Читать книгу Raban und Röiven Rückkehr dunkler Zauberer - Norbert Wibben - Страница 8
ОглавлениеSolveigs Bestattung
Raban stürmt sofort aus seinem Zimmer und die Treppe hinunter. Er findet seine Mutter in der Küche.
»Hallo Mom. Ich hoffe, ihr habt euch keine Sorgen gemacht!«
»Guten Morgen Raban. Ich habe mir Sorgen gemacht. Dein Vater hat mich aber zu beruhigen gewusst. Du wüsstest schon auf dich aufzupassen. Wenn du so plötzlich verschwunden bist, sagte er, muss das dringend gewesen sein, sonst hättest du uns doch vorher informiert. Das hat sicher etwas mit deinem Freund, dem Raben zu tun. So meinte er jedenfalls.«
»Und er hat Recht damit«, erwidert der Junge. Er setzt sich an den Tisch und frühstückt hastig, wobei er seiner Mutter von den Ereignissen berichtet.
»Mom. Meldest du mich in der Schule krank? Ich möchte meinem Freund zur Seite stehen. Ich glaube nicht, dass seine Großmutter ihre Schwäche überleben wird. Und Röiven braucht dann einen Freund an seiner Seite. Sobald er meine Hilfe nicht mehr benötigt, werde ich zurückkommen. – Keine Angst. Diesmal gibt es keine Auseinandersetzung mit einem bösen Zauberer. Ich möchte einem wirklich guten Freund nur seelischen Beistand leisten!« Er blickt seine Mutter bittend an, die nach kurzer Zeit lächelnd die Erlaubnis erteilt.
»Du mit deiner Zuneigung zu diesem Vogel. Aber ich freue mich, dass du so mitfühlend bist. Ich werde dich in der Schule auf unbestimmte Zeit entschuldigen. Ich hoffe aber, die Zeit wird nicht zu lang werden. Du könntest zu viel verpassen.«
»Danke, Mom!« Raban umarmt sie. »Grüße Dad. Ich versuche so schnell wie möglich zurückzukommen. – Oh. Entschuldigung. Jetzt wäre ich fast von hier verschwunden. Das erschreckt dich doch so sehr. Ich werde es von meinem Zimmer aus machen, so wie wir es im letzten Jahr besprochen hatten. Also bis bald.« Der Junge drückt ihr noch schnell einen Kuss auf die Wange, dann flitzt er nach oben in sein Zimmer.
Ciana hört noch kurz seine Schritte, dann ist es still dort.
Als Raban wieder bei seinem Freund ist, schläft Elfrun immer noch. Der Brustkorb der Rabendame hebt und senkt sich unregelmäßig. Der Junge horcht erneut nach ihrem Herzen, das sehr schwach und heftig stolpernd schlägt. Traurig blickt er seinen Freund an und streicht diesem über den Rücken. Worte des Trostes wollen ihm nicht einfallen. Er meint, sie würden nur hohl und leer klingen, darum steht er seinem Freund schweigend zur Seite. Gegen Abend dreht Elfrun den Kopf in Richtung ihres Enkels, ihre Augen blicken ihn an. Sie öffnet den Schnabel und krächzt kaum vernehmbar:
»Röi…ven, sei nicht … tra…uri…g.« Ihre Augen schließen sich und ihr Kopf fällt zur Seite. Der Brustkorb hebt sich nicht mehr.
»Großmutter. NEIN!«, schluchzt Röiven. Ein heftiges Zittern durchläuft ihn, während Raban die Hand auf seinen Rücken legt.
Nach einer geraumen Zeit richtet sich der Rabe auf, dreht den Kopf herum und blickt den Jungen an.
»Danke, mein Freund.« Er seufzt tief. »Ich verdanke Großmutter so viel! Ihre Anam kehrt jetzt zum großen Geist heim, der uns alle geschaffen hat.«
»Sollen wir sie eine Weile im Schoß ihrer Freundin lassen, was meinst du?«, fragt der Junge leise.
»Ja. Das würde ihr sicher gefallen.« Der Kolkrabe seufzt noch einmal, dann richtet er sich gerade auf. »Wo ist eigentlich Sorcha?«
Sie unterhalten sich lange mit der Elfe. Sorcha erklärt, dass sie jetzt ihren Aufenthaltsort nach Serengard verlegen wird. Sie ist nach dem Tod ihrer Mutter die Oberste der Elfen im geheimen Wald und muss sich um deren Angelegenheiten kümmern. Trotzdem wird sie hin und wieder ihren ehemaligen Wohnort aufsuchen. Dort hat sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht und kann sich nicht so einfach davon trennen.
Sie sprechen auch über den Ablauf von Solveigs Bestattung, die nach Elfenbrauch innerhalb drei Tagen stattfinden sollte. Sorcha freut sich, als Raban erklärt, er möchte unbedingt dabei sein, wenn sie es ihm gestattet.
»Natürlich darfst du dabei sein. Jeder, der sie gekannt hat, ist willkommen!«
»Das freut mich. Und ich habe eine Idee«, fährt der Junge fort. »Ich weiß, dass Fithich ihre Angehörigen nicht beerdigen. Sie werden dem Kreislauf des Lebens überlassen und dienen anderen Tieren als Nahrung. Ich denke daran, wie wir im letzten Jahr Roya bestattet haben. – Also: Elfrun und Solveig sind doch Freundinnen gewesen. Sollten wir sie nicht zusammen bestatten? Was meint ihr?«
Jetzt herrscht für einige Augenblicke Ruhe im Raum.
