Читать книгу Vertrauen gegen Zweifel - Nora Wolff - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеIch lege den Telefonhörer zurück auf die Station und begegne Roberts fragendem Blick. In dem kleinen Büroraum hat er meine Seite des Telefonats natürlich mitbekommen, aber offenbar hofft er auf ein Wunder.
Ich seufze. »Keine Chance. Furbach will nicht mehr mit uns zusammenarbeiten.«
Robert runzelt die Stirn. Sein Gesichtsausdruck verdüstert sich. »Das ergibt keinen Sinn. Letzte Woche habt ihr noch über vertragliche Details gesprochen und das Kontingent für die Wintersaison festgelegt.«
»Ich weiß. Ich kann mir seinen Rückzieher auch nicht erklären. Du hast gehört, was ich ihm angeboten habe. Wäre ich ihm noch weiter entgegengekommen, hätten wir ihn praktisch dafür bezahlt, auf unserer Plattform aufgenommen zu werden.«
Gebracht hat es trotzdem nichts. Furbachs hochpreisiges Bio-Hotel an der Nordsee wäre ein ziemlich großer Fisch für travele gewesen, der Einstieg in ein neues, exklusiveres Kundensegment. Gerade im nachhaltigen Tourismus nicht oft zu finden. Selbstversorgerhütten und Bauernhöfe – kein Problem. Aber luxuriöse Wellnesshotels – Fehlanzeige.
Wenn Furbach wenigstens einen logischen Grund angeführt hätte, warum er es sich plötzlich anders überlegt hat. Aber nichts. Absolut gar nichts. Nur ein schroffes Nein und mauerndes Schweigen. Mit so was kann ich nichts anfangen, ich bin für klare Verhältnisse.
Okay, meistens. Aber Robert ist ein Sonderfall.
»Hat er nichts darüber gesagt, warum er auf einmal abspringt?«
»Nicht direkt. Nur dass er sich lieber weiterhin allein um seine Gäste bemüht, als mit uns Geschäfte zu machen.«
Roberts Augen werden schmal. »Warum?«
Ich zucke die Schultern. »Er war nicht sehr zugänglich.«
»Sondern?«
»Wütend. Entschlossen. Abweisend. Ich musste mich zehn Minuten mit seinem Assistenten streiten, bis er mich überhaupt durchgestellt hat.«
Der Anflug eines Lächelns auf Roberts schmalem Gesicht. Gegen meinen Willen flattert mein Herz.
Klar. Das hat er ebenfalls mitgehört.
»Wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass ich ihm mit irgendwas auf die Füße getreten bin.«
»Hm.« Nachdenklich blickt Robert auf seinen Monitor, auf dem er vermutlich die knappe E-Mail aufgerufen hat, die Furbach mir heute Mittag geschickt hat, um unsere mögliche Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung abzubrechen.
Allein die Tatsache, dass ich den ganzen Nachmittag gebraucht habe, um ihn ans Telefon zu bekommen, sagt alles. Ich bin seine Mail wieder und wieder durchgegangen, aber aus dem neutralen Dreizeiler lassen sich genauso wenig Informationen ziehen wie aus dem Telefonat gerade.
Robert stützt die Ellbogen auf den Schreibtisch, verschränkt die Finger ineinander und sieht mich darüber hinweg an. Der Blick aus seinen klaren, blauen Augen ist so eindringlich, dass ich unwillkürlich den Atem anhalte.
»Das ist innerhalb eines Monats schon der zweite deiner potenziellen Kunden, der es sich kurzfristig anders überlegt.«
Das klingt nicht unbedingt wie ein Vorwurf, aber ich fühle mich trotzdem dazu gezwungen, mich zu verteidigen. »Ich weiß. Und das macht mich ziemlich fuchsig, aber ich kann es mir wirklich nicht erklären.«
In größeren Firmen baut oft der Neuzugang Mist. Ich bin zwar schon seit knapp neun Monaten bei travele, aber bei einem Zwei-Mann-Unternehmen ist es nur logisch, dass sich Robert über mich ärgert, wenn sich solche Vorfälle häufen. Besonders, da ihm travele alles bedeutet.
»Ich mir auch nicht.« Er entlässt mich mit einem Kopfschütteln aus seinem Blick. »Vielleicht ist es Zufall. Vielleicht nicht. Für alle Fälle sollten wir Augen und Ohren offen halten, falls uns irgendwo Gerüchte über uns unterkommen.«
»Gerüchte?«
Aber Robert macht nur eine vage Geste, die alles oder nichts bedeuten kann.
Gerüchte.
Automatisch starte ich eine Google-Suche.
Unsere Bewertungen sind nach wie vor hervorragend. Ich grabe tiefer und durchstöbere einschlägige Foren und Blogs.
