Читать книгу Raban und Röiven Rückkehr dunkler Zauberer - Norbert Wibben - Страница 7

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Im geheimen Wald

Raban blickt jetzt in den ihm bekannten, hellen Laubwald. An den Bäumen sind hellgrüne Blätter des Frühjahrs zu sehen. Der Waldboden ist übersät mit Buschwindröschen und Leberblümchen.

Erwartungsvoll aber auch etwas ängstlich schweifen seine Augen umher, ob er einen der Wächter entdecken kann.

Ist hier etwas geschehen, was die Wachen vertrieben oder, schlimmer noch, getötet hat? Der Junge ist besorgt und überlegt, ob Röiven mit seiner Vermutung Recht haben könnte. Aber wenn es hier einen Überfall gegeben hätte, müssten doch Spuren zu erkennen sein!

In diesem Moment lässt ihn ein Rascheln aufschrecken und herumfahren.

Fünf grün gekleidete, junge, schlanke Elfen treten aus ihrer Deckung hervor. Sie tragen langes, hellblondes Haar und machen strenge Gesichter. Auf ihren Bogensehnen liegen vorsorglich Pfeile, die aber nicht auf den Jungen oder den Vogel gerichtet sind.

»Ich grüße euch, Raban und Röiven. Ihr seid hier wie immer willkommen!«, spricht der Mittlere von ihnen sie an.

»Ich grüße euch«, antwortet der Junge.

»Gab es hier einen Überfall durch die Dubharan?«, will der Rabe knarzend wissen.

»Überfall?« und »Dubharan?«, klingen die erstaunten Antworten. »Nein. Hier ist alles ruhig. Aber Solveig, die Oberste von uns Elfen hier im geheimen Wald, ist heute Nacht gestorben«, ist die traurige Stimme von einem der Elfen zu vernehmen.

»Das tut uns leid«, bekräftigen die beiden Ankömmlinge ihre Anteilnahme.

»Deshalb sind wir unter anderem auch gekommen. Elfrun hat uns informiert«, fügt Raban hinzu.

»Wisst ihr, wie es meiner Großmutter geht?«, fragt der Rabe aufgeregt.

»Das wissen wir nicht. Sie bereitet vermutlich die Bestattung von Solveig vor. Sie waren sehr befreundet.«

Der Vogel bedankt sich kurz, dann flirrt die Luft.

Die beiden stehen jetzt unter der Linde, wo sie sich im letzten Sommer oft mit Elfrun getroffen und beraten haben.

Doch der Baum steht verlassen.

Es ist wie immer angenehm warm im geheimen Wald, wie an einem sonnigen Frühlingstag. Trotzdem scheint der Rabe zu frösteln. Er schüttelt sich und blickt zur Elfenfestung Serengard hinüber, die von hier aus gut zu sehen ist.

»Dorthin!«, bestätigt der Junge die unausgesprochene Frage seines Freundes.

Sofort flirrt die Luft wieder, und sie stehen in einem kleinen Vorraum vor einer Tür, die mit Runen verziert ist. Raban klopft an. Als die entsprechende Aufforderung von innen erklingt, öffnet der Junge die Tür und tritt ein. Sie befinden sich jetzt in der Bibliothek, in der sie oft mit Solveig gesprochen haben. Der Rabe hüstelt und knarzt leise:

»Ich grüße dich Solveig, du Oberste der Elfen.«

»Was soll das denn? Solveig ist doch tot!«, flüstert der Junge erstaunt.

Bevor Röiven aber eine Antwort geben kann, erklingt eine Stimme von dort, wo Solveig am liebsten ihre Zeit in einem der Sessel vor dem Kamin verbracht hat.

»Tretet ein, Röiven und Raban!«

Die Stimme ähnelt der Solveigs sehr, doch die Elfe, die jetzt auf sie zukommt ist natürlich nicht Solveig. Sie hat eine große, schlanke Gestalt, mit langen, blonden Haaren, das aber nicht mit einem goldenen, sondern mit einem geflochtenen, grünen Band um den Kopf fixiert ist. Das von einem dunkelgrünen Band umgürtete Gewand ist weiß und reicht bis zu den Knien hinab. Ihr Gesicht wirkt stolz und unnahbar, aber auch traurig.

»Ich sehe, Röiven ist der Brauch bekannt, beim Eintreten in einen Raum den Bewohner zu grüßen, auch wenn dieser bereits gestorben ist. – Mein Name ist Sorcha.«

»Sei gegrüßt, Sorcha«, krächzt der Rabe.

