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Hoch- und Überdruck

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Dennoch erhöhte sich der innerkirchliche Druck. Denn die universalkirchlichen Autoritäten glaubten weiterhin an hierarchische Steuerung und Entscheidung als Integrationsinstrumente. Schon Mitte 1966 hatte die Kongregation für die Glaubenslehre die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen ermahnt, den konziliaren Erneuerungsprozess auch zu überwachen. Irrtümer, wie vor allem das ordentliche Lehramt des Papstes zu vernachlässigen oder gar zu missachten, als sei ihm gegenüber eine freie Meinungsäußerung möglich, seien zu unterdrücken.74

Diese Ermahnung kam nicht von ungefähr. Denn zu dem Druck der Reformerwartungen, für die das Konzil als Katalysator wirkte, kam ein weiterer akut sehr verstärkend hinzu. Seit Längerem war bekannt, dass die Kommission zur Beratung des Papstes in der Frage, ob die ablehnende kirchliche Haltung zur Empfängnisverhütung geändert werden könnte, ihre Arbeit abgeschlossen hatte. Zudem war der Beratungsstand (Mehrheit pro Veränderung, Minderheit pro Beharrung) geleakt und der öffentlichen Diskussion ausgeliefert worden.75 Die nun anstehende Entscheidung des Papstes ließ aber weiterhin auf sich warten und erhöhte, je länger je mehr, die Enttäuschungsfurcht der Katholiken.

Der Episkopat befürchtete vor allem eine unkontrollierbare Situation. Kardinal Frings bat im Frühjahr 1967 den Papst, „baldmöglichst eine autoritative Entscheidung“ zur Geburtenregelung zu treffen. Andernfalls werde „es kaum noch möglich sein, einer Erklärung der Kirche Nachdruck zu verleihen“76. Am 22. September 1967 gaben die deutschen Bischöfe ein „Schreiben an alle, die von der Kirche mit der Glaubensverkündigung beauftragt sind“77, heraus, mit dem sie der römischen Mahnung in ambivalenter Manier nachkamen: „Wir haben dem Konzil gegenüber immer eine doppelte Aufgabe: Wir müssen vorbehaltslos anerkennen, was es Neues bringt; das gleiche Gewicht aber hat die andere Aufgabe, das Neue als Entfaltung des überlieferten Glaubensbestandes zu begreifen und aufzuzeigen“78. In präventiv-abfedernder Absicht gegen die befürchtete Lehrbeharrung79 wurde zudem einerseits die Autorität des kirchlichen Lehramts betont, andererseits aber ungewöhnlich ausführlich die, wenngleich durch viele Einschränkungen marginalisierte, grundsätzliche Möglichkeit eines Irrtums des ordentlichen nicht-unfehlbaren Lehramts ventiliert sowie zugleich der Eindruck erweckt, als sei eine Gewissensentscheidung in Abweichung von diesem Lehramt als grundsätzlich legitim vorstellbar.80

Damit waren jedoch die Erschütterungen nicht zu verhindern, die von der Enzyklika „Humanae Vitae“ vom 25. Juli 1968 ausgelöst wurden. Viele Laien wie Priester lehnten die Entscheidung des Papstes rundweg ab. Die einen sammelten sich zu Protestaktionen oder richteten öffentliche Appelle an die Bischöfe, den Papst umzustimmen. Andere emanzipierten sich gänzlich von einer Gewissensjustierung durch die kirchliche Autorität. Manche Priester waren froh, dass ihre mühsame Treue zur Lehre im Beichtstuhl nicht vergebens gewesen war, sondern bestätigt wurde. Die anderen hatten schon bisher den Gläubigen die Entscheidung überlassen und sahen sich außerstande, der Enzyklika zu folgen und bei der geistlichen Führung der Eheleute ein Vorbild des Gehorsams zu sein. Versetzt formierten sich auch Gruppen zur Unterstützung des Papstes und seiner Lehre.81

Der Katholikentag in Essen vom 4. bis 8. September 196882 zeigte, dass der aufgestaute Hochdruck zum gefährlichen Überdruck zu werden drohte. Die Enzyklika wurde zum Katalysator der innerkirchlichen Kritik, in der die allgemeine Infragestellung von Autoritäten auch vor den kirchlichen nicht mehr haltmachte. Statt der gewohnten bischofsergebenen Laiengroßveranstaltung, die sich aus Kircheninterna heraushielt, waren jetzt durch die Studentenbewegung geschulte junge Leute zu erleben, die mit Spruchbändern wie „sich beugen und zeugen“ oder „sündig statt mündig“83 ihren Status als katholische Gläubige angesichts der päpstlichen „Verkehrsregel“ ironisierten.84 Ein organisierter „Kritischer Katholizismus“ trat auf als „Katholische außerparlamentarische Opposition (KAPO)“ oder „Außerhierarchische Opposition (AHO)“85. Ein bezeichnendes äußeres Detail berichtete der Jesuitenpublizist Mario von Galli:

„Als ich vor meiner Katholikentagsrede wartend am Rand der Tribüne stand, drängelten sich plötzlich durch die dichte Menschenmenge – einen Platz suchend – Kardinal Döpfner und Weihbischof Angershausen. Offenbar hatten sie vermutet, oben auf der Tribüne – so wie es früher üblich war – für kirchliche Würdenträger reservierte Stühle zu finden. Es gab aber keine. Nur die Jazz-Musik war da angesiedelt und das Rednerpult“86.

Die schon länger dauernde politisch-soziologische Debatte um die sogenannte zweite Demokratisierung, nämlich nach der des Staates 1945 nun die der gesamten Gesellschaft, griff auch auf die Kirche über und fand auf dem diskussionsoffen angelegten Katholikentag ein geeignetes Forum. Der Ruf nach innerkirchlicher Demokratisierung hatte auch den Mainstream-Katholizismus erreicht. So konnte vor der Delegiertenversammlung der katholischen Verbände Deutschlands verlangt werden, die

„Laien an allen wichtigen Willensbildungsprozessen zu beteiligen … In diesem Zusammenhang muß die Kirche begreifen, daß es nicht um die Verwirklichung laizistischer Machtansprüche, sondern um die Verwirklichung der Forderung nach vollständiger Inpflichtnahme eines mündigen Volkes Gottes geht“87.

Mitwirkung nicht mehr als unverbindliches Gespräch miteinander, kein Meinungsaustausch als Sandkastenspiel, stattdessen geregelte demokratische Verfahren mit verbindlichen Ergebnissen: Im Ruf nach einem „Nationalkonzil“, auf dem alle katholischen Gruppen entscheidungsberechtigt sein sollten, bündelte sich die Forderung nach einer Demokratisierung der kirchlichen Strukturen.88 Damit war die Systemfrage gestellt, und nicht nur die Hierarchie alarmiert. Der Essener Katholikentag wird als „Aufstand der Laien“89, seine Zeit als „Sturmjahre“ erinnert.90 Von Kardinal Frings ist überliefert, „die ganze Nazizeit habe ihm nicht so zugesetzt wie die Nachkonzilszeit“91.

Die Täuschung

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