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Aufbruch

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Der folgende Tag vergeht mit vielen Vorbereitungen.

Ein großer Rucksack wird gepackt und Wanderschuhe bereitgestellt. Maireads Ensiculus Chartorum kommt ebenso wie das Buch »Anwendung magischer Sprüche« in den Rucksack. Eila möchte weitere magische Worte und deren Wirkung kennenlernen, sie will danach in dem alten Buch suchen. Vielleicht muss sie ja doch weiteren Zauber auf ihrer Reise anwenden.

Am Abend sitzen sie, vermutlich für längere Zeit zum letzten mal zusammen im Wohnzimmer. Jeder hält eine dampfende Tasse Kakao in den Händen.

Brian ist aufgeregt: »Sei bitte vorsichtig auf deiner Reise. Ich habe Mairead sehr selten begleiten dürfen. Trotzdem weiß ich, dass es böse Zauberer gibt. Diese können dir gefährlich werden, dich vielleicht sogar töten!«

Eila schaut ihren Großvater liebevoll an: »Das werde ich! Aber pass du auch auf dich auf. Schone dich und drücke mir die Daumen, dass ich Erdmuthe schnell finde.«

Sie hatten in Maireads Schriftstücken und in den alten Büchern den Standort des Klosters »Das heilige Kreuz« erst nach langer Suche gefunden. Eila wird mit dem Zug fahren, aber auch längere Strecken zu Fuß zurücklegen müssen. Das Kloster befindet sich weiter im Süden, etwa in der Mitte des Landes.

Der Großvater und Eila sitzen noch lange zusammen im Wohnzimmer, während draußen der Wind heult und ein heftiger Sommerregen gegen das Fenster gedrückt wird. Eila blickt plötzlich auf: »Wenn ich morgen abreise, wann kommt dann Albin? Ich kenne ihn doch noch nicht einmal.«

Großvater lächelt: »Du wirst Albin morgen kennenlernen. Keine Angst, er passt zu dir und du wirst ihn mögen. Aber jetzt gehe zu Bett und schlafe gut!« Er haucht ihr einen Kuss auf die Stirn und löscht die Kerzen.

»Gute Nacht und schlafe auch du gut.« Eila begibt sich nach oben und hört den Regen aufs Dach trommeln.

In der vergangenen Nacht konnte Eila erst nicht einschlafen. Sie war gestern Abend viel zu aufgeregt von allem Erlebten, besonders wegen der Mitteilungen ihrer Großmutter. Auch die bevorstehende Reise und mögliche Gefahren sorgten für Unruhe. Die Gedanken rasten lange durch ihren Kopf. Erst mit beginnendem Morgengrauen fiel sie in einen leichten, unruhigen Schlaf.

In dieser Nacht ist es nicht so. Kaum liegt sie im Bett, ist sie auch schon eingeschlafen. Sie hört weder den Regen, noch wie Brian das Haus verlässt. Einer regnerischen Nacht folgt ein heiterer Morgen. Eila steht auf. Großvater ist verschwunden, er ist nirgends zu finden. Sie bereitet trotzdem ein Frühstück und wartet.

Brian taucht erst am späten Vormittag, und dazu noch völlig durchnässt, wieder auf. Begleitet wird er von einem riesigen, grauen Hund mit zotteligem Fell.

»Leider hat es wegen des Regens doch länger als erwartet gedauert. Die Wege waren teilweise überspült und sehr glitschig.« Eilas Großvater stellt seinen knorrigen Wanderstock in die Ecke des Flurs, atmet durch und fährt fort. »Das ist Albin — der beschützende Freund. Ich habe ihn heute Nacht von einem alten Einsiedler in den Bergen geholt. Er ist treu und erprobt im Kampf, nicht nur gegen Wildkatzen und Wölfe. Er wird auf der kommenden Reise dein Begleiter sein. Du darfst ihn auf unbegrenzte Zeit behalten, wenn Albin es möchte.«

Albin möchte!

Er läuft auf Eila zu und stupst mit der Schnauze ihre rechte Hand an. Eila legt ihre feingliedrige, schmale Hand auf seinen Kopf und schaut in seine treuen Augen. Sie fühlt sich in der Nähe des riesigen Tieres gleich beruhigt und wieder sicherer. Die durchgestandenen Ängste und Sorgen der vorletzten Nacht sind verschwunden.

Nach dem späten Frühstück ist es schon fast Mittag und der Zug, den Eila auf der ersten Etappe benutzen möchte, ist heute nicht mehr zu erreichen. Darum wird der Aufbruch verschoben und für den nächsten Vormittag festgelegt. Eila fühlt sich wegen der bevorstehenden Trennung vom Großvater sehr traurig. Sie sorgt sich um ihn, da er nicht mehr so rüstig und agil wie bisher erscheint.

»Hoffentlich hat er sich in der Nacht keine Lungenentzündung zugezogen«, denkt sie.

Nachmittags sitzt Brian lesend in seinem Ohrensessel, während Eila und Albin auf einer der Wiesen in der Nähe herumtollen. Als sie nach einem anschließenden Spaziergang zurückkommen, ist Großvater — wie so oft in letzter Zeit — in seinem Sessel eingenickt. Auf seinen Knien sieht sie ein aufgeschlagenes Fotoalbum. Seine Hand ruht auf einem Bild von Mairead.

