Читать книгу ZwölfUhrTermin - Nora Adams - Страница 6
Wealth Management
Оглавление»Macht euch eine Pizza in den Ofen, ich komm heute erst am späten Nachmittag aus dem Büro«, sagte Anni in den Hörer, den sie mit der hochgezogenen Schulter gegen ihr Ohr drückte.
»Da wird sich unsere Biotonne aber freuen, wenn es nichts Vegetarisches zum Futtern gibt«, erwiderte Marius schadenfroh und keuchte daraufhin scharf, als er sich vermutlich einen Schlag von Amalia eingefangen hatte. »Mom, deine Höllenbrut schlägt mich!«, meckerte er gleich vorwurfsvoll los und bestätigte Anni ihren vorausgegangenen und wohlwissenden Gedankengang.
»Amalia soll sich den Backfisch warm machen«, riet sie, während sie die Rechnungen von Constantins letzter Geschäftsreise abheftete.
»Mach ich!«, hörte sie sie im Hintergrund rufen.
»Wie war die Deutscharbeit?«
»Easy«, erklärte Marius kurz. »See you, Mom. Ich hab jetzt Kohldampf«, womit er das Gespräch beendete.
»Tschüss, Kinder. Eure Mutter hat euch lieb. Seid schön brav und vertragt euch. Lasst euch das Essen schmecken«, murmelte sie sarkastisch vor sich hin. Tja, diese Zeiten waren vorbei, was einerseits in Bezug auf die Selbstständigkeit der Kinder angenehm war und andererseits dazu führte, dass sie immer größer wurden und auf derartige Aussagen keinen Wert legten. Realistisch gesehen konnte sie eh nichts dagegen tun und somit war das Thema schon beendet.
Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihr, dass es bereits halb vier war. Ihr Schädel rauchte vor lauter Papierkram, den sie heute erledigt hatte. Man sollte nicht meinen, was in einem Einmannbetrieb, plus Telefonistin an der Anmeldung, die die Termine ihres Mannes vereinbarte, alles anfiel. Gut, es war nicht immer so stressig, aber aktuell war es einfach zu viel, als dass Anni pünktlich aus dem Büro käme.
Sie stand von ihrem Schreibtisch auf, öffnete das Fenster, um frische Luft reinzulassen, und machte sich auf den Weg in die Küche, um einen Kaffee zu kochen, den sie jetzt dringend brauchte. Gerade griff sie in die Keksdose, die für alle zugänglich stand, als Constantin den Raum betrat.
»Kaffee?«, fragte sie ihn, doch er lehnte dankend ab. »Alles okay?«
»Hab gleich einen Neukunden«, sagte er bloß und Anni wusste sofort, dass ihr Mann mehr als nur hundert Prozent geben würde, um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Daher goss sie sich ihren Kaffee ein, ohne ihn in seiner Konzentration zu stören, und verließ den Raum mit einem leise gemurmelten Viel Glück.
Als sie an der Anmeldung vorbeiging, öffnete Susanne, die Telefonistin, via Funkanlage die Tür, während sie Anni nett zulächelte. »Eine tolle Bluse haben Sie an, Frau Weishaupt.«
»Danke. Ich hab sie mir erst kürzlich neu gekauft.«
Die Tür öffnete sich und herein kam … »Superman?«, platzte es erschrocken aus ihr heraus, bevor sich ihre Gehirnzellen vereint gegen diesen Schwachsinn stellten, den sie dort rausgehauen hatte. »Verzeihung, ich meinte, Herr Eden. Oh Gott, das tut mir leid!« Die Farbe ihres Gesichtes musste der einer Tomate gleichen. Das war mehr als unprofessionell, es war peinlich und dumm. Ein tonnenschwerer Stein der Erleichterung fiel sogleich von ihren Schultern, als eben angesprochener ihr grinsend zuzwinkerte.
»Hi, Rotschopf. Lebt der Barista noch?«, fragte er flapsig, während er die Tasse in ihrer Hand ins Auge fasste. Das Gefäß fest umklammert, brach sie in ein Lachen aus, was auch seine Lippen breiter werden ließ.
