Читать книгу ZwölfUhrTermin - Nora Adams - Страница 7
Start-up
Оглавление»Morgen, Sina. Gibt’s was Akutes?«, fragte Marc, während er an ihr vorbeiging und sein Büro betrat. Denn wenn es nichts Brennendes gab, würde er nach dem Acht-Uhr-Termin erst mal die Investitionsmöglichkeiten studieren, die ihm dieser Weishaupt gestern mitgegeben hatte.
Traf er doch tatsächlich den heißen Rotschopf in dessen Büro. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Diese Frau hatte es ihm angetan. Unfassbar hübsch, sich ihrer Schönheit aber keineswegs bewusst. Sie war so erfrischend. Vor allem war sie verdammt nochmal mit seinem Vermögensberater verheiratet, wie sich im Gespräch herausstellte. Noch immer verpasste ihm dieser Gedanke einen unangenehmen Stich in der Magengegend.
Gerade setzte er sich hin, als Sina hereinkam – elegant gekleidet wie immer, eine Seidenbluse und ein Bleistiftrock umschmeichelten ihre Hüften. Sie war wirklich eine Augenweide, wenn man es so wollte. Ihr Verlobter konnte sich glücklich schätzen, so eine tolle Frau an seiner Seite zu haben. »Der Becker aus der Finanzabteilung möchte gleich mit Ihnen sprechen«, verkündete sie und stellte einen Kaffee vor ihm ab.
»Was will der denn?«, fragte er und zog die Tasse näher, während er dankend nickte.
»Es eilt, meinte er nur und da Ihr Acht-Uhr-Termin abgesagt hat, Sie jetzt demnach einen einstündigen Slot zur Verfügung haben, hab ich ihn reingeschoben«, erklärte sie und machte auf dem Absatz kehrt.
Klar doch. Es wäre ohnehin zu viel verlangt, ihm einfach etwas Zeit zu gönnen. Dass das kein wirtschaftliches Denken war, wusste er selbst und dennoch, waren wir mal ehrlich, wer freute sich nicht darüber, wenn ein Termin kurzfristig abgesagt wurde und man unverhofft ein bisschen Zeit hatte, um andere wichtige Dinge zu erledigen. Nun gut, das Ganze galt nur, wenn es ein unwichtiger Termin war und dann auch nur, wenn ihm dadurch keine Unkosten entstanden. Ach, was redete er da, eigentlich war es immer scheiße, wenn man nicht zu einem vereinbarten Termin auftauchte.
Es klopfte, und hereinkam Becker, der Chef seiner Finanzabteilung. »Moin, Marc«, grüßte der schlaksige junge Kerl, der ein wahres Zahlengenie war. Klar, gab es einen gewissen Dresscode im Haus zu beachten, aber Becker war eh und je in Jeans und Shirt angetanzt, sogar zum Vorstellungsgespräch. Dieser Kerl hatte Marc mit seiner fachlichen Kompetenz beeindruckt und deshalb beschloss er schon damals, dass er, was die Kleidung betraf, einen Freifahrtsschein erhielt. Immerhin legte er ein Statement ab, als er in ebenjenem Dress zum Interview erschien: Man bekommt mich so oder gar nicht, strahlte er aus und Marc wollte ihn genau so und nicht anders.
»Becker«, grüßte er nickend und wies ihm seinen Platz vorm Tisch zu. »Was haben Sie auf dem Herzen?« Innerlich hoffte er, dass er nicht gleich eine mündliche Kündigung seinerseits erhalten würde, denn das wäre wirklich schade. Aber Becker war eigentlich nicht unzufrieden, zumindest vermittelte er ihm nicht den Eindruck.
»Mir ist etwas aufgefallen, was ich mit Ihnen besprechen muss«, eröffnete er das Gespräch.
»Schießen Sie los!« Marc lehnte sich im Stuhl zurück und betrachtete einen seiner besten Mitarbeiter skeptisch.
