Читать книгу Raban und Röiven Rückkehr dunkler Zauberer - Norbert Wibben - Страница 13
ОглавлениеMinervas Ratschlag
Der Junge erkennt den Baum wieder, unter dem er bei seinem ersten Kontakt zu Minerva stand. Es ist eine uralte Eiche. Ihre knorrigen Äste überspannen einen großen Bereich und strecken sich hoch in den Himmel hinauf. Der Frühling hat aber noch keine Blätter getrieben. Das dauert hier im Norden auch wohl noch einige Zeit.
Raban schaut sich suchend um. Wo mag die Schleiereule sein. Der schmale Eingang der Höhle am Fuß des Berghangs wirkt unbenutzt. Sollte die Eule tagsüber dort drinnen sein? Das könnte er aber nicht an irgendwelchen Zeichen erkennen. Die Schleiereule würde fliegen und sicher keine Spur auf dem Boden hinterlassen, zumal dort Felsgestein unter Geröll hervorschaut.
»Hallo Minerva, wo versteckst du dich?«, knarzt Röivens Stimme. Als keine Antwort erfolgt, ruft er erneut: »Minerva! Wir benötigen deinen Rat! Es ist dringend! Bitte zeig dich!«
Doch tiefe Stille umgibt sie.
»Ob sie erzürnt ist, weil wir ihren Tagesschlaf stören?«, fragt der Junge seinen Freund. »Vielleicht ist sie ja auch auf der Jagd nach einer Maus oder sonstigem Kleingetier?«
»Eigentlich achtet Minerva sehr auf ihr Äußeres. Am hellen Tag etwas essen, ist sicher nicht gut für ihre Figur. Das setzt an. Als Eule ist sie ja nachtaktiv und sollte jetzt eigentlich schlafen. Wenn wir lauter rufen, wacht sie vielleicht auf.«
»Das ist nicht nötig«, vernehmen beide die Stimme der Schleiereule. »Ihr habt einen Radau gemacht, der sicher Tote aufwecken könnte.« Kurz darauf sehen sie, wie die Schleiereule lautlos aus der Höhle angesegelt kommt. In ihrer Nähe ändert sich ihre Flugbahn. Sie landet auf dem großen Ast, der sich etwas über Rabans Kopf befindet. Die dunklen Augen der Eule blicken sie starr an.
»Hallo Minerva«, wird sie vom Raben und dem Jungen begrüßt.
»Hallo. Ups. Jetzt hätte ich beinahe »Jungs« gesagt. Das stimmt ja nur noch zum Teil. Meinen Glückwunsch, Röiven. Ich habe gehört, dass du eine Partnerin erwählt hast, mit der du ein Nest gebaut haben sollst. Du wirst also bald Vater sein.«
Der Rabe schluckt hörbar, dann platzt es aus ihm heraus:
»Das hatten Zoe und ich jedenfalls vor. Aber jetzt ist sie mit unseren Kindern verschwunden! Ich kann sie nirgends finden!«
»Was sagst du? Die Kinder können doch noch gar nicht geschlüpft sein.«
»Nein. Das sind sie auch nicht. Aber sie sind trotzdem verschwunden. Sie und Zoe … sind einfach weg! Kannst du mir einen Rat geben, wo ich sie suchen sollte? Welcher von uns Fithich kann zaubern und ist in der Lage, eine derartige Schandtat zu begehen? Könnten es vielleicht einige von dem Lumpenpack, die Krähen, gewesen sein? Ich weiß einfach nicht …«
»Halt. Bitte versuche langsam und der Reihe nach zu berichten. Deine Gedankensprünge versetzen mich nicht in die Lage, dir zu raten. Also?«
Röiven schluckt erneut deutlich hörbar und versucht sich zu sammeln. Er ist sehr aufgeregt und es dauert eine Weile, bevor er erneut zu Sprechen ansetzt. Minerva dreht in diesem Moment den Kopf und blickt den Jungen mit ihren großen Augen an.
»Darf ich das versuchen, Röiven?«, schlägt Raban seinem Freund vor. Als dieser nickt, beginnt der Junge mit dem Tod und der Bestattung Solveigs und Elfruns. Der Rabe ergänzt zwischendurch die Sätze, wenn der Junge etwas auslässt. Nach der Aufzählung und Erläuterung aller bisher angestellten Mutmaßungen zeichnet der Junge noch die an dem Ast gefundenen Spuren in eine lehmige Stelle unter dem Baum.
Jetzt herrscht Stille. Lange Zeit sagt niemand etwas. Erneut schluckt der Kolkrabe und beginnt:
»Nun? Wo können sie stecken? Was kannst du uns raten? Minerva, sag schon.«
Die Schleiereule schließt beide Augen und dreht ihren Kopf zur Seite.
»Nicht Einschlafen. Minerva!«
»Ich denke nach. Bitte RUHE!«, empört sich die Eule.
»Ich möchte wetten, sie war kurz davor, einzuschlafen«, sendet der Rabe seine Gedanken aufgebracht zu Raban.
Die Schleiereule dreht das herzförmige, helle Gesicht zurück und öffnet die Augen.
»Wo Zoe und deine Kinder sind, weiß ich natürlich nicht. Bitte warte, Röiven. Sei nicht enttäuscht. Ich bin doch nicht allwissend. – Aber …«
»Was, aber? Sprich schon!«, fordert der Rabe sie knarzend auf.