Wie er da stand, der große stolze Mann, in einem feinen Anzug und doch so locker und lässig. Seine verzottelten Haare, die wieder zu einem Zopf zusammengebunden waren, diese Tattoos, die ihn verwegen wirken ließen … Dann kam Anni um die Ecke und betitelte ihn als Superman, was er humorvoll hinnahm. Ihr Herz schlug fälschlicherweise einen Takt zu schnell, sodass sie sich rasch mit einem freundlichen Nicken von ihm verabschiedete und in ihr Büro zurücklief.
Die Tür hinter sich geschlossen, lehnte Anni sich dagegen und starrte einige Sekunden den Fußboden an. Würde er sich bitte auftun, damit Anni darin verschwinden konnte? Marc Eden war der Neukunde von Constantin? Oh Gott, wie blamabel war ihr Auftritt nur. Professionalität ging Constantin über alles und wenn er das mitbekommen hatte, würde sie sich später eine Standpauke anhören können. Denn eins musste man mal klar sagen: Constantin war nicht nur ihr Ehemann, sondern hier und jetzt war er ihr Chef und als dieser verlangte er von seinen Mitarbeitern absolute Konzentration und Perfektion.
Ein Grinsen schlich unweigerlich auf ihre Lippen, es war unvermeidbar. Marc Eden konnte sich an sie erinnern. Kopfschüttelnd versuchte sie, den Gedanken beiseitezuschieben, begab sich stattdessen wieder an die Steuerunterlagen, die sie vorhin am Sortieren war.
Als sie eine Stunde später den PC herunterfuhr und in den Flur trat, hörte sie die Männer durch die verschlossene Bürotür sprechen. Noch einmal lauschte sie Supermans Stimme, die ihr in diesem Augenblick eine Gänsehaut verpasste, dann machte sie sich auf den Heimweg. Innerlich ermahnte sie sich selbst, als ihr bewusst wurde, dass sie den Kunden ihres Mannes ganz offensichtlich anhimmelte und das in seinem Beisein. Am Sonntag würde sie drei extra Vater Unser in der Kirche beten und hoffen, dass ihr diese gedankliche Sünde vergeben wurde. Um Gottes willen, was dachte sie da nur für einen unfassbaren Mist?
Endlich stellte sie das Auto in der Garage ab und betrat das Haus, in dem ihr lautstark die Musik entgegen plärrte. Im Flur lag ein Zettel von Amalia, dass diese heute bei Sophie war und gerne dort übernachten würde. Ein Blick in die Küche brachte ihr Stresslevel augenblicklich fast zum Überlaufen. »Unmöglich«, murmelte sie. Eine Pizza und ein Backfisch sollten die zwei sich machen. Es sah allerdings aus, als hätte ein Tornado sein Unwesen in der Küche getrieben. Heute würde zumindest Marius ihr helfen, das stand fest. Diesen Saustall bereinigte sie nicht alleine: ein Topf mit angebrannten Puddingresten, verschüttete Milch auf Tisch und Boden, benutzte Schüsseln, Pizzareste, offene Getränkeflaschen. Sogar ein verwelkter Kopfsalat lag neben dem Kühlschrank. Warum? Was hatten sie vor? Wollten sie einen Vitaminangriff starten? Niemals würden ihre beiden Kinder freiwillig und ohne Aufforderung auch nur ein Blatt Salat anrühren. Oder wollten sie nur schon mal vorsorgen, damit Anni ja nicht auf die Idee kam, ihnen das Grünzeug vor die Nase zu setzen? Immerhin war er welk und konnte somit in den Mülleimer. Nicht zu vergessen waren die Schuhe, die mitten in der Küche auf dem Boden lagen, als hätten sie kein Schuhregal im Flur stehen. Das Licht brannte, weil die Stromrechnung offenbar noch nicht hoch genug war. Entschlossen machte sie sich auf den Weg nach oben, betrat nach einem kurzen Klopfen Marius’ Zimmer und fragte sich zugleich, warum sie das getan hatte, denn bei dieser Lautstärke würde man nicht mal sein eigenes Wort verstehen, geschweige denn ein Anklopfen.
»Marius, mach die Musik …« Ein wildes aufspringendes Etwas, was sich von dem Schoß ihres dreizehnjährigen Sohnes schlagartig entfernte, schaffte es tatsächlich, dass Anni sprachlos war. Während Marius den Lärm leiser stellte, verabschiedete sich das junge Fräulein mit einem knallroten Gesicht und hängenden Schultern zur Tür heraus.