»Ich grüße dich, Sorcha«, erwidert auch Raban. »Es tut mir leid, dass deine Mutter gestorben ist.«

Erstaunt blickt ihn die große Elfe an, doch sie erwidert nichts. Sie wendet sich statt dessen an den Raben: »Und jetzt zu dir, Röiven. Du suchst Elfrun, deine Großmutter. Sie ist hier bei Solveig.«

Während dieser Worte hat Sorcha sie aufgefordert, mit zu den Sesseln vor dem Kamin zu kommen.

»Großm…“, ruft Röiven. Doch als er sie erblickt, bricht er erschrocken ab.

»Was ist passiert …?«, fragt Raban, der auf den Vogel hinunterblickt, der im Schoß von Solveig liegt, die scheinbar schlafend in dem Sessel sitzt.

Der Kolkrabe hebt matt beide Augendeckel. Trübe Augen blicken in die von Röiven, der sich auf einer Armlehne niedergelassen hat.

»Röiven«, keucht Elfrun. »Mein geliebter Enkel.«

Mühsam hebt sich ihr Brustkorb. Sie röchelt kurz und fährt dann leise fort: »Es ist … schön, dass … du gekommen … bist.« Erneut röchelt die alte Rabendame. »Danke … für … deine … Liebe. … Ich … … wer…de … immer … bei dir sein.«

»Großmutter…!«, schluchzt der Rabe auf, während unaufhörlich Tränen über seinen Schnabel rollen und auf die Sitzfläche des Sessels tropfen.

Der Junge streicht seinem Freund über den Rücken und kann es kaum fassen. Er weiß, Elfrun hat für einen Kolkraben ein sehr hohes Alter erreicht, trotzdem versteht er seinen Freund. Sie hat ihn erzogen und war in seinem Leben die wichtigste Bezugsperson, da die Eltern früh gestorben sind.

Raban schaut die Elfe fragend an, die auf der anderen Seite des Sessels steht und Solveigs Hände streichelt.

»Was ist passiert? Kann ich helfen? – Ich könnte Lebensenergie auf Elfrun übertragen!«

Erstaunt blickt Sorcha ihn an.

»Du könntest was?«

»Ich habe Zauberkräfte von Röiven übertragen bekommen und besitze den Armreif von Eila, der meine Magie verstärkt. Soll ich es machen?«

»Ich weiß nicht, ob das Sinn hat, Elfrun ist bereits sehr alt. Sie hat sich vermutlich verausgabt, als sie Solveig helfen wollte, aber versuchen solltest du es natürlich.«

Raban hält seine Hände über den Körper der Rabendame und spricht: »Beatha.« Nichts geschieht. Noch einmal fordert er: »Beatha!« Wieder nichts. Sollte er den Spruch falsch nutzen?

»BEATHA! BEATHA! BEATHA!« schallt sein Ruf laut durch den Raum. Und jetzt bemerkt der Junge eine Reaktion. Er spürt ein leichtes Kribbeln an seinen Handflächen. Dann beginnt ein kaum sichtbares Licht von seinen Händen zu dem Kolkraben zu fließen. Das golden schimmernde Gleißen wird immer stärker.

Die kleine Brust des Vogels beginnt sich etwas stärker zu heben und zu senken, wie der Junge nach kurzer Zeit erfreut sieht. Raban beobachtet das helle Licht noch eine kurze Zeit, bevor er das Übertragen von Lebensenergie unterbricht.

Er beugt sich hinab und horcht nach dem Herzschlag. Dieser klingt für ihn nicht normal. Das Herz schlägt unregelmäßig und sehr flach.

Raban weiß, dass er sonst nichts für Elfrun machen kann. Obwohl der Herzschlag nicht ermutigend klingt, hofft er dennoch auf die Genesung des Vogels.

»Danke!«, knarzt sein Freund.

»Ich danke … dir auch … für den … Versuch«, ist die schwache Stimme Elfruns zu vernehmen, die kurz ihre Augen öffnet. »Aber, Röiven, sei … nicht traurig, … ich werde … nicht mehr lange … leben.« Ihre Stimme klingt gehetzt, obwohl sie sehr langsam spricht. Röiven hebt seinen Kopf und blickt in das geliebte Antlitz seiner Großmutter, die ihre Augen wieder ermattet schließt.

»Großmutter. Du musst wieder gesund werden. Ich, … wir werden dich pflegen und erneut Lebensenergie auf dich übertragen.« Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: »Ich werde bald Vater werden. Zoe brütet bereits vier Eier aus. – Du musst doch deine Urenkel kennenlernen, … sie sollen dich kennenlernen!«

Obwohl das sicher nicht möglich ist, scheint ein Lächeln über Elfruns Gesicht zu huschen.