»Vom Stammkapital wurde eine Million Euro abgezweigt«, sagte er und legte seine Fingerkuppen aufeinander. Wofür wurde so viel Geld abgehoben? Eine größere Investition stand nicht an. Ungeduldig sah er ihn an. »Das Geld wurde benutzt, um eine hochriskante Investition zu tätigen.«
Unverzüglich spürte Marc, dass ein unfassbarer Zorn in ihm aufkochte. Er musste Becker anschauen, als wäre er ein Alien, denn seine Gesichtsmuskulatur fühlte sich plötzlich gelähmt an. Ihm könnte der Speichel aus dem Mund tropfen, es wäre ihm egal. »Alexander!«, knurrte er mehr, als er es normal aussprach, denn keiner sonst hatte freien Zugriff auf die Firmenkonten, woraufhin Becker nickend bejahte.
»Die Ausgabe ist auf Alexander Kramer zurückzuführen.« Becker erhob sich, zog eine geknickte Mappe aus seiner Gesäßtasche. Marc griff nach den zerknitterten Unterlagen, die Becker ihm entgegenhielt und wusste sogleich, dass das, was er ihm hier offenbart hatte, unangenehm enden würde. Fuck! Was hatte dieser Penner sich bloß gedacht? Während Marc sein privates Vermögen versuchte, sinnvoll und gewinnbringend anzulegen, sich informierte, schmiss Alexander das Firmenkapital zum Fenster hinaus. Denn wenn er die Art des Unternehmens betrachtete, den Forschungsstand und die Sicherheit, die Becker hier detailliert aufgelistet hatte, wurde ihm speiübel.
»Danke! Gute Arbeit«, sagte er zu Becker, dem er die Hand schüttelte und ihn somit entließ.
Die nächsten Minuten zogen an ihm vorbei, während er die Unterlagen studierte und immer wieder fassungslos den Kopf schüttelte. »Chef, Ihr nächster Termin ist …«
»Jetzt nicht!«, blaffte er Sina an, die sich daraufhin zurückzog und die Bürotür, die meist offenstand, hinter sich zuzog. Er musste sich sammeln, stellte sich deshalb vors Fenster und atmete einige Male tief durch. Was hatte der Typ sich dabei gedacht? Die Frage war rhetorisch gemeint, denn alles, was dieser Mistkerl neuerdings machte, musste man doppelt und dreifach kontrollieren, weil man nie sicher sein konnte, was seine Beweggründe waren. Kramer dachte einfach gar nicht nach, bevor er etwas tat, zumindest kam es ihm so vor.
Marc bewegte seinen Kopf nach links und nach rechts, ließ Gelenke knacken, ehe er die Sprechanlage zu Sina betätigte. »Sina, holst du bitte Alexander her? Es eilt!«
»Wird erledigt«, erwiderte Sina.
Einen Entschluss gefasst, setzte er sich hin und wartete.
»Marc?«, fragte Alexander, als er wie immer, ohne zu klopfen, sein Büro betrat. Nicht, dass er sowieso schon reichlich gut gelaunt gewesen war, dieser Vollpfosten schaffte es immer wieder, ihn selbst in ruhigen Momenten aus der Fassung zu bringen, wobei er aktuell meilenweit von ruhig entfernt war.
Marc warf Beckers Unterlagen quer über den Tisch, sodass sie knapp vor der Kante liegen blieben, dann überschlug er die Arme und wartete seine Reaktion ab. Arme überschlagen war im Übrigen eine sehr gute Idee, so waren die Körperteile, mit denen er ihm Schmerzen zufügen konnte, erst mal verhindert und er kam nicht in Versuchung, ihm direkt eine reinzuknallen.
»Marc …«, setzte er an, den Blick auf die Unterlagen gerichtet. Mit einem Mal wirkte er fahl, seine Gesichtsfarbe war gewichen. Marcs Augen fokussierten ihn und nahmen das Unbehagen, welches er ausstrahlte, wahr. Jede Faser seines eigenen Körpers war angespannt und durstig nach der Erklärung, die er ihm gleich abliefern würde. Er erwartete eine bombastische Begründung für sein Verhalten, denn alles andere wäre unzureichend. Na gut, wenn Marc ehrlich war, konnte ihn bei dieser Faktenlage vermutlich gar nichts besänftigen.
Alexander begann ganz unbewusst, seine Finger zu einer Faust zu ballen und machte dabei eine pumpende Bewegung. Nicht eine jener, die einem Angst einjagen sollten, sondern eine, bei der man genau wusste, dass derjenige nervös und verunsichert war. Das war Alexanders Spezialgebiet. Entweder pumpte er mit den Händen oder er zog seine Lippen minimal auseinander, was so viel zum Ausdruck bringen sollte wie: Shit! Erwischt!