»Hi, Mom.« Er drehte sich zu seinem Laptop und tippte etwas scheinbar sehr Wichtiges.
»Hi, Mom?«, fragte Anni perplex und hoffte verzweifelt, dass da noch weitere Informationen aus seinem Mund kommen würden. Vergeblich. »Mehr fällt dir nicht ein? Was war das gerade? Und sieh mich gefälligst an, wenn du mit mir sprichst!«
»Bleib mal smooth, es ist doch nichts passiert!«
Das waren Situationen, in denen sich selbst liebevolle, liebende und fürsorgliche Mütter daran erinnern mussten, dass Gewalt egal in welcher Form keine Lösung war. Okay, ruhig bleiben, Anni. »Können wir bitte darüber reden?«
»Es gibt nichts zu bereden, ich hab sie nicht flachgelegt, Mann!«, motzte er.
Wenn eines feststand, dann war es das, dass Anni definitiv in der falschen Stimmung war, um ein solch fragiles Thema gegen seinen Willen und mit Samthandschuhen an den Fingern, die ihn am liebsten gerade erwürgen würden, zu besprechen. Sie würde Constantin darum bitten, das zu übernehmen. Wenn sie ehrlich war, fehlte ihr die Kraft dazu, weshalb sie nur sagte: »Das Thema ist noch nicht vom Tisch. Du kommst jetzt runter und räumst mit mir zusammen die Küche auf.«
Anstandslos folgte Marius ihr, was ihr einen weiteren kleinen Schock verpasste. Innerlich aufgewühlt fand sich Anni nur Sekunden später in dem Saustall wieder, während sie das Spülwasser einließ und Marius den Salat in den Kühlschrank legen wollte. »Müll!«, kommentierte sie etwas zu harsch und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie er ihrem Wort stumm folgte. Offensichtlich hatte Marius ein schlechtes Gewissen und versuchte es sich mit Hausarbeit reinzuwaschen. Um das Gespräch würde er dennoch nicht drumherum kommen. Dreizehn Jahre war er alt. Ja, ist es denn zu fassen? Annis Mutter war wirklich lieb, dennoch hätte sie sich eine zweimonatige Ausgangssperre eingehandelt, wäre sie in dem Alter beim Knutschen erwischt worden. Womöglich hätte sie auf ein Mädcheninternat wechseln müssen. Ihren Kindern musste man nicht erklären, wo die Babys herkamen, sie wussten, was Sex war. Außerdem waren sie heute definitiv aufgeklärter, als sie es selbst damals war und doch beschlich sie ein ungutes Gefühl dabei, dass ihr Sohn sich scheinbar alt genug fühlte, um sich dem anderen Geschlecht auf dieser Ebene zu nähern.
Marius half ihr die Küche aufzuräumen und lief daraufhin wortlos in sein Zimmer, nur um kurz darauf wieder die Musik anzustellen, die man im ganzen Haus hörte.
Müde. Anni war erschöpft, sie fühlte sich schlapp und doch wusste sie, dass sie sich eine Auszeit nicht gönnen konnte, denn dann würde Familie Weishaupt sang- und klanglos untergehen. Einen kurzen Moment gönnte sie sich jedoch, indem sie sich einfach an den Tisch setzte, die Füße auf dem gegenüberliegenden Stuhl ablegte und mit den Händen die Ohren zuhielt, sodass sie wenigstens ein paar Minuten Ruhe finden konnte.
Nachdem Anni später das Essen für alle vorbereitet hatte, machte sie sich auf den Weg zum Sport. Sie mochte es, dass es ein derartiges Angebot in der Gemeinde gab und sie nicht erst nach Köln fahren musste, um das nächste Fitnessstudio nutzen zu können. Wenn man in solch einem kleinen Kaff wohnte, lernte man, genau die Angebote anzunehmen, die man auch mal ohne Auto erreichen konnte.
»Hi, Anni, spät dran heute!«, wurde sie von der Trainerin begrüßt, die ihr mit ausgestreckter Hand eine bereitliegende Gymnastikmatte zuwies.
»Ging nicht eher«, antwortete sie knapp und begann, ihre Muskeln zu dehnen und sich aufzuwärmen. Der Altersdurchschnitt in dieser Gruppe lag definitiv über fünfzig, weil Bodengymnastik bei der jüngeren Generation scheinbar nicht mehr so angesehen war. Annis Rücken dankte es ihr jedoch jede Woche, dass sie sich um ihren Körper kümmerte.
