an. Mit offenem Mund und großen Augen starrte er Marc an und rammte den Ellbogen erneut mehrmals in die Seite seiner Mutter. »Was ist mit dir? Kannst du dich nicht anständig artikulieren?«
Gedanklich rügte er sich, denn wenn Marc ehrlich war, sagte er selbst bestimmt zehnmal am Tag Alter, fuck oder ähnliche katastrophale Worte, wobei er erwachsen war und ein Unternehmen leitete. Der einzige Unterschied war, dass Marc es nicht in der Öffentlichkeit tat. Außerdem musste der Furzknoten das nicht erfahren. »Und was ist das mit diesem deutsch-englisch Kauderwelsch? Ist das eine Art Sprachstörung?«
Marius schluckte schwer, das konnte Marc an seinem Kehlkopf sehen. »Mom, du kannst doch nicht zulassen, dass der so mit deinem Sohn spricht?«, sagte er in einer merkwürdigen Mischung aus kleinlautem Aufbegehren. Als Marc den Blick hob, konnte er erkennen, wie sich kleine Lachfältchen um ihre Augen bildeten. Sie war scheinbar amüsiert und erstaunt, wie man dem skeptischen Zucken ihrer Augenbraue entnehmen konnte. »Doch, Marius, genau das kann ich«, antwortete sie und erwiderte Marcs Blick.
Fuck. Augenblicklich dachte er abermals, dass sie sexy und dabei fast schon niedlich aussah. Sie wirkte irgendwie zerbrechlich, wobei sie nicht dürr war und ein paar geschmeidige Rundungen vorzuweisen hatte.
»Wie ist denn Ihr Name?«, fragte der Typ hinter der Theke gelangweilt und Marc hätte ihn am liebsten auf der Stelle vergiftet. So ein ungehobelter Klotz störte ihn beim Gaffen und offensichtlich hatte er nicht nur ihn gestört, sondern auch sie, denn ihre Wangen erröteten. »Das ist Rotschopf und ich bin Superman«, entgegnete er prompt, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Als ein lautes Lachen aus ihr herausplatzte, konnte er sich ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen. Hot!
Das Klingeln seines Telefons riss ihn ins Hier und Jetzt zurück, woraufhin er es aus der Tasche nahm. Das war Sina. Shit, der Termin. »Eden«, meldete er sich, in weiser Voraussicht, dass seine Sekretärin ihn gleich fragen würde, wo er denn blieb. Dabei hatte er ihr bereits vor einer Stunde geschrieben, als sein Auswärtsmeeting beendet war, dass er sich auf den Weg machen würde.
»Es ist drei Uhr, Ihr Termin ist da, von Ihnen ist aber weit und breit keine Spur.«
Schnell reichte er Miss Beauty ihren schwarzen Kaffee, die ihn dankend entgegennahm. Ohne dass sie es merken konnte, prägte er sich ihre Erscheinung ein, denn sie würde er wohl nicht flachlegen. Wenn sie schon einen Balg hatte, standen die Chancen nicht schlecht, dass sie verheiratet war.
»Ciao, Rotschopf«, sagte er leise und zwinkerte ihr zum Abschied zu.
»Tschüss und danke.« Sie hob ihren Kaffee und lächelte ihn an. Ihre Augen strahlten, sie verströmte pure Lebensfreude. Was für ein positiver Mensch, wenn sie auch definitiv eine andere Seite hatte, wie sie zuvor bewiesen hatte. Doch dieses Lächeln ließ ganze Eisklötze – so wie Marc ebenso einer war – dahinschmelzen.
»Marc?«, blaffte Sina durch den Hörer.
»Bin in fünfzehn Minuten da«, sagte er und beendete die Unterhaltung, während er den Laden verließ und auf die Fußgängerampel zusteuerte. Auf der anderen Straßenseite stand sein Auto, mit dem er gleich zu seiner Firma ED – Eden Dynamics fahren würde. Marc hasste nichts mehr als Unpünktlichkeit und gerade er kam zu spät zu einem wichtigen Projekt-Kick-Off-Gespräch. Immerhin entschied sich, ob seine Firma den Auftrag des Kölner Uniklinikums erhielt, in dessen komplettem Haus im Zuge einer Qualitätsmanagements-Auffrischung alle PCs sowie Softwares optimiert werden sollten.
Im Grunde hatte Marc mit seiner Music-App sowieso den Jackpot geknackt, denn die bescherte ihm Einnahmen in Millionenhöhe. Aber ein verantwortungsbewusster Geschäftsmann wusste, dass der Hype um solche Plattformen rasant abflachte, sobald ein anderer etwas Neues und Geniales auf den Markt brachte. Deshalb war es ihm ein Bedürfnis, für seine Angestellten eine gute Basis zu schaffen, die ihre Gehälter auch im Ernstfall abdeckten. Davon war aktuell noch lange keine Rede und selbst wenn der Notfall eintrat, hatte er genug auf seinen Konten, um ED eine gewisse Zeit aufrecht zu halten.