Zufriedene Kunden und Geschäftspartner. Natürlich gibt es den ein oder anderen Ausreißer nach unten, wenn sich jemand über das Wetter, die Baustelle die Straße runter oder die Qualität des Essens beschwert. Alles normal. Die Nachhaltigkeitskonzepte werden durchweg positiv hervorgehoben. Sehr gut.
Nachhaltige Reisen und sanfter Tourismus liegen nach wie vor im Trend. Auch ohne Furbachs Bio-Hotel kommen regelmäßig Buchungen rein. Die Szene sowie der Kundenkreis sind noch klein, wachsen aber stetig. Auch unser Bekanntheitsgrad steigt, was zum Großteil Roberts Geschäftssinn und seinen klugen Marketingideen zu verdanken ist.
Automatisch sucht mein Blick nach ihm. Unsere Schreibtische stehen zwar direkt voreinander, aber leicht versetzt, sodass ich mich nicht am Monitor vorbeilehnen muss, um ihn anzusehen. Mein Glück und Pech zugleich. Vielleicht würde ich ihn nicht so oft heimlich anstarren, wenn zwei Bildschirme zwischen uns stünden.
Ich betrachte sein Gesicht und verweile viel zu lange bei seinem strengen Mund. In Gedanken höre ich noch sein ungezwungenes Lachen von heute Morgen, als Viktor ihn hergefahren hat. Ein wohliges Prickeln in meinem Nacken. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihm dieses Lachen öfter entlocken könnte.
Mein Blick wandert tiefer, über seinen Hals abwärts. Inzwischen hat er sein Jackett ausgezogen und über die Rückenlehne seines Stuhls gehängt. Der oberste Knopf des weißen Hemds ist geöffnet.
Zu wenig.
Schön gebräunte Haut, die unter dem Stoff verschwindet. Vor meinem geistigen Auge stelle ich mir vor, wie dieser sehnige Körper ohne Klamotten aussieht – und höre sofort damit auf, als mein Schwanz zu zucken beginnt.
Verflucht.
Robert blickt auf. Mir direkt in die Augen.
Hitze brodelt unter meiner Haut.
Scheiße. Hab ich das laut gesagt? Ein Geräusch gemacht? Gestöhnt?
Bevor sich mein Gehirn einschalten kann, sehe ich weg.
Oh, großartig.
Ich sehe ihn wieder an. Begegne seinem Blick. Ich schlucke. Suche fieberhaft nach irgendetwas, das ich sagen könnte.
»Entschuldigung, hast du was gesagt?« Erstaunlich, wie souverän mir dieser lahme Satz über die Lippen kommt.
»Nein.«
»Oh. Okay.«
Wenn Kev mich jetzt sehen könnte, würde er sich vor Lachen am Boden kringeln. Klare Verhältnisse, na sicher. Nur dass es bei Robert was anderes ist, und das nicht nur, weil er mein Chef ist und ich diese kleine Firma inzwischen sehr ins Herz geschlossen habe. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft wir solche Situationen schon hatten. Jedes Mal liegt so ein Kribbeln in der Luft. Ein bestimmter Ausdruck in seinen Augen.
Und trotzdem frage ich mich, ob es nicht doch nur Wunschdenken ist. Ob Robert zwar mitbekommt, was er für eine Wirkung auf mich hat, es jedoch absichtlich ignoriert.
»Du kannst ruhig schon Feierabend machen, wenn du willst. Kickern oder dich auf die Dachterrasse setzen und die Sonne genießen, bis dein Meeting anfängt.«
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Kurz nach halb sieben.
Es ist leicht, die Zeit zu vergessen, wenn ich in stiller Eintracht mit Robert arbeite. Vor einer Weile habe ich Anton noch vorgeworfen, bei seiner Arbeit alles und jeden zu vergessen, aber im Gegensatz zu seiner einsamen Versunkenheit reißen mich Roberts Disziplin und Arbeitseifer einfach mit.
Ich seufze. »Vielleicht hast du recht.«
Gut möglich, dass es sich Kev auch schon mit einem Drink oben gemütlich gemacht hat, dann könnten wir zusammen auf Anton warten. Aber für den Fall, dass ich doch allein bin...
»Du willst dich wirklich nicht anschließen?« Ich versuche, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen, aber als Robert abermals ablehnt, hat sich das eh erledigt.
Ich fahre den Laptop runter und räume mit ein paar Handgriffen meinen Schreibtisch auf, während Robert nachdenklich auf den Monitor starrt. Sein Zeigefinger tippt in einer untypisch nervösen Geste auf die Tischplatte. Normalerweise zeigt er im Büro keine so offensichtliche Gefühlsregung.
»Du solltest auch nicht mehr zu lange machen.«
Er blinzelt und sieht mich an. »Das Privileg des Chefs.«
»Nicht eher der Fluch?«
Ein kleines Lächeln, bei dem mir die Knie weich werden. Oh Mann. Robert, was machst du nur mit mir? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so verknallt gewesen bin. Ich dachte, das hätte ich bei allem, was ich inzwischen ausprobiert habe, hinter mir gelassen.