Einige Sportübungen später räumten sie gemeinsam die Matten in den Geräteraum und fanden sich in der Umkleidekabine, wo das Geschnatter der älteren Damen längst volle Fahrt aufgenommen hatte, wieder.
»Nein, und sie hat ihn wirklich verlassen?«, hinterfragte Hiltrud geschockt. Anni wusste sogleich, um wen es sich handelte, denn, dass die Eheleute Rommelfangen sich getrennt hatten, war am Sonntag schon das Top-Thema nach der Kirche.
»Ja. Das muss man sich mal vorstellen. Da gehen die mit großem Tamtam heiraten, bauen einen Luxusbunker …«
»Es ist ein normales Haus«, warf Anni ein. Nicht dass man sie wahrgenommen hätte, die Faszination alles zu dramatisieren, ließ die Dorfgemeinde über Leichen gehen.
»… setzen drei Kinder in die Welt – Gott hab sie selig – und dann trennen sie sich, weil der Mann eine andere hat«, endete sie mit ihrem Vortrag und kassierte zustimmendes Nicken aller Anwesenden.
»Die Kinder sind nicht tot, sie haben jetzt lediglich getrennte Eltern«, versuchte Anni auf das unfassbar übertriebene ›Gott hab sie selig‹ einzugehen. Im Aufplustern waren diese Damen unschlagbar.
»Lediglich?«, echauffierte sich Brunhilde augenblicklich. Ganz toll, Anni. Sonst hört dir hier keine Sau zu und wenn du dich mal unglücklich ausdrückst, wird direkt darauf hingewiesen.
»Ich wollte das keineswegs verharmlosen, sondern einfach darauf hinweisen, dass die Kinder heute viel stärker sind, gewisse Situationen meistern können. Sicher ist das schwer für sie und ich wünsche es keinem, aber …«
»Kindchen, man heiratet nicht, um sich dann zu trennen, nur weil der Mann sich mal nach einer anderen umgeguckt hat«, fuhr ihr Brunhilde abermals über den Mund.
Wie bitte? »Frau Rommelfangen wird von ihrem Mann hintergangen und ihr nehmt ihn in Schutz?« Was war das denn für eine haarsträubende Logik?
»Früher hat man solche Krisen überstanden. Die Leute haben heute kein Durchhaltevermögen mehr.«
»Also jetzt schlägt es ja Dreizehn!« Anni stemmte ihre Faust in die Hüfte und sah in die Runde, die ihre volle Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hatte. »Sie wurde verdammt nochmal betrogen und hat alles Recht der Welt sich von ihm zu trennen. Zumal uns das überhaupt nichts angeht. Wenn die beiden denken, dass ihre Ehe beendet ist, haben wir das stillschweigend zu akzeptieren. Warum sollten sie sich durch ihr Leben quälen, wenn sie beide glücklich sein können? Man lebt nur einmal!«
Vereinzelt senkten sich die Köpfe, was Anni als ein Schuldeingeständnis auffasste. Nicht so Brunhilde, die sich gerade vor ihr aufbäumte.
»Pass mal auf, Kindchen. Komm du erst in unser Alter. Erlebe du das, was wir erlebt haben, dann reden wir weiter. Du hast doch keine Ahnung, wie das Leben funktioniert.« Sie griff sich ihre Sporttasche und verließ die Halle.
Als Anni ihre Sachen ebenfalls zusammengepackt hatte und auf dem Heimweg war, fragte sie sich, warum sie das eigentlich mitmachte? Klar, der Sport war wichtig, aber jede Woche dieses gleiche stupide Gerede und Geläster über die Dorfbewohner? Anni wollte gar nicht wissen, was sie über ihre Familie sprachen. Ihr Mann war oft unterwegs, weil er für manche Gespräche zu den Kunden reisen musste. Ihre Kinder wurden recht locker erzogen, gingen beide nicht auf die hiesige Schule, sondern auf ein privates Gymnasium in Köln. Familie Weishaupt fügte sich ins Dorfleben ein, ja. Dennoch waren sie speziell, wenn man das aus der Sicht der Gymnastikdamen sah.