»Das freut … mich für … dich! … Wirk…lich!« Die Rabendame versucht jetzt ihren Kopf unter einen Flügel zu schieben, doch dann schläft sie bereits ein, ohne die seit vielen Jahren gewohnte Stellung einzunehmen.

»Wir sollten ihr jetzt Ruhe gönnen. Das ist das Beste, was wir für sie tun können«, fordert Sorcha die beiden Freunde auf.

Der Junge betrachtet nun Solveig. Sie scheint ohne Schmerzen gestorben zu sein. Ein feines Lächeln ist auf ihren Zügen zu erkennen. Raban erinnert sich an die Unterhaltungen mit ihr. Sie war immer sehr freundlich, hatte aber auch Phasen, in denen sich ihr zunehmendes Alter zeigte. Sie wiederholte sich oft und Müdigkeit ließ sie mitten in der Unterhaltung einschlafen. Raban freut sich, dass der Tod offenbar so leicht zu ihr gekommen ist. Zaghaft streicht er über ihre Stirn, auf der das Sonnensymbol bereits verblasst.

Der Rabe bleibt auf der Armlehne bei seiner Großmutter, um über sie zu wachen. Die Elfe und der Junge begeben sich jetzt zu einer anderen Sitzgruppe und setzen sich. Obwohl sich Sorcha und der Junge leise unterhalten, vernimmt der Rabe alles.

»Woher weißt du, dass Solveig meine Mutter ist? Du bist doch noch viel zu jung, um das zu wissen.«

»Ähem. Ich bin in deinen Augen sicher sehr jung, aber ich habe von den Ereignissen vor über 100 Jahren gelesen, in der Geschichte über Eila. Als ich jetzt deinen Namen hörte und deine große Ähnlichkeit mit Solveig hinzunahm, konntest du nur ihre Tochter sein. – Aber, verzeih, woher kennst du meinen Namen?«

»Wenn du über die Ereignisse von vor 100 Jahren gelesen hast, weißt du vermutlich, dass wir Elfen fast ständig untereinander gedanklich in Verbindung stehen. Die Wächter am Eingang zu unserem Wald haben mir euer Kommen mitgeteilt. Darum kenne ich auch deinen Namen.«

»Entschuldigung«, stottert Raban. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber bist du nicht schon sehr alt? Du wirkst aber überhaupt nicht so alt«, fügt er schnell hinzu.

»Ist schon gut. Ich bin mit meinem Alter nicht empfindlich. – Du erinnerst dich durch das Buch sicher daran, dass Elfen wesentlich älter als Menschen werden. Mit meinen 135 Jahren bin ich für eine Elfe zwar nicht mehr jung, habe aber noch viele Jahre vor mir.«

Nach einer Pause erklärt Sorcha dann die Ereignisse der Nacht.

Solveig hatte Elfrun und sie gegen Ende der Nacht herbeigerufen, da sie merkte, dass ihr Ende naht. Elfrun hat dann durch Übertragen von Lebensenergie versucht, ihre Freundin zu retten, was ihr aber nicht gelang. Der Versuch forderte seinen Tribut bei dem alten Raben, der sich zu sehr verausgabt hatte. Sorcha kann nicht Zaubern und somit auch nicht mittels magischem Sprung reisen. Als sie den Ruf ihrer Mutter vernahm, musste sie somit den magischen Verbindungsweg von ihrem Aufenthaltsort in den geheimen Wald nutzen. Als sie endlich hier ankam, stellte sie den Tod ihrer Mutter fest. Sie konnte nur mit Mühe die noch fließende Lebensenergie von Elfrun zu Solveig unterbrechen. Die Rabendame war mittlerweile schon bewusstlos und wäre in Kürze gestorben.

»Ich danke dir«, krächzt Röiven von seinem Platz herüber.

»Das habe ich gerne gemacht, auch wenn ich lieber etwas früher hier gewesen wäre. Vielleicht ginge es ihr dann nicht so schlecht.«

»Ähem, Röiven«, spricht Raban plötzlich zu seinem Freund.

»Ja. Was gibt es?«

»Kann ich dich kurz alleine lassen. Ich habe meine Eltern nicht informiert. Die werden sich bestimmt wundern, wo ich geblieben bin.«

»Na klar. Ich bleibe hier bei Großmutter. Wir können jetzt nur warten.«

»Dann bis nachher.«

Die Luft flirrt und Raban ist wieder Zuhause.

Raban und Röiven Rückkehr dunkler Zauberer

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