»Ich kann das erklären!«
»Nur aus diesem Grund habe ich dich herzitiert. The stage is yours!«, forderte er ihn in einem unterkühlten, aber ruhigen Ton auf, endlich zu sprechen.
»Die Zeit lief mir davon«, sagte er leise und hob daraufhin die Unterlagen an, als müsste er sie genau studieren. Das war reine Ablenkungstaktik, um seine Nervosität zu vertuschen. Dabei hatte Marc ihn schon längst durchschaut und das nicht erst seit diesen Sekunden.
»Es wäre toll, wenn ich dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen müsste. Werde konkreter, um meine Geduld steht es heute nicht sehr gut«, platzte es aus Marc heraus, während er die Hände auf die Tischplatte stemmte. Er könnte schwören, dass sich Schaum vor seinem Mund bilden würde, wenn sich diese unbändige Wut noch weiter steigerte.
»Andere wollten diese Investition tätigen, dabei steht das Start-up kurz vor seinem Durchbruch. Die werden ganz groß, Marc. Das ist unsere Chance«, redete er ihm mit einer plötzlichen Euphorie zu.
Alexander erinnerte ihn ein wenig an einen kleinen Jungen, der am Montag nach Weihnachten jedem in der Schule von seiner tollen Carerra Bahn, die unter dem Baum gelegen hatte, erzählte. Verstand er denn verdammt nochmal nicht, dass ED längst groß rausgekommen war? Und zwar durch Marcs Entwicklung? Sie waren die verfickte Nummer Eins der internationalen IT-Unternehmen.
Tief durchatmen, sprach er sich zu. Vergiss nicht, Marc Eden, dass du einen gewissen Ruf in der Branche genießt. Versau es dir nicht, indem du diesem Drecksack die Fresse polierst. Er legte den Zeigefinger und Daumen an seine Nasenwurzel und zählte innerlich bis drei, bevor er weitersprach: »Eine Million Euro? Willst du mich eigentlich verarschen?« Na ja, professionell war anders, aber hey, sein Gegenüber lebte wenigstens noch. »Weshalb bist du so sicher, dass das Geld gut angelegt ist? Du hast jetzt genau fünf Minuten. Wenn du dieses Büro verlassen hast und wieder hereinkommst, möchte ich deine gut recherchierten Unterlagen sichten, in denen die Fakten, die besagen, dass das Start-up kürzlich seinen Durchbruch erreichen wird, detailliert aufgeführt sind. Fünf Minuten, Alexander. Keine Sekunde länger!«
Als Alexander die Hände, mit den Flächen zum Boden gerichtet, vor seinen Körper hielt, die ihn scheinbar beruhigen sollten, wusste Marc augenblicklich, dass er nichts vorzuweisen hatte.
»Beruhige dich! Du musst mir vertrauen.«
»Ich verlasse mich eher auf die Klofrau im Kölner Bahnhof als auf dich«, sagte er mehr zu sich selbst. Marc war heilfroh, dass sich sein Schreibtisch in der Mitte von ihnen beiden befand, das brachte ein wenig Abstand zwischen sie. »Die Papiere, Alexander!«, forderte er ihn ein letztes Mal auf.
»Es gibt keine. Wie gesagt, du musst mir glauben. Das ist sicher!« Ein selbstgefälliges Grinsen schlich sich auf seine Lippen. War er wirklich so dumm? Es gab keine verdammten Papiere, die ihm zu der Entscheidung verhalfen, einen Großteil des Firmenkapitals zu investieren.
»Ich hab einen heißen Tipp bekommen«, trat er näher und flüsterte verschwörerisch.
Bevor Marc umkippen würde, ließ er sich nach hinten in seinen Stuhl fallen, der daraufhin ein knarrendes Geräusch von sich gab. Er hatte einen Tipp bekommen? Ja, war es denn die Möglichkeit! Die Hand vor die Stirn gelegt, schüttelte er ungläubig den Kopf. »Der Tipp basiert auf welchen Fakten? Von wem stammt er?« Bei so viel Dummheit verschlug es selbst einem Marc Eden die Sprache.