Er zögert einen Moment, in dem er wieder auf die Tischplatte tippt, dann deutet er auf seinen Bildschirm. »Ich habe einen Termin mit der Seilberger Alm ausmachen können.«
Der Satz ist etwas aus dem Zusammenhang gerissen, lässt mich aber trotzdem aufhorchen. An diesem potenziellen Partner ist Robert schon eine Weile dran. »Die Chalets im Bayerischen Wald?«
Er nickt. »Nächstes Wochenende. Donnerstag bis Sonntag.«
»Ganz schön kurzfristig. Aber ich bin gespannt, ob sie halten, was die Website verspricht. Die Hütten sehen ziemlich luxuriös aus. Ich bin neugierig auf deren Nachhaltigkeitskonzept.«
»Ich auch.« Er zögert, aber falls er dem noch etwas hinzufügen wollte, tut er es nicht.
»Für die neue Zielgruppe, die wir im Auge haben, wäre das perfekt. Weniger Familienurlaub auf dem Bauernhof und mehr Romantik für Pärchen.«
»Wir haben durchaus romantische Unterkünfte im Portfolio.«
»Aber nichts auf diesem Niveau.«
Furbachs Bio-Hotel wäre vergleichbar gewesen, wenn es geklappt hätte, ebenso die Ferienhäuser im Schwarzwald, die mir davor abgesprungen sind. Robert bemüht sich schon eine ganze Weile um einen Vor-Ort-Termin bei der Seilberger Alm. Dabei geht es nur zweitrangig darum, deren Nachhaltigkeitskonzept zu prüfen. In erster Linie sucht Robert den persönlichen Kontakt, um Vertrauen aufzubauen und zu verhindern, dass uns wieder mit einem knappen Nein, danke die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Oder mir, besser gesagt.
»Abwarten. Wie du schon gesagt hast: Die Hütten sehen sehr luxuriös aus.«
»Sie wären nicht zertifiziert, wenn da irgendwas nicht mit rechten Dingen zugehen würde. Aber ich bin trotzdem gespannt, was du anschließend zu erzählen hast.«
Er sieht mich an, ohne etwas darauf zu erwidern. So lange, dass erneut dieses Kribbeln meine Wirbelsäule hochschießt. In seinem Blick lauert etwas, auf das etwas tief in mir drin anspringt und schnurrt wie ein Kätzchen.
»Ja«, sagt er schließlich nur, dann wendet er sich wieder seinem Monitor zu.
Das ist dann wohl das Ende dieser Unterhaltung. Genau wie heute Morgen: bis hierher und nicht weiter. Also ist alles andere doch nur Wunschdenken.
Ich wünsche ihm einen schönen Feierabend, drehe mich um und bin schon fast an der Tür, als er sich hinter mir räuspert.
»Joscha?«
»Ja?« Ich drehe mich noch mal um.
Wieder dieses irritierende Zögern. Dann: »Hättest du Interesse mitzukommen?«
Mein Herz springt in meinen Hals hoch und hämmert dort sekundenlang so wild, dass es mir das Atmen erschwert. Und das Denken.
»Zur Seilberger Alm?«
»Ja.«
Mit Robert allein für ein verlängertes Wochenende in ein luxuriöses Chalet mitten in der Pampa?
Ich kann mir zum Glück verkneifen, das laut auszusprechen, auch wenn augenblicklich mein Kopfkino losläuft. Lust ballt sich so heftig in meinem Unterleib zusammen, dass mir kurz schwindelig wird.
Ich habe die Fotos auf der Webseite gesehen – moderne Holzhütten mit Kaminofen, eigener Sauna und Badezuber auf der Terrasse, dazu ein fantastischer Ausblick über den Bayerischen Wald. Vor meinem inneren Auge spielt sich ein regelrechter Porno ab. Die Antwort meines Schwanzes auf diese Frage ist klar.
Aber mein Verstand schüttelt streng den Kopf. Das ist nicht nur keine gute, sondern sogar eine verdammt dumme Idee. Manchmal fällt es mir schon in diesem Büroraum schwer, Roberts Nähe zu ertragen – aber in einer romantischen Hütte, die auf verliebte Pärchen ausgelegt ist?
Ich kenne mich. Das ist zu viel Versuchung.
Offenbar schweige ich zu lange, denn Robert fährt fort: »Wenn du schon andere Pläne hast, verstehe ich das. Ich hätte zwar gerne eine zweite Meinung und vor allem dein kritisches Auge vor Ort, aber es ist tatsächlich sehr kurzfristig.«
Da ist sie. Meine unauffällige Absprungmöglichkeit. Er schubst mich praktisch drauf zu. Ich muss nur zugreifen. Nur zugreifen.
Alles andere wäre bescheuert.