Die Elfe lächelt den Jungen an und nickt.
»Ich bin damit einverstanden. Sie kann auf ihrem Schoß ruhen, so, wie sie gestorben ist. Beim Versuch, ihrer Freundin zu helfen.«
»Also … ich. – Ja, ich bin auch damit einverstanden«, krächzt der Kolkrabe leise. Dann ergänzt er mit kräftiger Stimme: »Ich bin sogar sehr damit einverstanden! Das wird, äh, hätte Großmutter gefallen. Danke, mein Freund!«
Der nächste Tag vergeht mit den Vorbereitungen für Solveigs und Elfruns Bestattung. Sorcha wählt den Platz in der Nähe der Linde, auf der Elfrun so oft gesessen hat. Sie steht als Einzelbaum auf einer mit Wildblumen übersäten Wiese. Die Blüten der Linde verströmen einen süßlichen Duft. Es riecht nach Honig und Bienen summen geschäftig. Von hier ist der Blick auf die Elfenfestung Serengard besonders schön und gleichzeitig fällt viel Sonne auf die ausgewählte Stelle.
Ein Sarg aus Glas ist in der Bibliothek aufgestellt, in dem Solveig nun ruht, mit Elfrun zwischen den Händen auf ihrem Schoß. Die Elfe wirkt unverändert, so, als schlafe sie nur. Am nächsten Tag wird der Sarg von mehreren Elfen aus der Festung zur Linde getragen. Alle Elfen umringen den Sarg. Es sind so viele, dass Raban die Menge nicht überblicken kann. Der Junge steht in der Nähe unter der Linde. Röiven sitzt auf seinem rechten Arm.
Als es Mittag ist, tritt Sorcha zum Sarg und legt beide Hände darauf, direkt über dem Kopf ihrer Mutter. Sie murmelt einige Worte, die Raban nicht versteht. Doch sie haben eine Bedeutung.
Plötzlich ist es gleißend hell und ein hohes Sirren erklingt. Sobald die Helligkeit verschwunden ist, scheint tiefe Dunkelheit zu herrschen. Aber nein, es ist nicht völlig dunkel. Dort, wo Sorcha steht, leuchtet es jetzt hell. Es sieht aus, als ob dort ein Stern erschienen wäre.
Nach einiger Zeit haben sich Rabans Augen wieder von der Blendung durch das Gleißen erholt. Er erkennt die Umgebung wieder. Alles scheint normal zu sein. Aber halt, der Sarg ist verschwunden und es geht immer noch ein Leuchten von Sorcha aus. Genauer gesagt kommt das Leuchten von ihrer Stirn. Mit einer schnellen Bewegung greift die Elfe an ihr Stirnband und das Leuchten ist verschwunden.
Die Elfen verlassen den Platz bei der Linde. Sie haben gesehen, worauf sie gehofft hatten. Sorcha tritt mit einem Lächeln zu Raban. Dieser erkennt erstaunt, dass sich die Farbe ihres Stirnbands von Grün in Gold geändert hat.
»Was ist passiert? Und was war das für ein Leuchten?«, fragt er immer noch verblüfft.
»Meine Mutter hat mich zur Obersten der Elfen gemacht, während sie heimgekehrt ist. Das hatte das Leuchten zu bedeuten.«
»Aber, was war das für ein heller Stern auf deiner Stirn. Solltest du …?«
»Ja, mein junger Freund. Das Sonnensymbol ist jetzt auf meiner Stirn. Ich bin somit gleichzeitig eine der oberen Drei der Zauberer geworden. Ich werde mich in der nächsten Zeit mit einigen der alten Bücher in der Bibliothek beschäftigen. Vielleicht gibt es dort Hinweise, ob noch andere Elfen zaubern können. – Ich kannte unter den lebenden Elfen außer meiner Mutter bisher keine.«
»Das ist ja großartig, du kannst jetzt also auch zaubern? Von wem wirst du aber darin ausgebildet?«
»Eine Ausbildung brauche ich nicht. Das Besondere an dem Vorgang, den du eben erlebt hast, ist, dass ich gleichzeitig alles Wissen und alle Fähigkeiten meiner Mutter übertragen bekommen habe. Trotzdem muss ich mich erst einmal daran gewöhnen, denke ich.«
Im nächsten Moment befinden sich die drei wieder in der Bibliothek. Sorcha hat zum ersten Mal ihre Zauberkräfte genutzt.
Den Rest des Tages und die halbe Nacht verbringen sie damit, sich über die Vergangenheit zu unterhalten. Raban erfährt durch Sorcha Details, die in dem Buch über Eila nicht festgehalten worden sind. Außerdem berichtet Röiven aus seiner Kindheit. Es tut ihm offensichtlich gut, über die Zeit mit seiner Großmutter zu erzählen. Trotzdem wirkt er etwas bedrückt. Der Junge hofft, dass sein Freund seine Fröhlichkeit und Unbeschwertheit bald wiedererlangt.