»Kennst du Louis Felten noch? Einer unserer Kommilitonen. Der arbeitet für das Unternehmen und er hat mir einen Insidertipp gegeben, damit wir die Ersten sind und uns keiner in die Quere kommt.«
Er kannte diesen Louis und konnte ihn noch nie leiden: »Hast du auch nur eine Sekunde daran gedacht, dass das für jedes kleine Start-up einem Ritterschlag gleichkommt, wenn ED mit drin hängt? Was ist los, Alexander, dass du auf Insiderinformationen hin so viel Geld investierst? Bist du dir dessen bewusst, dass du dir hiermit deine Kündigung eingehandelt hast?«
Erst wurden seine Lippen schmal, die Stirn legte sich in Zornesfalten, dann wiederum erkannte Marc, dass er begriff, was gerade passiert war.
Marc stellte sich hin, schob seine Schultern etwas nach hinten und blickte Alexander direkt in die Augen. Er war kein Jurist, doch ein gewisses Grundmaß an Kenntnissen hatte er vorzuweisen. »Das Agieren, basierend auf Insiderinformationen, ist strafbar. Hiermit bist du fristlos entlassen. Der Vertrag, der uns beide aneinanderbindet, ist somit aufgehoben.«
Diesen Moment hatte er sich irgendwie festlicher vorgestellt. Wie oft hatte er davon geträumt, wie es sein würde, wenn er Alexander endlich einen Laufpass geben durfte. Doch was er jetzt spürte, war reine Frustration, Zorn und eine lähmende Schwere, die immer wieder die gleiche Frage in ihm hervorrief: Wie kann ein Mensch so dumm sein?
»Das kannst du nicht bringen!« Fassungslosigkeit machte sich auf seinem Gesicht breit.
Alexander ignorierend drückte er den Sprechknopf, der ihn automatisch mit Sina verband: »Vereinbare einen Termin mit Berger. Es eilt!« Provokant sah er Alexander entgegen, während er die Rechtsberatung orderte. Selbst ihm müsste somit klar werden, dass das wohl das Ende ihrer langjährigen Partnerschaft war. »Und jetzt darfst du gehen und wage es nicht, auch nur einen Schritt in meine«, er betonte das letzte Wort, indem er ihm den Finger entgegenstreckte, »Firma zu setzen!«
Stumm stand er da, starrte Marc mit offenem Mund an und verharrte. Seine Augen schlossen sich für einen kurzen Moment, ehe er leise sprach: »Das wirst du bereuen!« Dann verließ er endlich Marcs Büro.
»Chef, Berger ist im Urlaub«, stand Sina plötzlich vor ihm, die ihn in einer Mischung aus Stolz und Schock anblickte.
»Ruf ihn her! Du hast ja mitbekommen, was los ist.« Kurzentschlossen trat Sina hinter den Schreibtisch, sah ihn einen Augenblick an und legte die Arme um ihn. »Ich weiß, die Umstände sind katastrophal, aber, Chef … Mein Gott, er ist weg, ich kanns gar nicht glauben«, beteuerte Sina beinahe flüsternd, mit einem ehrlichen Strahlen in den Augen, das ihm zeigte, dass das, was hier gerade geschehen war, die Realität war. Sie hatte verfickt nochmal recht und doch hoffte er jetzt in erster Linie, dass ED keinen größeren Schaden davontrug. Sina klopfte ihm fast schon aufmunternd auf die Schulter, bevor sie ihm einen Kuss auf die Wange drückte und zu ihrem Schreibtisch zurücklief, um zu telefonieren.
Er öffnete eine E-Mail, fügte den Verteiler der befugten Personen im Unternehmen ein, entfernte Alexander und verfasste einen Text, aus dem knapp hervorging, dass sich ED mit sofortiger Wirkung von ihm getrennt hatte und veranlasste, dass alle relevanten Zugangsdaten und Passwörter neu vergeben wurden. Das war definitiv nicht übertrieben, denn heute hatte Alexander gezeigt, wie kopflos er agierte.
Um sein Geld machte er sich keine Sorgen, denn das würde er vermutlich ohne Probleme zurückbekommen, wenn Berger das Ganze über den juristischen Weg ins Rollen gebracht hatte. Die Gesetze standen eindeutig auf seiner Seite.