Eila bereitet in der Küche zwei Tassen heißen Kakao und bringt diese ins Wohnzimmer. Sie weckt den Großvater vorsichtig.

Verschlafen blickt er zu ihr auf und lächelt: »Eben habe ich dich fast für Mairead gehalten. Sie hat mich auch oft zu einem Kakao aufgeweckt. Du bist ihr in deinem Verhalten sehr ähnlich! Hab’ ich dir eigentlich gesagt, dass du ihr auch etwas ähnlich siehst?« Er zeigt auf das Bild, worauf eine junge Frau im Portrait zu sehen ist.

»Das ist Großmutter, kurz bevor ihr geheiratet habt«, antwortet Eila lächelnd.

»Richtig. Jetzt schau dir ihr Gesicht und die aus der Stirn gestrichenen Haare an.«

»Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.« Sie betrachtet das Bild genauer, die Anordnung ihrer Augen zusammen mit der geraden Nase, um die ebenfalls schwach sichtbare Sommersprossen zu erkennen sind. Ihre hellen Augen sind strahlend zur Kamera gerichtet. Dieses junge Gesicht, mit der gleichen Art das Haar zu tragen, gleicht sehr stark ihrem eigenen. »Sie könnte glatt meine ältere Schwester sein«, staunt Eila.

»Wohl eher deine Zwillingsschwester!«, korrigiert Brian, sie versonnen anlächelnd.

Nun sitzen sie zusammen und unterhalten sich lange, nur kurz vom Abendessen unterbrochen. Albin liegt dabei zu Eilas Füßen und döst vor sich hin. Brian erzählt mit freudig leuchtenden Augen aus alten Zeiten, aus seinem und Maireads Leben. Als sie später zum Schlafen nach oben gehen, hat er gerötete Wangen und ist glücklich. Der große Hund legt sich vor Eilas Bett, schaut sie lange an und legt dann seinen Kopf auf beide Vorderpfoten.

Am kommenden Morgen scheint die Sonne strahlend in die Küche, während Eila und ihr Großvater ein frühes, aber ausgiebiges Frühstück bereiten und zu sich nehmen. Albin bekommt Wasser und ein großes Stück einer Fleischwurst. Als Proviant für die Reise nimmt Eila einige Äpfel, ein Laib Brot, eine Dauerwurst, ein Stück Hartkäse, eine mit Frau Dixons Butterplätzchen gefüllte Blechdose und eine Blechflasche voll Wasser mit.

Brian, Eila und Albin folgen der gewundenen Straße hinauf auf den nächsten Berghang. Von dort, teilweise sichtbar, schlängelt sich die Straße zwischen von Steinmauern eingefassten Wiesen Richtung Süden.

Es folgt ein angenehmer Spaziergang von etwa sechs Kilometern in der wärmenden Vormittagssonne. Schließlich erreichen sie den kleinen Nachbarort mit seinen grauen Steinhäusern. Es gibt hier zwei größere Gebäude, den Dorfgasthof und den Bahnhof.

Der Bahnhof ist reichhaltiger verziert als die grauen, schmucklosen Häuser des Ortes. Die roten Backsteineinfassungen an den Gebäudeecken und die Umrandungen der vielen Fenster und des Eingangs aus Sandstein lassen das Gebäude großartig erscheinen.

In der gefliesten, altmodischen Eingangshalle befindet sich der Fahrkartenschalter. Ein freundlicher Angestellter in dunkler Eisenbahnuniform gibt Eila die gewünschte Fahrkarte Richtung Süden.

Der Zug fährt um 10:15 Uhr, also erst in etwa zwei Stunden. Zur Verkürzung der Wartezeit gehen sie zum gegenüber liegenden Dorfgasthof. Der Gastraum ist leer. Auf ihr Rufen erscheint erst nach einiger Zeit ein kleiner Mann mit roten Wangen und einer weißen Schürze vor seinem runden Bauch.

»Was kann ich für euch tun?«, fragt er schnaufend. »Ich musste noch erst das Brot aus dem Ofen nehmen, da es sonst verbrannt wäre. Deshalb hat es etwas länger gedauert bis ich kommen konnte«, entschuldigt er sich.

»Das ist schon in Ordnung«, antwortet Brian. »Wir möchten gerne jeder eine dicke Scheibe von deinem leckeren Landbrot, dazu etwas Butter und Käse. Zu Trinken nehmen wir dazu beide einen heißen Kakao. Für unseren Hund möchten wir eine Schüssel mit Wasser und ein großes Stück Fleischwurst.« Dann setzen sie sich an einen der Tische am Fenster, mit Blick auf den Bahnhof.

Der Wirt blickt etwas ängstlich auf den großen Hund.

