Читать книгу Die großen Themen des christlichen Glaubens - Norbert Scholl - Страница 48

Klaus-Peter Jörns

Оглавление

Aufschlussreicher, weil differenzierender sind die Ergebnisse einer schon etwas länger zurück liegenden Untersuchung von Klaus-Peter Jörns über „die neuen Gesichter Gottes“.25 Jörns unterscheidet in jenem Teil der Umfrage, der sich auf die Beziehungen zur Transzendenz („Gott“) bezieht, vier Typen von Glauben: Gottgläubige, Transzendenzgläubige (also Gläubige an ein nicht durch einen persönlichen Gott bestimmtes „Jenseits“), Unentschiedene, Atheisten. 39 Prozent der Befragten (von fast 2000) glauben an einen persönlichen Gott, 15 Prozent sind transzendenzgläubig, ein Fünftel ist unentschieden, 27 Prozent verstehen sich als Atheisten. 21 Prozent der Religionslosen, 20 Prozent der Evangelischen, 14 Prozent der Katholiken und zehn Prozent der nichtchristlich Gläubigen sind gegenüber einer Gottesvorstellung unentschieden. Junge und ältere Single-Männer gehören häufiger dieser Gruppe an als Verheiratete. Jeder zweite der Religionslosen, elf Prozent der Evangelischen, jeder zehnte Angehörige einer nichtchristlichen Religion (etwa Muslime) und acht Prozent der Katholiken verstehen sich als Atheisten. Es mag überraschen, dass ungefähr ein Zehntel der Zugehörigen zu Religionsgemeinschaften bekennt, nicht eigentlich an Gott zu glauben.

Unter den Gläubigen ist der Anteil der Frauen höher als jener der Männer. Auffallend zugenommen hat eine unbestimmte Transzendenzgläubigkeit bei jungen Menschen, bei Frauen in einer festen Partnerschaft und jungen allein lebenden Frauen. Eine ausgeprägte atheistische Haltung findet sich in Berlin-Mitte am häufigsten.

Sehr interessant sind die Wesenszüge (Eigenschaften) und Wirkungsbereiche, die gottgläubige ihrem Gott zusprechen. Sie nennen Gott mehrheitlich streng und liebevoll zugleich (35 Prozent), liebevoll (31 Prozent), gütig-vergebend (21 Prozent), schöpferisch (57 Prozent), väterlich und mütterlich zugleich (42 Prozent), väterlich (21 Prozent), allmächtig (55 Prozent). Jeder zweite glaubt, dass er zugleich für Arme und Reiche da ist. 23 Prozent wissen nicht, ob Gott sexfreundlich oder sexfeindlich ist. Die gleiche Zahl hält ihn für sexfreundlich. Wie viele ihn für sexfeindlich halten, wird nicht ersichtlich. Die Tätigkeit Gottes empfinden tröstend-nah 45 Prozent, befreiend 40 Prozent, beruhigend und befreiend zugleich 50 Prozent. Eine kleinere Gruppe nennt Gott einengend und befreiend zugleich (20 Prozent), ängstigend und beruhigend zugleich (17 Prozent). Die Beziehung zu Gott wirkt für die meisten tröstend, befreiend, beruhigend. Ihr Gott ist den Menschen liebevoll zugewandt (23 Prozent). Unter denen, die sich Gott streng, einengend, ängstigend vorstellen, meint Jörns mehr solche zu erkennen, die am traditionell dogmatischen und sündenbewussten Glauben festhalten. Während die Zustimmungsquoten zu Lebensgestaltung und Verantwortung hoch liegen (41 Prozent), fallen die Voten für Heil und Jüngstes Gericht merklich ab. Positiv fällt auf, dass Gottgläubige sich weit stärker für ihre Mitmenschen und die Mitwelt engagieren.

Ausdrücklich beachtet wird der Glaube an Erlösung und ein Leben nach dem Tod. Transzendenzgläubige, Unentschiedene und Atheisten leugnen, dass Menschen der Erlösung bedürfen. An die Erlösung von unserem sündigen Wesen glauben auch von den Gottgläubigen nur 14 Prozent, weit mehr aber an die Erlösungsbedürftigkeit von unheilbaren Krankheiten, Unfriede, Hunger in der Welt, von Unvermögen, Süchten, Machtstreben. Von den in den Basisbezirken Berlins Befragten glauben 38 Prozent, dass es ein Leben nach dem Tod gibt; knapp ein Drittel denkt, dass mit dem Tod alles aus ist, die anderen wollten dazu keine Angaben machen. Verteilt auf die Glaubenstypen glauben zwei Drittel der Gottgläubigen, fast die Hälfte der Transzendenzgläubigen, knapp ein Viertel der Unentschiedenen und sieben Prozent der Atheisten an ein Leben nach dem Tode.