Okay, wenn er ehrlich war, ging es hier im Grunde nur darum, dass er den Hals nicht voll bekam. Kurz lachte er auf und schüttelte den Kopf über seine wirren Gedanken, die wie immer in einer strengen selbstreflektierenden Einsicht endeten.
Endlich angekommen, stieg er aus dem Auto und begab sich unverzüglich auf den Weg in die Büroräume.
»Man, Chef!« Mit einem vorwurfsvollen Blick kam Sina ihm entgegen, als er den Aufzug verließ, nahm ihm den Becher aus der Hand, seine Tasche ab und lief geradewegs voraus in sein Büro. »Was ist los mit Ihnen? Unpünktlichkeit ist für Sie ein Kündigungsgrund, wenn ich Sie erinnern darf?« Sina hatte Recht, dennoch war es jetzt nun einfach mal so und er konnte es nicht ändern.
»In welchem Raum sind sie?«
»Im Jazzraum«, antwortete sie, drückte ihm einen Stapel Unterlagen in die Hand, die er gestern schon vorbereitet hatte, und machte sich auf den Weg. Als er den Raum betrat, fiel ihm zu allererst sein Geschäftspartner – es sträubte ihn innerlich, diesen Flachwichser so zu nennen – auf, der dort saß, vor sich auf den Tisch starrte und die möglichen Neukunden ignorierte. Er musste damals nicht zurechnungsfähig gewesen sein, als er sein Unternehmen zur Hälfte an Alexander Kramer überschrieb.
Es war in der Zeit seines Start-ups, als die Firma Startschwierigkeiten hatte, ihm alles über den Kopf zu wachsen drohte und die inneren Dämonen Marc auffressen wollten. Damals war es eine gute Lösung gewesen, dass sich sein ehemaliger Kommilitone anbot, sein Partner zu werden und sich in die Firma einkaufte. Das war der Startschuss für Marc Edens Karriere. Er behielt sich den Namen des Unternehmens vor und das Stimmrecht im Streitfall. Schon schnell nach dem Zusammenschluss fragte er sich, was für ein Teufel ihn da geritten hatte, ihn mit ins Boot zu nehmen.
Die Zeit würde kommen, da verpasste er dem Nichtsnutz einen heftigen Arschtritt. Die Firma befand sich dort, wo sie jetzt stand, und zwar an der Spitze der internationalen IT-Unternehmen, weil Marc sie dorthin brachte. Marc Eden und nicht Hohlbirne Alexander Kramer. Er hatte nichts dazu beigetragen. Er delegierte vermeintlich die Arbeit im Haus, zumindest dachte er das, wenn er mal wieder stundenlang durch die Büros der Angestellten flanierte, sich überheblich auf die Tischkanten setzte und die Leute bei der Arbeit beobachtete. Letztendlich lief eh alles über Marcs Tisch. Seine Projektmanager meldeten sich ausschließlich bei ihm oder eben Sina, wenn es etwas außerhalb der regulären Meetings zu besprechen gab. Marc war stolz auf sein mittelständisches Unternehmen und würde keineswegs zulassen, dass dieser Miesepeter ihm das Geschäft ruinierte. Sollte er halt schweigsam sein, jedoch nicht am Tisch potenzieller Kunden. Idiot!
»Herzlich willkommen bei Eden Dynamics.« Bestimmt trat er auf die beiden zu und reichte ihnen die Hand. »Marc Eden«, stellte er sich vor und setzte sich an den Kopf des Tisches. »Entschuldigen Sie meine Verspätung, der Verkehr steckt manchmal voller Überraschungen.« Nickend stimmten sie zu, indes Marc eine Erleichterung durchflutete, als es merkte, dass noch nichts verloren war. Das Eis war gebrochen.
Nach fünf Stunden, einer kurzen Unterbrechung, um einen vom Caterer bereitgestellten Snack zu sich zu nehmen, verließ Marc mehr oder weniger zufrieden den Konferenzraum.
»Wir haben den Auftrag«, murmelte er Sina zu, als er auf dem Weg in sein Büro ihren Schreibtisch streifte, setzte aber gleich hinterher: »Kannst du Alexander rufen?« Auch wenn jetzt alles gut lief, so konnte es nicht weitergehen. Sein Geschäftspartner arbeitete nicht für das Unternehmen.