»Ich wollte sagen: Aber ich stimme euren Überlegungen zu. Es ist wichtig, dass das Nest auch verschwunden ist. Das ist weder für Nesträuber, noch für jemanden der Rache will typisch.«
»Also muss es jemand gewesen sein, der zaubern kann«, bestätigt jetzt der Junge. »Aber es gibt doch außer mir keine weiteren Zauberer unter den Menschen. Elfen mit Zauberkräften würden so was bestimmt nicht machen. Also bleiben nur Fithich.«
»Ob wir da so sicher sein können?«, erwidert Minerva. »Ich weiß auch von keinem Zauberer, der dann vermutlich ein dunkler Magier wäre. Aber wie könnten wir das überprüfen? – Ich werde mich mit den anderen Eulen beraten. Falls ich etwas in der Richtung erfahren sollte, schicke ich euch eine Nachricht.«
Raban hat eine neue Idee, die er sofort äußert:
»Seit den Ereignissen vor 100 Jahren konnten die Dubharan nicht mehr zaubern. Trotzdem arbeiteten ihre Nachkommen weiter daran, die Herrschaft in diesem Land zu übernehmen. Baran, dem Urenkel Bearachs, dem ehemaligen Oberhaupt der bösen Zauberer, gelang es, Zauberkräfte zu erlangen. Wir konnten ihn im letzten Sommer stoppen. – Es gibt aber doch sicher weitere Urenkel der Oberen der Dubharan. Vielleicht stecken sie dahinter? Baran wusste, das manche Kolkraben zaubern können. Vielleicht wissen es die anderen auch?«
Minervas Augendeckel klappen mehrmals auf und zu, während Röiven bereits überzeugt ist.
»Ja, ja«, knarzt er aufgeregt. »Das ist es. Die Dubharan stecken dahinter. Sie haben Zoe und meine Kinder verzaubert.«
»Ob die Urenkel der Dubharan zaubern können, wissen wir nicht. Ich vermute sogar, dass sie es nicht können. Sonst hätten sie bereits auf sich aufmerksam gemacht, so böse wie sie sicher sind. – Nein, das glaube ich nicht. Trotzdem könnten sie tatsächlich dahinter stecken. Ihr solltet also die Nachkommen der Dubharan aufsuchen, um sie zu überprüfen.«
»Wie sollen wir das denn machen?«, entgegnet der Rabe verzweifelt. »Die Lösung dieser Aufgabe ist ja noch aussichtsloser, als die aus dem letzten Sommer.«
»Kopf hoch, mein Freund«, versucht Raban den schwarzen Vogel aufzumuntern. »Trotzdem haben wir es geschafft. Warum nicht auch jetzt. – Wir sind doch ein gutes Team!«
»Meinst du wirklich?«
»Jepp, jo, klaro, wie du noch vor Kurzem gesagt hast«, grinst der Junge. »Ich weiß auch schon, wie wir das anfangen müssen.«
Die beiden danken Minerva. Im nächsten Moment flirrt die Luft in Rabans Zimmer. Sie sind zurück und verlassen es, um es sich erneut im Garten auf der Bank bequem zu machen.
»Sag schon. Wie können wir herausbekommen, wer ein Urenkel der Dubharan ist, und wo er sich aufhält?«, fordert Röiven seinen Freund auf.
»Ich werde die Bücher über Eila nutzen und mir eine Liste mit den Namen der obersten Dubharan machen und wo ihr Wohnsitz war. Dann forsche ich in alten Zeitungsarchiven, was ich dort über sie und mögliche Kinder, Enkel und so weiter, herausbekomme. Dann haben wir Namen und möglicherweise auch schon Hinweise auf die Aufenthaltsorte. Außerdem kann ich mit den Informationen im Internet auf die Suche gehen.«
»Wo willst du suchen? Von einem »Internet« habe ich noch nie gehört.« Die Augendeckel des Raben klappen erstaunt auf und zu.
»Wir haben in der Schule einen Computer. Mit dem…«
»Was habt ihr in der Schule?«, unterbricht der Vogel den Jungen.
»Ein Computer ist ein technisches Gerät, in dem Daten, also Informationen gesammelt und verarbeitet werden. Ich habe seit zwei Jahren an freiwilligen Kursen an dem Computer teilgenommen und kenne mich damit ganz gut aus. – Aber weiter. Werden diese Geräte miteinander verbunden, können sie die gespeicherten Informationen gegenseitig nutzen. Erfolgt dieser Zusammenschluss beispielsweise über Telefonleitungen, wird die Kommunikation der Computer, also der Austausch von Informationen, über weite Strecken, sowohl innerhalb eines Landes, als auch über Ländergrenzen hinweg, möglich. Seit wenigen Jahren ist die Art der Kommunikation vereinheitlicht worden. Seitdem nennt man den weltweiten Verbund von Computern Internet. Hast du das verstanden?«
»Nö. Das ist mir zu kompliziert. Was ist denn eine Telefonleitung und wie gelangen die Informationen durch die Leitungen in deine Schule? Sind das irgendwelche Röhren?«
»Nein, das sind sie nicht. Dann beginne ich mit meinen Erklärungen …«
»Ach, lieber nicht noch einmal. Ich werde das nie begreifen. Hauptsache ist, du weißt, worum es geht.«
»Der Computer in unserer Schule ist also über die Telefonleitung mit anderen auf der ganzen Welt verbunden. Mit der Namensliste suche in dann in diesem Internet nach Informationen über die Nachfahren der Dubharan. Da ich aber offiziell krank bin, werde ich das in der Nacht machen.«
»Ähem. Kann ich mitkommen?«, fragt der Kolkrabe zögernd. »Ich möchte gerne sehen, wie das mit dem Netz, diesem »Internet« und dem Abrufen von Informationen durch die Leitungen funktioniert.«
»Ich werde morgen das Zeitungsarchiv aufsuchen, da kannst du nicht mitkommen. In der folgenden Nacht werde ich den magischen Sprung nutzen und in der Schule mit dem Computer im Internet recherchieren. Da kannst du mich gerne begleiten. Während ich nach den Informationen forsche, kannst du Wache schieben.«