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Kapitel 4

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»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du das gemacht hast.« Anton sieht aus großen, blaugrauen Augen zu mir auf.

Ich sitze auf der gemauerten Brüstung der Dachterrasse und lasse die Beine baumeln. Hinter mir rauscht der Münchner Feierabendverkehr vorbei und die Abendsonne brennt mir auf den Rücken. Es ist immer noch so heiß, dass ich die Ärmel meines Hemds hochgekrempelt habe und der Sekt in meiner Piccoloflasche viel zu schnell warm wird.

»Das ist echt... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«

Ich lächle. »Wie wär's mit Danke?«

Antons Augen werden noch ein Stück größer. Ich kann verstehen, dass Chris bei dem Anblick weiche Knie bekommt und warum sich Kev gelegentlich zu anzüglichen Kommentaren hinreißen lässt. Anton ist ziemlich niedlich. Auch wenn er in mir eher das Bedürfnis weckt, ihn zu knuddeln.

»Oh, na klar. Danke. Habe ich das noch nicht gesagt? Danke. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet.«

»Freu dich nicht zu früh, das war kein reiner Freundschaftsdienst. Bei Computerproblemen werde ich dir ziemlich auf die Nerven gehen.«

»Das kannst du auch. Dafür ist der Vertrag ja da. Aber auch außerhalb davon. Also privat. Egal. Wenn du was brauchst, sag Bescheid. Jederzeit.«

»Mach ich.«

»Okay. Weil mir das echt viel bedeutet. Ich hätte nicht gedacht, dass... ähm, na ja, dass euch... so viel... an mir liegt.«

»Natürlich liegt uns was an dir.«

»Ja, aber so viel, dass du die Firma meines Vaters engagierst, für Geld... nur damit wir uns weiterhin hier oben treffen können... ich... danke.«

Kev schnaubt und lehnt sich lässig neben mir gegen die Mauer wie an einen Bartresen, in einer Hand seinen Gin Tonic, bereit für ein Pläuschchen. »Jetzt hast du's langsam oft genug gesagt. Außerdem waren unsere Sundowner doch immer lustig. Vielleicht bringst du Chris irgendwann mal mit.«

»Ähm...« Unbehaglich lässt Anton den Blick schweifen.

Auch wenn wir Chris nur ein paarmal getroffen und uns jedes Mal nur kurz mit ihm unterhalten haben, ist es ein offenes Geheimnis, dass er nicht Kevs größter Fan ist.

»Robert wollte sich sowieso nach einem eigenen IT-Dienstleister umsehen«, sage ich, um Antons Nerven zu beruhigen.

»Also weiß Robert Bescheid, ja? Das ist nicht irgendwie... gemauschelt?«

Ich runzle die Stirn. »Nein. Natürlich weiß Robert Bescheid.«

Undenkbar, dass bei travele irgendetwas vorgeht, über das er nicht Bescheid weiß. Obwohl er mir offensichtlich zunehmend mehr vertraut und Verantwortung überträgt. Das fühlt sich wie eine Auszeichnung an.

»Wir hätten es auch ohne Robert machen können, indem ich deinen Alten engagiert hätte. Weniger Bürokratie und mir tun ein paar Hundert im Monat nicht weh.« Kev wirft mir einen bezeichnenden Blick zu. »Aber ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie ihr beide hier geschrien habt.«

»Wie ich schon sagte: Er wollte eh eine externe Firma beauftragen.«

»Sicher. Oder ihm sind endlich die Herzchen in deinen Augen aufgefallen und er wollte dir einen Gefallen tun.«

»Da sind keine Herzchen.«

»Doch.« Das kommt so überraschend von Anton, dass Kev und ich ihn perplex ansehen. Normalerweise steht Anton emotional ziemlich auf dem Schlauch.

»Na ja, ich meine natürlich keine echten Herzchen, sondern... ihr wisst, was ich meine. Manchmal guckst du ihn so an. Und manchmal guckt er dich so an.«

Mein Herzschlag setzt aus.

Manchmal guckt er mich so an? Das ist keine Einbildung? Wenn es sogar Anton auffällt...

Kev lacht in seinen Gin Tonic. »Look who's talking. Unser kleiner Liebesexperte. Chris muss ein toller Lehrmeister sein.«

Noch während Anton eine Antwort stammelt, platze ich heraus: »Robert und ich fahren auf Geschäftsreise. Nächstes Wochenende.«

Ich weiß, dass ich hätte ablehnen sollen. Dass ich auf Roberts Exit-Strategie hätte eingehen sollen. Eigentlich gibt es nichts, was dafür spricht, mit ihm in diese Luxushütte zu fahren.

Abgesehen von meiner Geilheit.

»Was?« Kevs Augenbrauen schießen nach oben. Zusammen mit den feinen Sommersprossen auf seiner Nase sieht er unbedarfter aus, als ihm wahrscheinlich lieb ist. »Sekunde. Geschäftsreise. Und Wochenende. In einem Satz?«

»Ein verlängertes Wochenende. Vier Tage. Donnerstag bis Sonntag.«

»Und das sagst du erst jetzt?«

Anton lächelt zaghaft. »Aber das klingt doch... nett.«

»Das klingt nicht nett, das klingt interessant.« Auffordernd schwenkt Kev seinen Gin Tonic. »Erzähl uns mehr. Hast du schon Kondome gekauft? Großpackung?«

»Was an dem Wort Geschäftsreise hast du nicht verstanden?«

»Alles.« Er stößt meinen Oberschenkel an. »Komm schon. So wie du das gerade rausposaunt hast, wirst du allein schon beim Gedanken an diese Geschäftsreise hart.«

Abgesehen davon, dass sich bei Kev Geschäftsreise wie Gangbang anhört – er hat recht. Aber noch beschissener ist, dass man mir das offenbar am Gesicht ablesen kann. Oder am Schritt, so demonstrativ wie Kev mir zwischen die Beine guckt.