»Was hat er denn schon wieder angestellt?«, murmelte sie die rhetorische Frage vor sich hin und griff zum Hörer. »Hier ist Sina, Herr Eden möchte Sie gerne sprechen!«
Marc verkniff sich ein Lachen, als er sah, wie Sina die Augen rollte. Seine Sekretärin wusste genau, wer welche Leistungen für dieses Unternehmen vollbrachte. Und wenn ihr Alexander dumm kam, ertrug sie es stillschweigend. Das war kein Zeichen von Schwäche, nein. Sie respektierte ihn einfach nur nicht und nahm ihn nicht ernst. Jedem anderen würde Marc etwas erzählen, wenn einer der Angestellten gegenüber der Geschäftsführung respektlos werden würde. Denn egal welchen Krieg sie ausfochten, Marc würde das niemals nach außen zeigen. Was sie sich letztendlich dachten, lag nicht in seinem Ermessen. Sina hatte sich diesen Freifahrtsschein allerdings hart erarbeitet. Sie war mehr an Marcs Seite, als es Alexander jemals war. Sina machte Überstunden, sobald er mit dem Finger schnippte, war Beraterin in allen Lebenslagen und diente oftmals als eine Art Schutzpanzer, sortierte Anfragen jeglicher Art nach Wichtigkeit aus und reichte nur an Marc weiter, was Priorität hatte. Sie wusste über seinen Frust detailliert Bescheid, nicht selten half sie Marc, etwas auszubügeln, was Alexander verbockt hatte.
»Was willst du?« Alexander kam kurz darauf in sein Büro geplatzt, setzte sich vor Marcs Schreibtisch und sah ihn mit dem Fuß wippend an, als hätte er keine Zeit.
»Wir sollten uns über deine Zukunft in diesem Unternehmen unterhalten«, begann er, räumte ein paar Unterlagen zur Seite und betrachtete ihn mit ernster Miene.
»Ich wüsste nicht, was es da zu besprechen gibt. Ich bin dein Partner und das wird auch so bleiben.«
»Alexander, mach dir nichts vor. Du bist für das Unternehmen eine Last, denn sind wir mal ehrlich, welche Kunden hast du uns gebracht? Was trägst du im Geschäftsalltag bei? Wann kann ich mich nur einmal auf dich verlassen?«
»Hey«, sprang Alexander auf und stützte sich drohend auf der Tischplatte ab. »Wer ist eben zu spät gekommen, werter Herr Eden?« Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. »Das warst du, nicht ich. Merkst du noch was?«
»Merkst du noch was?«, wiederholte Marc zornig und baute sich ebenfalls in einer drohenden Haltung vor diesem Idioten auf. »Du fragst mich allen Ernstes, ob ich noch etwas merke, nachdem ich uns einen Deal mit einer geschätzten monatlichen Marge im fünfstelligen Bereich eingehandelt habe? Du hast dazu genau was beigetragen? Verzeih mir, wenn ich so stutzig bin, aber ich kann mich daran erinnern, dass du dort schweigend wie ein Mönch gesessen hast und dann über die Canapés hergefallen bist. Und jetzt sieh mir in die Augen und erkläre mir noch einmal, was hier falsch läuft!« Alexander fokussiert, blickte er ihm unerbittlich entgegen. Nein, vorher musste er sich die Zunge abbeißen, sie zerkauen und über den Darm ausscheiden, doch keinesfalls würde er den Blick vor diesem Vollhonk senken.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Alexander sich dem Duell der Titanen entzog und leise flüsterte: »Du wirst mich niemals loswerden. Denn ohne meine finanzielle Spritze wäre die Firma nicht da, wo sie jetzt ist, vergiss das nicht.«
Das hörte sich wie eine Drohung an und Marc wusste genau, dass es auch eine war. Alexander war ein Meister im Manipulieren und Quälen anderer Menschen. Er würde so schnell nicht hinwerfen, aber Marc würde auf keinen Fall aufgeben, das stand fest. Dennoch wusste er, dass er in dieser Situation nichts mehr erreichen konnte, weshalb er schwieg. Ein letztes siegessicheres Seufzen, als würde er denken, dass er tatsächlich Recht hatte und Alexander verließ sein Büro. Arschloch! Ja, es stimmte sogar. Ohne seine anfängliche Unterstützung hätte Marc seine Träume nie verwirklichen können, aber dass die Firma nun erfolgreich war, war auf seine Fähigkeiten zurückzuführen – Marcs Unternehmensführung und Know-how. Wenn es ihm nur um das Geld gehen würde, könnte er ihm mehr als genug in den Rachen schütten. Doch mehr als einmal hatte er bereits bekräftigt, dass er sich nicht aus der Firma kicken ließ.
Ein Klopfen ertönte und kurz darauf betrat Sina sein Büro. »Alles okay hier?«, wollte sie von ihm wissen.
»Das Übliche!«, gab Marc knapp zurück. Er musste diesen Abschaum loswerden und das am besten sofort!