»Kommt sofort«, sagt er erleichtert, als sich Albin friedlich vor Eilas Füßen auf dem Boden zusammenrollt. Es dauert nicht lange, und das Gewünschte wird ihnen gebracht. Albin blickt fragend zu Eila hoch. Erst als sie ihm zunickt, steht dieser auf und beschnuppert die Wurst. Auf einmal schnappt er die Wurst, zerteilt sie mit einem Biss und verschlingt das erste Stück. Sofort danach wird auch das zweite Wurststück heruntergeschlungen. Nun steht Albin über die Wasserschüssel gebeugt und schlabbert sie leer. Zufrieden legt er sich erneut zu Eilas Füßen. Brian und Eila haben ihm zugesehen und lächeln sich an.

»Wir wollen uns das Essen jetzt auch schmecken lassen.« Sie genießen es in aller Ruhe und auch der Kakao schmeckt ihnen.

»Wirt, das war wirklich gut!«, loben beide das Essen.

Nachdem sie bezahlt haben, wechseln sie wieder hinüber zum Bahnhof. Dort gehen sie zum Bahnsteig und sitzen die verbleibenden 15 Minuten auf einer gusseisernen Bank mit grün gestrichenen Holzbrettern.

Der Zug kommt pünktlich, pustend und schnaufend fährt er vor. Die Dampflok sieht beeindruckend aus. Sie ist dunkelgrün und schwarz gestrichen, versehen mit glänzenden Messingverzierungen. Die Lokomotive zischt noch einmal, eine weiße Wasserdampfwolke umströmt sie und sie scheint weiterfahren zu wollen. Dann steht die Lok mit ihren angekoppelten acht Waggons still.

Türen öffnen sich nur im zweiten und im letzten Wagen. Eine alte Frau mit einem kleinen Hund an der Leine steigen aus dem zweiten Waggon aus. Sie wendet sich zum Bahnhofsgebäude. Aus dem letzten steigt ein Mann aus, der sich umdreht und einem kleinen Kind beim Aussteigen hilft. Anschließend gehen beide auch zum Bahnhofsgebäude, das Kind an der Hand des Mannes.

Eila und Brian umarmen sich lange Zeit.

»Pass bitte auf dich auf«, und: »Pass auf dich auf«, sagen beide gleichzeitig, während sie sich ansehen. Der Großvater blinzelt eine Träne weg. Eila und Albin – nicht an einer Leine geführt, sondern frei laufend – steigen in den zweiten Wagen ein und laufen nach hinten durch, bis zu einem freien Abteil. Brian schließt die Waggontür und Eila lässt das Abteilfenster zum Bahnsteig herunter. Sie beugt sich hinaus und winkt zum Großvater. Ein Pfiff ertönt. Die Dampflok beginnt zu zischen. Weißer Wasserdampf umwabert sie. Mit einem Ruck beginnt der Zug zu rollen. Brian winkt zurück, obwohl er wegen der aufsteigenden Tränen fast nichts erkennen kann. Eila fährt am Großvater vorbei und lässt ihn weit hinter sich zurück, während die Zugmaschine immer mehr beschleunigt.

Die Lok pfeift noch einmal durchdringend und Eila kann den Großvater nicht mehr sehen. Der Zug fährt durch eine langgestreckte Kurve. Brian sieht die letzten Waggons nach der Kurve in der Ferne verschwinden. Er schnäuzt sich mit einem Taschentuch und seufzt leise: »Mairead, behüte Eila! Ich hoffe, sie erreicht Erdmuthe ohne Zwischenfall!« Er will den Bahnsteig verlassen und dreht sich zum Bahnhofsgebäude. Aus dem Augenwinkel heraus sieht er ein kurzes Flirren der Luft. Er dreht sich wieder zurück.

»Stand dort nicht eben noch ein junger Mann? Wo ist der denn geblieben, so schnell kann er nirgends hingegangen sein?«, fragt er sich. »Hoffentlich bedeutet das nicht, dass ein böser Magier auf Eilas Fährte ist!« Beunruhigt geht Brian ins Bahnhofsgebäude und von dort auf die Straße davor. Er macht sich auf den langen Weg zurück zu seinem Haus im Weidenweg.

Unterwegs zerbricht er sich den Kopf, wie er etwas zu Eilas Schutz unternehmen könnte. Ein Zug fährt erst wieder am nächsten Tag nach Süden, dorthin, wohin Eila unterwegs ist. Dann ist sie bereits lange auf dem Weg zu Erdmuthe, so dass er sie keinesfalls mehr erreichen kann.

Mit einem heißen Kakao sitzt er dann in seinem Ohrensessel und schaut zu dem leeren hinüber. Gestern saß Eila noch dort, mit Albin zu ihren Füssen. Brian beruhigt sich etwas. Albin ist stark und treu. Er ist nicht durch Zauberer zu verwirren und wird Eila beschützen, hofft er. Als Brian kurz einnickt, glaubt er beim Erwachen Mairead im anderen Ohrensessel sitzen zu sehen. Sie lächelt ihn an und strahlt dabei eine Ruhe aus, die sich auf ihn überträgt. »Ich kann auf Maireads Vorkehrungen vertrauen. Eila ist nicht allein. Sie wird in Erdmuthe eine fähige Lehrerin finden und eine solide Ausbildung erhalten.«

Die Dubharan

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