Zusammenfassend meint Jörns feststellen zu können, dass sich die Gesichter Gottes bei den vier unterschiedenen Glaubenstypen merklich unterscheiden. Der Gott der Gottgläubigen hat überwiegend dogmatische Züge, wie sie der Katechismus lehrt. Die Auswertung versucht nicht nur zu erörtern, was noch, sondern auch, was nicht mehr geglaubt wird. Auch für die Gottgläubigen gibt es Bereiche, für die sie Gott nicht, wohl aber die Verantwortung der Menschen für zuständig halten. Damit verschiebt sich die traditionelle Theodizeefrage, wer für das Böse in der Welt und Geschichte verantwortlich ist. Schwere Einbußen hinnehmen muss der Glaube an die Dreieinigkeit/Dreifaltigkeit Gottes. Der Glaube an die Gottheit Jesu Christi wird nur noch von einer Minderheit getragen.

Insgesamt kann man von einer Ent-Dogmatisierung und Ent-Institutionalisierung des Glaubens sprechen. Der Glaube an den Schöpfergott trägt deistische Züge26, der Christusglaube arianische.27 Die Ergebnisse machen auch deutlich, dass die alten Grundfragen des Gottes- und Jesusverständnisses nicht abgeschlossen sind, nachdem sie als Dogmen verbindlich erklärt wurden. Sie tauchen neu auf, wenn man die Menschen nicht einfach nach dem kirchlich-dogmatischen Lehrwissen fragt, sondern nach dem, was sie persönlich glauben. Gerade Denkfähige und Denkwillige ordnen sich nicht mehr fraglos den von einem Lehramt verordneten Glaubensformeln unter. Der persönliche Glaube als Übereinstimmung mit Lehrsätzen ist heute schwieriger geworden, weil der bewusster gewordene Mensch kritisch fragt. Die mündig Gewordenen sprechen ihr persönliches Erfahren, ihr Begreifen und ihr Fragen aus. Das lässt Rückschlüsse auf frühere Generationen zu: Offenbar kann in ihrem schweigenden Glaubensgehorsam nicht schon ein Beweis dafür gesehen werden, dass ihre persönlichen Glaubensüberzeugungen und -wertungen mit den „objektiv“ gelehrten Glaubenssätzen übereinstimmten. Für den, der weniger denkt und weiß, ist Glaubensgehorsam leichter als für jemanden, der sein ganzes Wissen und die Lebenserfahrungen einbringen will. Glaube ist ein unerhört lebendiger, höchst vielfältiger, den Menschen belebender und erregender Prozess, der nie zu Ende kommt – und sich deshalb nie auf ein „fundamentalistisches“ Faulbett legen kann. Die bequemen Fundamentalisten verweigern das Denken, die aggressiven den Dialog, verklemmte den aufrichtigen Prozess ihrer Menschwerdung.

Naturgemäß spielen heute, wo das religiöse Grundlagenwissen schwächer wurde und Teilkenntnisse anderer Religionen verbreitet sind, Eklektizismus und Synkretismus (also ein Auswahlwissen und Vorstellungen, die aus vielerlei Lehren selbst gebildet und „zusammengewürfelt“ sind) eine größere Rolle als früher. Jörns meint, dass man diese abwertend besetzten Begriffe nicht nur negativ beurteilen sollte. Auswählen, Zusammenfügen, Werten von Glaubens- und Kultelementen gehören nach seiner Ansicht schon immer zur Theologie und auch zum Christentum. Begegnungen mit anderen Religionen sind in unserer Zeit religiöser Nachbarschaften und eines Weltbewusstseins nicht nur unvermeidbar, sie sind wünschenswert und eröffnen Chancen des Denkens wie des Gesprächs. Sie bringen Theologen neue Denkarbeit; von Pfarrern und Religionslehrern verlangen sie einen erweiterten Wahrnehmungs- und Glaubenshorizont.

Seit die Menschen nicht mehr in einer religiös geschlossenen Gesellschaft leben, hat sich die Situation der Glaubenden verändert. Der „Kompetenzverlust der Kirchen hat auch einen Kompetenzverlust Gottes mit sich gebracht,“ schreibt Jörns. Der Glaube ist offener, ausgefranster und unsicherer, aber bei vielen auch intensiver, eindringlicher, integrierter, bewusster geworden. Die Glaubensfragen verlangen vom modernen Menschen eindringliche Denk- und Bewusstseinsarbeit. Und Jörns vermutet, dass bereits in der „reformatorischen Zumutung an den Einzelnen“ etwas von der modernen Subjektivität steckte, die den Anspruch erhebt, in Glaubenssachen ohne verbindliche Lehre auszukommen.

Die großen Themen des christlichen Glaubens

Подняться наверх