»Stimmt's oder hab ich recht?«

»Lass das.« Ich versetze ihm einen Schubs, der bei Kevs Muskeln allerdings keine Wirkung zeigt. Wenigstens sieht er mir daraufhin wieder ins Gesicht.

Wenn es für Kev und Anton so offensichtlich ist, muss es das auch für Robert sein, als sprichwörtliches Objekt meiner Begierde – oder? Das kann nur bedeuten, dass sein Interesse gleich null ist. Und diese Geschäftsreise tatsächlich nur eine Geschäftsreise.

»Wenn...« Anton räuspert sich. »Wenn ich das mal fragen darf als glücklich vergebener Außenstehender, was... ähm, was ist denn das Problem?«

»Problem?«

»Na, zwischen dir und Robert.«

»Sehr gute Frage.« Kev reckt Anton den erhobenen Daumen entgegen.

Verständnislos sehe ich zwischen den beiden hin und her. »Vielleicht habt ihr es nicht mitbekommen, aber Robert ist mein Boss.«

»Na und? Du wärst nicht der Erste und bestimmt nicht der Letzte, der mit seinem Boss fickt.«

»Ich bin sein einziger Angestellter.«

»Ist das ein Grund dafür oder dagegen? Stell dir mal die anregenden Mittagspausen vor. Kaffeepausen. Meetings.«

Anton, der gerade einen Schluck aus seiner Bierflasche getrunken hat, verschluckt sich prustend. Biertröpfchen fliegen durch die Luft, ehe er halb hustend, halb röchelnd nach Atem ringt. Entzückende Röte überzieht seine Wangen und lässt ihn furchtbar jung aussehen.

Ich klopfe ihm auf den Rücken. »Geht's wieder?«

»Ja, alles gut«, japst er, wobei er meinem Blick ausweicht.

»Außerdem wissen wir schon, dass du mit Chris in einem der Meetingräume gevögelt hast. Jetzt muss dir das auch nicht mehr unangenehm sein.«

»Es muss dir nie unangenehm sein«, betone ich.

»Genau. Weil so ein kleiner Pausenquickie die Kreativität befeuert.«

»Oder killt.«

»Nur wenn der Sex beschissen war. Das kann ich mir weder bei dir noch bei ihm vorstellen, auch wenn Robert manchmal etwas verkopft wirkt.« Kev tätschelt meinen Oberschenkel. »Aber da passt ihr zwei ja gut zusammen.«

»Manchmal kann man nicht einfach tun, worauf man Lust hat. Robert hat mich sowieso nur auf Wunsch seines Bruders eingestellt.« Auch wenn ich mir einbilde, dass er inzwischen ganz glücklich mit der Entscheidung ist. »Da kann ich mich ihm nicht einfach an den Hals werfen. Viktor und ich sind Freunde. Wie sieht das denn aus?«

Kev zuckt die Schultern. »Keine Ahnung. Und das ist auch scheißegal. Im schlimmsten Fall suchst du dir einen neuen Job.«

»Das ist gar kein so großer Weltuntergang, wie es sich im ersten Moment anhört.« Anton lächelt aufmunternd zu mir hoch. »Ich weiß, wovon ich rede.«

»Aber zufällig mag ich meinen Job.« Und Robert. Als Chef. Als Mensch. Als Mann. Scheiße. »Ich habe schon für zu viele Idioten gearbeitet.«

Tatsächlich ist Robert der Erste, der mir so viele Freiheiten lässt. Es hat ein paar Monate gedauert, aber wahrscheinlich musste er sich erst daran gewöhnen, plötzlich einen Angestellten zu haben, der ihm Arbeit abnehmen kann. Wenn sich Viktor nicht eingemischt hätte, hätte Robert wahrscheinlich weiterhin Tag und Nacht gearbeitet, um travele dorthin zu bringen, wo es jetzt ist.

Kev zuckt die Schultern. »Dann machst du dich eben selbstständig.«

»Das ist...« Ich verstumme und schüttle den Kopf, bevor ich einen Schluck Sekt trinke. Den letzten. Großartig. »Diese ganze Diskussion basiert auf der Annahme, dass Robert Interesse an mir hat.«

Ich schlucke. Normalerweise würde ich ihn einfach fragen. Mit ihm flirten. Ihn anmachen. Aber normalerweise arbeite ich auch nicht so eng mit meinen potenziellen Sexpartnern zusammen.

»Aber was ist, wenn er keins hat?« Ich wende mich an Anton. »Selbst wenn er mich manchmal so anschaut« – ich setze Anführungszeichen in die Luft, als ich Antons Worte wiederhole – »vielleicht interpretieren wir da zu viel hinein. Vielleicht ist er gar nicht interessiert und es könnte für uns beide ziemlich unangenehm werden, wenn ich den ersten Schritt mache.«

Kev legt den Kopf in den Nacken und stöhnt so laut auf, dass die anderen Co-Worker, die seit diesem Sommer zunehmend die Dachterrasse bevölkern, irritiert zu uns rübersehen.

»Ich sag's ja, verkopft.«

»Aber das ist eine reelle Möglichkeit.«

»Bullshit. Der Mann hat dich fünf Tage die Woche über acht Stunden direkt vor seiner Nase. Hast du mal in den Spiegel geschaut, Joscha? Solange Robert nicht tot ist und dich manchmal so anschaut« – Kev äfft meine imaginären Anführungszeichen nach – »hat er dich in Gedanken garantiert schon hundertmal flachgelegt. Vertrau mir. Ich hätt's getan.«

Vertrauen gegen Zweifel

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